Übersichtsarbeiten - OUP 12/2016
Sinn der retrokapitalen Pelotte in der Einlagenversorgung
Michael Gabel1, Anne Ziegler2
Zusammenfassung: Um die Sinnhaftigkeit der Anwendung der Pelotte an der Einlage herrscht derzeit eine aktuelle Diskussion. Ärzte der orthopädischen Disziplin sowie Orthopädieschuhtechniker diskutieren miteinander über die Anwendung, die Indikation und den Nutzen dieses Zusatzes. Am häufigsten eingesetzt wird die Pelotte bei der Diagnosestellung Metatarsalgie. Die Pelotte existiert in verschiedenen Formen und bietet damit unterschiedliche Varianten der Unterstützung. Kontraproduktiv kann sie bei der (möglicherweise unerkannten) Diagnose Morton-Neurom sein. Zur Verordnung einer Pelotte bedarf es einer gründlichen Untersuchung und Diagnostik. Der Beratungsausschuss für Orthopädie-Schuhmacherhandwerk der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC) hat sich bereits um die Empfehlung von Anwendungssituationen sowie die Formulierung von Kontraindikationen bemüht. Der folgende Artikel führt diese aus, stellt Teile der aktuellen Diskussion dar und schließt mit einer Empfehlung für die Praxis.
Schlüsselwörter: Pelotte, Einlage, Metatarsalgie, Transfermetatarsalgie, Morton-Neurom
Zitierweise
Gabel M, Ziegler A: Sinn der retrokapitalen Pelotte in der Einlagenversorgung.
OUP 2016; 12: 692–695 DOI 10.3238/oup.2016.0692–0695
Summary: Regarding the sense of the application of the pad, we are recently facing a debate. Amongst doctors of the orthopaedic discipline and orthopedic shoe technicians the application, the indication and the benefits of this addition are discussed. The diagnosis the pad is most often used for is the metatarsalgia. The pad exists in various forms and thus offers different possibilities of support. In the case of a (possibly unrecognized) Morton’s neuroma, the pad can be a missbenefit. The prescription of a pad requires a thorough examination and diagnosis. The advisory committee of Orthopaedic shoemakers German Society for Orthopaedics and Orthopaedic Surgery (DGOOC) has already tried the recommendation of application situations and the formulation of contraindications. The following article carries them out, provides parts of the current debate and concludes with a suggestion for practice.
Keywords: Pad, insole, metatarsalgia, transfermetatarsalgia, Morton neuroma
Citation
Gabel M, Ziegler A: Sinn der retrokapitalen Pelotte in der Einlagenversorgung.
OUP 2016; 12: 692–695 DOI 10.3238/oup.2016.0692–0695
Hintergründe
Die Füße aller Patienten unterscheiden sich in ihrer Form und unterliegen altersabhängiger Veränderung. Schuhtragegewohnheiten sind genauso unterschiedlich wie die Füße dieser Menschen, ebenso die Belastungen durch Körpergröße, das Gewicht, der Konstitutionstyp, das Gangbild. Der folgende Artikel unternimmt den Versuch, die aktuelle Diskussion um die Pelotte an der Einlage unter Orthopäden und Fußchirurgen sowie Orthopädie-Schuhmachern zusammenzufassen und eine praxiserprobte Empfehlung auszusprechen. In Deutschland werden derzeit jährlich 6 Millionen Menschen mit Einlagen mit einer Pelotte versorgt [4.]. Gelegentlich ergibt sich eine Diskrepanz zwischen dem Wissen um die angewandte Maßnahme, also eine Einlage mit oder ohne Pelotte, und die mit der Maßnahme bewirkte Veränderung.
Metatarsalgie
Metatarsalgie, also Schmerzen unter den Mittelfußköpfen, stärker unter Metatarsale II als unter III und IV, stellt die wichtigste Indikation für die Anwendung einer Pelotte dar [13.].
