Übersichtsarbeiten - OUP 02/2015

Stellenwert der intertrochantären Osteotomie im Kindes- und Erwachsenenalter

Die klinische Untersuchung sollte mit einer Analyse des Gangbilds beginnen, die einen Innenrotationsgang bzw. ein Patellaschielen aufdecken kann. Die Prüfung der Rotationsfähigkeit sollte nicht nur in Rückenlage bzw. 90°-Hüftflexion, sondern auch in Bauchlage bzw. in Neutralposition des Hüftgelenks erfolgen, weil sich bei Letzterer die pathologische Innenrotationsfähigkeit zumeist eindrücklicher darstellt.

Die radiologische Diagnostik umfasst eine Beckenübersichtsaufnahme und eine axiale Aufnahme des betroffenen Hüftgelenks, um andere Hüftgelenkpathologien (Pfannendachdysplasie, Nockenwellen-Deformität des proximalen Femurs, etc.) auszuschließen bzw. – wenn vorhanden – in die Therapiestrategie mit einzubeziehen. Für die exakte Bestimmung der Schenkelhalsantetorsion war früher eine zusätzliche Rippstein-II-Aufnahme (Beckenübersichtsaufnahme mit 90° flektierten und 20° abduzierten Hüftgelenken) [24] und die anschließende Berechnung des reellen Antetorsionswinkels aus den projizierten Antetorsionswinkeln der Beckenübersichtsaufnahme und der Rippstein-II-Aufnahme mit Hilfe der Tabellen von M.E. Müller [25] üblich. Heute gilt die Antetorsionsbestimmung mit Hilfe der Computertomografie (CT) als Goldstandard [26].

Bei enger Korrelation zwischen computertomografischer und kernspintomografischer Antetorsionsbestimmung [26] und hoher Strahlenbelastung durch die CT [27], erscheint heute die kernspintomografische Messung bei exakter Durchführung als eine sinnvolle Alternative zum Goldstandard (Abb. 1). Ein Beispiel für eine intertrochantäre Derotationsosteotomie bei symptomatischer Coxa antetorta zeigt die Abbildung 2.

Hohe Hüftluxation

Bei einseitiger hoher Hüftluxation im Kindesalter liegt eine Beinverkürzung der betroffenen Seite durch Kranialisierung und Lateralisation des Femurs vor. Bei gehfähigen Kindern ist ein konsekutives Verkürzungshinken möglich, eine dadurch bedingte Insuffizienz der Hüftabduktoren entwickelt sich häufig im weiteren Verlauf. Schmerzen hingegen sind selten. Eine Abduktionseinschränkung des Hüftgelenks durch Verkürzung der Adduktoren und eine Hüftbeugekontraktur durch Verkürzung des M. iliopsoas sind häufig. Die Diagnose wird durch eine Beckenübersichtsaufnahme gesichert. Am Röntgenbild wird die Ménard-Shenton-Linie und die Entwicklung des Hüftkopfkerns beurteilt sowie der AC-Winkel (Acetabulärer Index oder Pfannendachwinkel) bestimmt und mit den publizierten Normwerten [24] verglichen. Der AC-Winkel ist alters-, geschlechts- und seitenabhängig [24]. Präoperativ ist eine axiale Aufnahme des Femurs sowie die Bestimmung der Antetorsion des Schenkelhalses notwendig. Die operative Versorgung einer hohen Hüftluxation im Kindesalter bedarf einer komplexen Rekonstruktion des Hüftgelenks, die neben einer intertrochantären Varisations-Derotations-Verkürzungsosteotomie eine offene Reposition des Hüftgelenks, eine Weichteilbalancierung, sowie einen pfannendachverbessernden Eingriff (Pfannendachplastik oder Salter-Osteotomie) beinhaltet. Postoperativ ist eine mehrwöchige Gipsimmobilisation der kleinen Patienten notwendig. Abbildung 3 zeigt ein Beispiel einer hohen Hüftluxation bei einem 8-jährigen Mädchen mit spastischer Tetraparese infolge infantiler Zerebralparese.

