Arzt und Recht - OUP 11/2018

Sanktionierungsmöglichkeit der Kassenärztlichen Vereinigungen
Zu wenig bekannt

Heiko Schott1

1 Kanzlei Schmelter & Schott, Gelsenkirchen

2 Im Jahre 2015 von 10.000 Euro auf 50.000 Euro angehoben.

3 BVerfGE 21, 378; BSG Urteil vom 08.03.2000 zu Az. B 6 KA 62/98R.

Sowohl niedergelassenen Ärzten als auch Klinikern ist hinlänglich bekannt, dass ärztliches Verhalten strafrechtlich relevant sein kann. Insbesondere sind hier die Bereiche der Körperverletzung, des Abrechnungsbetrugs und – seit Neuestem – die Problematik der Korruption im Gesundheitswesen geläufig. Darüber hinaus ist weitestgehend ebenfalls bekannt, dass auch rein berufsrechtswidriges Verhalten – gemessen an der jeweils einschlägigen Berufsordnung – zu Sanktionen der Ärztekammern führen kann.

Ein oft unbekanntes Sanktionssystem stehen außerdem den jeweils zuständigen Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) zur Verfügung.

Zur Ahndung von Pflichtverletzungen hat jede Kassenärztliche Vereinigung eine Disziplinarordnung in Satzungsform, in denen als Maßnahmen Verwarnung, Verweis, Geldbuße bis 50.000 Euro2 sowie das Ruhen der Zulassung bis zu maximal 2 Jahren zur Verfügung stehen (vgl. § 81 Abs. 5 SGB V). Gegenstand eines Disziplinarverfahrens kann demgemäß nur die Verletzung mindestens einer vertragsärztlichen Pflicht sein. Diese sind – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – beispielsweise die Pflicht zur peinlich genauen Abrechnung, die Pflicht zur Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit (Präsenzpflicht), die Pflicht zur Behandlung von Kassenpatienten, die Pflicht zur Teilnahme am Notdienst, die Pflicht zur ordnungsgemäßen Dokumentation, die Fortbildungspflicht, die Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung, die Pflicht zur wirtschaftlichen Aufklärung von patienteninitiierten, individuellen Gesundheitsleistungen.

Denknotwendig sind nur Mitglieder der Kassenärztlichen Vereinigung deren Disziplinargewalt unterworfen. Insofern betroffen sind niedergelassene Ärzte, die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen, angestellte Ärzte in MVZ sowie ermächtigte Krankenhausärzte.

Interessant scheint in diesem Zusammenhang, dass das Verbot der sogenannten Doppelbestrafung nach Artikel 103 Grundgesetz nach der Rechtsprechung bei Disziplinarmaßnahmen nicht tangiert ist. Wird ein Arzt für ein Verhalten strafrechtlich sanktioniert, kann parallel hierzu noch eine Disziplinarmaßnahme verhängt werden, da – zumindest nach der Rechtsprechung – verschiedene, sich nicht ausschließende Rechtskreise betroffen sind3. Während eine strafrechtliche Sanktion unter anderem Vergeltung und Sühne zum Zweck hat, soll die Disziplinarmaßnahme präventiv und eben nicht repressiv bewirken, dass die der Disziplinargewalt unterworfene Person in ihrer besonderen Pflichtenstellung wieder tragbar wird.

In der Praxis scheint diese Materie – jedenfalls gelegentlich – auch den Kassenärztlichen Vereinigungen Probleme in der Anwendung zu bereiten. Zwar wird zunehmend das System des Disziplinarrechts angewandt, jedoch nicht immer juristisch einwandfrei. In einem aktuellen Verfahren belegte die KV Nordrhein zwei niedergelassene Orthopäden in Gemeinschaftspraxis mit Bußgeldern in Höhe von jeweils 5.000 Euro. Gemäß dem Eröffnungsbeschluss des Vorsitzenden des Disziplinarausschusses wurde den Ärzten vorgeworfen, ihre vertragsärztlichen Pflichten durch

Nichtbehandlung von GKV-Patienten und der

Doppeltabrechnung von Leistungen

verletzt zu haben.

