Informationen aus der Gesellschaft - OUP 03/2020
Innovation, Qualität und Ethik
Peter Biberthaler
Innovation
Innovation ist der stetige Motor von neuen Entwicklungen zur Diagnostik und Therapie unserer Patienten. Auch wenn Sätze wie „das Bessere ist der Feind des Guten“ wie eine Plattitüde wirken, beinhalten sie dennoch eine wesentliche Erkenntnis: keine Diagnostik und keine Therapie ist so gut, als dass sie nicht verbessert werden könnte. In der Vergangenheit von Orthopädie und Unfallchirurgie wurden durch bahnbrechende Innovationen destruktive Verbesserungen in der Behandlung von Patienten erzielt. Beispielhaft sei hier die Entwicklung winkelstabiler Implantate genannt. Bei näherer Betrachtung der gegenwärtigen Forschungslandschaft fehlt jedoch auf, dass ein Paradigmenwechsel stattzufinden scheint. So hatten auch eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Abstracts für den diesjährigen Kongress der Vereinigung Süddeutscher Orthopäden und Unfallchirurgen nicht mehr die Verbesserung der Diagnostik und Therapie unserer Patienten im Fokus, sondern eine Steigerung der betriebswirtschaftlichen Effektivität. Es wäre zu kurz gesprungen, wenn man nun den jungen Kolleginnen und Kollegen die Auswahl ihres wissenschaftlichen Ziels vorwerfen würde. Schließlich bildet diese Zielsetzung nur das Ausmaß der täglichen Diskussionen in unseren Kliniken und Praxen ab. Hier hat sich ein deutlicher Wandel ergeben, von der Diskussion über medizinisch wissenschaftliche Inhalte hin, zu organisatorisch effektivitätsorientierten Inhalten. Dieses Thema wird eine der Klammern sein, die sich im Abschnitt Ethik wieder finden. Die große Faszination der wissenschaftlichen Aufarbeitung von medizinischen Problemen unserer Patienten und der Versuch der kontinuierlichen Verbesserung, sind meines Erachtens eine der großen Vorteile unseres Berufs. Wer kann schon von sich sagen, dass er etwas komplett Neues entwickelt oder erfunden hat, wenn er in einem großen Industrieunternehmen tätig ist? In welchen anderen Berufszweigen ist es möglich, weltweite Innovationen voranzutreiben? Dies ist eines der herausragenden Privilegien wissenschaftlich betriebener Medizin und ich vergleiche die Protagonisten auf diesem Feld immer mit den großen Seefahrern und Entdeckern, die in unserer Vergangenheit mutig und entschlossen aufgebrochen sind, um neue Welten zu erobern. Am Ende des Tages ist doch eine der wesentlichen Parameter unseres beruflichen Lebens, wie viele Spuren wir hinterlassen konnten. Hierzu zählen natürlich zuallererst die vielen Patienten, die wir täglich behandeln. Aber jeder von uns kennt diese Situation, in der man bei einer Patientin/einem Patienten für sein individuelles Problem vielleicht zunächst keine gute Lösung auf Lager hat. Und genau in dieser Situation kommt der Forschergeist zutage, indem man eben nicht resigniert, sondern mit all den zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen Methoden versucht, das medizinische Problem so gut wie möglich lösen zu können. Daraus folgt, dass medizinische Einrichtungen, welche betriebswirtschaftlich auf höchste Effektivität getrimmt wurden, zwar sicherlich einen potentiellen betriebswirtschaftlichen Gewinn abwerfen, jedoch kommt meines Erachtens diese spezifische Innovationskraft in diesen Einrichtungen zu kurz. Es gibt keine Möglichkeit mehr, Assistentinnen und Assistenten im klinischen Betrieb freizustellen für wissenschaftliche Projekte. Jede einzelne Stelle ist bis auf die äußerste betriebswirtschaftliche Marge berechnet wie ein industrieller Prozess zur Produktion von Autos oder Flugzeugen. Aber Medizin ist mehr wie nur ein Abarbeiten von Mehrwert schaffenden Tätigkeiten und unsere Patienten sind auch keine Kunden. Daher liegt es an uns Ärzten zu entscheiden, ob wir uns wie menschliche Roboter in solchen Operations-Fabriken einfinden wollen oder ob wir lieber den Weg des Forschergeistes gehen möchten. Daher möchte ich allen Ärztinnen und Ärzten im Bereich der Orthopädie und Unfallchirurgie zurufen: Wagen Sie das Neue zu denken, sich innovativ zu entwickeln und mit dieser Innovation die Diagnostik und Therapie unserer Patienten in den nächsten Dekaden substantiell zu verbessern!
