Übersichtsarbeiten - OUP 02/2025
Ortho-geriatrische Zusammenarbeit am Klinikum Ingolstadt – ein Blick hinter die KulissenEine Erfolgsstory zwischen Unfallchirurgie und Geriatrie
Es ist 7:30 Uhr morgens: Die ärztlichen Kolleginnen und Kollegen des Zentrums für Orthopädie und Unfallchirurgie und eine einzelne, etwas verschlafene (wer plant denn bitte eine Besprechung um 07:30 Uhr?!?) Geriaterin versammeln sich im Röntgendemoraum zur unfallchirurgischen Besprechung. Die Kolleginnen und Kollegen des Zentrums für Orthopädie und Unfallchirurgie diskutieren OP-Verfahren, die OP-Reihenfolge wird reflektiert (ggf. muss noch eine proximale Femurfraktur binnen 24 Stunden nach GBA-Beschluss eingeplant werden) und die Geriaterin macht sich schon einmal eine Liste von neuen Patientinnen und Patienten in „ihrer“ Alterstraumatologie und potentieller Patientinnen und Patienten, die im Dienst zunächst auf andere Stationen aufgenommen worden sind. Das Ziel ist dabei, alle alterstraumatologischen Patientinnen und Patienten in der Sektion für Alterstraumatologie zusammenzuführen, wobei unter Umständen die 20 verfügbaren Bettenplätze belegt sein können. Für diese Patientinnen und Patienten wurden spezielle Konsile für die Akutgeriatrie eingeführt, damit auch wirklich jede geriatrische Patientin/jeder geriatrische Patient mit hüftgelenksnaher Fraktur während des stationären Aufenthalts von einem Geriater gesichtet wird. Selbstverständlich kann auch für geriatrische Patientinnen und Patienten mit anderen Frakturtypen via Konsil – oder nun auch auf direkten Zuruf in der gemeinsamen Besprechung – eine internistisch-geriatrische Mitbeurteilung und ggf. Übernahme in die Alterstraumatologie erwirkt werden.
Um 8:15 Uhr trifft sich das gesamte Team der Alterstraumatologie im Aufenthaltsraum der Station. Die Pflegekräfte berichten aus dem Spät- und Nachtdienst, der unfallchirurgische Ober- oder Stationsarzt informiert über anstehende Operationen und die Nachbehandlungsregime der Osteosynthesen und Prothesen wird besprochen. Die Therapeutinnen und Therapeuten schildern Fortschritte und Probleme bei der Mobilisation, und mit Sozialdienst und Fallmanagement werden Entlassungen und benötigte Hilfsmittel koordiniert. Diese kurze Besprechung ist vermutlich der wertvollste Moment des Tages – hier wird interdisziplinär, schnell und pragmatisch entschieden gehandelt.
Die gemeinsame Visite: Mehr als nur ein Spagat
Die gemeinsame ortho-geriatrische Visite findet montags und donnerstags statt und beginnt gegen 9:30 Uhr. Hinzu kommt eine gemeinsame chefärztliche Visite an Freitagen. Für die Geriaterin ist die Visite die zentrale Aufgabe des Tages: Hier wird jede Patientin und jeder Patient untersucht, die – in der Geriatrie oft umfangreiche – Medikation wird geprüft und hinterfragt, die Laborwerte werden analysiert und Kontrollen angeordnet. Vitalparameter, Delir-Screening, Schmerzskala und die diversen geriatrischen Assessments müssen in Augenschein genommen werden und die häusliche Situation, der rehabilitative Verlauf und die verschiedenen Neben- und Vorerkrankungen werden recherchiert und mit Patientin/Patient und ggf. Angehörigen besprochen. Der Fokus liegt auf einer ganzheitlichen Patientenbetreuung.
