Originalarbeiten - OUP 04/2012

Rapid Recovery – ein innovativer Ansatz für Patienten in der Schulterendoprothetik
Rapid Recovery – an innovative approach for patients
in shoulder arthroplasty

J. Jerosch1, J. Göddertz1, M. Herwig1, Claudia Linke2, Philipp Schwegel2, Kathrin Lang2

Zusammenfassung: Die Bedeutung von multimodalen Behandlungsansätzen mit dem Ziel einer raschen postoperativen Rekonvaleszenz und einer reduzierten Komplikationsrate nimmt seit Jahren auch in Orthopädie und Unfallchirurgie stetig zu. Insbesondere beim Knie- und Hüftgelenkersatz existiert hierzu bereits eine Vielzahl an klinischen Studien, die den signifikanten Nutzen dieser Behandlungsansätze für den Patienten belegen. Unter Rückgriff auf die Prinzipien der dänischen Fast-Track und der englischen Enhanced Recovery After Surgery (ERAS) wird für die primären Schultergelenkersatz ein Rapid Recovery-Ansatz vorgestellt. Dieser folgt den vier Stufen: Prozessoptimierung, Klinische Verbesserungen, Datenerfassung und –auswertung sowie Gesundheitskommunikation, die seit Mitte 2011 im Johanna-Etienne-Krankenhaus, Neuss, eingeführt werden. Erste Evaluationen zeigen bereits positive Veränderungen bei der Behandlungsqualität, der Patienten- und Mitarbeiterzufriedenheit sowie bei der Verweildauer.

Schlüsselwörter: Rapid Recovery, Enhanced Recovery After Surgery, Fast-Track, Schulterendoprothetik

The importance of multimodal treatment approaches with the aim of an enhanced postoperative recovery and a reduced complication rate in the orthopedic and trauma surgery has grown steadily for years. Many clinical trials for knee and hip arthroplasty have shown that these approaches can deliver a significant benefit for patients. Relying on the principles of Danish fast track and the English Enhanced Recovery After Surgery (ERAS) programs, the paper presents a Rapid Recovery After Surgery approach for shoulder arthroplasty. This approach follows four steps: process optimization, clinical enhancements, data collection and communication, which were introduced at the Johanna-Etienne-Hospital, Neuss, in the middle of 2011. First results show an improvement in quality of care, patient and employee satisfaction as well as length of stay.

Keywords: Rapid Recovery, Enhanced Recovery After Surgery, Fast-Track, shoulder arthroplasty

Warum Rapid Recovery für die Schulterendoprothetik?

Seit den 90er Jahren entwickelten sich in der operativen Medizin verschiedenste Ansätze für eine Optimierung der postoperativen Rekonvaleszenz und Senkung der perioperativen Komplikationen. Als einer der ersten hat Henrik Kehlet für die Kolonchirurgie evaluiert, welche prä-, peri- und postoperativen Maßnahmen zu einer Abschwächung der Stressreaktionen führen, denen Patienten durch eine Operation ausgesetzt sind, und eine rasche Genesung unterstützen [1,2,3,4]. Damit einher geht auch das Hinterfragen bestehender anästhesiologischer und chirurgischer Traditionen, wie beispielsweise längere präoperative Nüchternphasen oder das Verwenden von Drainagen beispielsweise beim Knie- und Hüftgelenkersatz [5]. Neben den körperlichen Stressreaktionen sind es insbesondere die psychischen Belastungen des Patienten, die im heutigen Operationsalltag nur unzureichend berücksichtigt werden. Multimodale Therapiekonzepte setzen an den psychologischen Reaktionen des Patienten an und beeinflussen diese bewusst, z.B. durch Patientenmotivation, um den posttraumatischen Stress zu reduzieren [6]. In der Literatur existieren unterschiedliche Begriffe für Konzepte, die eine rasche physiologische und psychologische Genesung zum Ziel haben. Im europäischen Raum werden die Begriffe „Fast Track Operation“ [6] oder „Fast Track Therapie“ [7] verwendet. In den USA und England finden die Bezeichnungen „Enhanced Recovery After Surgery (ERAS)“, „Accelerated Recovery“ oder „Rapid Recovery“ Anwendung [8]. Im klinischen Alltag werden die verschiedenen Bezeichnungen häufig als Synonyme verwendet.

Am weitesten vorangeschritten sind die konzeptionellen Ausarbeitungen des Rapid Recovery-Ansatzes, der Elemente der Enhanced Recovery-Programme und der dänischen Fast Track-Ansätze verbindet [9]. Nachfolgend wird daher der Begriff Rapid Recovery für die genannten Konzepte als Synonym verwendet.

Nach ersten konzeptionellen Ausarbeitungen und Einführungen von Rapid Recovery in der Orthopädie für Knie- und Hüftgelenkersatz stellt sich die Frage, inwieweit ein Rapid Recovery-Ansatz auf die Schulterendoprothetik übertragen werden kann. Die Arbeiten von Husted et al. [12], Larsen et al. [13], Akhtar/Houlihan-Burne [10], Brunenberg et al. [14], Gordon et al. [15] und Wainwright/Middleton [11] verdeutlichen, dass Rapid Recovery-Ansätze für die Knie- und Hüftendoprothetik insbesondere in Dänemark und England weite Verbreitung gefunden haben. Eine Übertragung auf die Schulterendoprothetik scheint daher naheliegend.

In der orthopädischen Abteilung des Johanna-Etienne-Krankenhaus in Neuss wurde daher eine konzeptionelle Übertragung vorgenommen. Die Einführung wird im Rahmen einer Dissertation wissenschaftlich begleitet. Erste Erfahrungen und Ergebnisse mit der Einführung des Rapid Recovery-Ansatzes in die Schulterendoprothetik sollen in diesem Beitrag dargestellt werden.

Notwendigkeit eines optimierten Versorgungskonzeptes für die
Schulterendoprothetik

Arthrotische Beschwerden am Schultergelenk haben die drittgrößte Prävalenz unter den großen Gelenken und folgen damit gleich Problemen am Hüft- und Kniegelenk. In den letzten Jahren haben daher chirurgische Eingriffe am Schultergelenk, vor allem bei der Indikation primärer Omarthrose und Rotatorenmanschettendefektarthropathie, enorm zugenommen [16]. Betroffen sind vor allem Frauen, die bspw. im Jahr 2009 im Vergleich zu Männern eine dreimal höhere Operationsrate aufwiesen (12.234 Frauen vs. 4.105 Männer) [17].

Aufgrund der demographischen Entwicklung kann mit einem weiteren Anstieg gerechnet werden (Abb.1). Rund 61,40% der Patienten haben ein Alter zwischen 60–79 Jahren.

Im Vergleich zur Implantation von Hüft- und Knieendoprothesen gilt die Schulterendoprothetik als anspruchsvoll und bisher noch nicht abschließend durch evidenzbasierte Leitlinien, im Sinne der AWMF-Klassifikation S 3 Leitlinien, gesichert. Damit können sich Behandlungsansätze sehr unterscheiden, was wiederum zu einer Unsicherheit beim Patienten oder auch in der Weiterbehandlung bspw. in Rehakliniken führen kann.

Behandlungsstandards sind jedoch Voraussetzung für eine hohe Transparenz, gesicherte Qualität und letztendlich auch für die Patientensicherheit. Vor diesem Hintergrund wurde in Deutschland das weltweit erste Rapid Recovery-Programm für die elektive Schulterendoprothetik in der orthopädischen Abteilung des Johanna-Etienne-Krankenhaus Neuss entwickelt und seit Mitte 2011 umgesetzt, da hier schon gute Grundlagen und Erfahrungen mit dem Konzept der Endoprothesenschule und Arthroseschule vorhanden waren [18,19].

