Übersichtsarbeiten - OUP 02/2015

Stellenwert der intertrochantären Osteotomie im Kindes- und Erwachsenenalter

C. R. Fraitzl1, R. Taurman1, H. Reichel1

Zusammenfassung: Mit Einführung der AO-Klingenplatte 1959 entwickelte sich die intertrochantäre
Osteotomie rasch zu einem häufig geübten Operationsverfahren bei einer Vielzahl von Hüftgelenkpathologien. Mit fortschreitender Kenntnis und der Entwicklung neuer operativer Behandlungsstrategien für einige Hüftgelenkerkrankungen – vor allem des Erwachsenenalters – nahm die Zahl der durchgeführten intertrochantären Osteotomien im Laufe der letzten 2–3 Jahrzehnte wieder ab. Gleichwohl gehört die
intertrochantäre Osteotomie für die Behandlung von bestimmten Hüftgelenkpathologien des Kindes- und Erwachsenenalters weiterhin zu den bedeutsamen operativen Verfahren, die der mit Hüftchirurgie Befasste alleine oder in Kombination mit beispielsweise azetabulären Korrekturosteotomien beherrschen muss.

Schlüsselwörter: Intertrochantäre Osteotomie, femorales Antetorsionssyndrom, hohe Hüftluxation, M. Perthes, Epiphyseolysis capitis femoris

Zitierweise
Fraitzl CR, Taurman R, Reichel H. Stellenwert der intertrochantären Osteotomie im Kindes- und Erwachsenenalter.
OUP 2015; 02: 076–081 DOI 10.3238/oup.2015.0076–0081

Summary: With the introduction of the AO blade plate in 1959, intertrochanteric osteotomy became a safe and frequently performed procedure for a variety of hip pathologies. With greater experience and the development of new surgical concepts concerning pathologies of the adult hip in particular, the number of intertrochanteric osteotomies performed has signifcantly decreased in the last 2 or 3 decades. Nevertheless, intertrochanteric osteotomy
remains an important procedure in a hip surgeon’s armentarium for treating hip pathologies in children and adults – frequently in combination with other techniques such as acetabular re-orientation procedures.

Keywords: Intertrochanteric osteotomy, femoral antetorsion,
developmental dysplasia of the hip, Legg-Calvé-Perthes’ disease, slipped capital femoral epiphysis

Citation
Fraitzl CR, Taurman R, Reichel H. The significance of intertrochanteric osteotomy in treating hip pathologies in children and adults.
OUP 2015; 02: 076–081 DOI 10.3238/oup.2015.0076–0081

Intertrochantäre Osteotomie im Erwachsenenalter

Durch die Entwicklung alternativer Operationsverfahren hat die intertrochantäre Osteotomie im Erwachsenenalter in den letzten Jahrzehnten ihren prominenten Stellenwert verloren. Für die Coxarthrose des höheren und auch mittleren Lebensalters stehen heute die Vorzüge der modernen Hüftendoprothetik bereit [1]. Für die Behandlung der symptomatischen Pfannendachdysplasie wurden Azetabulum-reorientierende Verfahren, wie die Dreifach-Beckenosteotomie [2] oder die periazetabuläre Osteotomie [3], entwickelt. Das Konzept des femoroazetabulären Impingements [4, 5] ergänzte das Wissen über Hüftgelenkpathologien und lieferte hierzu offene und schließlich arthroskopische Therapieansätze [6]. In der Behandlung der Hüftkopfnekrose ist die intertrochantäre Osteotomie trotz berichteter hoher Erfolgsraten in „single-surgeon series“ mit niedrigem Evidenzgrad nicht mehr sehr verbreitet [7]. Nichtsdestotrotz gehört die intertrochantäre Osteotomie weiterhin in das Armentarium für die Behandlung von Hüftgelenkpathologien des Erwachsenenalters, hier insbesondere der Torsionsfehlstellungen des Schenkelhalses (Coxa antetorta bzw. seltener Coxa retrotorta). Aber auch in der Behandlung einer in Fehlstellung verheilten Schenkelhalsfraktur bzw. einer Schenkelhalspseudarthrose nach Schenkelhalsfraktur ist eine intertrochantäre Korrekturosteotomie in Betracht zu ziehen [8, 9]. Eine ausgesprochene Rarität stellt die Indikation zur Behandlung einer durch das proximale Femur bedingten Beinverkürzung dar, bei der eine intertrochantäre Verkürzungsosteotomie auf der nicht betroffenen Seite alleine oder in Kombination mit einer intertrochantären Verlängerungsosteotomie auf der betroffenen Seite ausgeführt wird [10].