M. Perthes

Neben Schmerzen in der Leistenregion, dem proximalen Oberschenkel, in der Trochanterregion und am Kniegelenk sind das belastungsabhängige Hinken und die Bewegungseinschränkung vor allem für Abduktion und Innenrotation die führenden Symptome beim Vorliegen eines M. Perthes [13]. Das typische Erkrankungsalter liegt zwischen 4 und 7 Jahren, Jungen sind 4- bis 5-mal häufiger betroffen als Mädchen [18]. In der Diagnostik sind eine Beckenübersichtsaufnahme, eine axiale und eine Abduktionsaufnahme des betroffenen Hüftgelenks zur Beurteilung der Hüftkopfzentrierung bzw. zum Ausschluss bzw. Nachweis einer Subluxationsstellung, zur Beurteilung der Hüftkopfüberdachung sowie des Krankheitsstadiums nach Herring et al. [28] und zum Ausschluss bzw. Nachweis einer „hinge abduction“ nötig. In Abhängigkeit vom klinischen und radiologischen Untersuchungsbefund wird die Therapiestrategie zur Verbesserung des „containments“ gewählt, wobei eine chirurgische Vorgehensweise bei einer Dezentrierung des Hüftkopfzentrums vom Pfannenzentrum zu indizieren ist. Ein Beispiel für die Behandlung eines 8-jährigen Jungen mit einem M. Perthes zeigt die Abbildung 4.

Moderater Abrutsch bei
Epiphyseolysis capitis femoris

Belastungsabhängige Hüftgelenk- oder Oberschenkelschmerzen, Entlastungshinken bzw. eine schmerzhafte Belastungsunfähigkeit des betroffenen Hüftgelenks, aber auch ausschließlich ipsilaterale Kniegelenkbeschwerden oder nur eine vorzeitige Ermüdbarkeit der betroffenen unteren Extremität können Symptome einer Epiphyseolysis capitis femoris (ECF) sein. Je nach Anamnese bzw. Symptomdauer wird eine akute, chronische oder akut-auf-chronische ECF unterschieden [29]. Das Haupterkrankungsalter ist bei Mädchen etwa das 11.–13. Lebensjahr, während Jungen durchschnittlich 2 Jahre älter sind. Letztere sind etwa 1,5- bis 3-mal so häufig betroffen wie Mädchen [30].

In der klinischen Untersuchung ist die Einschränkung der Innenrotationsfähigkeit kennzeichnend, die in ihrer deutlichsten Ausprägung ein positives Drehmann-Zeichen zur Folge hat [30].

Die radiologische Diagnostik umfasst eine Beckenübersichtsaufnahme und eine axiale Aufnahme beider Hüftgelenke, weil eine beidseitige Betroffenheit in der Literatur mit 20–80 % angegeben wird [31–33]. Neben den radiologischen Kriterien einer Epiphysenabflachung, einer Verbreiterung der Epiphysenfuge bzw.
einer metaphysären Knochenreaktion kann das Ausmaß des Abrutschens quantifiziert werden, wobei Abrutschwinkel bis zu 30° eine milde, von 30–60° eine moderate und über 60° eine schwere Form der ECF kennzeichnen [20]. Für die Behandlung von moderaten Abrutschen wird die klassische intertrochantäre
Flexions-Derotations-Valgisationsosteotomie nach Imhäuser weiterhin als Therapieoption ausgeführt [21, 23]. Ein Beispiel hierfür zeigt die Abbildung 5.

Fazit

Die Einführung der AO-Klingenplatte 1959 durch M. E. Müller ermöglichte eine sichere und präzise Durchführung intertrochantärer Korrekturosteotomien [34]. Dies führte zu ihrer breiten Anwendung, auch bei Indikationen wie Hüftdysplasien und frühen Stadien der Coxarthrose [34], die angesichts Azetabulum-reorientierender Verfahren, der modernen Hüftendoprothetik und anderer Entwicklungen in der Hüftchirurgie (insbesondere des Erwachsenenalters) aus heutiger Sicht erstaunen. Auch wenn die Anzahl der intertrochantären Osteotomien aufgrund der genannten Entwicklungen zwischenzeitlich zurückgegangen ist, gehört die intertrochantäre Osteotomie weiterhin zum Repertoire der operativen Optionen in der Behandlung von Hüftgelenkpathologien des Kindes- und Erwachsenenalters. Für das Erwachsenenalter sind dies Torsionsfehler des proximalen Femurs (Coxa ante- und retrotorta), für das Kindesalter angeborene (hohe Hüftluxation) und erworbene Pathologien (sekundäre Hüftdysplasie mit Sub- oder hoher Hüftluxation bei neuromuskulären Erkankungen, M. Perthes, Epiphyseolysis capitis femoris), die der Herstellung einer möglichst physiologischen Biomechanik des Hüftgelenks – häufiger in Kombination mit gleichzeitig durchzuführenden Korrekturen des Azetabulums oder Weichteileingriffen – bedürfen. Die Entwicklung sicherer Klingensetzinstrumentarien bzw. winkelstabiler Plattensysteme (wie z.B. das „cannulated pediatric osteotomy system“ CAPOS oder die LCP-Kinder-Hüftplatte) können dazu beitragen, die Durchführung der intertrochantären Osteotomie noch sicherer zu machen [15].

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