Die Metatarsalgie entsteht primär durch plantaren Überdruck und geht mit einer Hyperkeratose einher. Sekundär kann die Metatarsalgie strukturell bedingt sein, z.B. entzündlich-rheumatisch, neoplastisch, degenerativ durch eine avaskuläre Knochennekrose, Missbildungs-bedingt oder iatrogen verursacht. Die sekundär entstandene Metatarsalgie bringt Konturveränderungen mit sich. Die Verschiebung der Belastung beim physiologisch ablaufenden Windlass-Mechanismus kann zu einer sogenannten Transfermetatarsalgie führen. Die wichtigste Differenzialdiagnose zur Metatarsalgie ist die Morton-Metatarsalgie, eine schmerzhafte Verdickung der Plantarnerven. Es bilden sich druckschmerzhafte Schwellungen an den Interdigitalnerven in Höhe der Mittelfußköpfe aus, vor allem im intermetatarsalen Raum zwischen den Mittelfußköpfen II und III sowie III und IV.
Häufig bringen die Patienten, die unter dieser Differenzialdiagnose leiden, bereits mehrere Einlagen mit immer höher werdenden Pelotten mit. Diese konnten ihnen jedoch zu keinem Zeitpunkt die Beschwerden nehmen. Schmerzen bei Morton-Neurom haben, wie dargestellt, eine andere Ursache und müssen demnach auch anders behandelt werden.
Klinische Diagnostik
Die klinische Diagnose beginnt mit einer fokusorientierten Anamnese bezüglich der aktuellen Beschwerden und der Begleiterkrankungen des Patienten. Weiterhin lohnt es sich, die derzeit getragenen Schuhe und eventuell schon genutzte Einlagen zu inspizieren. Ein geschicktes diagnostisches Mittel ist außerdem, bei bereits verwendeter Einlage den Fuß mit einem Fettstift zu markieren, die Einlage anzudrücken und zu überprüfen, ob die Einlage genau da entlastet, wo Entlastung erforderlich ist. Im nächsten Schritt werden Beine und Füße im Stehen und Sitzen betrachtet, mit einem besonderen Augenmerk auf Ödeme, Überbeine und Ulcera. Weiterhin ist auf Zehenfehlstellungen zu achten. Diese kommen bei Fußdeformitäten, bei Neuropathien, postoperativ und/oder posttraumatisch sowie bei rheumatisch-entzündlichen Erkrankungen vor. Zum Nachweis der Metatarsalgie empfiehlt sich die Palpation unter den Mittelfußköpfchen und Druckschmerzhaftigkeit; verhornte Schwielen können Hinweise sein. Außerdem ist der Zehenverschiebetest nach Lachmann (auch: Schubladentest) oft positiv.
Zum Ausschluss der bereits erwähnten wichtigsten Differenzialdiagnose können der Mulder-Klick-Test, der N. interdigitalis-Dehnungstest und der Gänsslen-Handgriff dienen.
Apparative Diagnostik
Das Röntgenbild ist in der apparativen Diagnostik das erste Mittel der Wahl. Zum Ausschluss eines nervenbedingten Schmerzes kann im nächsten Schritt neben dem klinischen Befund der Ultraschall dienen. Zum Ausschluss des Morton-Neuroms kann das MRT, möglicherweise sogar mit Kontrastmittel, unterstützend hinzugezogen werden. Die Pedografie, ebenfalls diagnostisch verwendbar, stellt digital die Druckbelastung des Fußes während der Standphase dar und kann auch nach bereits erfolgter Anwendung einer Einlage zur Überprüfung des Effekts der Therapie verwendet werden.
Die Pelotte
Die Pelotte kann in verschiedenen Formen zum Einsatz kommen. In der Tropfenform entfaltet sie eine punktuelle Wirkung, in der Nierenform bietet sie breitere Unterstützung. Außerdem besteht die Möglichkeit, die Mittelfußköpfchen muldenförmig weich zu betten und damit ebenfalls zu entlasten. Eine besondere Variante der Weichbettung ist hier die Schmetterlingsrolle (Abb 1).
Als Stufenentlastung kann die gesamte Breite des Vorfußes entlastet werden, damit auch Metatarsale I und V. In verschiedenen Studien wurde bereits auf Vor-und Nachteile der Pelotte hingewiesen. Unter anderem, dass bei falscher Platzierung die Druckbelastung im zu entlastenden Gebiet weiter ansteigt [1]. Auch eine zu weit proximale Platzierung der Pelotte führt zu Reduktion der gewünschten Druckentlastung [7]. In anderen Studien konnte gezeigt werden, dass bei korrekter Platzierung der Pelotte eine Druckentlastung bis 60 % erreicht werden kann [2, 8]. Der größte Effekt wird der Lokalisation der Pelotte direkt proximal der Metatarsale-Köpfchen zugesprochen [6]. Kein Effekt wiederum hat der Einsatz der Pelotte bei bestehendem Hallux valgus [5].
