Informationen aus der Gesellschaft - OUP 04/2012

Nachruf Prof. Dr. Dietrich Hohmann

Nur das ist wahres Leben, das man nicht nur für sich selbst lebt.

Menandros, Griechischer Dramaturg, 291 vor Christus

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Prof. Dr. Dietrich Hohmann ist tot!

 

Üblicherweise werden in einem Nachruf der Werdegang, die Verdienste und die Persönlichkeit des Verstorbenen beschrieben und gelobt. Dem soll hier auch Rechnung getragen werden, aber darüber hinaus soll auch versucht werden, eine Art Vermächtnis zu beschreiben.

Als Sohn und Nachzügler des bekannten und renommierten Orthopäden Georg Hohmann hatte er zum einen bereits in jungen Jahren Kontakt und Liebe zur Orthopädie gefunden, zum anderen lastete gerade deshalb ein sicher nicht geringer Erfolgsdruck auf ihm. Es verwundert deshalb nicht, dass er zunächst nach seinem Medizinstudium eigentlich alles andere als Orthopäde werden wollte. Zufälle, faszinierende und begeisternde Persönlichkeiten aber auch — wie er selbst betonte — einfache und pragmatische Überlegungen ließen ihn dann aber doch den Weg in Richtung Orthopädie einschlagen. Nach seinen Lehrjahren wurde er unter A.N. Witt Oberarzt an der damaligen „Kaderschmiede der Orthopädie“ im Oskar-Helene-Heim in Berlin. Er habilitierte zum Thema der Arthrose der Costotransversalgelenke.

Als einer der jüngsten Ordinarien überhaupt nahm er den Ruf nach Erlangen an und schaffte es mit seinem Berliner Stammteam innerhalb kürzester Zeit unter teils widrigen Umständen und Rahmenbedingungen wie auch gegen viele Widerstände eine Klinik aufzubauen, die das gesamte Fachgebiet sowohl im Bereich der Patientenversorgung als auch der Wissenschaft und Lehre hervorragend abdeckte. Regional („da gehst am besten ins Waldkrankenhaus zum Hohmann“), national (z.B. Präsident und Ehrenmitglied der DGOT, der VSO), aber auch international (z.B. SICOT, Cervical Spine Research Society) genoss er zu Recht höchstes Ansehen. Als Chef vom alten Schlag lag ihm die Entwicklung unseres Fachgebietes auch nach seiner Emeritierung am Herzen und er beobachtete und begleitete sie mit neutraler und kritischer Distanz, bisweilen auch mit Sorge.

Wem dient nun ein Nachruf bzw. welchen Adressaten hat er (eine Fragestellung, die für ihn typisch gewesen wäre)?

Zu unserem Fachgebiet und damit allen Kolleginnen und Kollegen

Dietrich Hohmann war einer der letzten Generalisten. Orthopädie und Traumatologie sind untrennbar miteinander verbunden. Gleiches gilt aber auch für die konservativen und operativen Inhalte. Nur wer konservative Inhalte beherrscht (und nicht nur bescheinigt bekommt), kann Alternativen sorgfältig erwägen und einsetzten. Ohne entsprechende Kenntnisse werden Orthopäden und Unfallchirurgen von Patienten, Kostenträgern, aber auch von anderen Professionen wie Physiotherapeuten, Orthopädietechnikern auf Dauer nicht wertgeschätzt und als Integrations- und Führungspersönlichkeitsfigur akzeptiert. Sie werden zu operativ tätigen Handwerkern und Leistungserbringern degradiert.

Der Modebegriff Nachhaltigkeit hat mittlerweile viele Bereiche unserer Gesellschaft erobert. In der Orthopädie nennt man dies Langzeitergebnisse. Dies hat nicht nur Tradition, sondern unterscheidet unser Fach auch ganz wesentlich von anderen. Hier wird es letztendlich entscheidend sein, sich zum Wohl der Patienten von kurzfristigen Modeerscheinungen abzukoppeln. Sicher ist dieser Weg steinig und steil, aber letztendlich „alternativlos“ (ein Wort das Dietrich Hohmann mit Sicherheit missfallen hätte).

