Übersichtsarbeiten - OUP 02/2016

Angeborene Fehlbildungen des Daumens und der Finger – Was kann wie behandelt werden?

Falko von Stillfried1

Zusammenfassung: Die differenzierte Betrachtung bei angeborenen Fehlbildungen des Daumens und der Finger und ihrer Bedeutung für die Funktionalität führt zu gezielten Therapieoptionen. Sowohl die Behandlung einer einfachen Syndaktylie als auch einer Daumenaplasie kann zu einer erheblichen Funktionsverbesserung führen.

Schlüsselwörter: Deformität, Syndaktylie, Daumenhypoplasie, Pollizisation

Zitierweise
von Stillfried F: Angeborene Fehlbildungen des Daumens und der Finger – Was kann wie behandelt werden?
OUP 2016; 2: 076–080 DOI 10.3238/oup.2015.0076–0080

Summary: The differentiated analysis in congenital malformations of the thumb and digits and their significance for the functionality leads to targeted therapy options. Both the treatment of simple syndactyly or the absence of a thumb will lead to functional improvement.

Keywords: deformity, syndactyly, thumb hypoplasia,
pollicization

Citation
von Stillfried F: Congenital deformities of thumb and digits – how to treat?
OUP 2016; 2: 076–080 DOI 10.3238/oup.2015.0076–0080

Einleitung

Eine angeborene Fehlbildung der Hand kann sich auf die Funktion des ganzen Arms auswirken. Dass eine Veränderung vorliegt, ist häufig bei der Geburt zu erkennen, aber auch eine spätere Manifestation im Lauf des Wachstums, wie z.B. bei der Madelung-Deformität, ist möglich. Es bedarf einer differenzierten Betrachtung bezüglich der Ausprägung der Deformität und ihrer Bedeutung für die Funktionalität. Darauf basiert die Behandlung und Betreuung der jungen Patienten und ihrer Eltern, häufig im Verlauf des gesamten Wachstums.

Die vielfältigen Fehlbildungen sind in ihrer Ausprägung variabel. Eine kleine Auswahl solcher Deformitäten von der einfachen Syndaktylie bis zur Daumenaplasie soll in diesem Beitrag mit entsprechenden Behandlungsoptionen dargestellt werden.

Syndaktylie

Die einfache Syndaktylie, bei der 2 benachbarte Finger rein weichteilig unvollständig voneinander getrennt sind, gehört mit einem Auftreten von 1:3000 bei Neugeborenen [1] zu den häufigsten Fehlbildungen der Finger. Die Hand ist in der frühen intrauterinen Entwicklung zunächst wie eine Handplatte angelegt, bei der durch Apoptose die Zwischenfingerfalten entstehen und alle Finger voneinander getrennt werden. Geschieht dies unvollständig, sind die typischen Formen der Syndaktylie zu finden. Hier ist der 3. Interdigitalraum zwischen Mittel- und Ringfinger mit etwa 50 % am häufigsten betroffen [2].

Von der einfachen Syndaktylie ist die komplexe Syndaktylie zu unterscheiden, bei der auch knöcherne Verbindungen vorliegen. Eine maximale Ausprägung mit Ausbildung einer Löffel- oder Huf-Hand kann beim Apert-Syndrom (Acrocephalosyndaktylie) auftreten, bei der alle Finger einer Hand knöchern nicht getrennt sind.

Ziel der Therapie der einfachen Syndaktylie ist die Trennung der betroffenen Finger. Dies ermöglicht eine isolierte Fingerbeweglichkeit und vermeidet Beugekontrakturen oder Achsabweichungen, die im Wachstum auftreten können. Weiterhin wird das äußere Erscheinungsbild verbessert.

Welche Finger sollen wann operiert werden?

Liegt eine Syndaktylie von unterschiedlich langen Fingern vor, ist die Gefahr einer Beugekontraktur und Achsdeviation deutlich höher, sodass hier eine Fingertrennung gegen Ende des ersten Lebensjahres mit den Eltern besprochen werden kann. Operationen nach dem zweiten Geburtstag haben den Vorteil einer insgesamt größeren Hand mit mehr subkutanem Gewebe, sodass die Präparation der Z- und Insel-Lappen technisch einfacher durchzuführen ist.

Verschiedene Varianten zur Planung der Hautlappen wurden entwickelt. Wichtig ist die Schaffung eines ausreichend tiefen Interdigitalraums. Weiterhin soll durch die Schnittführung eine spätere Narbenkontraktur möglichst vermieden werden. Vollhauttransplantate können erforderlich sein und aus der Ellenbeuge gewonnen werden. Eine Entnahme aus der Leiste ist aufgrund einer im Wachstum möglichen Hyperpigmentierung weniger empfehlenswert [3]. Wichtig ist, dass ein radial und ulnar betroffener Finger nicht einzeitig von seinen Nachbarfingern getrennt werden sollte, um Durchblutungs- oder Wundheilungsstörungen zu vermeiden.

Eine Technik unter Schaffung eines dorsalen Insellappens für die Zwischenfingerfalte [4] kann zusätzliche Hauttransplantate vermeiden (Abb. 1–3). Bei der Planung der Schnittführung muss ebenso die evtl. erforderliche Ausbildung einer neuen Fingerkuppe eingezeichnet werden.

Daumenhypoplasie
und Pollizisation

Der Daumen mit seiner besonderen Form, Stellung und Beweglichkeit ist für die Funktion der ganzen Hand von großer Bedeutung. Durch das Daumensattelgelenk hat er die Möglichkeit zur Oppositionsbewegung gegenüber den Langfingern. Eine Hypolasie des 1. Strahls wurde von Blauth in 5 Typen kategorisiert, bis hin zur vollständigen Daumenaplasie [5]. Modifikationen und Ergänzungen dieser Klassifikation [6], ebenfalls unter chirurgischen Gesichtspunkten, wurden publiziert und sind für die Untersuchung und Therapieplanung hilfreich.

Ein hypoplastischer Daumen ist kürzer, schmaler und schlanker und kann ebenso wie eine radiale Klumphand im Rahmen einer syndromalen Erkrankung auftreten. Hier sind z.B. eine Fanconi-Anämie, Vacterl-Syndrom, Holt-Oram oder TAR (Thrombocytopenia-absent radius) zu nennen. Bevor die Therapie der Hand angegangen wird, sollten vorher nach kardiologischen, gastrointestinalen, renalen, hämatopoetischen oder spinalen Erkrankung gesucht und diese ggf. therapiert werden.

Bei der Untersuchung des Daumens sollte neben der Größe auch die Beweglichkeit des Interphalangealgelenks beurteilt werden. Eine reduzierte Beweglichkeit kann durch vermindert ausgebildete Hautfalten streck- und beugeseitig des Gelenks erkennbar sein. Ursache ist die unterentwickelte extrinsische Muskulatur, aber auch eine atypische Verbindung zwischen der langen Streck- und der langen Beugesehne des Daumens kann die Ursache für die Einschränkung des IP-Gelenks sein. Dies wird als Pollex abductus bezeichnet [7]. Das Grundgelenk muss hinsichtlich seiner Stabilität bzw. Instabilität beurteilt werden, besonders die des ulnaren Seitenbands. Die Thenarmuskulatur sollte bzgl. einer Hypotrophie und der Funktion für Abduktion und Opposition beurteilt werden, ebenso die Ausbildung der 1. Interdigitalfalte. Ist sie verkleinert, schränkt auch dies die Funktion des Daumens durch eine reduzierte Abspreizfähigkeit ein.

Die mildeste Form der Daumenhypoplasie ist der Typ I mit einem verkürzten und schlanken Daumen, aber erhaltender IP-Beweglichkeit und stabilem Grundgelenk und benötigt keine funktionsverbessernde Therapie.

Der Typ II zeigt neben der Verkleinerung eine Adduktionsstellung des Daumens mit verkürzter Zwischenfingerfalte. Das Grundgelenk ist instabil und die Thenarmuskulatur hypoplastisch. Eine unidirektionale Instabilität im Grundgelenk wird von einer multidirektionalen Instabilität unterschieden in Typ IIa bzw. IIb.

