Übersichtsarbeiten - OUP 02/2020

Periprothetische Acetabulumfrakturen

Anna J. Schreiner, Gunnar Ochs

Zusammenfassung:
Periprothetische Acetabulumfrakturen sind seltene, jedoch epidemiologisch bedingt zunehmende
Verletzungen bzw. Komplikationen in der Endoprothetik des Hüftgelenkes, die ein oft multimorbides und
geriatrisches Patientenkollektiv mit schlechter Knochenqualität betreffen. Man unterscheidet intraoperative von postoperativen Frakturen, die entweder traumatisch akut bedingt sind oder z.B. assoziiert mit vorbestehenden Osteolysen im Rahmen von Niedrigenergietraumata im Sinne von Insuffizienzfrakturen auftreten können.
Die intraoperative Inzidenz beträgt bis zu 0,4 % und eine zementierte Press-fit-Versorgung ist mit einem höheren Risiko assoziiert. Die Diagnostik sollte standardmäßig Röntgen und CT umfassen und ggf. durch einen Infektausschluss bei schleichenden Frakturen ergänzt werden. Das zu wählende Behandlungskonzept sollte Faktoren wie Frakturdislokation, Implantatstabilität, Knochenqualität inkl. etwaiger Defekte, funktionellen Patientenanspruch und auch Erfahrung des chirurgischen Teams mit Erfahrung in der Acetabulumchirurgie als auch Revisionsendoprothetik inklusive Verfügbarkeit eines entsprechenden Implantatportfolios beachten. Die konservative Therapie kommt selten zum Einsatz. Operativ sind die Osteosynthese des hinteren Pfeilers und eine stabile Pfannenversorgung elementar. Hierfür stehen diverse Zugänge als auch Implantatoptionen zur Verfügung. Die Therapie periprothetischer Acetabulumfrakturen ist anspruchsvoll und sollte an einem spezialisierten Zentrum erfolgen. Dieser Artikel soll einen Überblick über die aktuellen Standards zur Diagnostik inklusive Klassifikationsoptionen und die verschiedenen Therapieoptionen wie auch Algorithmen zur Versorgung
periprothetischer Acetabulumfrakturen geben.

Schlüsselwörter:
periprothetische Acetabulumfrakturen, Hüfttotalendoprothese, Revisionsendoprothetik

Zitierweise:
Schreiner AJ, Ochs G: Periprothetische Acetabulumfrakturen OUP 2020; 9: 092–98
DOI 10.3238/oup.2019.0092–0098

Summary: Periprosthetic acetabular fractures are rare, but due to epidemiological reasons increasing injuries or complications in the endoprosthetic surgery of the hip joint, which affect an often multimorbid and geriatric
patient population with poor bone quality. One has to differentiate between intraoperative and postoperative fractures, which either occur due to traumatic reasons or are, for example, associated with pre-existing osteolysis occurring in the context of low-energy trauma in the sense of insufficiency fractures. The intraoperative incidence is reported to be up to 0.4 % and cemented press-fit surgery is associated with a higher risk. Diagnostics should include X-ray and CT as standard and, if necessary, be supplemented by infection diagnostics in the case of osteolytic fractures. The treatment concept to be selected should take into account factors such as fracture dislocation, implant stability, bone quality including any defects, functional patient demands and also the experience of the surgical team with experience in acetabular surgery and revision arthroplasty as well including the availability of a corresponding implant and hardware portfolio. Conservative therapy is rarely applied. Surgically, osteosynthesis of the posterior wall and a stable cup restoration are elementary. Various approaches and implant options are available for this purpose. The therapy of periprosthetic acetabular fractures is demanding and should be performed at a specialized center. This article is intended to provide an overview
of the current diagnostic standards including classification options and the different treatment options and algorithms for the treatment of periprosthetic acetabular fractures.

