Übersichtsarbeiten - OUP 04/2016

Refresherkurs Sonografie der Bewegungsorgane*
Schultersonografie, Standardebenen, Untersuchungsgang und FunktionstestsUltrasound examination of the shoulder, instructional course, standard positions and functional tests

Für die Ebene 2, frontal vor dem Akromion, wird die Schallsonde mit Drehpunkt über dem Tub. majus kranialseitig vor das Akromion gedreht, bis das Akromion verschwindet und die ventrale Supraspinatussehne unmittelbar hinter dem Rotatorenintervall in ihrem Verlauf beurteilt werden kann; Schnitt durch das coracoacromiale Fenster [2, 7, 8] (Abb. 8). Auch in diesen Ebenen wird nach Strukturveränderungen der Sehnenanteile des Rotatorenintervalls, der Bursa und der Knochenkonturen gesucht. Anschließend zurückdrehen zur Ebene 3 im ventralen, zentralen und dorsalen Akromion-Bereich, um den Ansatz der ventralen, mittleren und dorsalen Anteile der Supraspinatussehne und der ventralen Infraspinatussehne zu beurteilen (Abb. 6).

In der Ebene 5, transversal sagittal von dorsal, wird der dorsale Glenoidrand mit Labrum glenoidale eingestellt und neu fokussiert. Lateral ist der dorsale Aspekt des Humeruskopfs dargestellt, bei Rotation des Arms wird die Interaktion des Labrums mit der Gelenkfläche des Humeruskopfs beobachtet (Abb. 9A). In maximaler Außenrotation würde sich ein Gelenkerguss oder eine synoviale Reizung am besten darstellen lassen, ebenso Usuren, degenerative Gelenkrandausziehungen oder Frakturstufen, welche die Außenrotation einschränken können. Eine eventuelle Hill-Sachs-Delle liegt kranial von dieser Ebene.

Um die ventro-dorsale Stabilität im Schubladentest zu prüfen, legt der Untersucher die Finger 2–4 flach von ventral auf den Humeruskopf des entspannten Patienten und drückt den Humerus dosiert im Glenoid nach dorsal, der Daumen des Untersuchers hält an der spina scapulae von dorsal dagegen. Bei Instabilität wird die Dislokation des Humeruskopfs gegen das dorsale Labrum beobachtet und im Bedarfsfall gemessen. Anschließend drückt der Untersucher von dorsal mit dem Schallkopf gegen den Humeruskopf des entspannten Patienten, um die Dislokation nach ventral zu bestimmen. Bei Instabilität nach ventral ist die Aufhebung des Gelenkschlusses zwischen Labrum und Gelenkfläche und ein Ring-Down-Artefakt in den Gelenkspalt zu beobachten (Abb. 9B–C, Tab. 2).

Ergänzende Ebenen

Ebene X, sagittal von kranial auf den Humeruskopf, „Radmuster“, zur Beurteilung der kranialen Anteile der Rotatorenmanschette, der langen Bizepssehne, des Rotatorenintervalls und des Lig. glenohumerale [7, 8] (Abb. 10). Die Sonde wird medial vom Tub. majus und lateral des Akromions von kranial aufgesetzt, die Rotatorenmanschette somit im Querschnitt erfasst. Für eine optimale Darstellung wird der Schallkopf geringfügig dorsoventral verschoben, um Bizepssehne und Rotatorenmanschette exakt quer zu treffen. Da der Humeruskopf rund und der Abstand der Ebene vom Tub. majus nicht genau definiert ist, sind bei Defekten der Rotatorenmanschette und der langen Bizepssehne in dieser Ebene Fehlinterpretationen nicht auszuschließen.

Ebene Y, Humerus longitudinal, sagittal von dorsal, vom Akromion zum dorsalen Humerus [5, 3, 13, 14] zur Beurteilung von z.B. Achsenfehlern nach Frakturen und der dorsalen Anteile der Rotatorenmanschette im Querschnitt (Abb. 11).

Ebene frontal von kranial über dem AC-Gelenk zur Prüfung der Stabilität: Nach Darstellung der geraden kranialen Kontur des Akromions wird zunächst durch Druck auf die laterale Clavicula und anschließend durch Zug am Arm die jeweils erreichbare maximale Auslenkung des lateralen Clavicula-Endes zum Akromion bestimmt und ausgemessen (Abb. 12). Frakturen des lateralen Clavicula-Endes, hypoechogene Zonen (HEZ) nach Distorsionen ohne oder mit Instabilität, degenerative Gelenkrandausziehungen und Usuren sind nachweisbar 9. Die Stabilität des AC-Gelenks in dorso-ventraler Richtung kann in ähnlicher Weise in einem sagittalen Schnitt von ventral über dem AC-Gelenk beurteilt werden [3, 4].

