Arzt und Recht - OUP 06/2013
Sehr geringe Fallzahlen und Beachtung der Heilmittel-Richtlinien – trotzdem Regress!
Vergleichsgruppe: Mindestfallzahl, Praxisstruktur
Die Fallzahl des klagenden Arztes reiche als Grundlage für eine Vergleichsprüfung anhand von Durchschnittswerten der Fachgruppe aus. Die Eignung für einen solchen Vergleich sei erst dann zu verneinen, wenn die Fallzahlen des geprüften Arztes so weit unterhalb der Durchschnittswerte der Fachgruppe liegen, dass ein Vergleich nicht mehr aussagekräftig ist. Für einen aussagekräftigen Vergleich hat der Senat auf eine Fallzahl des geprüften Arztes von und dabei abgestellt (BSG Urteil vom 11.06.1986, Az. 6 RKa 2/85, ArztR 1987, 196, 208; Urteil vom 02.09.1987, Az. 6 RKa 8/87, ArztR 1988, 145). Dieses Mindestmaß habe der Kläger nicht unterschritten. Seine Fallzahlen lagen in den kritischsten der hier streitgegenständlichen Quartale um maximal 40 % unter der durchschnittlichen Fallzahl der Fachgruppe, d.h. sie beliefen sich stets auf mehr als 60 % der Vergleichsgruppe.
Der beklagte Beschwerdeausschuss durfte nach Auffassung des BSG das Verordnungsvolumen des klagenden Arztes auch mit demjenigen der Orthopäden im selben KV-Bezirk vergleichen. Die Bildung einer engeren – verfeinerten – Vergleichsgruppe sei nicht geboten gewesen. Deren Bildung bedürfe es allenfalls dann, wenn die Struktur der Praxis des geprüften Arztes sowohl hinsichtlich der (vgl. dazu BSG Urteil vom 06.09.2000, Az. B 6 KA 24/99 R, ArztR 2001, 137; Urteil vom 21.05.2003, Az. B 6 KA 32/02 R, ArztR 2004, 107; Urteil vom 14.12.2005, Az. B 6 KA 4/05 R, ArztR 2006, 276). Dies kann der Fall sein, wenn ein Arzt eine Zusatz- bzw. Schwerpunktbezeichnung führt, sofern diese Niederschlag im Leistungsspektrum oder in der Ausrichtung der Praxis findet (BSG Urteil vom 14.12.2005, Az. B 6 KA 4/05 R, ArztR 2006, 276). Die Prüfgremien dürfen solche Abweichungen von der Durchschnittspraxis aber auch – statt durch Bildung einer engeren Vergleichsgruppe – im Rahmen eines späteren Prüfungsschritts als Praxisbesonderheit oder durch Zugeständnis einer größeren Überschreitung des Fachgruppendurchschnitts berücksichtigen (BSG Urteil vom 15.04.1980, Az. 6 RKa 5/79, ArztR 1980, 258; Urteil vom 08.05.1996, Az. 6 RKa 45/95, ArztR 1997, 147; Urteil vom 27.06.2007, Az. B 6 KA 27/06 R, ArztR 2008, 79). Nach diesen Grundsätzen ist es nicht zu beanstanden, dass die Prüfgremien sich weder durch die vom Kläger geführten Zusatzbezeichnungen Sportmedizin und Chirotherapie noch durch den unterdurchschnittlichen Umfang der in eigener Praxis erbrachten physikalisch-medizinischen Leistungen veranlasst gesehen haben, eine engere Vergleichsgruppe zu bilden.
Die Darlegungs- und Feststellungslast für besondere, einen höheren Behandlungsaufwand rechtfertigende atypische Umstände wie Praxisbesonderheiten und kompensierende Einsparungen obliege dem Arzt (BSG Urteil vom 27.06.2001, Az. B 6 KA 43/00 R, ArztR 2002, 133; Urteil vom 16.07.2008, Az. B 6 KA 57/07 R, ArztR 2009, 156; Urteil vom 06.05.2009, Az. B 6 KA 17/08 R; Urteil vom 18.08.2010, Az. B 6 KA 14/09 R, ArztR 2011, 219). Die Prüfgremien seien allerdings zu Ermittlungen von Amts wegen hinsichtlich solcher Umstände verpflichtet, die typischerweise innerhalb der Fachgruppe unterschiedlich und daher augenfällig sind (vgl. hierzu – betreffend in eigener Praxis oder verordneter physikalisch-medizinischer Leistungen – BSG Urteil vom 08.05.1985, Az. 6 RKa 24/83, ArztR 1986, 32,45).
Begrenzte Ermittlungspflicht der
Prüfgremien
Die Prüfgremien seien jedoch Dies sei nicht Gegenstand der sog. intellektuellen Betrachtung, die medizinisch-ärztliche Gesichtspunkte mitberücksichtigt (zur medizinisch-intellektuellen Prüfung vgl. z.B. BSG Urteil vom 09.03.1994, Az. 6 RKa 18/92, ArztR 1995, 31, 43; Urteil vom 14.12.2005, Az. B 6 KA 4/05 R, ArztR 2006, 276; Urteil vom 27.06.2007, Az. B 6 KA 27/06 R, ArztR 2008, 79). Eine geringe Fallzahl könne vielfältige Ursachen haben; sie könne z.B. auf einer Minderung der Leistungsfähigkeit des Arztes beruhen oder Folge einer für die Patienten geringeren Attraktivität bzw. Überzeugungskraft des Arztes und/oder seiner Praxis sein. Eine geringe Fallzahl könne dazu führen, dass der Arzt, der dadurch eventuell viel Zeit für seine wenigen Patienten hat, geneigt ist, für diese besonders viele Leistungen zu erbringen, womit er unter Umständen zugleich trotz seiner geringen Patientenzahl ein auskömmliches Einkommen anstrebt. Die Vielfalt möglicher Ursachen für eine geringe Fallzahl – für die auch nicht-medizinische Ursachen in Betracht kommen können, die keinen Bezug zum eigentlichen Aufgabenbereich der Prüfgremien haben – spreche gegen die Annahme einer Verpflichtung der Prüfgremien, nach deren Ursache im Rahmen der ihnen obliegenden medizinisch-intellektuellen Prüfung zu forschen. Auch erfordert die Praktikabilität – im Sinne des Gebots, effektive Wirtschaftlichkeitsprüfungen durchzuführen, dass die Prüfgremien bei Fallzahlen von wenigstens 20 % des Fachgruppendurchschnitts im Regelfall die Vergleichbarkeit als gegeben annehmen dürfen.
Unwirtschaftlichkeit trotz Beachtung der Heilmittel-Richtlinie
Eine Unwirtschaftlichkeit könne auch dann gegeben sein, wenn ein Arzt bei jeder einzelnen Verordnung die Frequenzzahlen der Heilmittel-Richtlinien beachtet. Zu unterscheiden sei nämlich zwischen einerseits Einzelfallprüfungen, auf die die Heilmittel-Richtlinien ausgerichtet sind und, vor denen diese den Arzt in gewissem Umfang schützen können, und andererseits Durchschnitts- und Richtgrößen-Prüfungen. Aus der Rechtsprechung des BSG (vgl. BSG Urteil vom 29.11.2006, Az. B 6 KA 7/06 R, ArztR 2007, 218) werde deutlich, dass Durchschnittsprüfungen nicht ausgeschlossen sind, sondern die Heilmittel- Richtlinien und die Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 SGB V nebeneinanderstehen: