Übersichtsarbeiten - OUP 01/2023

Ursachen und moderne konservative Therapiemaßnahmen der lumbalen, bandscheibenbedingten Erkrankungen

Albert Jakob, Oliver Linhardt

Zusammenfassung:
Durch die konservative Therapie können die meisten bandscheibenbedingten Erkrankungen der Lendenwirbelsäule effektiv behandelt werden. Nach abgeklungener, akuter Schmerzphase sind Manualtherapie und Osteopathie ein wesentlicher Bestandteil der Behandlung. Die in unserer Arbeit dargestellten manualtherapeutisch-osteopathischen Behandlungsmethoden zeigen empirisch betrachtet gute Ergebnisse.

Schlüsselwörter:
Bandscheibenbedingte Erkrankungen, konservative Therapie, Manualtherapie, Osteopathie

Zitierweise:
Jakob A, Linhardt O: Ursachen und moderne konservative Therapiemaßnahmen der lumbalen, bandscheibenbedingten Erkrankungen
OUP 2023; 12: 25–28
DOI 10.53180/oup.2023.0025-0028

Summary: Most disc-related diseases can be treated with conservative methods. After acute pain symptoms, manual therapy and osteopathy are an important factor of therapy. Concerning our empiric results, manual therapy and osteopathy are effective treatments for disc-related diseases.

Keywords: Disc-related diseases, conservative therapy, manual therapy, osteopathy

Citation: Jakob A, Linhardt O: The etiology and modern conservative treatment of lumbar disc diseases
OUP 2023; 12: 25–28. DOI 10.53180/oup.2023.0025-0028

A. Jakob: Praxis am Blütenring, München

O. Linhardt: OZA München

Einleitung

Rückenschmerzen sind eine echte Volkskrankheit und in den meisten Fällen mit konservativen Maßnahmen zu behandeln. Ursachen dafür können Muskelverspannungen, Entzündungen in den kleinen Wirbelgelenken oder in selteneren Fällen ein Bandscheibenvorfall sein. Speziell bei den Bandscheibenvorfällen hat sich die Therapie in den letzten Jahren gewandelt. Die Indikation zur Operation wird dabei zurückhaltender gestellt. Häufig ist die medikamentöse oder interventionelle Schmerztherapie mit gezielten Injektionen bei starken Schmerzen das Mittel der ersten Wahl. Im Gegensatz dazu haben sich die Behandlungskonzepte der Physiotherapie, Manualtherapie und Osteopathie über die Jahre wenig geändert. Ziel unserer Arbeit ist es, hierfür einen modernen, manualtherapeutisch-/osteopathischen Ansatz in der Behandlung von bandscheibenbedingten Erkrankungen darzustellen.

Ursachen für bandscheibenbedingte Erkrankungen

Prädiskotische Deformitäten als Ursache für die Bandscheibendegeneration sind ein pathologisches sagittales Profil, M. Scheuermann, Beinlängendifferenzen, Spondylolisthesis, asymmetrische Übergangswirbel, Fehlbildungen der Wirbelsäule und Skoliosen.

Eine weniger bekannte, jedoch wesentliche Ursache für die Bandscheibendegeneration sind Funktionsstörungen der Facettengelenke. Durch degenerative Veränderungen in den Facettengelenken oder Fehlstellungen der Gelenke bei z.B. entlordosierter LWS mit steilgestelltem (kontranutiertem) Sakrum resultieren uni-/bilaterale Funktionsstörungen der Facettengelenke im entsprechenden Segment. Zudem kann auch eine verkürzte, insuffiziente oder einseitig trainierte Bauchmuskulatur (M. rectus abdominis, M. transversum) durch konzentrisches, falsches Bauchmuskeltraining zu einer Entlordosierung der LWS und damit zu Störungen in der Facettenfunktion führen. Weitere muskuläre Faktoren für eine Veränderung des lumbalen, sagittalen Profils sind eine hohe Spannung im Beckenboden oder ein wenig trainiertes Diaphragma, welches wesentlich zur Stabilität der LWS beiträgt. Zusätzlich entstehen Muskelatrophien der LWS auf der Seite der Facettenfunktionsstörung sowie eine Muskelhypertrophie auf der kontralateralen Seite. Durch diese Funktionsstörungen der Facettengelenke mit daraus resultierenden Dysbalancen in der autochtonen Muskulatur kommt es zu einer asymmetrischen Belastung der entsprechenden Bandscheibe, welches zur Bandscheibenverlagerung bis hin zum Bandscheibenvorfall auf der Seite der Facettenpathologie führen kann. Dies wurde in einer klinischen Studie von Li et al. [1] gezeigt. Hierbei konnte ein deutlicher Zusammenhang zwischen der asymmetrischen Ausrichtung der lumbalen Facettengelenke (Tropismus der Facettengelenke) und Bandscheibenvorfällen nachgewiesen werden.

