Übersichtsarbeiten - OUP 02/2016

Vermeidbare Fehler in Hüft- und Kniegelenkendoprothetik aus der Praxis des Medizinischen Sachverständigen
Nach einem Kurzvortrag auf der 63. Jahrestagung der VSOUBased on a paper for the 63rd VSOU-Congress

Jürgen Hettfleisch1, Laura Hettfleisch2

Zusammenfassung: Die endoprothetische Versorgung eines Hüft- oder Kniegelenks ist kein Anfängereingriff. Selbst umfassende operative Erfahrung schützt allerdings nicht davor, dabei Fehler zu begehen – wie die nachfolgenden Beispiele zeigen.

Schlüsselwörter: Hüftendoprothetik, Knieendoprothetik,
Behandlungsfehler

Zitierweise
Hettfleisch J, Hettfleisch L: Vermeidbare Fehler in Hüft- und Kniegelenkendoprothetik aus der Praxis des Medizinischen Sachverständigen.
OUP 2016; 2: 109–113 DOI 10.3238/oup.2015.0109–0113

Summary: Hip- and knee replacement are not for beginners. Even the experienced orthopaedic surgeon might fail from time to time and then find himself accused of malpractice.

Keywords: hip replacement, knee replacement, malpractice

Citation
Hettfleisch J, Hettfleisch L: Malpractice in hip- and knee arthroplasty – the medical expert’s point of view.
OUP 2016; 2: 109–113 DOI 10.3238/oup.2015.0109–0113

Einleitung

Im Jahr 2013 gab es – einer Statistik der Bundesärztekammer zufolge [2] – bundesweit 315 Behandlungsfehlervorwürfe bezüglich der Therapie einer Gonarthrose und 287 Vorwürfe zu Behandlungsfehlern in der Versorgung einer Coxarthrose. Führend waren dabei jeweils Anschuldigungen im Zusammenhang mit einem künstlichen Gelenkersatz. Nach einer Auswertung von Kraft [6] wurden zwischen 2006 und 2010 allein bei der Ärztekammer Nordrhein 159 Schlichtungsanträge im Zusammenhang mit der Knieendoprothetik gestellt. Diese wurden in immerhin 30 % aller Fälle als berechtigt eingestuft. Dabei bleibt die große Zahl komplikationsloser und erfolgreicher Ersatzoperationen an Hüft- und Kniegelenk naturgemäß unbeanstandet. In der Praxis des Medizinischen Sachverständigen sammeln sich jene Einzelfälle, in denen es gilt, zwischen schicksalhafter Komplikation und vermeidbarem Behandlungsfehler zu unterscheiden. Für die nachfolgenden Bewertungen von Hüft- und Knieendoprothetik wurden die allgemeinverbindlichen Vorgaben einschlägiger Konsensgruppen beachtet [1, 3, 4].

Kasuistiken

Im ersten Fall wurde die zementfreie Hüftendoprothese bereits primär fehlerhaft implantiert, weil durch einen Verlust des Trochanter minor der das Hüftgelenk stabilisierende M. iliopsoas funktionslos wird (Abb. 1a). Wenn dann die Endoprothese luxiert und dabei wie vorliegend zusätzlich der Trochanter major abreißt, so ist durch die Verwendung eines extra langen Aufsteckkopfs in Kombination mit einer insuffizienten Zuggurtungsosteosynthese keine Luxationssicherheit zu erzielen (Abb. 1b). Bei einer ohnehin steilen Position der Pfannenkomponente ließ sich damit erwartungsgemäß keine ausreichende Stabilität erzielen und der Fall endete mit einer Revision der Endoprothese.

Ein zu tief gefräster Pfannengrund (Abb. 2a) verhindert eine ausreichende Primärstabilität des Implantats, was einer Migration Vorschub leistet. Wenn, wie vorliegend, eine Osteoporose des Pfannengrunds besteht (Abb. 2b), sollte das Pfannenlager deshalb nicht mit pneumatischem Werkzeug vorbereitet werden.

