Übersichtsarbeiten - OUP 06/2021
Konservative Therapieoptionen bei rheumatischen Affektionen
Uwe Schwokowski
Zusammenfassung:
Durch die Entwicklung innovativer medikamentöser Therapieoptionen in den letzten 3 Jahrzehnten hat sich die Behandlung entzündlich rheumatischer Erkrankungen grundlegend gewandelt. Spielten physikalische Therapiemaßnahmen vor vielen Jahren noch eine herausragende Rolle im Therapiekonzept, haben diese durch die rasante Entwicklung der medikamentösen Behandlung der „Disease-Modifying-Anti-Rheumatic-Drugs“ (DMARDs) erheblich an Bedeutung verloren. Auch operative Maßnahmen sind nur noch bei einer geringen Anzahl schwerer Verläufe indiziert. Der Anspruch der immunsuppressiven Medikation ist die Remission oder zumindest eine geringe Krankheitsaktivität. Allerdings gehören zu einer umfassenden Therapie mehrere Komponenten. Somit hat die Physikalische Medizin mit bewegungstherapeutischen Verfahren, u.a. durch die Physio- und Ergotherapie, als Begleitbehandlung bei Funktionseinschränkungen weiterhin eine Berechtigung.
Schlüsselwörter:
Entzündlich rheumatische Erkrankungen, konservative Therapieoptionen, Therapiewandel durch innovative Medikamente, Physikalische Medizin
Zitierweise:
Schwokowski U: Konservative Therapieoptionen bei rheumatischen Affektionen.
OUP 2021; 10: 251–255
DOI 10.3238/oup.2021.0251–0255
Summary: By the development of innovative drug therapy options in the last three decades, the treatment of inflammatory rheumatic diseases has changed fundamentally. While physical therapy played an outstandinng role in the therapy concept many years ago, they have lost a lot of importance by the rapid development of drug treatment with „disease-modifying-anti-rheumatic-drugs“ (DMARDs). Operative activities are only indicated in the case of a small number of severe courses. The claim of immunsupressive medication is remission or at least low disease activity. However, a comprehensive therapy includes several components. Thus, physical medicine with movement therapy processes, including physio- and ergotherapy, is still justified as an accompaying treatment for functional disorders.
Keywords: Inflammatory rheumatic diseases, conservative therapy options, therapy change by innovative drugs, physical medicine
Citation: Schwokowski U: Conservative therapy options for rheumatic affections. OUP 2021; 10: 251–255
DOI 10.3238/oup.2021.0251–0255
Facharzt für Orthopädie - Schwerpunkt Rheumatologie, Lübeck
Der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie wird in seiner täglichen Praxis zumeist von Patienten mit Beschwerden im Bewegungssystem aufgesucht. Diese Probleme sind häufig funktioneller Art, sie können aber auch degenerativ sein, durch Über- bzw. Fehlbelastungen oder Traumen hervorgerufen werden. Ein sehr geringer Anteil dieser Beschwerden lässt sich dem entzündlich rheumatischen Formenkreis zuordnen. „Häufiges ist häufig, Seltenes selten“. Das ist vermutlich der Grund, weshalb in den orthopädischen Praxen zu wenig entzündlich gedacht wird. Die 3 häufigsten entzündlich rheumatischen Krankheiten sind die rheumatoide Arthritis, die periphere Spondyloarthritis, und hier insbesondere die Psoriasis Arthritis, sowie die axiale Spondyloarthritis, im Volksmund auch als Morbus Bechterew bekannt. Mehr als 2 % der deutschen Bevölkerung sind von diesen Krankheiten betroffen. Die Dunkelziffer ist aus meiner Sicht, insbesondere bei den Spondyloarthritiden hoch, weil die Begleitsymptome wie Psoriasis, Enthesitis, Uveitis, chronisch entzündliche Darmerkrankungen u.a. primär nicht unbedingt mit einer entzündlich rheumatischen Erkrankung in Verbindung gebracht werden. Positiv ist anzumerken, dass gerade bei den Orthopäden eine gewisse Sensibilisierung stattgefunden hat. Nach einer Studie der Barmer EK ist es diese Fachgruppe, die am häufigsten die Diagnose der axialen SpA stellt und damit zu einer deutlichen Reduktion der Diagnoseverzögerung beiträgt [4]. Fortschritte in der Aufklärung der Pathogenese der entzündlich rheumatischen Krankheiten sowie entsprechende Klassifikationskriterien haben dazu geführt, dass eine frühzeitige Diagnose gestellt werden kann und diese die Voraussetzung für eine früh einsetzende Therapie ist [6].