Merkmale des
Rapid Recovery-

Ansatzes

Das zentrale Merkmal des Rapid Recovery-Ansatzes ist ein zusammenhängendes und indikationsorientiertes Organisationdesign der prä-, peri- und postoperativen Versorgung, das durch die Schritte Prozessoptimierung, klinische Verbesserungen, Evaluation und Gesundheitskommunikation gekennzeichnet ist [20]. Damit orientiert sich der Rapid Recovery-Ansatz an der Nutzenerwartung des Patienten, indem jeder der Schritte einen spezifischen Patientennutzen adressiert.

Tabelle 1 zeigt die wesentlichen Elemente des Rapid Recovery-Ansatzes aus der Perspektive der Behandelnden und den daraus resultierenden Nutzen für die Patienten.

Die verschiedenen Schritte des Rapid Recovery-Programms stehen nicht singulär neben oder übereinander, sondern sind in ihren Wirkungszusammenhängen untereinander zu betrachten. Das bedeutet, dass die Prozessoptimierung (Schritt 1) die Grundlage für die kontinuierlichen klinischen Verbesserungen (Schritt 2) bildet. Auch bedarf es einer ständigen Evaluation (Schritt 3) um festzustellen, ob Erneuerungen oder Änderungen bei den klinischen Verbesserungen überhaupt zu den gewünschten Ergebnissen führen. Die Erhebung von Qualitätscores ist ein wichtiger Bestandteil, um darauf aufbauend eine glaubwürdige Gesundheitskommunikation (Schritt 4) sicherzustellen [21].

Prozessoptimierung

Die Grundlage für die Etablierung des Rapid Recovery-Ansatzes bildet die Optimierung der Behandlungsprozesse der Schulterpatienten anhand folgender Prinzipien:

Patient als Partner der Behandlung

Interdisziplinäres Behandlungsteam

Evidenzbasierte und sektorübergreifende Protokolle

Gruppendynamik und Frühmobilisierung

Die umfangreiche Vermittlung von Informationen und Aufklärung des Patienten rund um alle seine Behandlungsschritte stellt ein wesentliches Kernelement des Rapid Recovery Programms dar. Der Patient wird für die Behandlung motiviert sowie aktiviert und damit zum Partner der Behandlung, der durch sein Wissen, seine Einstellung und sein Verhalten eigenverantwortlich zur Genesung beiträgt [22]. Das Ziel während der gesamten Behandlung ist, die Patientensouveränität zu stärken und den Patienten in die Lage zu versetzen, sich selbst zu helfen sowie sein Ergebnis der Behandlung nachhaltig zu sichern. Durch eine Patientenschule (Endoprothesenschule), die eine Woche vor der Operation stattfindet, wird der Patient bestmöglich für die Behandlung aktiviert [23], was sich nach Yoon et al [24] signifikant auf die Verweildauer auswirkt.

Die Optimierung der Behandlungsprozesse kann nur stattfinden, wenn alle Anwender über ein gemeinsames Verständnis des gesamten Behandlungsverlaufs verfügen [25]. Ein interdisziplinäres Behandlungsteam [26, 22], bestehend aus Operateuren, Anästhesisten, Pflege, Physiotherapie, Sozialdienst etc., trifft sich daher regelmäßig, um sich über die Organisation des Behandlungsablaufes auszutauschen und nach weiteren Optimierungspotentialen zu suchen. Die Entwicklung eines gemeinsamen Verständnisses sowie einer gemeinsamen Sprache über den gesamten Behandlungsprozess erfolgt auf Basis von evidenzbasierten Protokollen, die kontinuierlich an den aktuellen Stand der medizinischen, pflegerischen und physiotherapeutischen Forschung sowie im Abgleich mit praktischen Erfahrungen angepasst werden. Für den Schulterpatienten wird dadurch eine einheitliche Kommunikation und somit eine Behandlungs- und Ablaufsicherheit in jeder Interaktion mit den Anwendern vermittelt.

Das Rapid Recovery-Programm setzt neben der Schulung des Patienten auch auf die positive Wirkung von Gruppendynamik [27]. Es werden Patientengruppen von bis zu 6 Personen gebildet, die gemeinsam aufgenommen, operiert und mobilisiert werden. So erfolgt die Aufnahme einer Patientengruppe am gleichen Tag und auch Physiotherapieübungen werden gemeinsam durchlaufen. Ein Gemeinschaftsraum dient der Gruppe als Übungs- und Essensraum. So wird jede selbstständige Aktivität des Patienten als Übung für die Aktivitäten des täglichen Lebens (ADLs) und damit als Unterstützung für eine möglichst rasche Genesung verstanden. Die Philosophie des Rapid Recovery-Programms folgt der Leitidee, dass sich der Patient so wenig wie möglich alleine im Krankenbett aufhalten soll, da dies oft zu einer sog. „Pyjama Paralyse“ führt. Deswegen findet u.a. eine Mobilisierung bereits am Tag der Operation statt. Die Gruppe aus „Gleichgesinnten“ fördert die Motivation und eine positive Einstellung zur Mobilisierung und Genesung. Auf der anderen Seite findet eine Reduktion der Stimulationsabhängigkeit des Patienten ausschließlich von den primären Leistungserbringern statt.

Die Merkmale des Rapid Recovery-Programms stellen sich wie folgt dar:

Kontinuierliche klinische Verbesserungen

Die Frühmobilisierung der Patienten wird insbesondere durch die Einführung von klinischen Verbesserungen rund um den chirurgischen Eingriff gewährleistet. Hierzu zählen u.a. ein optimiertes Schmerzmanagement, ein Flüssigkeits-, Drainagen- und Kathetermanagement sowie ein spezielles Physiotherapiekonzept. Das Behandlungsteam stellt sich kontinuierlich die Frage, ob die verwendeten Verfahren und Techniken dem aktuellen Stand der medizinischen Forschung entsprechen oder ob es sich dabei um überholte Traditionen handelt. Als Beispiel ist auf die Anwendung von Wunddrainagen hinzuweisen. Die dazu existierende Evidenz zeigt, dass die Verwendung von Wunddrainagen keinen Zusatznutzen bringt [5]. Trotz dieser Erkenntnis werden Drainagen in Deutschland üblicher Weise eingesetzt.

Im Rahmen der medizinischen Optimierung gilt es stets stringent die Patientenperspektive einzunehmen und die Frage zu beantworten, inwieweit die etablierten Maßnahmen und Prozedere einen evidenten Beitrag für eine rasche postoperative Rekonvaleszenz, z.B. durch geringere Übelkeit oder weniger Schmerzen, leisten.

Evaluation

Zur Sicherung einer kontinuierlichen Verbesserung der Behandlung beinhaltet das Rapid Recovery-Programm die Evaluation der operativen Ergebnisse [22]. Das Programm verfolgt das Ziel, eine hauseigene Evidenz aufzubauen. Anerkannte Funktionalitätscores für die Beurteilung der oberen Extremitäten wie z.B. der Constant Score oder auch der Dash Score werden regelmäßig erfasst. Gleichzeitig werden Schmerztagebücher geführt und die Patientenzufriedenheit zu unterschiedlichen Zeitpunkten ausgewertet. Die dadurch geschaffene hauseigene Evidenz wird zur nachhaltigen Qualitätskontrolle, die dem interdisziplinären Team Transparenz über deren Ergebnisse bei der Behandlung und bei der Entscheidung über Neuerungen im Behandlungsverlauf gibt. Wichtig ist dabei, dass nur innerhalb eines vorher gut organisierten und optimierten Behandlungsprozesses Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge einer medizinischen, pflegerischen oder physiotherapeutischen Veränderung ermittelt werden können. Ohne diese Transparenz bleibt unklar, warum welches Ergebnis bei einem Patienten erzielt worden ist und an welchen Stellschrauben zur weiteren Verbesserung angesetzt werden muss.

Darüber hinaus wird durch regelmäßige Befragungen eine Lernbeziehung, sog. „Learning Relationship“ [28], zwischen dem Patienten und den medizinischen Leistungserbringern etabliert und neues Wissen für Prozessinnovationen und klinische Verbesserungen erarbeitet [22].

