Übersichtsarbeiten - OUP 11/2014

Langzeitergebnisse beim schwerstverletzten Patienten

In einer großen deutschen Studie wurden schwerstverletzte Patienten 10 Jahre nach schweren Verletzungen standardisiert nachuntersucht. Hier wurden vermehrt körperliche Beeinträchtigungen nach Amputation an der unteren Extremität, einer Rückenmarkverletzung, dem Vorliegen von Frakturen mit Gelenkbeteiligung und Verletzungen der unteren Extremität nachgewiesen [13]. Insbesondere Frakturen unterhalb des Knies wurden als prädiktiver Faktor für persistierende körperliche Beeinträchtigung identifiziert [18]. Chronische Schmerzen sind eine der Hauptfolgen nach schwerem Trauma und werden von mehr als 60 % der Betroffenen berichtet [10, 12]. Unfallunabhängig zeigt sich dabei ein signifikanter Zusammenhang mit dem Status vor dem Unfall [5]. Problematisch bei der Analyse und Quantifizierung des chronischen Schmerzes nach schweren Verletzungen ist die Vielzahl von verwendeten Scores, die zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen führen [5]. Auch hier ist die Verwendung internationaler, standardisierter Bewertungssysteme zu fordern.

Psychische Folgen

Zusätzlich zu den physischen Folgen eines Unfalls verbleiben häufig psychische Schäden. Hier sind insbesondere Angstzustände sowie Depressionen zu nennen. Die Inzidenz posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) wird aufgrund unterschiedlicher Erfassung sehr unterschiedlich beschrieben. Einigkeit herrscht jedoch darüber, dass die objektive Unfall- und Verletzungsschwere nur von untergeordneter Bedeutung ist, sondern vielmehr die subjektive Einschätzung der Verletzung eine führende Rolle spielt. Auch die Frage nach der Verantwortlichkeit für die Verletzungen spielt bei der Genese psychischer Folgen eine nicht unerhebliche Rolle. In einer Untersuchung zeigte sich, dass Patienten, die eine Verletzung durch ein Fremdverschulden erlitten haben, 3-mal häufiger depressive Symptome zeigen als Patienten nach einem selbst verschuldeten Unfall [16].

Dabei ist auch ein Zusammenhang zwischen der Inzidenz psychischer Folgen und im Verlauf auftretender somatischer Störungen (z.B. Fibromyalgie, Reizdarmsyndrom, etc.) beschrieben. In einer kürzlich erschienen Metaanalyse zur Folge zeigte sich für polytraumatisierte Patienten eine 2,7-fach erhöhte Inzidenz somatischer Störungen und übertraf damit sogar die Folgen körperlichen oder sexuellen Missbrauchs [1]. Auch leiden Patienten mit einer PTBS gehäuft an metabolischen Syndromen [3]. Allein aus diesen beiden Studien wird deutlich, dass auch die Rehabilitation schwerstverletzter Patienten interdisziplinär und multimodal unter Einbeziehung einer psychologischen Betreuung durchgeführt werden sollte.

Soziale Folgen

Zu den genannten Langzeitfolgen nach schweren Verletzungen zählen ebenfalls soziale Beeinträchtigungen, die die Lebensbereiche Partnerschaft, Freizeit und Beruf betreffen. So kann die Wiederaufnahme sportlicher Freizeitaktivitäten meist nicht mehr auf dem Niveau wie vor dem Unfall ausgeübt werden.