Diskussion
Aktuell wird zwischen Orthopädieschuhtechnikern und Ärzten in der Orthopädie und Fußchirurgie die Wichtigkeit und der Einsatz der Pelotte in der Einlagenversorgung diskutiert.
Das Lager, das sich komplett gegen den Einsatz einer Pelotte ausspricht, argumentiert mit der tatsächlich überholten Annahme, der Fuß besäße ein Quergewölbe. Es wird argumentiert, dass bei fehlendem Quergewölbe auch eine Unterstützung desselben mit der Pelotte nicht notwendig sei. Die Stabilisierung des Fußes sei viel mehr über das Talonaviculargelenk auf die subtalare Platte zu erreichen. Diese Wirkung würde unter anderem durch die nach der Spiraltechnik angefertigten Einlagen nach Jurtin erreicht. Am Vorfuß sei zusätzlich eine Weichbettung zur punktuellen Entlastung anzustreben [10].
Das kompromisslose Lager der Gegenseite argumentiert, dass mit einer Weichbettung am Vorfuß ein kontraproduktives Absenken der schmerzgeprägten Mittelfußköpfchen erreicht würde. Eine Pelotte sei also in jedem Fall obligat [3].
Wie meist liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte zwischen beiden Positionen. Argumente für den wohl durchdachten Einsatz einer Pelotte bei Einlagenversorgung nach medizinischer Indikationsstellung gibt es einige. Der gesunde Fuß nimmt 30 % des Körpergewichts bei regelrecht funktionierenden Flexoren über den 1. Strahl auf, daher ist es hier empfehlenswert, mit Einlagen mit einer guten Fersenkammer und Unterstützung unter dem Sustentaculum tali zu arbeiten. Bei fixiertem Vorfuß wiederum ist eher eine Weichbettung sinnvoll. Auch dadurch wird ersichtlich: Die Pelotte ist bezüglich Indikation, Form und Platzierung individuell [11].
Unterstützt wird diese Annahme der Individualität des Einsatzes der Pelotte durch eine randomisierte Doppelblind-Kontrollgruppenstudie, bei der eine individuell angepasste Einlage mit Pelotte mit einer Weichbettung verglichen wurde. Im Ergebnis wurde ersichtlich: Die Studienteilnehmer mit individuell angepassten Einlagen wiesen eine deutliche Reduktion der Fußproblematik und eine signifikant bessere Lebensqualität auf. Mehrere Patienten aus der Kontrollgruppe brachen die Studie wegen starker Beschwerden im Verlauf ab. Ausgeschlossen waren Patienten mit den bereits erwähnten Morton-Neuromen. Diese Studie stellt die erste wissenschaftliche Arbeit zu diesem Thema dar, bisher existierten lediglich Expertenmeinungen [4].
Empfehlungen für die Praxis
Der Beratungsausschuss für das Orthopädie-Schuhmacherhandwerk der DGOOC hat nun aufgrund der verschiedenen Expertenmeinungen zu dem Thema Empfehlungen ausgesprochen. Er erachtet die Anwendung der Pelotte als nicht sinnvoll bei statischer Rückfußproblematik ohne Vorfußprobleme, weiterhin nicht sinnvoll, sobald die Schmerzhaftigkeit nicht durch eine Pathologie der Metatarsaleköpfchen bedingt ist (z.B. das Morton-Neurom). Außerdem empfiehlt er bei einem rigiden oder kontrakten Fuß, bettend zu arbeiten.
Eine Pelotte ist wiederum indiziert bei dem metatarsalgieformen Symptomenkomplex mit Ausdünnung der plantaren Platte, einer Transfermetatarsalgie bei Hallux valgus oder rigidus und bei Kleinzehendeformitäten.
Besonders kritisch zu betrachten sind Einlagenrohlinge, die die Pelotte bereits fest vorgeben. Die Indikation, die Platzierung sowie die Formgebung und Shorehärte müssen individuell gewählt werden. Bei einem Spitzfuß bleibt die Pelotte ohne Effekt, bei einem Hohlfuß ist eher eine Stufenentlastung indiziert. Die Pelotte darf darüber hinaus auch nicht zu breit sein, so drängt sie den Vorfuß auseinander. Ebenfalls ist bei der Wahl einer Pelotte eine bestehende Neuropathie bei Diabetes mellitus zu berücksichtigen, in diesem Falle droht die Entstehung eines plantaren Ulcus.
