Übersichtsarbeiten - OUP 04/2020

Management der akuten traumatischen cervikalen Querschnittlähmung

Carl Hans Fürstenberg, Tobias Pitzen

Zusammenfassung:

Patienten mit akuter traumatischer Verletzung des cervikalen Rückenmarks stellen eine komplexe klinische Herausforderung dar. Derartige Verletzungen führen meist zu motorischen und sensorischen Defiziten sowie vegetativen Störungen. Eine höhere Beachtung der intensivmedizinischen Betreuung hat bei vielen Patienten zu einer verbesserten Überlebenschance und Outcome geführt. Die Methoden und Technologien zur Diagnose und Klassifikation dieser Verletzungen haben sich in den letzten Jahrzehnten ebenso wie die medizinischen und chirurgischen Therapien erheblich weiterentwickelt. Unter Berücksichtigung der aktuellen Literatur sowie der eigenen Erfahrungen wollen wir die Optionen bezüglich der Diagnostik und Behandlung von Patienten mit akuter traumatischer Schädigung des cervikalen Myelons aufzeigen.

Schlüsselwörter:
Querschnittlähmung, cervikal, Myelon, Kompression, Myelonkompression, Trauma, Management

Zitierweise:

Fürstenberg CH, Pitzen T: Management der akuten traumatischen cervikalen Querschnittlähmung. OUP 2020; 9: 250–255 DOI 10.3238/oup.2020.0250–0255

Summary: Patients with acute traumatic injury to the cervical spinal cord represent a complex clinical challenge. Such injuries usually lead to motor and sensory deficits as well as vegetative disorders. Increased attention to intensive care has led to improved survival and outcome for many patients. The methods and technologies used to diagnose and classify these injuries as well as medical and surgical therapies have developed considerably in recent decades. Under consideration of the current literature and our own experience, we want to show the options regarding the diagnosis and treatment of patients with acute traumatic damage to the cervical spinal cord.

Keywords: spinal cord injury, cervical, spinal cord, compression, spinal cord compression, trauma, management

Citation: Fürstenberg CH, Pitzen T: Management of acute traumatic cervical spinal cord injury.
OUP 2020; 9: 250–255 DOI 10.3238/oup.2020.0250–0255

Carl Hans Fürstenberg: SRH Klinikum Karlsbad-Langensteinbach, Zentrum für Wirbelsäulenchirurgie, Orthopädie und Traumatologie, Abteilung für Paraplegiologie, Karlsbad

Tobias Pitzen: SRH Klinikum Karlsbad-Langensteinbach, Zentrum für Wirbelsäulenchirurgie, Orthopädie und Traumatologie, Karlsbad

Einleitung

Die Behandlung von Patienten mit Querschnittlähmung (QLS) erfordert ein multidisziplinäres Team, welches in der Regel viele Fachbereiche beinhaltet wie Neurochirurgie, Orthopädische Chirurgie, Allgemeinchirurgie, Plastische Chirurgie, Neurologie, Innere Medizin und Psychologie sowie Physio- und Ergotherapie, Logopädie und ein speziell weitergebildetes Pflegeteam, um nur einige zu nennen. Obwohl sich in den vergangenen Jahren die Möglichkeiten, Verletzungen chirurgisch zu behandeln umfangreich verändert haben, hat sich die allgemeine motorische und sensible Erholung von Patienten mit einer schweren cervikalen Rückenmarksverletzung nur unwesentlich verbessert. Die umfangreiche Forschung zur Verbesserung des Outcome konzentriert sich auf die Verwendung von Stammzellen oder andere Therapien wie die direkte Elektrostimulation [20].

