Übersichtsarbeiten - OUP 05/2022

Pathophysiologie von Knorpelschaden, Früharthrose und fortgeschrittener Arthrose

Henning Madry, Johannes Stöve

Zusammenfassung:
Die räumlich vom benachbarten unversehrten Knorpel gut abgegrenzten akuten fokalen nichtarthrotischen Knorpeldefekte müssen formell von den chronischen großflächigen, schlecht abgrenzbaren arthrotischen Knorpelschäden unterschieden werden. Da die Defektgröße zunehmen und Arthrose induzieren kann, zielt eine knorpelchirurgische Therapie auch darauf ab, die Entstehung einer kompartimentalen Arthrose zu verhindern. Die initiale Degeneration des hyalinen Gelenkknorpels ist das essentielle Element der Früharthrose. Strukturelle Veränderungen, welche das gesamte Gelenk betreffen, werden von umfassenden zellulären, molekularbiologischen und biochemischen katabolen Veränderungen im Knorpel und im subchondralen Knochen, aber auch in der Synovialis begleitet. Die fortgeschrittene Arthrose zeigt einen lokal kompletten Verlust der Knorpelschicht, die den subchondralen Knochen exponiert. Der subchondale Knochen ist durch Sklerosierung und Zystenbildung gekennzeichnet. In der Synovialis finden sich Knorpelfragmente, die eine Abriebsynovialitis induzieren. Zusammen mit einem entzündlich bedingten Umbau des Kapsel-/Bandapparates führen diese Prozesse zur Kontraktur und Funktionseinschränkung des Gelenkes, die zu einer Beschleunigung des arthrotischen Prozesses führen können.

Schlüsselwörter:
Knorpeldefekte, Früharthrose, Gelenkknorpel, subchondraler Knochen, Synovialis

Zitierweise:
Madry H, Stöve J: Pathophysiologie von Knorpelschaden, Früharthrose und fortgeschrittener
Arthrose
OUP 2022; 11: 196–200
DOI 10.53180/oup.2022.0196-0200

Summary: The acute focal and non-osteoarthritic articular cartilage defects with intact adjacent cartilage must be formally separated from the ill-defined chronic osteoarthritic cartilage defects. As the defect size increases over time and can induce osteoarthritis, cartilage surgery also aims to prevent the development of (uni)compartmental osteoarthritis. The initial degeneration of the hyaline articular cartilage is the essential element of early osteoarthritis. Structural changes affect the entire joint, from comprehensive cellular, molecular and biochemical catabolic changes in the cartilage and subchondral bone, but also in the synovium. The advanced osteoarthritis shows complete loss of the cartilage layer that exposes the subchondral bone. The subchondral bone is sclerotic and characterized by cyst formation. Cartilage fragments are found in the synovial membrane, inducing synovitis. Along with an inflammatory-related remodeling of the capsule and ligamentous apparatus, these processes lead to contracture and functional impairment of the entire joint, which can accelerate the osteoarthritic process.

Keywords: Focal articular cartilage defects, chronic osteoarthritic defects, early osteoarthritis, catabolic changes, articular cartilage, subchondral bone, cyst formation, synovium inflammation, advanced osteoarthritis

Citation: Madry H, Stöve J: Pathophysiology of articular cartilage damage, early and advanced osteoarthritis
OUP 2022; 11: 196–200. DOI 10.53180/oup.2022.0196-0200

