Übersichtsarbeiten - OUP 04/2020

Management der akuten traumatischen cervikalen Querschnittlähmung

Ärzte müssen mit der allgemein benutzten Terminologie und Gradeinteilungen zur Einstufung von Rückenmarkverletzungen vertraut sein. Internationale Standards für die neurologische und funktionelle Klassifizierung von Rückenmarkverletzungen (AIS (ASIA Impairment Scale)), die von der American Spinal Injury Association (ASIA) entwickelt wurden, sind das empfohlene bevorzugte neurologische Untersuchungsinstrument. Wir fassen diese unten zusammen [18]:

AIS A = komplett. Keine sensible oder motorische Funktion ist erhalten unterhalb des Verletzungsniveaus oder in den sakralen Segmenten S4–S5.

AIS B = inkomplett. Sensible, aber keine motorische Funktion unterhalb des neurologischen Levels ist erhalten und schließt die sakralen Segment S4–S5 mit ein.

AIS C = inkomplett. Motorische Funktion ist unterhalb des neurologischen Levels erhalten, und mehr als die Hälfte der Kennmuskeln unterhalb des neurologischen Levels haben einen Muskelgrad < 3.

AIS D = inkomplett. Motorische Funktion ist unterhalb des neurologischen Levels erhalten, und mindestens die Hälfte der Kennmuskeln unterhalb des neurologischen Levels hat einen Muskelgrad ? 3.

AIS E = normal. Die sensible und motorische Funktion ist normal.

Die ASIA-Impairment-Scale ist standardisiert und weist eine hohe Korrelation zwischen den Untersuchern auf. Sie sollte daher zur Dokumentation des rückenmarkverletzen Patienten eingesetzt werden.

Zur Dokumentation des Verlaufs von Patienten mit Rückenmarkverletzung auch in der Rehabilitation wurden viele verschiedene Assessments entwickelt. Das Spinal Cord Independence Measure (SCIM) [6] ist eine Behinderungsskala, die für Patienten mit Rückenmarksläsionen entwickelt wurde. Das SCIM bietet eine empfindliche Funktionsbewertung in Bezug auf Veränderungen in der Erholung mit einer Querschnittlähmung. Die neueste Version (SCIM III) bietet hinsichtlich Reliabilität, Validität und Sensitivität Klasse I Evidenz [7].

Radiologische Diagnostik

Umfangreiche Untersuchungen zu verschiedenen Möglichkeiten der radiologischen Bildgebung bei Traumapatienten wurden durchgeführt, um mögliche traumatische Pathologien der Wirbelsäule bewerten zu können. Die Joint Section on Disorders of the Spine and Peripheral Nerves der American Association of Neurological Surgeons (AANS) und der Congress of Neurological Surgeons (CNS) haben hervorragende Arbeit geleistet, indem sie die umfangreichen Daten in der Literatur zur radiologischen Beurteilung der Wirbelsäule bei Traumata zusammengefasst haben [19]. Das Komitee teilte die Patienten in 3 Gruppen: 1) wache, asymptomatische Patienten; 2) wache, symptomatische Patienten und 3) obtundierte Patienten. Es gibt verschiedene Bildgebungs- und Erstbehandlungsalgorithmen für Patienten der einzelnen Kategorien mit entsprechender Klasse I Evidenz.

Die National Emergency X-Radiography Utilization Study Group (NEXUS) hat in ihrer Studie prospektiv insgesamt 34.069 Traumapatienten untersucht von denen 4309 asymptomatisch waren und entsprechende Empfehlungen erstellt [15].

Wache Patienten ohne neurologische Symptome oder Nackenschmerzen und ohne ein adäquates Wirbelsäulentrauma, die ohne Schmerzen einen vollständigen Bewegungsbereich des Nackens ausführen können, benötigen keine Bildgebung oder weitere Immobilisierung der Halswirbelsäule. Obwohl nicht 100 % sensitiv (99 % Sensitivität vorhanden), können Ärzte die NEXUS-Kriterien leicht anwenden. Diese sollten als Richtlinie dienen, ob für einen wachen und asymptomatischen Patienten eine weitere Bildgebung der Halswirbelsäule erforderlich ist.

Bei wachen, aber symptomatischen Patienten sollten herkömmliche Röntgenbilder nur angefertigt werden, wenn es nicht möglich ist, einen qualitativ hochwertigen CT-Scan zu erhalten. Wenn die CT-Bildgebung, wie in fast allen Traumazentren, leicht verfügbar, sollte die CT der Halswirbelsäule die erste bildgebende Untersuchung sein. Wenn der CT-Scan normal ist und der Patient weiterhin Nackenschmerzen hat, ist eine MR-Untersuchung angebracht, insbesondere mit kurzen STIR-Sequenzen (T1 Inversion Recovery).

Obtundierte oder komatöse Patienten stellen ein Dilemma bei der Erstellung der Diagnose und der besten weiteren Behandlung dar. Die nützlichen NEXUS-Kriterien können nicht auf einen Patienten angewendet werden, für den wir keine verlässlichen Untersuchungsergebnisse erhalten können. Daher wird die bildgebende Bewertung für die Erstellung einer Diagnose noch wichtiger. Diese Patienten sollten einen qualitativ hochwertigen CT-Scan der gesamten Wirbelsäulenachse erhalten, da das Risiko einer schweren Wirbelsäulenverletzung besteht, die sonst nicht oder verspätet diagnostiziert würde. Wenn der CT-Scan normal ist, sollte eine MR-Bildgebung durchgeführt werden, insofern dies möglich ist. Wenn der MR-Scan normal ist oder der Scan nicht innerhalb von 48 Stunden durchgeführt werden kann, muss der Arzt entscheiden, ob die Immobilisierung der Halswirbelsäule weiter fortgesetzt werden soll.

Medizinisches und pharmakologisches Management

Es gibt starke Hinweise aus physiologischen Tierstudien, die zeigen, dass sowohl Hypotonie als auch Hypoxämie nach einer Rückenmarkverletzung zu einer Sekundärschädigung beitragen. Ähnlich wie bei einer Kopfverletzung verliert das Rückenmark die Fähigkeit zur Autoregulation nach einer Schädigung und die Vasoreaktivität kann zur lokalen Hypoperfusion beitragen. Durch den sogenannten „spinalen Schock“, der unter anderem zusätzlich zum Verlust des peripheren Gefäßtonus und zu einer weiteren Hypotonie und Hypoperfusion führt, kann die Vasoreaktivität mit der lokalen Hypoperfusion sogar erheblich verschlimmert werden. In der Folge kann es in den Stunden und Tagen nach dem Trauma zu einer erhöhten Sekundärschädigung des Rückenmarks im Bereich der Verletzungsstelle führen. Daher gilt es sich unter anderem darauf zu konzentrieren, Hypoxie und Hypotonie in der akuten Zeit nach einer Verletzung zu vermeiden. Dies kann am besten auf einer Intensivstation erreicht werden [5].

Patienten mit hochzervikalem SCI benötigen ein sorgfältiges Atemwegsmanagement mit vorsichtiger und zweckmäßiger Intubation. Die Vermeidung eines katastrophalen Atemwegsverlusts ist in der akuten Zeit von entscheidender Bedeutung [13]. Ein sorgfältiges Beatmungs- und Atemwegsmanagement sollte das Risiko einer Lungenentzündung bei dieser prekären Patientenpopulation verringern. Eine frühzeitige Tracheotomie sollte in diesen Fällen in Betracht gezogen werden.

SEITE: 1 | 2 | 3 | 4