Epidemiologie

Das US National SCI (Spinal Cord Injury) Statistics Center schätzt die Anzahl der lebenden Menschen mit QSL in den USA auf ungefähr 273.000 [25]. Fast die Hälfte dieser Verletzungen tritt bei jungen Menschen (16–30 Jahre) auf. In den USA variiert die SCI-Inzidenz von 25 bis 59 Neuerkrankungen pro 1 Mio. Einwohner pro Jahr mit einem Durchschnitt von 40 pro 1 Mio, was in 2010 ca. 12.400 neue SCI-Fälle bedeutet [10]. In Großbritannien und Irland wird geschätzt, dass 50.000 Menschen mit Querschnittlähmung leben [24]. In Deutschland geht man aktuell von 140.000 Menschen mit QSL aus, wobei jährlich relativ konstant ca. 2.400 neue Betroffene hinzukommen [23].

Prinzipiell ist es natürlich möglich, sich in jedem Abschnitt der Wirbelsäule eine Querschnittlähmung zuzuziehen, hier werden wir uns auf die Verletzung der Halswirbelsäule fokussieren, da eine Verletzung des cervikalen Myelon zur QSL mit schwersten Folgen führt wie einer Tetraplegie mit Beeinträchtigung der Atmung bei einer Verletzung oberhalb C5. Ebenso ist die Halswirbelsäule besonders anfällig für Verletzungen aufgrund der relativen axialen Ausrichtung der Facettengelenke, sodass diese weniger Energie benötigen, um zu dislozieren als es in der Brust- oder Lendenwirbelsäule erforderlich ist. Zusätzlich hat der Hals im Verglich zur restlichen Wirbelsäule relativ wenig äußere Unterstützung und ist somit prädisponiert für traumatische Verletzungen.

Obwohl wir uns in dieser Arbeit hauptsächlich auf traumatische Verletzungen der Halswirbelsäule konzentrieren, sind die generellen Mechanismen und Vorgehensweisen im Wesentlichen auch auf die Lenden- und Brustwirbelsäule anwendbar.

Präklinische Immobilisation

Die Behandlung eines Traumapatienten beginnt am Unfallort und somit bevor er das Krankenhaus erreicht. Zwischen 3 % und 25 % der Rückenmarkverletzungen treten beim initialen Trauma, beim Transport oder in Frühphasen der Behandlung auf [21]. Die Wahrscheinlichkeit einer Wirbelsäulenverletzung bei einem hierfür typischen Trauma liegt bei ca. 20 % [21] und erfordert daher bei jeder vermuteten Rückenmarkverletzung eine möglichst komplette Immobilisation der Wirbelsäule. Obwohl keine Klasse I oder II Evidenz für die Verwendung einer rigiden Halskrawatte beim Verdacht auf eine Wirbelsäulenverletzung vorliegt, gibt es klare anatomische und biomechanische Vorteile die Halsbeweglichkeit unter solchen Umständen einzuschränken.

Zwischen den unterschiedlichen rigiden Halskrawatten scheint es anhand von Kadaverstudien [9] keine großen Unterschiede bezüglich der biomechanischen Festigkeit zu geben. Die Immobilisierung der Wirbelsäule ist eine Priorität im Algorithmus der präklinischen Traumaversorgung und führt zu einem verbesserten Outcome [4]. Allerdings deutet eine Klasse II Evidenz darauf hin, dass Patienten mit einem schweren Polytrauma, die eine präklinische Immobilisation der Wirbelsäule hatten, ein schlechteres Outcome hatten [14]. Aufgrund der Verzögerung der lebensrettenden Maßnahmen durch die Immobilisierung der Wirbelsäule, hatten die schwer verletzten Patienten in dieser Studie, die eine Wirbelsäulenimmobilisation erhalten hatten, gegenüber denen, die keine erhalten hatten, eine fast doppelte Morbidität und Mortalität. Starre Halskrawatten und Rückenbretter sind zwar ein wichtiges Instrument zur Reduzierung weiterer neurologischer Verletzungen, die Anwendung hat jedoch ihre eigenen Risiken und Komplikationen. Dazu gehören ein hohes Aspirationsrisiko [1], Druckstellen [17] und eine Erhöhung des Hirndrucks [8]. Diese Risiken gilt es zu kennen und die Immobilisierungsvorrichtungen zu entfernen, sobald die Sicherheit dies zulässt.

Neurologische Assessments

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