Übersichtsarbeiten - OUP 01/2014

Läsionen des vorderen Kreuzbands im Kindes- und Jugendalter

F. F. Fernandez1, T. Wirth1, O. Eberhardt1

Zusammenfassung: Lange Zeit galt die intraligamentäre Kreuzbandruptur im Kindes- und Jugendalter als eine Seltenheit. Die Inzidenz stieg aus verschiedensten Gründen: aufgrund der besseren Diagnostik mit dem NMR, dem konsequenten Durchführen eines NMR beim traumatischen Hämarthros des Kniegelenks des Kindes sowie der Zunahme von Risikosportarten im Kindesalter. Die unzufriedenstellenden Ergebnisse nach konservativer Therapie mit persistierender Instabilität im Sinne eines ausgeprägteren Giving-Way-Phänomens sowie der Verlust des ursprünglichen Sportniveaus sowie die Folgeschäden an Knorpel und Meniskus führten zu einem Umdenken in der Therapie der Kreuzband-ruptur im Kindesalter hin zur operativen Therapie. Das potenzielle Risiko einer Beinachsen- oder Beinlängendifferenz nach operativer Therapie ist sehr niedrig. Die meisten Achsenfehler und Differenzen sind Folge technischer Fehler.

Die epiphysenfugenkreuzende Vordere-Kreuzband-(VKB)-Plastik führt bei Beachtung der kindspezifischen Anatomie und einer darauf abgestimmten Operationstechnik zu sehr guten klinischen Ergebnissen mit einer sehr geringen Komplikationsrate. Operativ versorgte Kinder erreichen im Vergleich zu den konservativ versorgten Kindern bedeutend häufiger wieder ihr ursprüngliches Aktivitätsniveau und zeigen deutlich weniger sekundäre Meniskusschäden.

Schlüsselwörter: Vordere Kreuzbandruptur, Kinder, Wachstumsfuge

 

Zitierweise

Fernandez FF: Läsionen des vorderen Kreuzbands im Kindes- und Jugendalter.
OUP 2014; 1: 017–021, DOI 10.3238/oup.2014.0017–0021

Summary: Anterior cruciate ligament tears were regarded to be rare in children and adolescents for a long time. The recognition rate rose for different reasons: better diagnostics due to NMR, and consistent performance of NMR in children with traumatic hemarthros of the knee, incidence went up because of increasing participation of children in hazardous sports. Unsatisfactory results of conservative treatment with persistent instability in the sense of a severe giving-way phenomenon as well as loss of the original sports level led to a change of thinking about cruciate ligament tears therapy in children towards operative therapy. The potential risk for inequalities in mechanical axis or leg length after operative therapy is low. Most of the axial inequalities are consequences of technical errors.

Considering child-specific anatomy and an appropriate operations technique in epiphyseal plate-crossing anterior cruciate ligament reconstruction lead to very good clinical results and low complication rates. Compared to conservative treatment, children treated by operation reach their previous activity levels considerably more often and show significantly less secondary meniscal tears.

Keywords: anterior cruciate ligament tears, children, growth plates

 

Citation

Fernandez FF: Anterior cruciate ligament tears in skeletally immature patients.
OUP 2014; 1: 017–021, DOI 10.3238/oup.2014.0017–0021

Einführung

Die beiden Kreuzbänder stellen die zentralen Pfeiler der Stabilisierung des Kniegelenks in der Sagittalebene dar. Sie verhindern die Translation der Tibia gegenüber dem Femur. Die Inzidenz der vorderen Kreuzbandläsion ist zwischen dem 15. und 25. Lebensjahr am höchsten.

Im Vergleich zum Erwachsenen erleiden Kinder seltener Kniebinnenverletzungen.

Es ist jedoch im letzten Jahrzehnt zu einer Steigerung der intraartikulären Knieverletzungen gekommen.

