Arzt und Recht - OUP 02/2020

Wesentliche Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur wirtschaftlichen Aufklärungspflicht

Heiko Schott

Bereits in der Ausgabe OUP 01/2019 war die wirtschaftliche Aufklärungspflicht des Behandlers gegenüber Privatpatienten Gegenstand eines Artikels.

Nunmehr hat der 6. Senat des BGH mit dem Urteil 28.01.2020, Az. VI ZR 92/19, Stellung zu dieser Konstellation genommen und geurteilt. Anders als in mehr oder weniger typischen Sachverhalten zum Arzthaftungsrecht, betrifft diese Fallkonstellation die Fragestellung, ob der Behandler seinen Vergütungsanspruch gegen den Patienten durchsetzen können wird.

Auch, wenn es in dem hier vorliegenden Fall explizit nicht um einen Fall aus der Orthopädie und/oder Unfallchirurgie ging, lassen sich wesentliche Rückschlüsse, Erkenntnisse und notwendige Konsequenzen ziehen.

Ausgangspunkt

Im Kern geht es vorliegend um die Vorschrift des § 630c Abs. 3 BGB, in der es heißt: „Weiß der Behandelnde, dass eine vollständige Übernahme der Behandlungskosten durch einen Dritten nicht gesichert ist oder ergeben sich nach den Umständen hierfür hinreichende Anhaltspunkte, muss er den Patienten vor Beginn der Behandlung über die voraussichtlichen Kosten der Behandlung in Textform informieren (...)“.

Die Norm und deren Auslegung werden allein aufgrund der Tatsache, dass nicht zwischen gesetzlicher und privater Versicherung unterschieden wird, oft diskutiert. Während der Behandler bei gesetzlich versicherten Patienten den Leistungskatalog in Form des EBM schlicht zu kennen hat, ist dies bei privatversicherten Patienten nicht möglich. Eine Kenntnis vom konkreten Versicherungsvertrag des Patienten und damit auch eventuell gegebene Ein- und Ausschlüsse, die der Privatpatient vertraglich individuell vereinbart, kann nicht verlangt werden.

Dies hat nun der 6. Senat des BGH bestätigt. Aus der Entscheidung geht die Differenzierung nach Versichertenstatus im obigen Sinne hervor: „Die in § 630c Abs. 3 Satz 1 BGB kodifizierte Pflicht zur wirtschaftlichen Information soll den Patienten vor finanziellen Überraschungen schützen und ihn in die Lage versetzen, die wirtschaftliche Tragweite seiner Entscheidung zu überschauen. Sie zielt allerdings nicht auf eine umfassende Aufklärung des Patienten über die wirtschaftlichen Folgen einer Behandlung. Den Grund für die wirtschaftliche Informationspflicht sieht der Gesetzgeber dabei in einem Wissensvorsprung des Behandlers gegenüber dem Patienten (vgl. BT-Drucks. 17/10488, S. 22 li. Sp.).

Bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 630c Absatz 3 Satz 1 BGB ist zwischen gesetzlich und privat versicherten Patienten zu differenzieren. Ein Vertragsarzt wird regelmäßig wissen, ob er für die eigenen Leistungen von der zuständigen Krankenkasse eine Vergütung erhält oder nicht. Denn er kennt die für den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung maßgeblichen Richtlinien des gemeinsamen Bundesausschusses (§ 92 SGB V) aus seiner Abrechnungspraxis, da diese für die Leistungserbringer gemäß § 91 Absatz 6 SGB V verbindlich sind und gemäß § 94 Absatz 2 Satz 1 SGB V bekannt gemacht werden.

Demgegenüber stellt sich die Situation bei Patienten mit privater Krankenversicherung anders dar. Hier liegt die Kenntnis vom Umfang des Versicherungsschutzes grundsätzlich im Verantwortungsbereich des Patienten. Der Deckungsschutz privat krankenversicherter Patienten ergibt sich nicht aus dem Gesetz. Entscheidend sind vielmehr die Bedingungen des konkreten Versicherungsvertrags und die Regulierungspraxis des im Einzelfall zuständigen Versicherers, zu dem allein der Patient in einer vertraglichen Beziehung steht und bei dem dieser vorab eine vorherige Erstattungszusage einholen kann. Deshalb ist bei der Annahme einer Informationspflicht in diesem Bereich grundsätzlich Zurückhaltung geboten.“

Für die Behandlerseite ist es insoweit als positiv zu werten, dass nunmehr auch die Rechtsprechung die nicht im Gesetz verankerte Unterscheidung zwischen gesetzlich und privat versicherten Patienten vornimmt.

Dennoch ist bei einer Vielzahl von Behandlungs- und/oder Therapieformen – auch bei Privatpatienten – Umsicht geboten. Denn der Arzt, der eine neue, noch nicht allgemein anerkannte Behandlungsmethode anwendet, muss die Möglichkeit in den Blick nehmen, dass ein privater Krankenversicherer die dafür erforderlichen Kosten nicht in vollem Umfang erstattet1.

Unter dem Stichpunkt der „(noch) nicht allgemein anerkannten Behandlungsmethode“ wird demgemäß eine eigene Fallgruppe zu verorten sein, bei der die wirtschaftliche Aufklärung – unabhängig vom Versichertenstatus – grundsätzlich vorgenommen werden muss.

Mit den Worten der Rechtsprechung bedeutet dies die Frage, ob der Behandler ein „den Korridor des medizinischen Standards verlassendes Behandlungskonzept angewandt hat“2.

Beispielhaft seien an dieser Stelle ohne Anspruch auf Vollständigkeit in der konservativen, bzw. minimalinvasiven Orthopädie die ACP-Therapie, Orthokin-Therapie, Magnetfeldresonanztherapie, Stoßwellentherapie (indikationsabhängig), sämtliche Injektions- und Infusionstherapien (abhängig von den jeweils zu applizierenden Arzneimitteln und/oder Medizinprodukten) erwähnt.

Da die Frage der allgemeinen medizinischen Anerkennung einer Therapiemaßnahme regelmäßig im Zuge eines prozessualen Sachverständigengutachtens entschieden wird, ist an diesem Punkt in der alltäglichen Praxis Besonnenheit geboten.

Deutlich hervorgehoben bedeutet dies, dass in einem Zivilprozess ein Sachverständiger bestätigen müsste, dass die betreffende Behandlung allgemein wissenschaftlich und medizinisch anerkannt ist. Diese formelle Voraussetzung ist – wie obige beispielhafte Aufzählung zeigt – oftmals problembehaftet.

Für den Behandler, der sicher seinen Vergütungsanspruch erhalten möchte, ergeben sich nun zwei Möglichkeiten.

Zum einen kann selbstredend im Sinne der oben dargestellten Norm des § 630 c Absatz 3 BGB namentlich mit einem schriftlichen „Kostenvoranschlag“ verfahren werden.

Eine andere Möglichkeit bietet sodann jedoch auch noch § 630 c Abs. 4 BGB, in dem es heißt:

„Der Information des Patienten bedarf es nicht, soweit (...) der Patient auf die Information ausdrücklich verzichtet hat.“

Um eine Umgehung der grundsätzlichen Informationspflicht zu vermeiden, hat der Gesetzgeber einen stillschweigenden Verzicht nicht als ausreichend angesehen. Vielmehr sind an das Vorliegen eines Verzichts strenge Anforderungen zu stellen. Der Patient muss den Verzicht deutlich, klar und unmissverständlich geäußert haben3.

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