Gesundheitskommunikation

Die Evaluation liefert aussagekräftige und glaubwürdige Informationen für die Kommunikation gegenüber Krankenkassen, Rehaeinrichtungen, niedergelassenen Ärzten und Patienten. Für den Patienten bedient das Rapid Recovery-Programm ein Informationsbedürfnis. Der Vertrauensaufbau kann jedoch nur gelingen, wenn die Versprechen über den Behandlungsablauf (z.B. Mobilisierung am Tag der Operation) auch tatsächlich erfüllt werden, da ansonsten die Erwartungen und die tatsächlichen Erlebnisse für den Patienten nicht übereinstimmen. Die Realisierung von zuverlässiger und einheitlicher interner und externer Kommunikation ist daher ein wichtiger Erfolgsfaktor.

Bisherige Erfahrungen aus dem Johanna-Etienne-
Krankenhaus Neuss

Nach intensiver Prüfung und Diskussion der Rapid Recovery-Prinzipien entschied sich das Team der orthopädischen Abteilung des Johanna-Etienne-Krankenhauses für die Entwicklung eines Rapid Recovery-Ansatzes für die Schulterendoprothetik. Dafür begann Anfang 2011 die konzeptionelle Entwicklung mit der Etablierung einer interdisziplinären Steuerungsgruppe, bestehend aus Ärzten aus der Orthopädie und Anästhesie sowie aus den beteiligten Pflegekräften, Schmerzmentoren, Physiotherapeuten, Casemanagement, Sozialdienst, Qualitätsmanagement sowie unterschiedlichen Arbeitsgruppen.

In der ersten Phase wurden dann die oben beschriebenen Rapid Recovery-Prinzipien für die elektive Schultergelenkersatzversorgung implementiert. Insbesondere die aktive Rolle des Patienten im Behandlungsablauf stand dabei im Mittelpunkt. Es stellte sich heraus, dass die erste Stufe des Rapid Recovery-Programms (Prozessoptimierung) ohne weiteres übertragen werden konnte. Als Besonderheit ist darauf hinzuweisen, dass bei den regelmäßigen Treffen des interdisziplinären Teams stets auch ein ehemaliger Patient des Johanna-Etienne-Krankenhauses (Patientenbeauftragter) anwesend war. Damit konnte sichergestellt werden, dass die Patientenperspektive stets im Mittelpunkt steht und die geplanten Veränderungen direkt über ein Patientenfeedback auf ihren Zusatznutzen hin überprüft werden konnten. Dieses stellte sich als ein erheblicher Zugewinn im Rahmen der Steuerungsgruppensitzungen heraus und war in dieser Art noch nicht beim Knie- und Hüftprogrammen implementiert.

Die erste klinische Umsetzung des Rapid Recovery-Ansatzes mit einer Pilotgruppe war bereits im Juli 2011 möglich. Seitdem wurden monatliche Rapid Recovery-Zyklen durchgeführt.

In der zweiten Stufe ging es vor allem um die Diskussion der möglichen medizinischen Verbesserungen. Veränderungen wie bspw. keine Verwendung von Drainagen, Reduktion der Opiatverwendung auf ein Minimum, Vermeidung von Blutkonserven, Einführung eines Trinkplans und Reduktion der Zeit, in der der Patient nüchtern bleibt, sowie Mobilisierung innerhalb von 4h post OP konnten bereits umgesetzt werden. Die Hinterfragung des täglichen medizinischen Tuns soll dazu führen, dass einzelne Bereiche der Gesamtbehandlung kritisch betrachtet und möglichst nach aktueller Evidenz angepasst werden.