Keywords: periprosthetic acetabular fractures, total hip replacement, revision arthroplasty

Citation: Schreiner AJ, Ochs G: Periprosthetic acetabular fractures. OUP 2020; 9: 092–98
DOI 10.3238/oup.2019.0092–0098

Anna J. Schreiner: Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, BGU Tübingen

B. Gunnar Ochs: Vincentius Orthopädische Fachklinik, Klinikum Konstanz

Einleitung und Hintergrund

Erste Beschreibungen periprothetischer Acetabulumfrakturen finden sich bereits vor mehr als 40 Jahren, jedoch umfasst die gesamte bisherige Datenlage im Wesentlichen kleine Fallserien oder Fallberichte [13, 28]. Den Daten des schwedischen Prothesenregisters zufolge sind periprothetische Frakturen nach Lockerungen und Luxationen der dritthäufigste Grund für endoprothetische Revisionseingriffe, jedoch kommt es wesentlich häufiger zu periprothetischen Femurfrakturen als zu periacetabulären Frakturen bei einliegender Hüfttotalendoprothese. Aufgrund steigender Zahlen in der Primärendoprothetik, zunehmender Lebenserwartung sowie einer relativen Überalterung der Gesellschaft, aber auch einem hohen Aktivitätslevel ist in Zukunft auch von einem Inzidenzanstieg periprothetischer Acetabulumfrakturen auszugehen und bereits jetzt stellen Frakturen des Acetabulums die am stärksten wachsende Entität unter den Beckenverletzungen dar [1]. Die Pathogenese als auch das Therapiespektrum sind vielfältig und die Frakturursachen können intra-, peri-oder postoperativ ausgemacht werden. So sind traumatische von chronisch schleichenden periprothetischen Acetabulumfrakturen z.B. bei osteoporotisch vorgeschwächtem Knochen oder Lysezonen im Bereich der Pfanne zu unterscheiden und stellen den Operateur und sein Team hinsichtlich Patienten-, Implantat- und operationsspezifischen Faktoren vor chirurgische Herausforderungen [27, 28]. Die Inzidenz intraoperativer periacetabulärer Frakturen beträgt bei zementierten Pfannen 0–0,2 % und bei zementfreier Press-fit-Verankerung 0,06–0,4 % [28]. Biomechanische Studien konnten hierfür das höhere intraoperative Frakturrisiko für die zementfreie Pfannenversorgung bestätigen. Periacetabuläre Frakturen können hierbei beim eigentlichen Pfannenfräsvorgang auftreten, beim Einbringen einer Press-fit-Pfanne (in ein unterfrästes Pfannenlager) oder allein aufgrund hoher Einschlagkräfte. Hemisphärische Pfannen haben ein niedrigeres Risiko als zementfreie Monoblock- oder elliptische Cup-Designs, sind in Übergröße jedoch auch als riskant zu werten. Da intraoperative Frakturen oftmals nicht oder erst im Verlauf detektiert werden, nimmt man an, dass die tatsächliche Inzidenz höher ist. In einer aktuellen Arbeit von Dammerer et al. wurden postoperative CTs von 115 Patienten innerhalb 30 Tagen nach Hüfttotalendoprothese auf sog. okkulte periprothetische Acetabulumfrakturen hin untersucht [6]. Hierbei traten 58 Fälle auf (50,4 %), wobei ein Großteil dieser Frakturen (45 %) nicht ins eigentliche Acetabulum einstrahlte. Inkomplette Säulenfrakturen hatten keinen Einfluss auf das Implantatüberleben, Frakturen der superolateralen Wand (17 %) zeigten die höchste Pfannenmigration und 3 der 6 okkulten Frakturen der medialen Wand (10 %) mussten revidiert werden, sodass davon ausgegangen werden kann, dass v.a. unerkannte zentral gelegene Frakturen einen Einfluss auf das Implantatüberleben haben können [6]. 2017 führten Hasegawa et al. ebenfalls eine umfassende CT-Analyse im Hinblick auf okkulte periprothetische Acetabulumfrakturen durch, die definiert sind als intraoperativ nicht erkannte oder in der postoperativen Routinediagnostik übersehene Frakturen [11]. Die Rate okkulter Frakturen betrug hier 8,4 % bei 406 Patienten mit einer intraoperativen Inzidenz von 0,4 % sowie der superolateralen Wand als häufigster Frakturlokalisation [11]. Bei intraoperativer Detektion erfolgte eine additive Domschraubenfixierung und es waren insgesamt keine Revisionseingriffe erforderlich [11]. Eine allgemeine Häufigkeit postoperativ auftretender periprothetischer Acetabulumfrakturen in der Primär- und Revisionsendoprothetik ist an sich in der Literatur jedoch nicht beschrieben. Neben einer klassischen traumatischen Sturzgenese sind postoperativ v.a. schleichende Frakturen zu beachten, die sich auf dem Boden einer z.B. durch Polyethylen-Abrieb bedingten Lyse im Sinne einer acetabulären Insuffizienzfraktur ohne adäquates Trauma durch im Verlauf auftretende und ggf. zunehmende Hüftschmerzen äußern können. Laut Berry et al. beträgt die Prävalenz von Beckendiskontinuitäten, die sich meist auf dem Boden einer insuffizienten medialen Begrenzung und oft einhergehend mit schlechter Knochenqualität über Wochen hin entwickeln, 0,9 % in der Revisionsendoprothetik [3]. Auch chronische Pfannenmigration, periprothetische Low-grade-Infekte oder iatrogener Knochenverlust z.B. durch Komponentenentfernung in der Wechselendoprothetik können zur Entstehung einer periprothetischer Acetabulumfraktur beitragen. Prinzipiell können feste Implantate und stabile Frakturen konservativ behandelt werden, wohingegen instabile Frakturen und/oder lockere Implantate der chirurgischen Intervention bedürfen mit dem Ziel einer Stabilisierung der Fraktur und der Pfannenschale mit möglichst rascher Mobilisierung der Patienten [12, 27, 28].