Qualität
Diese Verbesserung in der Diagnostik und Therapie unserer Patienten ist ein häufig angesprochenes Thema in der öffentlichen Diskussion. Eine der wesentlichen Ursachen der hier oft kontrovers geführten Diskussionen liegt darin, dass der Begriff „Verbesserung“ eine eindeutige Qualitätsmessung erfordert. Während die Qualitätsinitiativen der jüngeren Vergangenheit im Wesentlichen auf Prozessparameter abgezielt haben, steht nun die Aufgabe an, die tatsächliche Qualität der Diagnostik und Therapie zu bestimmen. Bislang war die Bestimmung der Qualität unterschiedlicher therapeutischer Verfahren durch randomisierte verblindete prospektiv kontrollierte Studien bestimmt. Diese Studienart war lange der Goldstandard zur Bemessung der Qualität in der Therapie von Patienten in der Orthopädie und Unfallchirurgie. Im Gegensatz zu pharmakologischen Studien, beinhaltet das Studiendesign jedoch mehrere Probleme. Zum einen lässt sich aufgrund der chirurgischen Therapie keine Verblindung vornehmen, der Operateur weiß selbstverständlich immer welches Implantat er verwendet. Zum anderen respektiert diese wissenschaftstheoretische Herangehensweise nicht, dass jeder Operateur spezifische Implantate bevorzugt. Dies hat einfach etwas mit Erfahrung, positiven Ergebnissen etc. zu tun. Es wurde dann versucht, durch Schulungen Operateure an zwei verschiedene Techniken heranzuführen. Klar ist in diesem Zusammenhang, dass dies nicht die Wirklichkeit der Qualität abbildet, da ein Operateur der mit dem Implantat X 500 Operationen durchgeführt hat, deutlich mehr Erfahrung haben wird wie mit einem angelernten geschulten Implantat Y. Darüber hinaus bergen diese Studien einen gut untersuchten Einschluss BIAS. So hat sich gezeigt, dass bestimmte Merkmale häufiger bei prospektiv randomisierten Studien vertreten sind. Daher ist es nicht verwunderlich, dass ganz wesentliche Fragestellungen in der Unfallchirurgie, wie beispielsweise die optimale Therapie der distalen Radiusfraktur mittels prospektiv randomisierte Studien bislang nicht ausreichend beantwortet werden konnte. Darüber hinaus haben Erkenntnisse großer Registerstudien zu echten Paradigmenwechseln in der Therapie unfallchirurgischer Patienten geführt. Beispielhaft sei hier die Rogmark-Studie zur Behandlung von Schenkelhalsfrakturen genannt. Daher bin ich der festen Überzeugung, dass wir wesentliche Fortschritte in Erkenntnisgewinn nur über Big data-Analysen bekommen werden. Um die Ergebnisse unserer Therapie möglichst realitätsnah erfassen zu können, sind hierfür neue Instrumente erforderlich. In diesem Zusammenhang wurde in der jüngeren Vergangenheit auch mehrfach auf die Tatsache hingewiesen, dass das eigentlich Entscheidende in der Beurteilung der Qualität die Patientin/der Patient sei. Hieraus wurden patientenzentrierte Ergebnis-Messinstrumente entwickelt, welche die Qualität der Behandlung unserer Patienten erlaubt. Das Ziel zukünftiger wissenschaftlicher Anstrengungen sollte es daher sein, große Frakturregister mit standardisierten PROMs aufzulegen um somit wesentliche und wichtige wissenschaftliche Fragen in unserem Fachgebiet zu beantworten.
Ethik
Diesen Aspekt haben wir bewusst als letztes gesetzt, da ihm die größte Bedeutung zukommt. Gerade durch die enormen Möglichkeiten technischer Entwicklungen im medizinischen Bereich ist es unumgänglich, unsere ethischen Standards und Diskussionen entsprechend auszudifferenzieren. Hier wird es wieder an uns Ärztinnen und Ärzten sein, unsere ethischen Ansprüche gegenüber betriebswirtschaftlich orientierten Strukturen durchzusetzen. Hier schließt sich die Klammer des eingangs angesprochenen Themas, da wir Ärztinnen und Ärzte nur dann nicht als operative Fließbandarbeiter missbraucht werden, wenn wir uns trauen, allzu überbordenden betriebswirtschaftlichen Aspekten einen Riegel vorzuschieben. Somit ergibt sich ein schlüssiges Konzept für zukünftige Entwicklungen: Durch Innovation und Entwicklung sind wir Ärztinnen und Ärzte in der Lage, die Initiative im medizinischen Entwicklungsprozess zurückzugewinnen und somit den Schwerpunkt wieder mehr in Richtung Qualität zu verlagern.
Korrespondenzadresse
Univ.-Prof. Dr. med. Peter Biberthaler
Klinikum rechts der Isar
Technische Universität München
Ismaninger Straße 22
81675 München
peter.biberthaler@mri.tum.de