Übersichtsarbeiten - OUP 07-08/2013

Was gibt’s Neues in der Hüftendoprothetik?

M. Weber1, F. Völlner1, C. Schröter1, M. Wörner1

Zusammenfassung: Die Implantation einer Hüftgelenktotalendoprothese gilt als die erfolgreichste Operation der orthopädischen Chirurgie des letzten Jahrhunderts. In den letzten Jahren finden weichteilschonend minimalinvasive oder „less-invasive“ Zugangswege auch in der primären Hüftendoprothetik zunehmende Verbreitung. Das Wesen der minimalinvasiven Hüftgelenkchirurgie ist dabei allerdings nicht auf den kleineren Hautschnitt begrenzt, sondern fokussiert auf eine maximale Weichteilschonung ohne unnötige Ablösung von Muskel- und Sehnenansätzen am Trochanter major. Gerade in der perioperativen Phase profitieren Patienten von einem verminderten intraoperativen Blutverlust, der verringerten Schmerzsymptomatik und einer konsekutiv verbesserten frührehabilitativen Funktionalität. Computerassistierte Operationsverfahren bieten dem orthopädischen Chirurgen eine verlässliche Kontrollmöglichkeit über die 3-dimensionale Stellung der Einzelkomponenten. Mittlerweile haben sich „bildfreie“ Navigationssysteme, die auf eine prä- und intraoperative Röntgenstrahlenbelastung verzichten, im klinischen Alltag etabliert. Neben der Pfannenstellung lassen sich mit dieser Technologie auch Veränderungen der Beinlänge und des Offsets intraoperativ optimieren. Eine neue Entwicklung in diesem Bereich stellt die femoral-pinfreie Navigation dar, bei der das konventionell im Oberschenkelknochen befestigte Referenzmarkersystem durch ein oberflächliches, nicht-invasives Referenzsystem ersetzt wird. Die nächste Generation von Navigationssystemen für die computerassistierte Hüftendoprothetik wird sich von einem Messinstrument zu einem integralen Bestandteil des Operationsablaufs wandeln. Ziel ist eine an der patientenindividuellen Anatomie ausgerichtete Implantatpositionierung mit verbesserter postoperativer Funktion und optimiertem Bewegungsumfang unter Vermeidung mechanischer Einklemmungsphänomene.

Schlüsselwörter: Hüftendoprothetik, minimalinvasiv, Navigation

 

Zitierweise

Weber, M; Völlner, F; Schröter, C; Wörner, M: Was gibt’s Neues in der Hüftendoprothetik. OUP 2013; 7: 352-358.
DOI 10.3238/oup.2013.0352-0358

Abstract: Minimally invasive surgery has become more and more popular in total hip arthroplasty – one of the most successful operative procedures of the last century. Minimally or less invasive techniques do not rely on the length of the skin incision, but focus on the preservation of soft tissue elements such as muscle. Studies show reduced soft tissue trauma, decreased perioperative blood loss and superior clinical outcome in the early postoperative period. Computer-navigated orthopedic surgery offers a reliable control method for a complex 3-dimensional situation. Imageless navigation systems without the need of preoperative or intraoperative image acquisition and exposure to radiation have been proven to increase the accuracy of positioning the acetabular component and measure intraoperative leg length and offset changes precisely. A new development in this field is the noninvasive external femoral reference marker array system in conjunction with an imageless measurement technique. The future generation of imageless navigation systems will switch from simple measurement tasks to an integral part of the surgical process in navigated THA. The aim will be to find an optimized complementary component orientation with improved postoperative functionality and optimized range of motion without impingement.

Keywords: total hip arthroplasty, minimally invasive surgery, computer assisted orthopaedic surgery

 

Citation

Weber, M; Völlner, F; Schröter, C; Wörner, M: What’s new in primary total hip arthroplasty. OUP 2013; 7: 352-358.
DOI 10.3238/oup.2013.0352-0358