Diagnostik

Intraoperative Hinweise für periprothetische Acetabulumfrakturen sind z.B. plötzliche Widerstandsänderungen beim Einbringen der Pfanne, eine fehlende Implantatstabilität oder kein suffizientes Press-fit. Dies sollte immer eine intraoperative Röntgendiagnostik sowie einen vorsichtigen klinischen Stresstest des Beckens zur Folge haben. Frühe postoperative periacetabuläre Frakturen sind meistens intraoperativ okkult geblieben [9].
Postoperativ ist neben einer regulären klinischen Hüftuntersuchung, die im Frakturfall in der Regel mit Schmerzen, verminderter Belastbarkeit wie auch Beweglichkeit einhergeht, eine ausführliche Anamnese erforderlich, um zwischen einer akuten Fraktur oder schleichenden Genese differenzieren zu können und den funktionellen Anspruch der Patienten, Komorbiditäten, Implantatdaten und ggf. Infektzeichen zu eruieren. Die röntgenologische Diagnostik sollte immer eine tiefe Beckenaufnahme sowie mind. eine Hüftaufnahme in 2 Ebenen umfassen. Neben einer Beurteilung von Pfanne und Schaft hinsichtlich Lockerungszeichen sollte auch auf Abriebzeichen geachtet werden und das Acetabulum anhand der bekannten Leitlinien auf Frakturen hin untersucht werden [28]. Die eigentliche Frakturanatomie ist schließlich mittels Computertomographie (CT) inkl. Metallartefaktesupprimierung zu beurteilen. Mittels CT-Angiographie, die schon Peterson und Lewallen bei traumatischer Genese empfohlen haben und die Simon et al. generell in ihren Therapiealgorithmus inkludiert haben, können außerdem Zusatzinformationen hinsichtlich regionaler Nähe von Fraktur, Pfanne und intrapelvinen Gefäßen ermittelt werden [21, 30]. Liegt eine fragliche Lockerung vor, kann des Weiteren noch eine SPECT-CT (single photon emission computed tomographie-CT) erwogen werden [31].
Auch wenn die Datenlage hinsichtlich möglicher Infekt assoziierter periprothetischer Frakturen noch keine Empfehlungen ausspricht, empfehlen wir bei einer Anamnese, die einen chronischen Prozess nahelegt, eine entsprechende periprothetische Infektabklärung inklusive Punktion des Hüftgelenkes und soweit logistisch möglich, ein konsekutives ein- oder mehrzeitiges Therapieverfahren [28].

Klassifikationen

Die verschiedenen Klassifikationsoptionen periprothetischer Acetabulumfrakturen unterscheiden sich hinsichtlich Komplexität und Aussagekraft bzw. Anwendung auf intra- oder postoperative Frakturen. Prinzipiell können alle ossären Anteile des Acetabulums (quadrilaterale Fläche, supraacetabulärer Dom) und des angrenzenden Beckenrings (Os ischium, ilium und pubis) von einer periprothetischen Acetabulumfraktur betroffen sein, am häufigsten ist jedoch die mediale Begrenzung involviert [21].
Periprothetische Acetabulumfrakturen können klassisch nach Judet und Letournel eingeteilt werden mit der Unterscheidung in die bekannten Grundtypen sowie Kombinationsverletzungen. Die reine Frakturdarstellung nimmt jedoch keinen Bezug auf die ebenso relevante Pfanne. Die erste spezifische Klassifikation nahmen Peterson und Lewallen 1996 vor und unterteilten in den Frakturtyp 1 mit stabiler Pfanne sowie den Frakturtyp 2 mit instabiler Pfanne [21]. Callaghan beschreibt wiederum vier verschiedene Möglichkeiten intraoperativer periprothetischer Acetabulumfrakturen (Typ A = Vorderwandfraktur, Typ B = Querfraktur, Typ C = inferiore Acetabulumfraktur, Typ D = hintere Wand-/Pfeilerfraktur) [4, 5]. Paprosky und Della Valle unterscheiden 5 Typen periprothetischer Acetabulumfrakturen [8, 18]:

Typ 1: Intraoperativ (während Komponenteneinbringung)

a: erkannt, stabile Komponente, undislozierte Fraktur

b: erkannt, dislozierte Fraktur, Pfanne locker

c: intraoperativ nicht erkannt

Typ 2: Intraoperativ (während Implantatentfernung)

a: Knochenstockverlust <50 %

b: Knochenstockverlust >50 %

Typ 3: Traumatisch

a: stabile Pfanne

b: instabile Pfanne

Typ 4: Spontan

a: Knochenstockverlust <50 %

b: Knochenstockverlust >50 %

Typ 5: Beckendiskontinuität

a: Knochenstockverlust <50 %

b: Knochenstockverlust >50 %

c: assoziiert mit Beckenradiatio

Davidson et al. reduzierten dies in ihrer Klassifikation 2008 in Anlehnung an die Vancouver-Klassifikation auf 3 Typen periprothetischer Acetabulumfrakturen (I = undislozierte Fraktur, II = I mit gefährdeter Rekonstruktionsstabilität, III = dislozierte Fraktur) [7]. Seit 2014 gibt es auch die umfassende Klassifikationsmöglichkeit gemäß dem Unified Classification System (UCS), das in Anlehnung an die bekannte AO-Klassifikation von Duncan und Haddad zur universellen Anwendung auf alle periprothetischen Frakturen publiziert wurde [10]. Für periprothetische Acetabulumfrakturen gilt der Code IV,1 (Acetabulum, Becken) mit Subklassifizierung gemäß der Frakturtypen A-F. Eine therapeutische Indikation ist jedoch nicht inkludiert. Simon et al. wiederum basieren ihren Behandlungsalgorithmus auf einer ätiologischen Einteilung in perioperative, traumatische und osteolytisch bedingte periprothetische Acetabulumfrakturen inklusive der Faktoren Stabilität der Pfanne, Dislokationsgrad der Fraktur und Knochenqualität [30]. Eine einfach anzuwendende, weitere neue Klassifikationsmöglichkeit stellten 2018 Pascarella et al. inkl. Behandlungsalgorithmus vor [19] (Tab. 1). Eine umfassende OP-Planung sollte beim Vorliegen ossärer acetabulärer Defekte noch eine entsprechende Klassifizierung derselben z.B. nach Paprosky et al. beinhalten, da Lage und Umfang der Knochendefekte einen Einfluss auf die Art der Stabilisierung und der acetabulären Rekonstruktion hat [18, 22].

