Übersichtsarbeiten - OUP 09/2016

Klassifikation von Knorpelschaden und Arthrose

Gunter Spahn1, Ivana Stojanowic2, Melanie Biehl3, Holm-Torsten Klemm4, Gunther O. Hofmann5

Zusammenfassung: Die Klassifikation verschiedener Schweregrade bei Arthrosen ist Grundlage für Therapieempfehlungen, aber auch wichtig in der Begutachtung, der epidemiologischen und Versorgungsforschung. Die verschiedenen Klassifikationsschemata basieren entweder auf klinischen, konventionell-radiologischen, kernspintomografischen oder arthroskopischen Befunden. Entscheidend bei der Verwendung verschiedener Schweregradeinteilungen sind dabei klare Definitionen für die einzelnen Arthrosestadien. Im Hinblick auf die bei allen diagnostischen Methoden hohe Interobserver-Varianz sollten, wenn möglich, objektive Messverfahren (Gelenkspaltweite, Größe von Osteophyten) Grundlage für solche Klassifikationsschemata sein. Für die Beurteilung des Arthrosegrads an Hüft- und Kniegelenk ist derzeit die Schweregradeinteilung nach Kellgren und Lawrence Goldstandard.

Schlüsselwörter: Arthrose; Knorpel; Schweregrad; Röntgen; MRT; Arthroskopie

Zitierweise
Spahn G, Stojanowic I, Biehl M, Klemm HT, Hofmann GO: Klassifikation von Knorpelschaden und Arthrose.
OUP 2016; 9: 509–514 DOI 10.3238/oup.2016.0509–0514

Summary: The exact grading of the osteoarthritis is important for therapeutic decisions as well as in epidemiological research, medical expertise and in health-care research. The classifications can be made by clinical or conventional-radiographies, MRI or arthroscopy. The clear definition of the different stages of the disease is basically for all grading. Most diagnostic methods have a poor interobserver-reliability. If possible the classification has to use objective measurements e.g. joint-space narrowing or enlargement of osteophytes. Actually the Kellgren-Lawrence-score is golden standard in the classification of hip and knee osteoarthritis.

Keywords: osteoarthritis; cartilage; grading; radiography; MRI; arthroscopy

Citation
Spahn G, Stojanowic I, Biehl M, Klemm HT, Hofmann GO: Grading of cartilage lesions and osteoarthritis.
OUP 2016; 9: 509–514 DOI 10.3238/oup.2016.0509–0514

Definition und pathophysiologische Grundlagen

Knorpelschaden und Arthrose zählen zu den häufigsten in der Allgemeinmedizin und der Orthopädie/Unfallchirurgie behandelten Erkrankungen.

Obwohl das Krankheitsbild natürlich jedem Arzt bekannt ist, zeigt sich die Schwierigkeit bei der Klassifikation dieser Erkrankung bereits in einer zum Teil widersprüchlichen Namensvielfalt.

Der Begriff der „Arthrosis deformans“ (griech. ?????? arthron ,Gelenk‘ und lat. deformare ,verstümmeln‘) wurde wahrscheinlich von Pommer 1917 geprägt. Im deutschsprachigen Raum hat sich inzwischen weitgehend der Begriff „Arthrose“ für degenerativ bedingte bzw. posttraumatische Zustände durchgesetzt. Der Begriff „Arthritis“ ist hier dagegen entzündlichen Zuständen vorbehalten, z.B. bei Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises. Bedingt dadurch, dass die phasenweise verlaufende Gelenkzerstörung auch durch entzündliche Episoden gekennzeichnet sein kann, wird das Krankheitsbild hingegen im angloamerikanischen Sprachraum generell als „Osteoarthritis“ (OA) bezeichnet, unabhängig von seiner Ursache.

Für verschiedene Bereiche in der Medizin werden in Bezug auf die Definition und Klassifikation dieser Erkrankungen unterschiedliche Ansprüche gestellt.