Typ III ist bezüglich der Hypoplasie noch stärker ausgeprägt und zeigt sowohl die intrinsische (Thenar-) als auch die extrinsische (EPL und FPL-) Muskulatur hypoplastisch. Die Stabilität im Sattelgelenk ist aber noch erhalten. Dies wird als Typ IIIa bezeichnet.

Der Typ IIIb zeigt radiologisch eine partielle Aplasie des proximalen Metacarpale I oder auch von Trapezoid und Scaphoid. Das Daumensattelgelenk ist bei Typ IIIb instabil.

Bei Typ IV ist nur ein sogenannter Pendeldaumen angelegt (Abb. 4), der keine knöcherne oder muskuläre Verbindung zur Hand besitzt und bezeichnenderweise nur an einer Hautbrücke pendelt.

Typ V bezeichnet die vollständige Aplasie des Daumens und ist die häufigste Variante.

Welchen Therapieoptionen gibt es, um eine Verbesserung zu erreichen? Während eine Daumenhypoplasie vom Typ I keiner Therapie bedarf, sollten alle höhergradigen Deformitäten chirurgisch korrigiert werden.

Bei einem Typ II Daumen kann die Adduktion aufgrund der verkürzten Zwischenfingerfalte mit Hilfe einer Z-Plastik oder kombinierten Z-YV-Plastik („jumping man“) verlängert und vertieft werden. Da die Thenarmuskulatur mitbetroffen und die Oppositionsfähigkeit geschwächt ist, kann eine Opponensplastik erfolgen. Dazu wird die oberflächliche Ringfinger-Beugesehene (FDS 4) zum Grundglied des Daumens an die Insertion der Abduktor pollicis brevis Sehne (APB) transferiert. Für die Rekonstruktion eines ulnaren Seitenbands am Grundgelenk steht ein Streifen der transferierten FDS-Sehne zur Verfügung [8].

Bei einem Typ IIIA muss neben der Vertiefung der 1. Interdigitalfalte ebenso eine Verbesserung der Opposition durchgeführt werden. Die Opponensplastik kann mit Hilfe der Abduktor-digiti-minimi-Opponensplastik [9] aus der Hypothenar-Muskulatur erreicht werden. Hierzu wird der M. abduktor digiti minimi zum dorso-radialen Aspekt des Daumengrundglieds verlagert (Abb. 5a-b und 6a-b).

Eine Rekonstruktion der Daumenfunktion ist für eine Hypoplasie von Typ IIIB bis zum Typ V nur mit Hilfe einer Pollizisation zu erreichen (Abb.7a-b). Dabei wird aus dem benachbarten Zeigefinger ein Neo-Daumen geschaffen. Welche Eigenschaften sollte ein Zeigefinger haben, um ein funktionell guter und kosmetisch anspruchsvoller Daumen zu werden? Günstig ist ein gut entwickelter und frei beweglicher Zeigefinger, denn daraus kann ein funktionell guter Neo-Daumen werden. Ein wenig beweglicher Finger wird auch zu einem wenig beweglichen Neo-Daumen werden. Zwei Streckmuskeln samt Sehnen (Extensor indicis und Extensor dig. communis) sollten für eine extrinsische Extension und Abduktion angelegt sein. Weiterhin ein kräftiger erster M. interosseus dorsalis für entsprechende intrinsische Thenarfunktion. Die streckseitige Haut sollte ausreichend und flexibel für die erforderliche Rotation in die erste Zwischenfingerfalte vorhanden sein. Radiologisch sollte eine normale distale Epiphyse des Metacarpale angelegt sein, da diese Epiphyse in ein Neo-Trapezium umgewandelt wird [2]. Der proximal der Epiphyse gelegene Anteil des Metacarpale II wird exzidiert.