Therapie und Algorithmus

Die Hauptziele in der Versorgung periprothetischer Acetabulumfrakturen sind, wenn möglich, ein Erhalt der Prothese und im Revisionsfall die Wiederherstellung des anatomischen Rotationszentrums, physiologischen Offsets sowie ggf. die Rekonstruktion ossärer Defekte und des Beckenringes mit Erzielung einer Langzeitstabilität durch Osteointegration sowie eines adäquaten funktionellen Ergebnisses [27]. In stabilen Situationen wie einer Schambeinastbeteiligung oder einer nicht dislozierten Acetabulumfraktur kann bei einem stabilen Implantat die konservative Therapie mit mehrwöchiger Teilbelastung sowie ggf. limitierter Hüftflexion erfolgen. Dies ist jedoch frühestens ein Jahr nach Prothesenimplantation anzuraten [20]. Auch wenn gemäß Peterson und Lewallen 80 % solcher Frakturen konservativ ausheilen, hat sich eine hohe Rate an sekundären Lockerungen gezeigt [21]. Die chirurgische Versorgung ist daher insgesamt viel häufiger indiziert und muss hierbei v.a. der Stabilität des hinteren Pfeilers in der Regel mittels Osteosynthese Rechnung tragen [14, 15]. Werden instabile Frakturen und gelockerte Implantate nicht operativ adressiert, resultieren neben Schmerzen und Funktionsdefizit Komplikationen wie Blutung, Instabilität, Pseudarthrose und zunehmende Pfannenlockerung [29, 30]. Nichtsdestotrotz ist die 1-Jahres-Mortalität nach operativer Versorgung periprothetischer Frakturen insgesamt mit 11?15 % hoch und spiegelt damit auch das meist anspruchsvolle, multimorbide Patientenkollektiv mit oft schlechter Knochenqualität und hohem Alter wider, sodass entsprechend eine geringe Patientenbelastung und eine möglichst belastungsstabile Mobilisierung erreicht werden sollte durch ein Behandlungsteam an einem Zentrum mit ausreichend Erfahrung in der Acetabulumchirurgie als auch in der Revisionsendoprothetik sowie Verfügbarkeit eines entsprechenden Implantatportfolios [1, 28]. Im operativen Kasus steht initial die Wahl des geeigneten Zugangs oder auch einer Zugangskombination. Wenn möglich, sollte der vorbestehende Zugang verwendet oder erweitert werden. Vom Typ bzw. Ausmaß der periprothetischen Fraktur abhängig ist des Weiteren zu entscheiden, ob eine alleinige Osteosynthese und/oder ein Pfannenwechsel erfolgen muss. Außerdem muss im Fall einer Hemiprothese ggf. ein Wechsel auf eine Totalendoprothese erwogen werden. Im intraoperativen Fall einer erkannten Acetabulumfraktur bei Hüftprothesenimplantation oder Wechsel ist eine Anpassung der Pfannenverankerung vorzunehmen [30]. Bei frühzeitig postoperativ erkannten intraoperativen Frakturen sollten bei gegebener Stabilität engmaschige Röntgenkontrollen durchgeführt werden (sog. Subgruppe 1 nach Benazzo), wohingegen übersehene Frakturen mit entsprechender Pfannenmigration oder Diskontinuität (sog. Subgruppe 2 nach Benazzo) der frühen Revision zuzuführen sind [2]. Tabelle 2 und 3 zeigen eine Übersicht der möglichen Zugangswege und des empfohlenen Implantatportfolios.

Aufgrund der oft notwendigen osteosynthetischen Stabilisierung des hinteren Pfeilers ist entsprechend meistens ein hinterer Zugang erforderlich. Neuere, intrapelvine Zugänge erlauben eine gute Situssicht und eine gewebeschonende Versorgung. Obligat ist in jedem Fall auch immer die intraoperative Stabilitätsprüfung der femoralen Komponente sowie der Hüftkopfwechsel bei durchzuführendem Pfannenwechsel. Liegen acetabuläre Knochendefekte vor, ist eine Defektadressierung gemäß Paprosky et al. zu empfehlen [17]. Generell werden „contained“ Defekte eher mit autologem oder allogenem Knochen aufgefüllt und „uncontained“ Defekte wie auch solche in der Hauptbelastungzone mit Allograft oder Augmenten stabilisiert. Des Weiteren ist im Revisionsfall die zementfreie der zementierten Versorgung vorzuziehen [17]. Neben den dargestellten etablierten Systemen gibt es mittlerweile auch Ansätze, Patienten individuelle Implantate einzusetzen, um eine wenig invasive Option zur Pfannenlagerwiederherstellung zu nutzen und ggf. auf eine Reposition der eigentlichen Fraktur zu verzichten [25]. Die Erfahrung mit einer solchen Technik ist aktuell jedoch noch als begrenzt zu werten.