Ventraler Pectoralis-Rand-Schnitt, sagittal von ventral am Unterrand des M. pectoralis major in Richtung ventro-caudales Glenoid: In Rückenlage des Patienten wird die Schallsonde etwas in die Tiefe gedrückt. Unter Rotation des Arms kann das ventrale Labrum glenoidale und seine Interaktion mit der Gelenkfläche des Humeruskopfs beobachtet und seine Form und Stabilität beurteilt werden (Abb. 13). Labrum- und Bankart-Läsionen sind so nachweisbar, präoperativ wird der Operateur zur Dokumentation auf ein MRT, ggf. mit Kontrastmittel i.a., nicht verzichten wollen.

Der axilläre Längsschnitt (Abb. 14) ermöglicht die Darstellung von Verletzungen und Veränderungen am caudalen Glenoid und Trizepsursprung und wird besonders von Rheumatologen zur Darstellung von synovialen Veränderungen und Usuren geschätzt [16].

Im transversalen Longitudinalschnitt, sagittal von ventral über dem Sternoclaviculargelenk, lassen sich traumatische, degenerative und entzündliche Veränderungen sowie Instabilitäten des Gelenks erfassen (Abb. 15).

Ergebnisse

In den letzten 30 Jahren hat sich die Sonografie des Schultergelenks dem in der Untersuchungstechnik Erfahrenen und Geübten zum Goldstandard der funktionsorientierten Schulterdiagnostik entwickelt. Neben den mit hoch auflösenden Geräten sehr gut erkennbaren Strukturveränderungen der Rotatorenmanschette, der Gelenkränder einschließlich des Labrums, der Sehnen, Bänder, Muskulatur und der Schleimhaut in den sonografisch einsehbaren Bereichen, können Gelenkbewegungen und Funktionen, Instabilitäten und Impingement-Phänomene beobachtet und ausgemessen werden [11, 12]. Bei der großen und zunehmenden Anzahl von Menschen mit Schulterbeschwerden kann so in den meisten Fällen zunächst eine weitere kostspielige Schnittbilddiagnostik vermieden und aufgrund der klinisch und sonografisch festgestellten Funktionsstörungen und -defizite eine gezielte und differenzierte konservative Behandlung und die Optimierung der Verhaltensgewohnheiten veranlasst werden. Leider fehlen häufig immer noch vor und nach angeschuldigten Unfallereignissen zeitnah durchgeführte und qualitativ hochwertige Sonografiebefunde der betroffenen Schultern, auf die z.B. gutachterlich Bezug genommen werden könnte.

Diskussion

Zahlreiche Sonografie-Schnittebenen und Untersuchungstechniken für das Schultergelenk sind beschrieben [3, 5, 7, 10, 13, 14], die hier aufgeführten Ebenen sind mit dem Arbeitskreis Bewegungsorgane der Deutschen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (DEGUM) konsentiert. Die Sonografie erlaubt im Vergleich zu anderen bildgebenden Verfahren darstellbare Strukturen und Veränderungen unter Sicht direkt in Funktion zu beobachten und zu analysieren. Als Nachteil gilt, dass die Untersuchungsergebnisse abhängig sind von Ausrüstung und Erfahrung des Untersuchers und das eingefrorene Bild nur die Dokumentation eines Artefakt-anfälligen Momenteindrucks in einer begrenzt genau reproduzierbaren Schnittebene erlaubt. Zudem können nicht alle Strukturen dargestellt werden. Daher sind doppelblind randomisierte, prospektive Vergleichsstudien mit Röntgen, CT oder MRT- Untersuchungen nur schwer möglich und finden nur begrenzt Interesse und Akzeptanz. Der im Fachgebiet und in der Sonografie erfahrene Arzt hat mit der Ultraschalldiagnostik jedoch selbst ein potentes bildgebendes Verfahren in der Hand für den verantwortlichen Einsatz bei begrenzten Ressourcen. Präoperativ wird allerdings bislang noch ein Operateur zur eigenen Absicherung nicht auf eine Schnittbilddiagnostik verzichten.

Schlussfolgerung

SEITE: 1 | 2 | 3