Einleitung

Die Implantation einer Hüftgelenktotalendoprothese gilt als die erfolgreichste Operation der orthopädischen Chirurgie des letzten Jahrhunderts [1]. Zwischen 2002 und 2008 stieg die Zahl der pro Jahr in Deutschland implantierten Endoprothesen nach Auswertung der Bundesgeschäftsstelle für Qualitätssicherung um über 46 %. In 2012 wurden über 300.000 Patienten in der Bundesrepublik mit einem künstlichen Hüftgelenk versorgt. Trotz der Standardisierung und der hohen Fallzahlen ist der Eingriff nach wie vor anspruchsvoll. Wesentliche Voraussetzung für eine gute postoperative Stabilität und Funktion des künstlichen Hüftgelenks ist eine optimale, 3-dimensionale Positionierung der Prothesenkomponenten [2]. Anschlagphänomene zwischen knöchernen Strukturen (bony impingement) oder zwischen Prothesenschaft und -pfanne (prosthetic impingement) führen zu erhöhtem Abrieb, vorzeitigem Komponentenverschleiß und frühzeitigen Revisionsoperationen [3]. Vor diesem Hintergrund setzt sich der orthopädische Chirurg bereits in der präoperativen Planung mit der patientenindividuellen, anatomischen Situation und der operationsbedingten Veränderung biomechanisch wichtiger Parameter auseinander. Neben der Pfannenposition werden u.a. auch die Veränderung bzw. Rekonstruktion des Hüftrotationszentrums, der Beinlänge und des Abstands zwischen Oberschenkelknochen und Becken (Offset) geplant [4]. Gelingt die biomechanische Rekonstruktion des Rotationszentrums, der Beinlänge und des Offsets nicht oder nur unzureichend, dann resultieren postoperative Gangasymmetrien mit konsekutivem Rücken-/Knieschmerz, erhöhtem Gleitflächenabrieb und eingeschränktem Bewegungsumfang des künstlichen Gelenks. Damit verbundene Implantatlockerungen und Revisionsoperationen sind gleichbedeutend mit prolongierter Schmerzsymptomatik, Patientenunzufriedenheit, gravierenden sozioökonomischen Folgekosten und – in zunehmendem Maße – hohen Schadenersatzforderungen gegenüber dem Operateur [3–6].

Der Zugang zum Hüftgelenk kann über mehrere Wege erfolgen. Abhängig von der Schnittführung wird dabei eine Lagerung des Patienten in Rücken- oder Seitenlage gewählt. Bei lateralen Zugangswegen kann der Patient sowohl in Rückenlage als auch in Seitenlage operiert werden. Die Schnittführung liegt über dem Bereich des Trochanter major und erfordert die Durchtrennung des Tractus iliotibialis sowie teilweise der Gesäßmuskulatur. Beim dorsalen Zugang wird eine Schnittführung dorsal des Trochantermassivs gewählt, deshalb ist bei diesem Operationsverfahren eine Seitlagerung des Patienten erforderlich. Auch hier müssen Muskeln und Muskelsehnenansatzzonen mehr oder minder temporär umfangreich abgelöst werden, um ausreichend Übersicht auf die Schenkelhals- und Hüftkopfregion zu gewinnen und dann die Hüftgelenkkomponenten in regelrechter Stellung zueinander zu implantieren (Abb. 1) [7–8].

Neuere minimalinvasive oder „less-invasive“ Zugangswege schonen weichteilige Strukturen wie den Tractus iliotibialis und die Glutealmuskulatur. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass Muskulatur nicht durchtrennt bzw. abgelöst werden muss. Die in der Literatur oft ungenaue und uneinheitliche Verwendungsweise des Begriffs „minimalinvasiv“ erschwert die Evaluation dieser neuen Technik und den Vergleich zu herkömmlichen Techniken. Eine reine Begrenzung der Schnittlänge bei intraoperativ unverändertem Vorgehen ist nicht ausreichend und berechtigt noch nicht allein zur Bezeichnung einer minimalinvasiven Vorgehensweise [9]. Vielmehr zeichnet sich Minimalinvasivität durch eine muskelschonende Präparation beim Zugangsweg sowie dem Einsatz von hierzu notwendigen Spezialinstrumenten aus. Das Wesen der minimalinvasiven Hüftgelenkchirurgie ist gerade nicht nur auf den kleineren Hautschnitt begrenzt, sondern fokussiert auf eine maximale Weichteilschonung ohne unnötige Ablösung von Muskel- und Sehnenansätzen am Trochanter major. Im klinischen Alltag zeigt sich, dass bei der Pfannenpräparation gewinkelte Fräsen und Einschlaginstrumente unabdingbar sind, um Weichteilschäden und kosmetisch unbefriedigende Narbenbildungen zu vermeiden [7, 10]. Der orthopädische Chirurg kann mittlerweile aus einer Fülle minimalinvasiver Zugangswege in verschiedenen Lagerungsstellungen auswählen [8].

Minimalinvasive Operationsverfahren in der primären Hüftendoprothetik

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