Prävention
Eine Pelotte ist keine präventive Intervention, sondern eine therapeutische. Präventiv wiederum wirken Bewegungsübungen im Sinne der Spiraldynamik nach Dr. Christian Larsen und vergleichbare Konzepte zur Stärkung der intrinsischen Muskulatur, in Selbstanleitung oder mit einem spezialisierten Physiotherapeuten [9].
Fazit
In einer Linie mit dem Beratungsausschuss für das Orthopädie-Schuhmacherhandwerk lässt sich zusammenfassend sagen: Die Pelotte ist nicht obligat, aber eine sinnvolle therapeutische Option. Bei metatarsalgieformen Schmerzen ist eine retrokapitale Stütze in Kombination mit einer Weichbettung der Köpfchen zielführend (Abb. 2). Die Form der Pelotte ist je nach Beschwerden tropfenförmig, nierenförmig oder als retrokapitale Stufe zu wählen. Insgesamt sollte der hypermobile Fuß stärker unterstützt werden als der hypomobile, der rigide oder kontrakte Fuß stellt keine Indikation für eine Pelotte dar. Bei der Anwendung einer Schmetterlingsrolle ist die Pelotte im Schuh obligat.
Schlussendlich ist eine Kombination von individuell angepasster Einlage und orthopädischer Zurichtung am Konfektionsschuh die beste Wahl.
Interessenkonflikt: Keine angegeben
Korrespondenzadresse
Dr. med. Dr. h.c. Michael Gabel
Sana Klinik Bethesda Stuttgart
Hohenheimer Straße 21
70184 Stuttgart
fusszentrum@bethesda-stuttgart.de
michael.gabel@bethesda-stuttgart.de
Literatur
1. Chang AH et al.: Multistep measurement of plantar pressure alterations using metatarseal pads. Foot & Ankle 1994; 15: 654–660
2. Drerup B, Hafkemeyer U, Möller M, Wetz HH: Effect of walking speed on pressure distribution of orthopedic shoe technology. Orthopäde 2001; 30: 169–175
3. Elzte J: Die plantare Vorfußpelotte: Fußformen beachten. Orthopädieschuhtechnik 2011; 4: 18–19
4. Greitemann B, Niemeyer C, Sprekelmeyer T, Eger T, Ullrich M: Wirken Einlagen bei der Metatarsalgie?“ Eine randomisierte Kontrollgruppenstudie. Fuß und Sprunggelenk 2012; 10: 257–264
5. Ferrari J, Higgins JP, Prior TD, Hayda et al.: Interventions for treating hallux valgus (abductovalgus) and bunions. Cochrane Database Syst Rev. 2004; 1: CD000964
6. Hayda R, Tremaine MD, Tremaine K, Banco S, Teed K: Effect of metatarsal pads and their positioning: a quantitative assessment. Foot Ankle Int. 1994; 15: 561–566
7. Hsi WL, Kang JH, Lee XX: Optimum position of metatarsal pad in metatarsalgia for pressure relief, Am J Phys Med Rehabil. 2005; 84: 514–520
8. Holmes GB Jr, Timmerman L: A quantitative assessment of the effect of metatarsal pads on plantar pressures. Foot Ankle 1990; 11: 141–145
9. Larsen C: Gut zu Fuß ein Leben lang: Trainieren statt operieren: Die besten Übungen aus der Spiraldynamik®, Stuttgart: TRIAS, MVS Medizinverlage, 2013
10. Sikorski A: Einlagenversorgung: Adieu Pelotte!, Orthopädieschuhtechnik 2011; 3–2011: 18–19
11. Stinus H: Warum eine Pelotte eine sinnvolle Versorgung sein kann, Orthopädieschuhtechnik 3–2011: 20–21
12. Stinus H für den Beratungsausschuss der DGOOC: Sinn und Unsinn der Pelotte bei Einlagen, Orthopädieschuhtechnik 9–2008: 13–16
13. Wülker N, Schulze M: In: Landsberg/Lech (Hrsg.) Fachlexikon Orthopädie Fuß. Stuttgart: Ecomed, 1998
Fussnoten
1 Sana Klinik Bethesda, Stuttgart
2 Studentin der Humanmedizin, Eberhard Karls Universität, Tübingen