Auf eine exakte Positionierung der Endoprothesenkomponenten ist zu achten – insbesondere dann, wenn das Endoprothesenlager dafür erst speziell zubereitet werden muss. Im nächsten Fall ist, weil dies missachtet wurde, keine ausreichende Primärstabilität zustande gekommen und das Implantat nicht eingeheilt (Abb. 3a-b). Dabei weist der Sägeschnitt am Trochanter minor auf die Unerfahrenheit des Operateurs hin.

Wenn bei einem Endoprothesenwechsel eine Via falsa entsteht, wie im nächsten Beispiel unmittelbar distal des Trochanter major (Abb. 4a), dann ist dies nicht unbedingt fehlerhaft. Ist jedoch zudem die verwendete Kunstpfanne unterdimensioniert, so wird wegen eines mangelnden „press fit“ keine ausreichende Primärstabilität erreicht, was zu einem frühzeitigen Versagen und zu einer Pfannenwanderung führt (Abb. 4b).

Auf eine passende Gleitpaarung ist grundsätzlich immer zu achten. Im vorliegenden Fall erfolgte die Revision einer Pfanne mit Polyethylen-Inlay (Abb. 5a). Zum Erhalt der Hüftgeometrie wurde erneut ein extra langer Metallkopf auf den Eurokonus des Schafts aufgesteckt – der nun allerdings gegen ein Keramik-Inlay läuft (Abb. 5b). Eine derartige Gleitpaarung ist tribologisch ungünstig. Sie wird deshalb für keines der am Markt erhältlichen Endoprothesensysteme vorgeschlagen. In einem solchen Fall ist, verglichen mit dem Standard, von einem vorzeitigen Versagen der Endoprothese auszugehen – was dann zu Lasten eines Behandlungsfehlers ginge.

Sowohl für die Hüft- als auch für die Knieendoprothetik gilt, dass gerinnungshemmende Substanzen wie Clopidogrel, ASS, Marcumar oder Oxazolidinone (z.B. Xarelto) nicht ohne Wirkungsverlust gegen Heparine ausgetauscht werden können. Heparine wirken nahezu ausschließlich im venösen Schenkel, während die anderen genannten Substanzen auch arteriell wirksam sind. Nur deren Einsatz kann deshalb einem erneuten Schlaganfall oder einem neuerlichen Myokardinfarkt entgegen wirken. Die flächendeckend praktizierte Überbrückung der Einnahme jener Medikamente mit einem Heparin (bridging) ist deshalb nicht unumstritten. Der zu operierende Patient muss auf sein dennoch individuell erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen ausdrücklich hingewiesen werden [5, 7].

Operationstechnische Schwierigkeiten beim Oberflächenersatz des Kniegelenks gehen nicht selten mit einem übermäßigen Femoral Notching einher (Abb. 6a). Im nächsten Fall ist der operierten Patientin dadurch jedoch kein Schaden entstanden, weil sie schicksalhaft einen Protheseninfekt erlitt (Abb. 6b). Der Operateur sollte sich dennoch jederzeit über die anatomische Position seiner Schnittlehren im Klaren sein.

Bei der medialen Schlittenprothese bedingen operationstechnische Fehler insbesondere ein Overstuffing des medialen Kompartiments. Es kann deshalb der Kondylenhöcker ausreißen (Abb. 7a), sodass er im Rahmen eines weiteren Eingriffs refixiert werden muss (Abb. 7b).

Zudem ist auf eine ausreichende Balance des operierten Kniegelenks zu achten. Wenn, wie in diesem Fall, zuvor bereits eine Valgisationsosteotomie am Tibiakopf erfolgt war und im Rahmen der darauf folgenden Schlittenprothetik der mediale Tibiakopf kaum reseziert wird, dann ist eine Dekompensation des lateralen Kompartiments zu erwarten (Abb. 8).

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