Die bisherige Auswertung von versorgungsspezifischen Variablen (u.a. Verweildauer, Informationsstand des Patienten, Zufriedenheit mit der Behandlung, reibungsloser und transparenter Behandlungsablauf etc.) sowie von ausgewählten Mitarbeiter- und Patienteninterviews zeigt, dass der Rapid Recovery-Ansatz für die elektive Schulterendoprothetik bereits nach kurzer Zeit positive Effekte aufweist. Die durchschnittliche Verweildauer nach einer Schultergelenkersatz-Operation liegt in Deutschland bei 13 Tagen [29] (ermittelt auf Basis OPS-Daten). Erste messbare Ergebnisse zeigen bereits eine Reduzierung der Verweildauer um zwei Tage, von 11 auf 9 Tage. Dieser Effekt ist insbesondere auf die Einführung einer Patientenschule, auf die Befolgung eines stringenten täglichen Behandlungsplans mit festen Uhrzeiten, auf die Entwicklung und Etablierung umfänglicher Informationsmaterialien zur Schulterversorgung sowie auf das speziell für die Rapid Recovery-Patienten entwickelte intensive Physiotherapiekonzept zurückzuführen. Anhand von vorher festgelegten und konsequent verfolgten Entlassungskriterien wie Schmerz unter VAS < 4, trockene reizlose Wunde, fallender CPR-Wert und Erfüllung der ADLs konnte die Reduktion der Verweildauer auf eine schnellere Genesung des Patienten sowie eine Reduktion der organisatorischen Engpässe zurückgeführt werden. Erste Erfahrungsberichte bestätigen zudem, dass sich die Behandlungsqualität und die Zufriedenheit von Mitarbeitern und Patienten ebenfalls verbessert haben.

Eine ausführliche Datensammlung und –auswertung wird im Rahmen einer Dissertation begleitend durchgeführt, die der Frage nachgeht, wie sich Rapid Recovery-Programme für die Schulter-endoprothetik auf den Outcome (u.a. Beweglichkeit, Schmerz, Patientenzufriedenheit und Liegedauer) der Patienten jeglichen Alters auswirken. Ausgeschlossen werden Frakturprothesen, ein- und zweizeitige Revision sowie Patienten, die heim- und pflegebedürftig sind. Der Outcome wird zum einen mit Hilfe des Constant Scores, dem Dash Score und einer Röntgenkontrolle gemessen. Untersuchungszeitpunkte sind: präOP, 6 Wochen postOP, 3 Monate postOP, 6 Monate postOP, 1 Jahr postOP. Zum anderen wird anhand eines Schmerztagebuches und der darin enthaltenen VAS-Skala die Schmerzentwicklung gemessen. Die Zufriedenheit der Patienten fließt als abschließender Parameter in die Outcomemessung ein. Die Vergleichsgruppe stellen Patienten ohne Behandlung nach dem Rapid Recovery-Programm dar. Erste Ergebnisse werden voraussichtlich im Herbst 2012 aufbereitet.

Fazit und klinische Relevanz

Die vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt, dass die Prinzipien eines Rapid Recovery-Ansatzes ohne weiteres auf die Schulterendoprothetik konzeptionell übertragbar sind. Damit ist es gelungen, organisatorische und klinische Verbesserungen in der Versorgung der Patienten zu erreichen. Erste Qualitätseffekte in der Behandlung von Schultergelenkersatz-Patienten haben sich bereits kurz nach der Einführung gezeigt. Weitere Ergebnisse werden im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung bis Ende 2012 erwartet.

Ungeachtet dessen handelt es sich beim Rapid Recovery-Ansatz für die Schulterendoprothetik um ein lernendes System, das stets den Patientennutzen in den Mittelpunkt stellt. Eine sichere und rasche Rekonvaleszenz unter Berücksichtigung der physischen und psychischen Stressfaktoren sowie der aktuellen medizinischen Evidenz ist Ziel der Schulterbehandlung unter Rapid Re-
covery-Bedingungen. Von daher kann die klinische Relevanz als nicht hoch genug eingestuft werden, da die Rapid Re-
covery-Prinzipien die Anwender immer wieder aufs Neue dazu anregen, sich mit der bestmöglichsten Behandlung für den Schulterpatienten auseinanderzusetzen.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Dr. h.c. Jörg Jerosch

Johanna-Etienne-Krankenhaus

Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin

Am Hasenberg 46

41462 Neuss

E-Mail: j.jerosch@ak-neuss.de

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Fussnoten

1 Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin, Johanna-Etienne-Krankenhaus, Neuss

2 Biomet, Berlin

DOI 10.3238/oup.2012.0167-0172

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