Arzt und Recht - OUP 03/2013

Versagen des Gelenkersatzes: Hersteller- oder Arzthaftung?

Rechtsanwalt Dr. Christoph Osmialowski, Fachanwalt für Medizinrecht, Karlsruhe

Einleitung

Der erfolgreiche Gelenkersatz ist insbesondere auch von der Qualität des eingesetzten Materials abhängig. Bei den betroffenen Patienten ist der knöcherne Bewegungsapparat häufig infolge altersbedingter Veränderungen der Muskulatur und/oder Sehnen bzw. durch Übergewicht in besonderem Maße beansprucht. Bei einem Versagen einer eingesetzten Prothese sehen sich die Ärzte, die den Gelenkersatz vorgenommen haben, deshalb häufig der Frage ausgesetzt, ob das eingesetzte Material nicht den Anforderungen seiner Bestimmung entsprach (Materialfehler), falsch ausgewählt wurde (Auswahl-/Behandlungsfehler) oder der Patient unzureichend über Eigenschaften der Prothese und Alternativen aufgeklärt wurde. Lediglich bei einem Auswahl-/Behandlungsfehler oder Aufklärungsversäumnis kommt eine Haftung des Arztes für entstandene Schäden und die Zahlung eines Schmerzensgeldes in Betracht. Im Folgenden werden zur Abgrenzung die Grundsätze und aktuelle Rechtsprechung dargestellt.

Haftungsgrundsätze

Bei einer Prothese handelt es sich um ein Medizinprodukt. Für Materialfehler eines Medizinproduktes haftet nach dem Produkthaftungsgesetz der Hersteller/Importeur, da er das Medizinprodukt in den Verkehr bringt. Der Arzt ist hingegen in der Regel lediglich Anwender und somit nicht für die bestimmungsgemäße Beschaffenheit der Prothese verantwortlich.

Der Hersteller haftet dafür, dass die Prothese nach Konstruktion, Fabrikation und ggf. beizugebender Instruktion so beschaffen ist, dass die körperliche Unversehrtheit des Patienten nicht beeinträchtigt wird1. Wenn die Prothese trotz bestimmungsgemäßer bzw. den Instruktionen des Herstellers entsprechender Verwendung gefährlich ist, hat der Arzt als Anwender grundsätzlich nicht die Möglichkeit, den Patienten durch ein „rechtmäßiges Alternativverhalten“ vor Schaden zu bewahren.

Der Arzt haftet demnach lediglich dann für die Verwendung einer (fehlerhaften) Prothese, wenn sein Verhalten weitere Merkmale eines Behandlungsfehlers aufweist. Solche weiteren Umstände können in einer fehlerhaften Auswahl der Prothese (fehlerhafte Ausübung der Therapiefreiheit) und/oder insbesondere auch in einer mangelhaften Aufklärung des Patienten liegen.

Bei der Auswahl der Prothese kann der Arzt zwar im Rahmen seiner Therapiefreiheit auch von den Herstellerangaben abweichen. Die Auswahl muss jedoch dem aktuellen wissenschaftlichen Standard entsprechen. Darüber hinaus muss der Patient entsprechend aufgeklärt werden.

Grundsätzlich sollte der Arzt Prothesen im Rahmen der Herstellervorgaben verwenden und den Patienten entsprechend dieser Vorgaben aufklären. Andernfalls liegt unter Umständen ein grober Behandlungsfehler vor, der durch Beweislastumkehr den Arzt verpflichtet, nachzuweisen, dass seine Pflichtverletzung nicht zu dem Schaden geführt hat, den der Patient geltend macht.

Urteil des Oberlandesgerichts Köln vom 04.04.2012, Az. 5 U 99/11

Die genannten Grundsätze hatte jüngst das Oberlandesgericht Köln auf einen Fall anzuwenden, in dem ein Hüftgelenk durch eine Prothese ersetzt wurde:

Zum Sachverhalt

Der 1935 geborene, stark übergewichtige Kläger litt unter Schmerzen im rechten Hüftgelenk. Der im ebenfalls beklagten Krankenhaus tätige beklagte Arzt stellte die Diagnose einer Cox-Arthrose. Der Kläger erklärte sich auf einem perimed-Aufklärungsbogen mit dem Ersatz des rechten Hüftgelenks durch eine Totalendoprothese einverstanden. Daraufhin implantierte der beklagte Arzt eine Titanpfanne und einen zementfreien Schaft, auf den mittels eines Adapters ein Keramikkopf gesetzt wurde, der ein ebenfalls beklagtes Unternehmen geliefert hatte und der von dessen Streithelferin, einem in der Schweiz ansässigen Unternehmen, hergestellt worden war.

Bei Nachuntersuchungen ca. 2 und 5 Monate nach dem Eingriff gab der Kläger an, dass es ihm ausgezeichnet gehe. 1 Jahr und 8 Monate später vernahm er nach seiner Darstellung beim Aufstehen aus dem Bett ein knirschendes Geräusch. Einen weiteren Monat später stellte er sich wegen starker Schmerzen im ebenfalls beklagten Krankenhaus vor. Die Röntgenuntersuchung ergab, dass der Hüftkopf zerborsten und zersplittert war. Daraufhin räumte der beklagte Arzt die Keramikpartikel aus und setzte statt des Keramikkopfs einen Metallkopf ein. Das beklagte Krankenhaus sandte die Bruchteile des Keramikkopfes an das ebenfalls beklagte Lieferunternehmen, das diese an seine Streithelferin weiterleitete. Das beklagte Krankenhaus, das beklagte Lieferunternehmen und die Streithelferin führten jeweils eine Heißdampfsterilisation durch. Die anschließende Untersuchung ergab keinen Materialdefekt.

Der Kläger macht geltend, dass der Keramikkopf einen Produktfehler aufgewiesen habe. Insbesondere habe dieser infolge des zu verwendenden Adapters eine geringe Wanddecke mit erhöhtem Bruchrisiko gehabt. Der beklagte Arzt habe die Hüftprothese falsch ausgewählt. Bei übergroßer Halslänge sei der Einsatz eines metallischen Prothesenkopfes erforderlich gewesen. Über das Bruchrisiko und die hinsichtlich des Materials möglichen Alternativen sei er, der Kläger, nicht aufgeklärt worden.

Der Kläger fordert die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes sowie den Ersatz eines Haushaltsführungsschadens und sonstiger Schäden.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es lasse sich nicht klären, ob der Materialbruch auf einem Behandlungsfehler oder einem Materialversagen beruht oder schicksalhaft gewesen ist. Der Kläger sei vor der Operation zudem über das Bruchrisiko aufgeklärt worden. Eine Alternativaufklärung über das einzubringende Material sei nicht erforderlich gewesen. Ein Fehler des Produkts sei nicht festzustellen.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Berufung. Der in der Zusammensetzung des Werkstoffs der Steckkugel zu hohe Anteil monokliner Phase sei nicht durch die Heißdampfsterilisation entstanden. Unter anderem habe zudem der beklagte Arzt das Material ausdrücklich als bruchfest geschildert. Wegen des geringeren Bruchrisikos habe sich jedoch ein Metallkopf als echte aufklärungspflichtige Alternative dargestellt. Der Kläger habe einen Entscheidungskonflikt nachvollziehbar dargestellt, da er auf die Bruchfestigkeit besonderen Wert gelegt habe.

Aus den Gründen

Das Oberlandesgericht kam zu dem Ergebnis, dass die Berufung unbegründet ist:

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