Übersichtsarbeiten - OUP 09/2019

Kniegelenknahe Osteotomien bei Knorpeltherapie und Bandinstabilität

Matthias J. Feucht, Andreas B. Imhoff, Norbert P. Südkamp, Kaywan Izadpanah

Zusammenfassung:

Kniegelenknahe Osteotomien werden mittlerweile regelhaft als additive Verfahren bei knorpelregenerativen Maßnahmen sowie bei der Behandlung von Bandinstabilitäten durchgeführt. Da die Achsverhältnisse der unteren Extremität einen großen Einfluss auf die Belastung des Gelenkknorpels haben, spielen Achsfehler und deren Korrektur eine zentrale Rolle bei der Entstehung und entsprechend auch bei der Behandlung von Knorpelschäden. Aktuelle Daten zeigen, dass nicht-adressierte Achsfehler eine wichtige Ursache für das Versagen von knorpelregenerativen Maßnahmen darstellen. Das Ziel einer additiven Osteotomie im Kontext einer Knorpeltherapie ist es, optimale biomechanische Voraussetzungen für das reifende Gewebe zu schaffen. Des Weiteren beeinflusst das koronare und sagittale Alignement auch das Ausmaß der Instabilität nach Bandrupturen sowie die auf rekonstruierte Bänder einwirkenden Kräfte. Kniegelenknahe Osteotomien haben sich daher in der Behandlung von Bandinstabilitäten als kombiniertes oder auch alleiniges Therapieverfahren etabliert. Neben der Entlastung eines arthrotisch veränderten Kompartiments werden im instabilen Kniegelenk Osteotomien speziell zum Schutz einer Bandplastik und zur Stabilisierung eines Gelenks auch ohne Bandplastik eingesetzt.

Schlüsselwörter:
Knie, Osteotomie, Knorpel, Instabilität, Rekonstruktion, Slope

Zitierweise:

Feucht MJ, Imhoff AB, Südkamp NP, Izadpanah K: Kniegelenknahe Osteotomien bei
Knorpeltherapie und Bandinstabilität. OUP 2019; 8: 476–482

DOI 10.3238/oup.2019.0476–0482

Summary: Osteotomies around the knee are commonly used combined with cartilage repair and ligament
reconstruction procedures. Since lower extremity alignment has a major impact on joint loading, malalignment plays an important role in cartilage repair. Current data suggests that uncorrected malalignment is an important risk factor for failure of cartilage regeneration procedures. The aim of an unloading osteotomy is to create an ideal biomechanical environment for the induced or transplanted repair tissue. Moreover, the osseous geometry of the lower limb has a significant impact on knee instability after ligament injuries and osseous malalignment has been shown to be a significant risk factor for failure of ligament reconstruction procedures. Therefore,
osteotomies around the knee have gained importance as a combined or isolated treatment option in the ligament deficient and malaligned knee. Besides unloading of an arthritic knee compartment, osteotomies are specifically performed in order to protect a reconstructed ligament and to stabilize the joint even without ligament surgery.

Keywords: knee, osteotomy, cartilage, instability, reconstruction, slope

Citation: Feucht MJ, Imhoff AB, Südkamp NP, Izadpanah K: Osteotomies around the knee in the setting of
cartilage repair and ligament insufficiency. OUP 2019; 8: 476–482 DOI 10.3238/oup.2019.0476–0482

MJ Feucht, AB Imhoff: Abteilung für Sportorthopädie, Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München

NP Südklamp, K Izadpanah: Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Freiburg

Einleitung

Die Achsverhältnisse der unteren Extremität haben einen wesentlichen Einfluss auf die Druckbelastung des Kniegelenks. Des Weiteren beeinflusst das Koronare und sagittale Alignment das Ausmaß der Instabilität nach Bandrupturen sowie auch die auf rekonstruierte Bänder einwirkenden Kräfte. Aus diesen Gründen werden kniegelenknahe Osteotomien mittlerweile regelhaft als additive Verfahren bei knorpelregenerativen Maßnahmen und bei der Behandlung von Bandinstabilitäten eingesetzt. Im Rahmen dieses Artikels soll im Wesentlichen auf Osteotomien bei Knorpelschäden im tibiofemoralen Kompartiment sowie im Kontext von Kollateral- und Kreuzbandinsuffizienzen eingegangen werden. Die dargestellten Zusammenhänge und Prinzipien lassen sich jedoch auch auf die Behandlung patellofemoraler Knorpelschäden oder Instabilität übertragen.

Osteotomien bei Knorpeltherapie

Die Rolle von Achsfehlern bei der Entstehung und Behandlung von Knorpelschäden

Ein gewisses Maß an Belastung ist zur Aufrechterhaltung der Homöostase im Gelenkknorpel essenziell. Eine Belastung über das physiologische Maß hinaus führt jedoch auf Dauer zur irreversiblen Schädigung des Knorpels [17]. Eine Varus- oder Valgusfehlstellung hat einen wesentlichen Einfluss auf die Druckbelastung des Knorpels im Kniegelenk [2, 25]. Beispielsweise muss bereits bei einer milden Varusdeformität von 3–5° ca. 80–90 % der gesamten Druckbelastung vom medialen Kompartiment getragen werden [2, 25]. Daher haben Achsfehler und deren Korrektur eine zentrale Rolle bei der Entstehung und Behandlung von Knorpelschäden [3].

Mehrere Studien konnten mittlerweile nachweisen, dass bereits eine geringe Abweichung der mechanischen Achse ein unabhängiger Risikofaktor für die Entstehung eines Knorpelschadens darstellt [11, 33, 34]. Beispielsweise konnte mittels MRT-Untersuchungen gezeigt werden, dass eine Varusfehlstellung von ? 2° ein signifikanter Risikofaktor für die Entstehung eines Knorpelschadens im medialen Kompartiment darstellt [33]. Des Weiteren konnten zahlreiche Studien nachweisen, dass sowohl die Varus- wie auch Valgusfehlstellung ein bedeutender Risikofaktor für das Voranschreiten einer medialen bzw. lateralen Arthrose darstellt [36]. Entsprechend muss davon ausgegangen werden, dass Achsfehler auch den natürlichen Verlauf eines Knorpelschadens negativ beeinflussen.

Biomechanisch kommt es bei bestehendem Knorpelschaden der medialen Femurkondyle mit steigender Varusfehlstellung zu einem zunehmenden Kontaktdruck im medialen Kompartiment, wobei sich die Druckbelastung insbesondere um die Randzone des Knorpelschadens konzentriert [25]. Somit scheint insbesondere die für eine erfolgreiche Knorpeltherapie essenzielle intakte Randzone bei Achsfehlstellungen einer hohen mechanischen Belastung zu unterliegen. Aus diesen biomechanischen Daten sowie oben erläuterten Zusammenhängen zwischen Achsfehlstellungen und dem Entstehen bzw. der Progression von Knorpelschäden muss davon ausgegangen werden, dass Achsfehler ein Risikofaktor für das Versagen knorpelregenerativer Maßnahmen darstellen. Klinische Studien konnten dies mittlerweile hinreichend belegen [4, 7, 39]. Beispielsweise konnte Krych et al. [21] im Rahmen einer Ursachenanalyse von 59 Fällen nach fehlgeschlagener Knorpeltherapie zeigen, dass bei über 50 % der Patienten eine Achsfehlstellung zumindest mit ursächlich war.

Klinische Evidenz zur Kombination von Achskorrekturen und Knorpeltherapie

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