Die „interdisziplinäre S3-Leitlinie zum Management der frühen rheumatoiden Arthritis“ von 2019 schließt den Orthopäden explizit in die Diagnostik und Therapie einer frühen rheumatischen Erkrankung ein: „Die meisten Menschen mit neu aufgetretenen muskuloskelettalen Beschwerden kontaktieren zuerst den Hausarzt oder auch den niedergelassenen Orthopäden. Diesen Fachgruppen kommt daher auch eine entscheidende Bedeutung im Management der frühen Arthritis bei Diagnosestellung und Versorgung zu“. Der niedergelassene Orthopäde soll ggf. die Diagnose sichern und bei gesicherter Diagnose ggf. eine erste DMARD-Therapie einleiten. „Wer bei Patienten eine RA mit einem DMARD (in der Regel ist dies bei Ersttherapie Methotrexat) einleitet, sollte diese Therapie auch bzgl. des Ansprechens mittels geeigneter Scores (DAS 28, SDAI oder CDAI) und bzgl. unerwünschter Wirkungen überwachen …“ [8]. Diese Leitlinie ist somit für die Orthopäden eine Aufforderung der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh), sich in die Frühdiagnostik, die Diagnosesicherung, die Therapieeinleitung und die Therapieüberwachung der rheumatoiden Arthritis einzubringen. Da es für die peripheren Spondyloarthritiden keine gesonderte Leitlinie gibt, würde ich hier die Aufforderung gleichermaßen sehen.
Historie der Therapie
entzündlich rheumatischer Erkrankungen
Die Therapie und die Therapieziele entzündlich rheumatischer Erkrankungen haben sich in den letzten 100 Jahren dramatisch verändert. Bis 1950 kannte die Medizin nur symptombekämpfende therapeutische Optionen. Bäder, Güsse, Packungen und Umschläge, meist mit schwefel- oder radonhaltigen Wässern sowie Moor, Heilerde und Heilschwämme in verschiedenen Temperaturen waren die Optionen. Einzige medikamentöse Möglichkeit war die Behandlung mit Acetylsalicylsäure. Eine neue Option ergab sich 1950 mit der Erkenntnis der antirheumatischen Wirkung von Kortison. Es kam zu einem regelrechten Triumphzug der neuen Substanz. Die beteiligten Forscher erhielten 1951 den Nobelpreis für Medizin und Physiologie. Mit dieser neuen Therapie gelang es zumindest, die Progression der Entzündung zu verlangsamen. Mit den nicht-steroidalen-Antirheumatika (Ibuprofen 1962, Diclofenac 1965) begann eine neue Ära der Therapie von Schmerzen und Entzündungen. Allerdings waren die Mediziner immer noch weit von der Ursachenbekämpfung entfernt. Um 1980 wurden Goldpräparate, D-Penicillamin, Sulfasalazin und Hydroxychloroquin bereits als „Basismedikamente“ bei der rheumatoiden Arthritis eingesetzt. Diese führten ebenfalls zu einer Progressionsverlangsamung; häufige operative Eingriffe konnten allerdings nicht verhindert werden. Die operative Rheumatologie mit den verschiedensten Gelenkoperationen, von der Synovialektomie bis zur Endoprothetik, begann ihren Siegeszug. Die Rheumaklinik Bad Bramstedt unter der Leitung von Prof. Karl Tillmann war derzeit eine der führenden Kliniken in Deutschland, mit jährlich steigenden Op-Zahlen.