H. Madry: Institut für Experimentelle Orthopädie und Arthroseforschung, Universität des Saarlandes, Homburg/Saar

J. Stöve: Orthopädische und Unfallchirurgische Klinik, St. Marien- und Annastiftskrankenhaus Ludwigshafen

Die osteochondrale Einheit

Der Terminus „osteochondrale Einheit“ reflektiert die enge strukturelle und funktionelle Verknüpfung von hyalinem Gelenkknorpel, kalzifiziertem Knorpel und subchondralem Knochen [1]. Die oberflächliche Tangentialzone des Gelenkknorpels dient vor allem dazu, Druck- und Scherkräfte abzufangen und Reibungskräfte zu reduzieren. Hier liegt ein hoher Gehalt an parallel zur Gelenkfläche angeordneten Kollagenen und ein vergleichsweise niedriger Gehalt an Proteoglykanen vor. Die wenigen spindelförmigen Knorpelzellen in der oberflächlichen Tangentialzone sind ebenfalls parallel zur Gelenkfläche angeordnet. Sie produzieren Schmierungsproteine zur optimalen Gleitfähigkeit des Knorpels. In der nachfolgenden Übergangszone verlaufen die Kollagenfasern tangential und bilden Arkaden. Die Chondrozyten sind hier runder und teilweise in Chondronen angeordnet. Die nachfolgende Radiärzone (tiefe Knorpelzone) ist die breiteste Zone des Gelenkknorpels. In ihr sind die Kollagenfibrillen parallel zueinander und in den charakteristischen Säulen angeordnet. Die Chondrozyten haben dort ihren größten Durchmesser und es findet sich die höchste Konzentration an Proteoglykanen. Aufgrund dieses Aufbaus kann die Radiärzone ideal Kompressionskräfte absorbieren. Durch die Tidemark (Grenzstreifen), eine in histologischen Präparaten sichtbare basophile Linie, wird die Radiärzone von der dünnen mineralisierten (kalzifizierten) Knorpelzone abgetrennt. Hier verlaufen die Kollagenfasern aus der Radiärzone kontinuierlich in die kalzifizierte Zone und verbinden so den relativ gering verformbaren Knorpel der kalzifizierten Zone mit dem darüberliegenden weicheren Gelenkknorpel. Die kalzifizierte Zone ist neben Typ-II-Kollagen durch das zusätzliche Vorkommen von Typ-X-Kollagen gekennzeichnet.

An sie schließt sich die subchondrale Knochenplatte an. Die Zementlinie grenzt hierbei den mineralisierten Knorpel vom subchondralen Knochen ab. Interessanterweise trennt die Zementlinie auch die Typ-II-Kollagenfasern des Knorpels von den Typ-I-Kollagenfasern des subchondralen Knochens. Durch ihre dreidimensional wellenförmig undulierende Form erlaubt sie dennoch eine hinreichend stabile Verzahnung des Gelenkknorpels mit dem subchondralen Knochen. Die subchondrale Knochenplatte ist relativ dünn und besitzt kleine Gefäße und begleitende Nervenfasern, welche bis in die mineralisierte Knorpelzone hineinragen können. Diaphysenwärts geht die dichte subchondrale Knochenplatte in die offenporige subartikuläre Spongiosa über [2].

Obwohl die osteochondrale Einheit im Fokus von Knorpelschäden liegt, sind bei der Arthrose alle anderen Bestandteile eines Gelenks mit involviert. So finden sich im Kniegelenk, dem größten Gelenk des Menschen, neben Veränderungen in der Synovia (Synovialflüssigkeit), der Synovialis (Synovialmembran), der Gelenkkapsel und gelenkübergreifender Muskulatur auch arthrotische Veränderungen im Innen- und Außenmeniskus und deren Wurzeln, dem vorderen und hinteren Kreuzband, in extraartikulären Bändern und Sehnen sowie im Hoffa-Fettkörper.

Pathophysiologie von
Knorpelschaden

Die räumlich vom benachbarten unversehrten Knorpel gut abgegrenzten akuten fokalen nichtarthrotischen Knorpeldefekte, wie sie nach einem Trauma auftreten können, müssen formell von den chronischen großflächigen, schlecht abgrenzbaren arthrotischen Knorpelschäden unterschieden werden. Allerdings finden sich in der klinischen Realität oftmals chronische fokale, auf einem nichtarthrotischen Ereignis beruhende Knorpeldefekte, welche bereits periläsionale Arthrosezeichen wie Rissbildung und Oberflächenunebenheiten aufweisen. In der klassischen Serie von Hjelle und Mitarbeitern zeigten sich in 1000 Kniearthroskopien 28 % fokale nichtarthrotische Knorpeldefekte, während arthrotische Knorpelschäden bei 44 % der Fälle auftraten [3].

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