Für den Unfallchirurgen ist eine Visite dagegen eher ein kurzes „Intermezzo“ – die operative Versorgung steht für ihn im Mittelpunkt. Eine Visite besteht primär aus Wundkontrollen und der Betrachtung radiologischer Kontrollaufnahmen. Sie sollte idealerweise in einer halben Stunde abgeschlossen sein, um rasch zurück in den OP zu kommen.
Die Herausforderung besteht nun darin, beide Ansätze unter einen Hut zu bringen. Natürlich ist es aus Sicht des Unfallchirurgen hilfreich, eine Internistin an der Seite zu haben, die sich um Delir, Niereninsuffizienz oder kardiale Dekompensationen kümmert, aber muss dafür ein ganzer Vormittag investiert werden? Andererseits haben gemeinsame Visiten den Charme, dass mögliche Komplikationen, ob Wundinfekt, Delir oder ein drohendes Nierenversagen, schneller erkannt und behandelt werden und die Kollegin und der Kollege den weiteren Behandlungsverlauf absprechen können.
Die wöchentliche Teambesprechung – gibt es
auch ein Zuviel an Kommunikation?
Die Geriatrie ist zweifelsohne eine sprechende Disziplin. Es wird mit der Patientin/dem Patienten ausführlich über Vorerkrankungen, die soziale Situation, Zukunftsängste und bisweilen auch über Glaubensgrundsätze gesprochen. Die Angehörigen werden möglichst von Anfang an mit in die Behandlung einbezogen, oft dürfen und sollen sie ja als Bevollmächtigte oder gesetzliche Betreuer bei medizinischen Entscheidungen mitbestimmen. Es werden mit Pflegekräften, Therapeutinnen und Therapeuten Behandlungsplan und -fortschritt diskutiert und mit Sozialdienst und dem Fallmanagement ein Entlassplan aufgestellt. Das Ganze gipfelt in einer wöchentlichen „großen“ Teambesprechung (in unserem Fall donnerstags, 12:30 Uhr), in der jede Patientin/jeder Patient einzeln mit allen Beteiligten ausgiebig analysiert wird. Was in der Geriatrie zum Alltag gehört, ist in der Unfallchirurgie bisweilen der Kommunikations-„Overkill“. Hier haben sich Bestechungsversuche mit Kuchen für den Unfallchirurgen bewährt… (Abb. 2).
Erfolgreiche
Zusammenarbeit trotz unterschiedlicher Ansätze
Die größten Herausforderungen in der ortho-geriatrischen Zusammenarbeit liegen oft weniger im medizinischen Bereich als in der organisatorischen Struktur und der Kommunikation zwischen den Fachdisziplinen. Unfallchirurginnen und Unfallchirurgen haben einen sehr fokussierten Blick auf die vorhandene Verletzung. Demnach ist der Arbeitstag auch um die Kernaufgabe, nämlich die operative Versorgung konstruiert. Visiten, Besprechungen und Angehörigengespräche müssen sich dem unterordnen.
Dagegen ist das Herangehen der Geriatrie umfassender, das Augenmerk wird auf die ganzheitliche Betreuung der Patientin/des Patienten mit seinen diversen Vor- und Begleiterkrankungen gelegt. Der Fokus ist die Wiedererlangung bzw. der Erhalt der Selbstständigkeit im Alltag. Die Kommunikation mit unterschiedlichen Berufsgruppen, Angehörigen, Hausärzten und nicht zuletzt der Patientin/dem Patienten selbst steht daher im Mittelpunkt der geriatrischen Arbeit. Der Stress einer Notaufnahme oder eines OPs bleibt der Geriaterin/dem Geriater hingegen meist erspart.
Nach 3 Jahren Alterstraumatologie am Klinikum Ingolstadt haben wir es geschafft, ein schlankes organisatorisches Gerüst zu bauen, das in beide Arbeitswelten passt. Und auch wenn die Geriaterin mitunter alleine Visite geht und die wöchentliche Teambesprechung in die Mittagspause des Unfallchirurgen fällt, haben wir mit Geduld und einer Portion Humor eine funktionierende interdisziplinäre Abteilung geschaffen.