Indirekte Hinweise für die Funktionsstörungen in den Facettengelenken finden sich auch in MRT-Bildern. Hier lassen sich oft monosegmentale, einseitige Atrophien der autochtonen Rückenmuskulatur (M. Multifidii, M. Rotatores) darstellen, welche auf eine Bewegungseinschränkung im entsprechenden Segment hinweisen.

Somit zeigt sich, dass Bandscheiben und Wirbelgelenke eine funktionelle Einheit bilden, die bei starker mechanischer Belastung elastisch reagiert. Bei Funktionsstörungen in den Facettengelenken kann dies zum Bandscheibenverschleiß führen, umgekehrt kann auch die Degeneration der Bandscheibe mit Höhenminderung (Osteochondrose) eine verstärkte Belastung und den Verschleiß der Facettengelenke ergeben.

Konservative Therapie der bandscheibenbedingten
Erkrankungen

Auf Grundlage dieser Erkenntnisse sollte die konservative Therapie der lumbalen Bandscheibendegeneration erfolgen. Primär wichtig ist eine adäquate Schmerztherapie durch Schmerzmedikamente, welche oral, intramuskulär oder i.v. zugeführt werden können. Muskelrelaxierende Maßnahmen wie Wärmeanwendung oder Medikamente können eingesetzt werden. Bei starken Schmerzzuständen sind ggf. gezielte Injektionen, z.B. in die Facettengelenke oder an die betroffenen Nervenwurzeln notwendig. Im akuten Stadium kann auch eine stabilisierende LWS-Orthese verwendet werden, welche später noch bei belastenden Tätigkeiten eingesetzt werden kann. Nach abgeklungener, akuter Schmerzphase erfolgt eine gezielte Manualtherapie, um die Rücken-, Bauchfaszien, Beckenbodenmuskulatur und das Diaphragma zu lösen. Zusätzlich sollte die Funktion der Facettengelenke verbessert und eine physiologische Wirbelsäulenhaltung erreicht werden. Rubinstein et al. [2] konnte in einer Metaanalyse mit 47 randomisierten Studien einen schmerzreduzierenden und funktionsverbessernden Effekt der Manualtherapie bei Patienten mit lumbalem Rückenschmerz aufzeigen.

Bei bandscheibenbedingten Erkrankungen ist das Nervensystem in seiner freien Funktion beeinträchtigt. Deshalb sollte eine neurodynamisch mobilisierende Physiotherapie mit gezielten Übungen den Nerv bei der Wiedererlangung seiner normalen Beweglichkeit unterstützen und weniger empfindlich machen.

Zusätzlich sollte dem Patienten ein Trainingsmodell für den Alltag vermittelt werden, welches auch am Arbeitsplatz leicht durchgeführt werden kann. Wichtig sind bei den Übungen die Mobilisation der Wirbelgelenke, die Dehnung der meist verkürzten Bauchmuskulatur und ein Training der Rücken- und Bauchmuskulatur.

Zusammengefasstes
konservatives
Therapieschema

Adäquate Schmerztherapie mit medikamentöser oder interventioneller Behandlung

Wärmeanwendung und Medikamente zur Muskelrelaxation

Bei Bedarf vorrübergehende, stabilisierende LWS-Orthese, später bei belastenden Tätigkeiten (Abb. 1, 2)

Faszienbehandlung mit Öffnung der Bauch-, Rückenmuskelfaszien, Beckenboden und des Diaphragmas (Dreiachsenmodell, Abb. 3–7)

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