Womit muss ein gut geeigneter Zeigefinger versorgt werden, um ein Neo-Daumen zu werden? Er benötigt ausreichend Haut für eine mobile, tiefe erste Zwischenfingerfalte und genügend Kraft für die Abduktion und Opposition. Es muss eine knöcherne Reduktion erfolgen, um aus einem dreigliedrigen Zeigefinger einen zweigliedrigen Daumen zu erhalten. Ein neues Carpo-Metacarpales (CMC) Gelenk in passender Ausrichtung auf den zukünftigen Zeigefinger (bisherigen Mittelfinger), um u.a. einen Spitzgriff, Dreipunktgriff und die Opposition zu ermöglichen [2]. Die nicht angelegte Thenarwölbung kann aus einem adipo-faszialen Lappen für eine natürlichere optische Erscheinung rekonstruiert werden [10] (Abb. 8a-c).

Für die postoperative Nachbehandlung wird ein Oberarm-Cast mit Einschluss des Daumens für 3 bis 4 Wochen angelegt. Anschließend eine Lagerungsschiene, z.B. aus Thermoplast mit dem Daumen in Opposition, palmarer Abduktion und leichter Dehnung der 1. Zwischenfingerfurche für 4 Wochen Tag und Nacht. Danach noch für weitere 4 Wochen nur in der Nacht. Aus der Schiene werden passive und aktive Übungen zur Mobilisierung im Grund-, End- und Carpo-Metacarpalen-Gelenk durchgeführt (Abb. 9). Zur Unterstützung des Daumeneinsatzes können D II und III mit Buddy-loops verbunden werden. Bei Vorliegen einer radialen Klumphand wird die Lagerungsschiene länger verwendet.

Zusammenfassung

Die Behandlung von angeborenen Deformitäten des Daumens und der Finger hat das Ziel einer funktionellen Verbesserung der Hand und muss auch ästhetischen Ansprüchen genügen. Die Entscheidung über mögliche Therapieoptionen muss gemeinsam mit den Eltern der Patienten nach Analyse der vorliegenden Veränderungen getroffen werden. Eine differenzierte Vorgehensweise auch bei schweren Deformitäten kann zu einer signifikanten Funktionsverbesserung führen.

Interessenkonflikt: Keine angegeben.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Falko von Stillfried

Klinik für Rekonstruktive und
Plastische Chirurgie,
Handchirurgie

Sankt Vincentius Krankenhaus

Holzstraße 4a

67346 Speyer

F.Stillfried@vincentius-speyer.de

Literatur

1. Bosse K, Betz RC, Lee YA et.al. Localization of a gene for syndactyly type 1 to chromosome 2q34-q36. Am J Hum Genet 2000; 67: 492–497

2. Waters PM, Bae DS. Pediatric Hand and Upper Limb Surgery: A Practical Guide. Philadelphia: Lippincott Williams & Wilkins, 2012

3. Benatar N. Full-thickness skin grafts from the cubital fossa for syndactyly-release. Handchir Mikrochir Plast Chir 2004; 36: 186–8

4. Hsu VM, Smartt, JM Jr, Chang B. The modified VY dorsal metacarpal flap for repair of syndactyly without skin graft. Plast Reconstr Surg 2010; 125: 225–232

5. Blauth W. The hypoplastic thumb. Arch Orthop Unfallchir 1967; 62: 225–246

6. Manske PR, McCarroll HR Jr. Reconstruction oft the congenitally deficient thumb. Hand Clin 1992; 8: 177–196

7. Lister G. Pollex abductus in hypoplasia and duplication of the thumb. J Hand Surg Am 1991; 16: 626–633

8. Manske PR, McCarroll HR Jr. Abductor digiti minimi opponensplasty in congenital radial dysplasia. J Hans Surg Am 1978; 3: 552–559

9. de Roode CP, James MA, McCarroll HR Jr. Abductor digit minimi opponensplasty: technique, modifications, and measurement of opposition. Tech Hand Up Extrem Surg 2010;14: 51–53

10. Taghinia AH, Littler JW, Upton J. Refinements in pollicization: a 30-year experience. Plast Reconstr Surg 2012;130: 423e-33e

Fussnoten

1 Klinik für Rekonstruktive und Plastische Chirurgie, Handchirurgie, Sankt Vincentius Krankenhaus Speyer

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