Im Kindes- und Jugendalter treten folgende intraartikuläre Kniegelenkverletzungen auf:

  • Patellaluxationen mit osteochondralen bzw. chondralen Frakturen der medialen Patella bzw. des lateralen Femurkondylus sowie Verletzung des mediopatellaren femoralen Bands,
  • Z erreißung von Seitenbändern,
  • Meniskusverletzungen,
  • Plica-Zerreißungen,
  • Intraligamentäre Kreuzbandrupturen,
  • Avulsionsverletzungen der Kreuzbänder.

Bis in die 1990er-Jahre galten intraligamentäre Kreuzbandrupturen lange Zeit als seltene Verletzungen. Verschiedene Studien haben jedoch gezeigt, dass die Läsion wesentlich häufiger ist, so findet sich bei Kindern mit Hämarthros in 26–47 % eine vordere Kreuzbandläsion.

Vordere Kreuzbandverletzungen werden in intraligamentäre Bandrupturen und Ausrissfrakturen der Eminentia intercondylaris sowie in die seltenen proximalen knöchernen Ausrissverletzungen eingeteilt.

In diesem Artikel soll nur die intraligamentäre vordere Kreuzbandruptur behandelt werden.

Intraligamentäre vordere Kreuzbandruptur

In den letzten Jahren ist es zu einem sprunghaften Anstieg an Veröffentlichungen über die intraligamentäre vordere Kreuzbandruptur im Kindesalter gekommen.

Als ein Grund für die Zunahme der Verletzung wird die steigende Teilnahme von Kindern und Jugendlichen an leistungsorientierten und Hochgeschwindigkeits-Sportarten in einer Freizeitgesellschaft gesehen.

Ein weiterer Grund für die häufigere Diagnose sind die erheblich verbesserten diagnostischen Möglichkeiten, insbesondere Arthroskopie und Kernspintomographie. Durch die Weiterentwicklung des NMR (s. Abb. 1, 2) als nicht-invasives Verfahren werden häufiger und frühzeitiger intraligamentäre Kreuzbandverletzungen festgestellt. Auch das Bewusstsein, dass Kinder ebenfalls intraligamentäre Kreuzbandverletzungen erleiden können, ist gestiegen und damit die gezielte Suche nach diesen Verletzungen.

Ein akuter Hämarthros bei Kindern erfordert eine Abklärung. Dabei müssen die oben genannten Differenzialdiagnosen abgeklärt werden. Das Kniegelenk wird im lateralen und antero-posterioren Strahlengang geröntgt. Besteht der Verdacht auf eine Patellaluxation, ist auch eine axiale Patellaaufnahme durchzuführen. Da chondrale Flakes, Meniskusläsionen und Kreuzbandrupturen im Wesentlichen durch ein NMR zu erkennen sind, sollte eine Kernspintomografie durchgeführt werden. Für das Erkennen einer VKB-Läsion zeigt die Kernspintomografie eine Sensitivität von 95 % und eine Spezifität von 88 %. Bei akutem traumabedingten Hämarthros wird in bis zu 65 % der Verletzungen eine VKB-Ruptur erwartet [19].

Intraligamentäre Rupturen werden in inkomplette und komplette Rupturen unterteilt.

Inkomplette intraligamentäre Verletzungen im Kindes- und Jugendalter haben ein hohes Regenerationspotenzial und zeigen nur selten eine Instabilität. Inkomplette VKB-Rupturen werden häufig übersehen und ihre Dunkelziffer ist nicht bekannt. Die primäre Behandlung der inkompletten intraligamentären vorderen Kreuzbandrupturen ist die konservative Therapie.

Die konservative Behandlung wird kontrovers diskutiert, nach einer anfänglichen Ruhigstellung zur Schmerztherapie werden von einer schrittweisen Freigabe der Beweglichkeit und Belastung bis hin zu einer frühfunktionellen Nachbehandlung empfohlen. Kommt es nach einer konservativen Behandlung jedoch zu einer Meniskusläsion, so muss dies als ein Zeichen der sagittalen Instabilität bewertet werden und eine vordere Kreuzbandersatzplastik sollte durchgeführt werden.

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