Wenn die berufliche Reintegration auf die Rate der nach einem Polytrauma Beschäftigten beschränkt wird, finden sich insgesamt gute Ergebnisse. In einer niederländischen Studie konnten 58,5 % einer Vollzeitbeschäftigung und weitere 21,5 % einer Teilzeitbeschäftigung nach schwerem Trauma nachgehen [11]. Unberücksichtigt bleibt dabei die Anzahl der Patienten, die nicht mehr in ihren ursprünglichen Beruf zurückkehren können und zu einem Berufswechsel gezwungen sind. Auch dabei sind wiederum Arbeitgeberwechsel und innerbetriebliche Umsetzungen zu unterscheiden. Ebenfalls unberücksichtigt ist die Anzahl an Frühberentungen und Minderung der Erwerbsfähigkeit im weiteren Verlauf. Die Wahrscheinlichkeit der Rückkehr in den Beruf korreliert mit funktionellen Outcome Scores. Ein niedrigeres Bildungsniveau führt zu schlechteren Ergebnissen hinsichtlich der Rückkehr in den Beruf [6]. Dies erklärt sich wahrscheinlich durch Berufe mit erhöhtem körperlichem Anforderungsprofil dieser Patientengruppe.

Als Prädiktoren in der klinischen Behandlung für eine Erwerbsunfähigkeit wurden diverse Faktoren identifiziert (Tab. 1).

Bei Bestehen psychischer Folgezustände wie z.B. depressiven Symptomen, besteht ein deutlich geringerer Anteil an Patienten, die in einen Beruf zurückkehren [16].

Die Folgen für die Partnerschaft sind bisher nur unzureichend durch die Forschung bearbeitet. Es gibt jedoch auch hier eine klare Korrelation zwischen dem Auftreten einer PTBS und dem Scheitern der Partnerschaft [4].

Lebensqualität

Wie durch eine englische Expertenkommission gefordert, ist in einigen Studien auch die Lebensqualität nach schwerem Trauma mit standardisierten Tests erfasst worden. In einer norwegischen Studie wurden aus einem ursprünglichen Kollektiv von 169 Patienten mit schweren Verletzungen 105 nachuntersucht. In sämtlichen Dimensionen des SF-36 zeigten sich 2 Jahre nach Trauma noch Einschränkungen im Vergleich zur Norm. Auffallend war, dass die größte Verbesserung in der Zeit zwischen 6 Wochen und einem Jahr nach Trauma stattfand, während die Verbesserungen im 2. Jahr nach Trauma deutlich geringer ausfielen [15]. Auch in einer anderen Studie wurden noch Verbesserungen im 2. Jahr nach Trauma nachgewiesen [17].

Prädiktoren für das
Langzeitergebnis

Beim Kollektiv der schwerstverletzten Patienten handelt es sich um ein uneinheitliches Patientengut mit großer Variabilität hinsichtlich des Alters, Begleiterkrankung, Verletzungsschwere und -muster. Daraus wird schnell klar, dass es trotz ähnlicher Verletzung zu unterschiedlichen Behandlungsergebnissen kommen kann. Für eine optimale Therapie wäre es wünschenswert, bereits frühzeitig den Grad der Wiederherstellung des Patienten vorhersagen zu können. In diesem Zusammenhang spielen das Alter und Geschlecht eine wichtige Rolle [9, 17]. So wurde in einer amerikanischen Studie gezeigt, dass unabhängig von Unfallmechanismus und Verletzungsschwere bei weiblichen Patienten ein schlechteres Behandlungsergebnis erzielt werden konnte [9]. Der Einfluss der Verletzungsschwere auf das Behandlungsergebnis ist unzweifelhaft [17]. Jedoch ist auffällig, dass der Einfluss der Verletzungsschwere bei leichteren Verletzungen eine größere Rolle spielt als bei schwereren Verletzungen. Als eine mögliche Erklärung wird eine niedrigere Erwartungshaltung von stärker verletzten Patienten angegeben [14].

Fazit

Die Langzeitfolgen nach schweren Verletzungen stellen sowohl in der medizinischen Versorgung, aber auch sozioökonomisch eine Herausforderung dar. Bei mehr als der Hälfte der Patienten bestehen nach dem Trauma chronische Schmerzen. Die Erfassung psychischer Folgezustände wie der posttraumatischen Belastungsstörung ist bisher nur unzureichend adressiert. Nach der Initialtherapie kommt rehabilitative Maßnahmen eine entscheidende Bedeutung für die Reintegration zu. Bei entsprechender Behandlung ist eine berufliche Reintegration bei einem Großteil der Patienten möglich.

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