Übersichtsarbeiten - OUP 02/2019

Tibialis-anterior-Sehnenruptur

Andreas Breil-Wirth, Jörg Jerosch

Zusammenfassung:
Rupturen der Tibialis-anterior-Sehne sind seltene Verletzungen. Sowohl akut traumatische als auch chronisch-degenerative Pathomechanismen sind möglich. Die Diagnostik fußt auf der
klinischen Untersuchung und der Schnittbildgebung. Therapeutisch ist eine konservative Therapie bei geringem Anspruch und/oder erhöhtem OP-Risiko möglich. Die operative Therapie ist
abhängig von der individuellen Verletzung und umfasst: direkte End-zu-End-Naht, transossäre Naht, Umkippplastik, Sehneninterposition, Sehnentransfer (z.B. EHL-Transfer).

Schlüsselwörter:
Tibialis-anterior-Ruptur, Sehnenruptur, Tendinose

Zitierweise:

Breil-Wirth A, Jerosch J: Tibialis-anterior-Sehnenruptur. OUP 2019; 8: 111–115
DOI 10.3238/oup.2019.0111–0115

Summary: Ruptures of the tibialis anterior tendon are rare injuries. It can be caused by an acute trauma or be based on a chronic degeneration. Diagnosis is based on clinical examination and radiologic imaging. Non-operative treatment is possible in case of low demand and/or high operational risk. Operative treatment depends on the individual injury and can be: direct suture, trans-osseus suture, tendon plasty, tendon interposition, tendon transfer.

Keywords: tendinitis anterior rupture, tendon rupture, tendinitis

Citation: Breil-Wirth A., Jerosch J: Ruptures of the tibialis anterior tendon. OUP 2019; 8: 111–115
DOI 10.3238/oup.2019.0111–0115

Für alle Autoren: Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin, Johanna-Etienne-Krankenhaus, Neuss

Rupturen der Tibialis-anterior-Sehne sind seltene Erkrankungen. In der Literatur sind nur wenige Fälle beschrieben. Zajonz et al. fanden 2015 im Rahmen einer PubMed-Recherche für den Zeitraum 1997–2012 44 Fälle in 32 Arbeiten [25]. Haenisch et al. berichteten über einem Zeitraum von 8 Jahren von 11 Fällen in einem Krankenhaus der Regelversorgung [10]. Eindeutige Therapieempfehlungen oder gar randomisierte, evidenzbasierte Untersuchungen fehlen.

Anatomie und Funktion

Die Tibialis-anterior-Sehne entspringt am lateralen Femurkondylus, den proximalen zwei Dritteln der Tibia und der Membrana interossea. Der Ansatz befindet sich am Fußrücken, anteilig am Os cuneiforme mediale und am Os metatarsale 1. Hierbei beschreibt Musial [15] 4 unterschiedliche Ansatzmuster. Der häufigste Typ 1 (56 %) beinhaltet eine breite Insertion am Os cuneiforme und eine schmale am Os metatarsale. Bei Typ 2 (37 %) sind beide Ansätze gleich stark ausgeprägt. Typ 3 (4 %, fast ausschließliche Insertion am Os cuneiforme) und Typ 4 (1 %, fast ausschließliche Insertion am Os metatarsale) sind selten. Bei Rekonstruktionen der Sehne sollten diese Ansatzmuster, wenn möglich, berücksichtigt werden. Auch bei Maßnahmen am TMT 1 sollten die Sehneninsertionen beachtet werden. Im Verlauf unterkreuzt die Sehne das Retinakulum extensorum, welches als Hypomochlion dient.

Ähnlich der Achillessehne wurde auch bei der Tibialis-anterior-Sehne eine avaskuläre Zone beschrieben. Diese befindet sich ca. 5–30 mm proximal des Ansatzes [6]. Dieser Abschnitt ist prädisponiert für degenerative Veränderungen und Rupturen.

Die Hauptfunktion des Tibialis anterior ist die Dorsalextension des oberen Sprunggelenks. Für diese Bewegung ist der Muskel der kräftigste Akteur. Es ist jedoch zu beachten, dass auch die langen Extensoren der Zehen eine Extension im Sprunggelenk bewirken. Dies kann die klinische Symptomatik einer Ruptur sowohl für den Patienten als auch für den behandelnden Arzt kaschieren. Die extendierende Wirkung des Muskels bewirkt ein Abbremsen der Plantarflexion, daher fällt der Vorfuß (bei rupturierter Sehne) nach der Fersenlandung ungebremst auf den Boden. Das Gangbild des Patienten bekommt etwas „Platschendes“ [17, 22]. Im unteren Sprunggelenk bewirkt der Tibialis anterior eine Supination und Adduktion [6].

Ursachen von Verletzungen

Bei den Rupturen der Tibialis-anterior-Sehne werden 2 Hauptursachen unterschieden: zum einen traumatisch (20 %), zum anderen degenerativ (80 %) [17].

Bei den traumatischen Verletzungen werden verschiedene Ursachen beschrieben. Hier kommt die direkte, scharfe Verletzung in Frage. Bei dieser besteht die Gefahr, die oberflächliche Hautläsion zu unterschätzen und die Sehnendurchtrennung zu übersehen. Auch sind 2-zeitige Rupturen bei partieller Durchtrennung der Sehne beschrieben. Diese sind im Verlauf aufwendiger zu versorgen, als frühzeitig adressierte Verletzungen.

Ein weiterer traumatischer Mechanismus ist die fixierte Plantarflexion des oberen Sprunggelenks bei Anspannung des Tibialis-anterior-Muskels [11]. Dies kann insbesondere degenerativ vorgeschädigte Sehnen zum Reißen bringen. Auch Quetschungen oder Frakturen des Unterschenkels können eine Sehnenruptur bewirken [7, 9, 12, 25].

Degenerative Sehnenveränderungen/Tendinopathie

Bei Tendinopathien handelt es sich um Umbauveränderungen in der betreffenden Sehne. U.a. werden hier eine Zunahme der extrazellulären Matrix, eine Desorganisation der Kollagenbündel und eine vermehrte Vaskularisation beschrieben [23, 24]. Histologisch können keine Entzündungsreaktionen nachgewiesen werden [1], ebenso fehlt ein deutliches Ansprechen auf NSAR [4]. Ursächlich scheinen vermehrte Belastungen (z.B. Achillessehnenreizungen beim Langstreckenläufer) und repetitive Mikrotraumata von Bedeutung zu sein [23]. Klinisch gehen Tendinopathien mit lokalen Schmerzen und Schwellung einher.

Prädisponierend für degenerative Sehnenrupturen sind Stoffwechselveränderungen, z.B. Diabetes, aber auch rheumatische Erkrankungen [2]. Auch Medikamenteneinnahmen, z.B. Cortison (lokal oder systemisch) oder Chinolone, können eine Ruptur begünstigen.

Degenerativ veränderte Sehnen können atraumatisch oder bei fixierter Plantarflexion rupturieren. Die akute Klinik ist hier oft wenig ausgeprägt und für den Patienten im Verlauf nicht erinnerlich. Oft wird lediglich ein kurzes Reißen beschrieben. Vermehrt tritt dies bei Männern über dem 60. Lebensjahr auf [17].

Klinik und Untersuchung

Akute Rupturen gehen mit starken Schmerzen im Bereich der Sehne einher, welche von Hämatomen und Funktionsverlust begleitet sind. Hautverletzungen über dem Sehnenverlauf sollten Anlass zu einer dezidierten Prüfung der Sehne geben.

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