Intertrochantäre Osteotomie im Kindes- und Jugendalter

Die intertrochantäre Osteotomie zur Behandlung von Hüftgelenkpathologien im Kindes- und Jugendalter genießt – mit Einschränkungen – weiterhin einen bedeutenden Stellenwert. Zwar hat die Zahl der operativ zu versorgenden Kinder mit hoher Hüftluxation dank Früherkennungsuntersuchungen mittels Hüftsonografie nach Graf bzw. der Sonografie-gestützten Therapie im deutschsprachigen Raum signifikant abgenommen [11, 12]. Allerdings finden sich immer wieder verspätet diagnostizierte Fälle von hohen Hüftluxationen bei Kindern, die aus dem osteuropäischen Raum oder Nahen Osten stammen. Hier kommt die intertrochantäre Varisations-Derotations-Osteotomie mit Verkürzung im Rahmen einer komplexen Rekonstruktion des Hüftgelenks (d.h. mit gleichzeitig durchgeführter Weichteiloperation, offener Hüftgelenkreposition und Beckenosteotomie) zum Einsatz [13, 14]. Kinder mit neuromuskulären Erkrankungen können sekundäre Hüftdysplasien mit Sub- oder hohen Luxationen des Hüftgelenks entwickeln, die ebenfalls die Durchführung einer intertrochantären Varisations-Derotations-Osteotomie erfordern, in Abhängigkeit von der Ausprägung wiederum mit Verkürzung und komplexer Hüftgelenkrekonstruktion [15, 16].

Für den M. Perthes stellt die intertrochantäre Varisations-Derotations-Osteotomie nach wie vor einen Standardeingriff dar. Allerdings existiert kein vollständig einheitliches Therapiekonzept, hier scheinen auch azetabulumseitige Eingriffe zur Verbesserung des sog. „containments“ favorisiert zu werden, welche dann ebenfalls häufig mit einer milden Varisation des proximalen Femurs durch eine intertrochantäre Osteotomie kombiniert werden [17–19]. Eine Seltenheit in der Behandlung des M. Perthes stellt die alleinige intertrochantäre Valgisationsosteomie dar, die nur bei einer sog. „hinge abduction“ zu Einsatz kommt [19].

Für die Epiphyseolysis capitis femoris werden seit der Kenntnis von früh sich einstellenden Knorpel- und Labrumschäden, die Folge der Abrutsch-bedingten Kopf-Hals-Übergangsstörung sind, neue Therapiestrategien diskutiert [20, 21]. Allerdings gilt die Technik der subkapitalen Korrekturosteotomie mittels chirurgischer Hüftluxation für moderate bzw. schwere Abrutsche als technisch anspruchsvoll und birgt bei nicht korrekter Umsetzung das Risiko einer Hüftkopfnekrose [22], sodass die indirekte Korrektur des Kopf-Hals-Übergangs durch die intertrochantäre Flexions-Derotations-Valgisationsosteotomie nach Imhäuser weiterhin als klassische Therapieoption genannt wird [21, 23].

Symptomatische Coxa antetorta des Erwachsenenalters

Neben Hüftgelenkbeschwerden, die in der Leisten- oder/und Trochanterregion angegeben werden, finden sich in der Anamnese auch solche des ipsilateralen Kniegelenks, die wegen eines kompensatorischen Innenrotationsgangs und der daraus resultierenden unphysiologischen Belastung des Kniegelenks auftreten. Häufiger können zumeist medial betonte Kniegelenkbeschwerden die einzigen Symptome sein, und gelegentlich ist in der Anamnese auch eine vorausgegangene, unauffällige Arthroskopie des vermeintlich beschwerdebehafteten Kniegelenks zu eruieren.

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