Für die klinische Routine und die daraus resultierenden Therapieempfehlungen/Richtlinien sind die Klassifikationen in der Regel nur ein Hilfsmittel, Entscheidungen zu treffen. Anders verhält es sich hingegen bei Begutachtungen bzw. auch in der epidemiologischen Forschung zur Ermittlung von Risikofaktoren für die Erkrankungen, hier werden klare Definitionen als „Ja oder Nein“ benötigt.

Grundlegendes Verständnis für die Ursachen und die Pathophysiologie des Krankheitsbilds sind erforderlich, um einzelne Befunde in Korrelation zum pathophysiologischen Korrelat einschätzen zu können.

Die Entstehung der Arthrose kann verschiedene Ursachen haben. Zum einen gibt es die sogenannte „primäre Arthrose“ (bedingt durch zunehmendes Alter und unspezifische Disposition). Diese Form der Arthrose wird gelegentlich auch als sogenannte Verschleißerkrankung bezeichnet. Auch wenn biologische Systeme wie ein Gelenk den Gesetzen der Biomechanik in Bezug auf die Belastung folgen (Druck, Scherung, Reibung, Spannungsrelaxation, Kriechen, teilweise oder vollständige Zerstörung), kann es nicht „verschleißen“. Bei der zunehmend im Rahmen der Arthroseentstehung wirkenden Degeneration handelt es sich um ein Missverhältnis zwischen Belastung und Belastbarkeit (z.B. beim Trauma) oder aber um eine schrittweise Dysbalance zwischen Belastung und Regeneration, also bezogen auf die Knorpelmatrix, zwischen Katabolie und Anabolie/Regenerationsfähigkeit.

Im Gegensatz dazu unterscheidet Hackenbroch die sekundären Arthrose-Formen, bei denen aufgrund einer mehr oder weniger bekannten Ursache (präarthrotische Deformierung) der Krankheitsprozess im Vergleich zum „natürlichen Verlauf“ bei der primären Arthrose beschleunigt abläuft. Im Grunde genommen kann diese Einteilung nur für posttraumatische Arthrosen für alle Gelenke übernommen werden. Ansonsten wurden verschiedene Umstände oftmals rein hypothetisch als „präarthrotische Deformierung“ angenommen, deren Wirkung in Bezug auf die Arthroseentstehung überhaupt nicht geklärt oder durch neuere Untersuchungen sogar widerlegt sind. Beispiele dafür ist die Annahme, dass O- oder X-Beine (Varustyp, Valgustyp) ein erhöhtes Risiko für eine Gonarthrose bedeuten. Gleiches gilt für die unterschiedlichen Formen der Patella. Gleiches gilt übrigens auch für die Annahme, dass bestimmte Belastungen in Beruf und Sport zwangsläufig das Arthroserisiko erhöhen. Hier bedarf es einer dringenden Überarbeitung der immer noch mit solchen unbewiesenen oder bereits widerlegten Annahmen auf dem Markt befindlichen orthopädischen Lehrbücher.

Für die Ausbildung der degenerativ bedingten Arthrose ist die zunehmende Schädigung des hyalinen Gelenkknorpels das wesentliche pathophysiologische Moment. In der Initialphase, in der bereits als „funktionell“ angesehene Beschwerden bestehen können, laufen innerhalb der Knorpelmatrix bereits irreversible Prozesse ab, bedingt durch eine Umkehr von Anabolie zu Katabolie/Apoptose der Chondrozyten. Im weiteren Verlauf verliert der Gelenkknorpel an biomechanischer Resistenz (Erweichung, vermehrte Brüchigkeit), es bilden sich die in MRT und Arthroskopie nachweisbaren, zunächst fokalen Knorpelschäden aus. In der späteren Phase der Erkrankung reagiert auch der unter dem Knorpel liegende subchondrale Knochen mit Sklerose und Ausbildung von Osteophyten bzw. Deformierung des Gelenks (radiologische Arthrose). Durch Einbeziehung weiterer Strukturen des Gelenks (Meniskus, Synovia, Ligamente, Muskulatur) kann es schließlich zum kompletten „Gelenkversagen“ kommen.

Klinische Kriterien

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