Übersichtsarbeiten - OUP 12/2013
Radiushalsfrakturen im Wachstumsalter
Eberl und Mitarbeiter orientieren sich an der klassischen Judet-Klassifikation und gehen nach einem anderen Algorithmus vor: Typ-I-Frakturen werden altersunabhängig konservativ im Oberarmgips behandelt. Typ-II-Frakturen werden bis zum 12. Lebensjahr ebenfalls konservativ im Gips behandelt, während bei Patienten jenseits des 12. Lebensjahres die Indikation zur Reposition und ggf. zur intramedullären Stabilisierung besteht. Judet-III-Frakturen werden bis zum 6. Lebensjahr konservativ behandelt, ab dem 6. Lebensjahr sehen die Autoren bei dieser Verletzung die Indikation zur Reposition und ggf. zur intramedullären Stabilisierung. Judet-IV-Frakturen werden altersunabhängig reponiert und stabilisiert [12].
Prathapkumar und Mitarbeiter verzichten auf die Berücksichtigung des Patientenalters und behandeln unabhängig davon alle Judet-I- und Judet-II-Frakturen konservativ, während Judet-III- und IV-Frakturen altersunabhängig operiert werden [4].
Die Ruhigstellung erfolgt im Oberarmgips oder im Cuff´n´Collar für maximal 2–3 Wochen mit nachfolgender Spontanmobilisierung. Längere Ruhigstellungszeiträume müssen ebenso wie Physiotherapie (in der Primärtherapie) vermieden werden, um posttraumatische Bewegungsstörungen und heterotrope Ossifikationen nicht zu begünstigen [6, 2, 10].
Operative Therapie
Besteht die Indikation zur Operation (s. Abb. 1), hat sich als gängiges Verfahren die geschlossene Reposition mit Einbringen eines intramedullären Nagels etabliert (s. Abb. 2), das die Vorteile einer geschlossenen Reposition mit einer internen Stabilisierung verbindet [13, 2, 12].
Zur Reposition wird zunächst ein intramedullärer Nagel frakturfern in den distalen Radius eingebracht und bis kurz vor den Frakturspalt vorgeschoben. Das abgekippte Fragment wird nun durch Zug am Arm, Varusstress und Supination durch direkten Daumendruck dem intramedullären Nagel angenähert.
Die Nagelspitze wird anschließend in das Fragment eingebracht und dieses durch Drehung in die orthotope Position reponiert. Gelingt das Auffädeln des Fragments nicht, kann dies durch einen perkutan eingebrachten Kirschnerdraht unter Durchleuchtungskontrolle dem intramedullären Nagel angenähert werden (Joystick-Technik, Abb. 3). Der Frakturspalt selbst sollte aufgrund der Gefährdung der periostalen Blutversorgung nicht kompromittiert werden. Die Nagelspitze kann bei sehr kurzem Fragment in der Epiphyse verankert werden (s. Abb. 4). Postoperativ ist keine zusätzliche Ruhigstellung im Gips notwendig, schmerzadaptierte Bewegungen sind möglich. Nach 4 Wochen erfolgt die radiologische Kontrolle; bei ausreichendem Kallus kann die Freigabe zur sportlichen Betätigung erfolgen. Nach 8 Wochen erfolgt die nächste Röntgenkontrolle zur Überprüfung einer ausreichenden Kallusbildung, im Anschluss kann die Metallentfernung geplant werden (s. Abb. 5).
Verbleibt nach frustranem geschlossenem Repositionsversuch oder aufgrund eines primär in das Gelenk dislozierten Fragments die offene Reposition als Therapieoption, so sollte diese so schonend wie möglich erfolgen.
Komplikationen
Die Hauptkomplikation betrifft die reduzierte Blutversorgung des Radiusköpfchens. Neben der unfallbedingten eigentlichen Verletzung können auch wiederholte Repositionsversuche oder die offene Reposition die Durchblutung des Radiusköpfchens gefährden. Da diese ausschließlich über periostale Gefäße der Metaphyse erfolgt, sollte auf rüde Repositionsmanöver verzichtet werden, um die durch das Trauma bedingte Durchblutungsstörung nicht noch zu verschlimmern [1, 2]. Die Bewegungsstörungen, insbesondere die Einschränkungen der Umwendbewegung, resultieren aus der traumabedingten obligaten Formänderung und Verplumpung des Radiuskopfs mit der Gefahr einer Radiuskopfnekrose [6] . Eine weitere Komplikation ist die Pseudarthrose. Diese resultiert aus einer Fehleinschätzung bei der primären Behandlung, wenn infolge nicht indizierter Physiotherapie zu früh eine inadäquate Mobilisation des Gelenks erfolgt [10].
Ebenso ist die posttraumatische radioulnare Synostose eine seltene, aber schwerwiegende Komplikation der Radiuskopf und -halsfrakturen, wobei die entstehende Kallusbrücke die Umwendbewegung beeinträchtigt [14].
Zusammenfassung
Radiushalsfrakturen im Wachstumsalter weisen ein erhebliches Potenzial für Spontankorrekturen auf, welches ebenso wie etwaige Begleitverletzungen bei der Therapieplanung berücksichtigt werden muss. Im Falle einer konservativen Therapie erfolgt die kurzzeitige Ruhigstellung im Oberarmgips mit folgender Spontanmobilisierung. Bei bestehender Operationsindikation muss schonend vorgegangen werden, um das vulnerable Radiusköpfchen nicht zu schädigen. Goldstandard ist heute die geschlossene Reposition und die Retention mittels elastisch stabiler intramedullärer Nagelung (ESIN). Ambulante Nachkontrollen sind nötig, um Komplikationen frühzeitig zu erkennen.
Interessenkonflikt: Die Autoren erklären, dass keine Interessenkonflikte im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors bestehen.
Korrespondenzadresse
Dr. med. Philipp Koch
Kinderchirurgische Klinik
Klinikum Kassel GmbH
Mönchebergstraße 41–43
34125 Kassel
philipp.koch@klinikum-kassel.de
Literatur
1. Wessel LM. Verletzungen am proximalen Radius. Trauma Berufskrankh. 2012; 14 [Suppl 3]: 372–378
2. Schmittenbecher P Osteosynthesen am proximalen Unterarm im Kindesalter. Oper Orthop Traumatol. 2008; 20: 321–333
3. Stiefel D, Meuli M, Altermatt S. Fractures of the neck of the radius in children. Early experience with intramedullary pinning. J Bone Joint Surg Br. 2001; 83-B: 536–541
4. Prathapkumar KR et al.. Elastic stable intramedullary nail fixation for severely displaced fractures of the neck of the radius in children. J Bone Joint Surg Br. 2006; 88-B: 358–361
5. Sommerfeldt DW. Gelenknahe Frakturen der oberen Extremität im Kindes- und Jugendalter. Trauma Berufskrankh. 2013; 15 (Suppl 1): 59–66
6. Kraus R Frakturen des proximalen Radius bei Kindern. Wann konservativ, wann operativ versorgen? Orthopädie & Rheuma. 2010; 5: 34–37
7. Slongo TF, Audigé L. Fracture and dislocation classification compendium for children. The AO Pediatric comprehensive classification of long bone fractures. J Orthop Trauma. 2007; 10 (Supplement): S135–160