Zur Stellung der Medizin und der akademischen Tradition in unserer Gesellschaft

Medizin unterliegt auch wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und Zwängen, sie darf sich jedoch niemals von diesen allein leiten lassen oder sich ihnen „unterwerfen“. Jeder hoch qualifizierte Arzt hat sein Wissen und Können auch bei schwierigen Operationen, Patienten und Entscheidungsfragen unabhängig von deren Versichertenstatus, Hautfarbe, Religion, Herkunft etc. einzubringen. Dies darf nicht dahingehend interpretiert werden, dass es eine Einheits- oder Standardmedizin für alle geben soll oder muss, sondern dass im Einzelfall der Starke‚ Geübte oder Erfahrene der Gesellschaft bzw. dem Kollegen bzw. dem Patienten zur Verfügung steht. Prof. Hohmann hat dies nicht nur gelehrt, sondern auch gelebt.

Akademischer Geist hat viele Facetten. Wichtige und zentrale Inhalte für ihn waren und sind fachübergreifendes Interesse, Lernen und Wissen. Medizin ist nicht nur Handwerk oder Beruf, es ist auch eine Geisteshaltung. Akademisches Denken beinhaltet kritisches Hinterfragen auch von allgemein akzeptierten Lehrmeinungen, auch Offenheit gegenüber Neuem und Unkonventionellem. Während an anderen Kliniken beispielsweise in den Achtzigerjahren Assistenzärzte ihre Fortbildungskurse in der Manuellen Medizin inkognito und ohne Wissen ihres Chefs heimlich absolvierten, zeichnete sich Dietrich Hohmann hier bereits frühzeitig und für die damalige Zeit fast revolutionär durch seine (kritische) Liberalität aus.

Zu Charakter und Kommunikation

Dietrich Hohmann liebte Menschen mit Profil, Kanten und Prinzipien, auch wenn es nicht immer seine eigenen waren. Jasager und insbesondere Menschen, die ihre Meinung nicht offensiv und klar vertraten, waren nicht seine Welt. Ihnen gegenüber konnte der sonst so humorvolle, eloquente und umgängliche „Altliberale“ schroff und bisweilen zumindest für seine Verhältnisse auch harsch sein. Plattitüden waren ihm ein Graus, die deutsche Sprache mit ihren feinen Nuancen hingegen sein Instrument und seine Waffe zugleich. Diskussionen mit ihm zu diesem Thema waren Genuss und Lehrstunde („Knöcherne Verletzung, stammt das von Ihnen, Beyer? So ein Unsinn, wie soll eine Verletzung knöchern sein? Sie meinten wohl Knochenverletzung. Es wäre von Vorteil, wenn Sie erst die deutsche Sprache und dann Orthopädie lernen würden.“).

Zu Familie und Freunden

Bei aller Belastung hatte er stets auch ein persönliches Wort für einen „übrig“, man war nie nur Mitarbeiter oder Arbeitskraft oder Leistungserbringer. Nicht der liebevolle, sondern der respektvolle Umgang miteinander, Wertschätzung, Interesse und Verlässlichkeit waren sein Glaubensbekenntnis und sind gleichzeitig sein Vermächtnis.

Seine Familie war sein kleiner, stets geschützter Bereich, in den nur wenige Einblick von außen erhielten. Jedermann wusste und fühlte aber, dass hier seine Wurzeln sind und er hier die unendliche Kraft bezog, von der wir dankbar profitieren durften.

Wir alle werden und können ihn nicht vergessen, nach unserem Tod wird er jedoch wie viele andere vor ihm auch vergessen werden. Unvergesslich und bleibend sollen und werden aber seine Gedanken und Inspirationen sein.

In tiefer Dankbarkeit der Familie des Mannes gewidmet, dem nicht nur seine Schüler und Wegbegleiter, sondern auch unser Fach unendlich viel verdanken.

 

W. F. Beyer, Bad Füssing

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