Übersichtsarbeiten - OUP 12/2014

Schmerztherapie in der Orthopädie und Unfallchirurgie – die neuropathische Schmerzkomponente nicht vergessen

Antikonvulsive Medikamente habe eine lange Tradition in der Behandlung neuropathischer Schmerzen. Ältere Substanzen wie das Carbamazepin spielen nur noch eine untergeordnete Rolle. Lediglich bei der Therapie der Trigeminusneuralgie sind sie noch Medikament der ersten Wahl. Nebenwirkungen wie hepatische Enzyminduktion und zentralnervöse Nebenwirkungen müssen beachtet werden.

Von großer Bedeutung sind die beiden Substanzen Gabapentin und Pregabalin. Gabapentin ist strukturell verwandt mit ?-Aminobuttersäure (GABA), weist aber keine GABAerge Wirkung auf. Die Wirkung beruht auf einer Hemmung der glutamatergen Erregungsübertragung durch Blockade der präsynaptischen spannungsabhängigen Kalciumkanäle.

Die Substanz hat sich im klinischen Alltag sehr gut bewährt und ist unkompliziert in ihrer Anwendung. Im Vergleich zu den klassischen Antiepileptika zeichnet sie sich durch ein sehr günstiges Nebenwirkungsprofil und praktisch fehlende Arzneimittelinteraktionen aus. Hierdurch hat sich sowohl Gabapentin als auch Pregabalin insbesondere im Einsatz bei älteren Patienten bewährt [7], welche häufig zahlreiche Medikamente einnehmen. Pregabalin wird als Nachfolgepräparat von der Firma Pfizer unter dem Handelsnamen Lyrica seit 2004 vertrieben. Es hat ein vergleichbares pharmakologisches Profil wie Gabapentin [8]. Mittlerweile wird vermutlich aufgrund der etwas einfacheren Eindosierung häufig initial Pregabalin verordnet.

Gabapentin zählt zu den neueren Antiepileptika und wird mittlerweile generisch angeboten. Es bindet hochaffin an die ?2?-Untereinheit der spannungsgesteuerten Ca2+ -Kanäle. Es wirkt aber nicht auf GABA-A- oder GABA-B-Rezeptoren. Pharmakokinetisch gibt es Besonderheiten zu beachten. Als lipophile Substanz permeiert es gut die Blut-Hirn-Schranke. Die Resorption ist dosisabhängig und verläuft nur bis zu einer Gabe von 2.400 mg linear (höhere Dosen versprechen daher keine entsprechende Wirkverstärkung). Die Resorption wird durch Nahrungsmittel nicht beeinflusst und nach etwa 2–3 Stunden werden maximale Plasmakonzentrationen erreicht. Die Bioverfügbarkeit wird durch die gleichzeitige Einnahme von Antazida um etwa 20 % reduziert. Es besitzt eine sehr geringe Plasmaeiweißbindung und wird nahezu zu 100 % über die Niere ausgeschieden. Bei Patienten mit Niereninsuffizienz muss die Dosis entsprechend der Kreatinin-Clearence angepasst werden. Relevante Arzneimittelinteraktionen treten nicht auf, jedoch muss bei einer Niereninsuffizienz eine Dosisanpassung erfolgen. Aus pharmakokinetischen Gesichtspunkten sollte die Tagesdosis grundsätzlich auf 3 Einzeldosen verteilt werden. Die Eindosierung erfolgt mit 3-mal 100 mg. Die Dosissteigerung um 300 mg tgl. in Abhängigkeit vom Allgemeinzustand und Alter des Patienten sollte alle 1–5 Tage erfolgen.

Gabapentin verfügt zusammen mit Pregabalin über einen Wirkmechanismus, welcher diese Medikamente von den anderen Antiepileptika grundlegend unterscheidet. Beide beeinflussen spannungsgesteuerte Ca2+-Kanäle („voltage-dependent calcium chanels“, VDCC). Sie finden sich im zentralen und peripheren Nervensystem und steuern die Neurotransmission. Der Kanal besteht aus mehreren Untereinheiten. Gabapentin und Pregablin binden an die ?2?-Untereinheit [9] und reduzieren hierdurch den Kalziumeinstrom in die Zelle. Dies führt zu einer Inhibition der exzitatorischen Neurotransmission. Die reduzierte Ausschüttung von Glutamat führt zu einer verminderten Aktivierung von AMPA-Rezeptoren und Noradrenalinfreisetzung im Gehirn [10]. Dieser Effekt konnte für diese Substanzen auch an den dorsalen Spinalganglien gezeigt werden [11].

Beide Substanzen werden gut vertragen. Insbesondere zu Beginn der Therapie kann es zu Müdigkeit, Benommenheit und Schwindel kommen. Gelegentlich kann eine Gewichtszunahme auftreten. Es gibt keine Untersuchung, welche die Überlegenheit einer der beiden Substanzen überzeugend belegen würde. Häufig wird Gabapentin nicht richtig aufdosiert, sodass es nicht ausreichend wirken kann. Schmerztherapeutisch sind Tagesdosen von 900–2.400 mg, verteilt auf 3 Tagesdosen, sinnvoll. Aus Verträglichkeitsgründen sollte die Substanz langsam aufdosiert werden (s. oben). Unserer Erfahrung nach lässt sich Pregabalin etwas rascher aufdosieren. Hier werden Tagesdosen von 150–600 mg, verteilt auf 2 Tagesdosen angestrebt. Bei jüngeren Patienten kann initial mit 2-mal 75 mg begonnen werden. Ältere Patienten sollten zunächst mit 2-mal 25 mg Pregabalin therapiert werden. Häufig reichen hier auch niedrigere Gesamtdosierungen aus. Wegen stärker regierender Effekte kann eine höhere Dosis zur Nacht angestrebt werden.

Opioide

Eine weitere Behandlungsoption stellen die Opioide dar. Hier gibt es zahlreiche Substanzen, die sich in der Behandlung bei Patienten mit einem „Mixed Pain“ bewährt haben. Zunächst werden meist die schwach wirksame Opioide wie Tramadol oder Tilidin versucht. Wichtig ist hier, dass retardierte Formulierungen der Präparate eingesetzt werden. Auf die Problematik der Kombination von Tramadol mit Duloxetin wurde bereits eingegangen (s.o.). Sinnvoll kann eine Kombination von Opioiden mit Antikonvulsiva oder Antidepressiva sein. Auch hochpotente Opioide werden zur Behandlung neuropathischer Schmerzen eingesetzt, ihr Nutzen ist gut belegt. Insbesondere bei akuten neuropathischen Schmerzen ist ihr Einsatz sinnvoll. Eine Vielzahl an Substanzen steht zur Verfügung. Es gibt orale Substanzen, aber auch transdermale Systeme. Die Auswahl des Präparats hängt von zahlreichen Faktoren wie Niereninsuffizienz, Verdauungsproblemen, Schluckstörungen, niedrigste mögliche Dosierung etc. ab und muss individuell getroffen werden. Auch bei den hochpotenten Opioiden sollte auf den Einsatz schnell freisetzender Formulierungen verzichtet werden.

MOR – NRI

Neu in den Leitlinien aufgenommen wurde die Substanzklasse der Morphin-Agonist-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer (MOR-NRI). Hierbei handelt es sich um eine hochpotente Substanz mit einem neuen Wirkmechanismus. Die Verordnung der Substanz ist BTM-pflichtig. Sie wurde insbesondere aus der Idee weiterentwickelt, die opioidtypischen Nebenwirkungen wie Sedierung, Vigilanz, Obstipation usw. zu reduzieren. Tapentadol ist aktuell der einzige Vertreter dieser Substanzklasse. Das Medikament weist eine relativ schwache Wirkung am Opiodrezeptor auf. Dies führt dazu, dass die opioidtypischen Nebenwirkungen deutlich geringer ausgeprägt sind. Zusätzlich kommt es durch die Einnahme des Medikaments zu einer Noradrenalinwiederaufnahmehemmung. Noradrenalin hat eine inhibitorische Wirkung auf nozizeptive Projektionsneurone und hemmt hierdurch die Schmerzweiterleitung [12]. Die Verstärkung einer Opioidanalgesie durch ?2 -Adrenozeptoragonisten ist seit vielen Jahren bekannt [13]. Insofern ist es eine logische Konsequenz, beide Mechanismen zu kombinieren. Interessanterweise kommt es durch beide Mechanismen zu einer synergetischen analgetischen Wirkung, sodass Tapentadol eine vergleichbare analgetische Potenz wie beispielsweise Oxycodon aufweist. Dies aber bei einem deutlich besseren Nebenwirkungsprofil. Es bestehen keine relevanten Arzneimittelinteraktionen. Man beginnt mit 2-mal 50 mg täglich und sollte es nach 3 Tagen auf 2-mal 100 mg täglich aufdosieren. Die Tageshöchstdosis liegt bei 500 mg. Im Falle einer Umstellung von einem anderen Opioid auf Tapentadol ist die schwache Wirkung am µ-Opioidrezeptor zu berücksichtigen, um eine Entzugssymptomatik zu vermeiden. Das Umstellungsverhältnis von Oxycodon zu Tapentadol beträgt 1 : 5, von Morphin auf Tapentadol 1 : 2,5. Mittlerweile gibt es mehrere Untersuchungen, welche die gute Wirksamkeit auf mehrere Komponenten des Schmerzes, insbesondere auch auf die neuropathische Komponente zeigen.

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