Es ist des Weiteren wichtig, im Rahmen der Therapieplanung nachzuvollziehen, inwiefern es sich um eine schleichende Frakturgenese oder rein traumatologische Frakturentstehung handelt, um den verbleibenden Knochenstockanteil bzw. das biologische Integrationspotential und Heilungspotential der Diskontinuität richtig einzuschätzen [27]. Das Prinzip der Kompression mittels Osteosynthese ist für die klassische Fraktur anzuwenden, wohingegen bei der chronischen Instabilität mit reduzierter Knochenqualität auf Distraktion gesetzt wird (Tab. 2). Dies ist mittels Cup-and-Augment, Cage-and-Augment oder Cup-Cage-Konstrukten erzielbar, die mittlerweile meistens aus Biomaterialien wie Tantal oder trabekulärem Titan bestehen, die eine effiziente ossäre Integration ermöglichen [2]. In der Literatur zur Zeit am aktuellsten verfügbaren Fallserie von Hickerson et al. werden verschiedene Therapieprinzipen angewandt [13]. Rogers et al. stellten außerdem für die Beckendiskontinuität einen guten Behandlungsalgorithmus zusammen [26]. Hierbei sollte man auch die Möglichkeit einer zweizeitigen Versorgung im Hinterkopf haben, die zunächst eine reine Frakturkonsolidierung erlaubt, wenn bei der Erstversorgung aufgrund reduzierter Knochenqualität keine rigide und stabile acetabuläre Konstruktion möglich ist [2].

Verschiedene Autoren haben bisher versucht, die bisher rare Entität der periprothetischen Acetabulumfrakturen samt Entscheidungsfaktoren und Therapieprinzipien algorithmisch zusammenzufassen. Masri et al. orientierten sich 2004 ähnlich wie Peterson und Lewallen zunächst an der Stabilität der Pfanne, um dann abhängig von der Frakturdislokation im stabilen Fall und dem Knochenstock im instabilen Fall das weitere Vorgehen festzulegen [16]. Pierce et al. orientierten sich an der Paprosky-Klassifikation und Potty et al. wiederum an Helfet et al [23, 24]. Simon et al. präsentierten 2015 einen umfassenden, auf dem Entstehungsmechanismus und Frakturtyp beruhenden Behandlungsalgorithmus [30] ( Abb. 1). Die aktuellste Klassifikation und Handlungsempfehlung wurde von Pascarella et al. 2018 publiziert (Tab. 1) und kombiniert die Vorteile der o.g. relevanten Algorithmen von Masri bzw. Simon et al. (Abb. 2).

Fallbeispiel

80-jähriger Patient mit periprothetischer Acetabulumfraktur rechts nach Stolpersturz auf die Hüfte. In der präoperativen Röntgen- und CT-Diagnostik zeigt sich eine Pfannenlockerung und die Frakturausdehnung in den hinteren Pfeiler sowie der Z.n. Beckenringfraktur. Bei insgesamt reduzierter Knochenqualität erfolgte die Versorgung mit einer modularen Kranialzapfenpfanne. Die postoperative Röntgenkontrolle (Beckenübersicht, Hüfte axial, Ala- und Obturatoraufnahme) zeigt die erfolgte Rekonstruktion des Hüftgelenkes (Abb. 3–5).

Zusammenfassung

und

Schlussfolgerung

Periprothetische Acetabulumfrakturen sind seltene, jedoch zunehmende Verletzungen, die ein oft multimorbides und geriatrisches Patientenkollektiv betreffen. Man unterscheidet intraoperative von postoperativen Frakturen, die entweder traumatisch akut bedingt sind oder z.B. assoziiert mit vorbestehenden Osteolysen im Rahmen von Niedrigenergietraumata im Sinne von Insuffizienzfrakturen auftreten können. Die Diagnostik sollte immer eine Röntgen- als auch eine CT-Bildgebung umfassen und ggf. durch einen Infektausschluss bei entsprechender Anamnese ergänzt werden. Das zu wählende Behandlungskonzept sollte verschiedene Faktoren beachten. Hierzu zählen Frakturdislokation, Implantatstabilität, Knochenqualität, funktioneller Patientenanspruch sowie Erfahrung in Acetabulumchirurgie als auch Revisionsendoprothetik des chirurgischen Teams inklusive Verfügbarkeit eines entsprechenden Implantatportfolios. Die konservative Therapie kommt selten zum Einsatz. Operativ spielt die in der Regel osteosynthetische Stabilisierung der hinteren Säule eine tragende Rolle sowie die Erzielung einer adäquaten Pfannenfixierung in einem stabilen Pfannenwiderlager. Hierbei kommen meist dorsale Zugänge zum Einsatz. Die herausfordernde Versorgung periprothetischer Acetabulumfrakturen sollte an einem spezialisierten Zentrum erfolgen.

Interessenkonflikt:

Keine angegeben

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Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. B. Gunnar Ochs

Vincentius Orthopädische Fachklinik

Klinikum Konstanz

Mainaustr. 25

78464 Konstanz

gunnar.ochs@glkn.de

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