Der Nichtbehandlung von GKV-Patienten lag der Sachverhalt zugrunde, dass Patienten für Röntgenleistungen, Notfälle ausdrücklich ausgenommen, eine Wartezeit von bis zu vier Wochen mit Termin in Kauf zu nehmen hatten. Bei der Doppeltabrechnung sollen die Betroffenen Röntgenleistungen gegenüber der KV geltend gemacht haben, obwohl die Patienten diese Leistungen als Selbstzahlerleistungen beglichen hätten.

Der letztgenannte Vorwurf stellte sich in dem Verfahren als unhaltbar und schlicht unzutreffend heraus. Der erstgenannte Vorwurf hingegen wurde „über Eck“ aufrechterhalten. Den Patienten wurde in der Praxis ermöglicht, mit deutlich kürzerer Wartezeit auf ausdrücklichen Wunsch hin die Leistung im Rahmen der Privatsprechstunde abzurufen. Nachdem in dem Verfahren die Verteidigung darauf hinwies, dass die Kassenärztliche Vereinigung keinerlei Vorgaben hinsichtlich der von dort als zulässig erachteten Wartezeit machen konnte und auf Nachfrage auch nicht machte, vertrat der Disziplinarausschuss die Rechtsansicht, dass dann jedenfalls in der Übertragung des Patienten in die Privatsprechstunde eine Nichtbehandlung von GKV-Versicherten zu sehen sei; auch, wenn die Wartezeit als solche objektiv nicht zu beanstanden sei.

Außerdem verhängte die kassenärztliche Vereinigung Bußgelder gegen beide ärztlichen Gesellschafter, unabhängig davon, welcher Arzt konkret die betreffenden Patienten behandelte. Begründet wurde dies mit dem Gedanken, dass jeder Arzt als Gesellschafter einer Gemeinschaftspraxis neben der allgemeinen zivilrechtlichen Haftung auch die disziplinarische Verantwortung auch für die Verfehlungen des anderen Gesellschafters trage. Im Übrigen begründe –im Gegensatz zu einer Praxisgemeinschaft – auch die Organisationsstruktur einer Gemeinschaftspraxis generell die disziplinarische Verantwortlichkeit für Mitgesellschafter.

Den Rechtsansichten der Kassenärztlichen Vereinigung trat die Verteidigung entgegen und erhob Klage zum Sozialgericht Düsseldorf. Das Sozialgericht gab der Klage statt und hob den Disziplinarbeschluss der Verteidigung folgend auf. Das Gericht stellte heraus, dass das Verfahren an erheblichen formellen Fehlern litt und insbesondere bereits die Anhörung der Beteiligten zumindest teilweise unterblieb. Darüber hinaus sieht das Sozialgericht keine Rechtsgrundlage für die disziplinarische Dritthaftung, sondern nur für eigenes Fehlverhalten.

Das Verfahrensrecht und die jeweiligen Disziplinarordnungen der einzelnen kassenärztlichen Vereinigungen sind durchaus komplex und unübersichtlich, weshalb dringend angeraten werden muss, im Falle eines KV-seitigen Vorwurfes wohlüberlegt und nicht vorschnell zu handeln. Das geschilderte Fallbeispiel zeigt, dass Einzelheiten relevant sein können, die die Verfahrensbeteiligten selbst übersehen können. Gleichfalls muss davon abgeraten werden, solche Verfahren, die, wie oben dargestellt bis zum zweijährigen Ruhen der Zulassung, Sanktionen entfalten können, ohne fachanwaltlichen Rechtsbeistand zu führen. Art und Umfang
der Disziplinarmaßnahmen werden oftmals schlicht unterschätzt.

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Rechtsanwalt Heiko Schott

Fachanwalt für Medizinrecht

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