Übersichtsarbeiten - OUP 09/2015

Nachhaltigkeit in der Rehabilitation von Patienten mit Gonarthrose

Stefan Dalichau1, Torsten Möller1, Jenny Drewes2, Günter Finken3

Zusammenfassung: Zur Prüfung auf Nachhaltigkeit einer Rehabilitationsmaßnahme absolvierten 41 männliche Beschäftigte aus dem Bau- und Metallgewerbe mit fortgeschrittener Gonarthrose die 3-wöchige intensive Phase 1 und die sich anschließende 12-wöchige Phase 2 (einmal wöchentlich) einer ambulanten arbeitsplatzbezogenen medizinischen Rehabilitation. Während die Versuchsgruppe (VG, n = 22) das Training weitere 18 Monate fortführte, beendete die Kontrollgruppe (KG, n = 19) jede sportliche Aktivität. Nach Phase 1 und 2 verbesserten beide Gruppen ihre Muskelgelenk-Funktion und verringerten ihre Kniegelenkbeschwerden. Nach 18 Monaten remittierten die positiven Effekte deutlich, in der KG jedoch stärker als in der VG. Die Patientenrekrutierung sowie die eingesetzten Nachsorgestrategien sind zu optimieren.

Schlüsselwörter: Gonarthrose, medizinische Rehabilitation, Nachhaltigkeit

Zitierweise
Dalichau S, Möller T, Drewes J, Finken G. Nachhaltigkeit in der Rehabilitation von Patienten mit Gonarthrose.
OUP 2015; 9: 436–441 DOI 10.3238/oup.2015.0436–0441

Summary: To test for sustainability of rehabilitation 41 male workers from the construction and metal industry with advanced osteoarthritis of the knee completed the 3-week intensive phase 1 and the subsequent 12-week Phase 2 (once a week) of an outpatient vocational medical rehabilitation. While the experimental group (EG, n = 22) continued the training program another 18 months, the control group (CG, n = 19) terminated any kind of sporting activity. After phase 1 and 2, both groups improved their muscle joint function, and reduced its knee joint afflictions. After 18 months, the positive effects remitted significantly, in the CG stronger than in the EG. However, patient recruitment and follow-up strategies have to be optimized.

Keywords: osteoarthritis of the knee, medical rehabilitation, sustainability

Zitierweise
Dalichau S, Möller T, Drewes J, Finken G. Sustainability in rehabilitation of patients suffering gonarthrosis.
OUP 2015; 9: 436–441 DOI 10.3238/oup.2015.0436–0441

Hintergrund

Applikationsformen in der konservativen Behandlung der Gonarthrose intendieren eine Verringerung von Schmerzen, die Reduzierung von Funktionseinschränkungen im beruflichen und privaten Kontext, eine Erhöhung der Lebensqualität sowie eine Verlangsamung der Progredienz als auch ein Hinauszögern operativer Interventionen. Neben der medikamentösen, physikalischen und Physiotherapie sowie der orthopädietechnischen Versorgung gilt mittlerweile insbesondere die an die individuelle Beschwerdesymptomatik des Patienten adaptierte Bewegungstherapie als evidenzbasiert [1]. Allerdings zeigen die Ergebnisse jüngerer Reviews, dass die induzierten positiven Behandlungsergebnisse ohne weitere therapeutische Begleitung nach 2–6 Monaten wieder signifikant remittieren [2–4]. Zur Sicherung von Nachhaltigkeitseffekten von bis zu 5 Jahren erscheinen multi-disziplinäre bzw. -modale Programme wirksam zu sein, die einen bio-psycho-sozialen Ansatz verfolgen und auf die Förderung von Eigenverantwortlichkeit sowie auf die Fähigkeit des Patienten zum Selbstmanagement fokussieren und explizit Nachsorgestrategien mit in die Behandlung einbinden [5–7]. Auch die stationäre und ambulante medizinische Rehabilitation in Deutschland basiert auf diesem holistischen Prinzip. Ausgehend von der Tatsache, dass die zur Erlangung langfristiger Effekte notwendigen Verhaltens- und Lebensstiländerungen durch eine mehrwöchige Rehabilitationsmaßnahme zwar initiiert, aber keinesfalls etabliert werden können [8], hat die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) einen Praxisleitfaden erarbeitet, der die Strategien zur Sicherung der Nachhaltigkeit von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation konkret thematisiert [9]. Trotzdem ist die flächendeckende Implementierung von Nachsorgestrategien in die Rehabilitationspraxis aufgrund zahlreicher organisatorischer Gründe nach wie vor defizitär [10] und wird derzeit nur in einzelnen, speziell geförderten Rehabilitationsprojekten konsequent umgesetzt und untersucht [11–13].

Da die Inzidenz der Gonarthrose sowohl durch berufliche körperliche Tätigkeiten im Hocken, Knien, Fersensitz und Kriechen bei entsprechender Exposition im Sinne der Berufskrankheiten (BK) 2112 und 2102 [14] als auch posttraumatisch nach anerkanntem Arbeitsunfall durch mechanische Belastungen nach Verletzungen des Kapsel-Bandapparats oder Frakturen der unteren Extremität begünstigt werden kann [15], ist der gesetzliche Unfallversicherungsträger aufgefordert, Präventionsleistungen nach § 3 der Berufskrankheiten-Verordnung bzw. Maßnahmen der Heilbehandlung einzuleiten, um Beschwerden zu lindern und der Progredienz der Erkrankung adäquat entgegen zu wirken. Im Rahmen einer Pilotstudie wurde daher im Auftrag der Berufsgenossenschaft (BG) der Bauwirtschaft, Bezirksverwaltung Nord, Dienstleistungszentrum Bremen und der BG Holz und Metall Bezirksverwaltung Hamburg-Bremen für Versicherte mit fortgeschrittener sekundärer Gonarthrose das Programm der ambulanten, arbeitsplatzbezogenen, medizinischen Rehabilitation (AAMR) konzipiert und durchgeführt, das sowohl dem biopsychosozialen Ansatz folgt, das gezielte berufsspezifische Üben mit berücksichtigt als auch insbesondere Nachsorgestrategien fest implementiert. In einer prospektiven Vergleichsstudie sollte überprüft werden, ob und inwieweit dieses auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Rehabilitationsmodell in der Lage ist, positive Behandlungseffekte langfristig zu erhalten, um sich ggf. als Rehabilitationsstandard zu etablieren.

Konzept der AAMR bei
Gonarthrose

Zur nachhaltigen Verbesserung der speziellen und allgemeinen physischen und psychischen Leistungsfähigkeit beinhaltet die AAMR 3 Phasen:

Phase 1: Aufbauphase

Die Aufbauphase umfasst mit einer täglichen Nettotherapiezeit von 5–6 Stunden eine zeitliche Dauer von 3 Wochen. Ihre Inhalte basieren auf den definierten Rahmenempfehlungen zur ambulanten Rehabilitation bei muskuloskelettalen Erkrankungen der BAR [16] und sind im Besonderen gekennzeichnet durch

einen biopsychosozialen Ansatz,

ein Muskelaufbautraining der Oberschenkelmuskulatur,

eine arbeitsplatzbezogene ergonomische Beratung in Theorie und Praxis,

die Implementierung von Nachsorgestrategien unter Beachtung gesundheitspsychologischer Ansätze.

Die Aufbauphase findet grundsätzlich als Gruppenintervention bis zu einer Gruppenstärke von bis zu 6 Patienten statt.

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