Übersichtsarbeiten - OUP 02/2016

Angeborene Fehlbildungen des Daumens und der Finger – Was kann wie behandelt werden?

Die mildeste Form der Daumenhypoplasie ist der Typ I mit einem verkürzten und schlanken Daumen, aber erhaltender IP-Beweglichkeit und stabilem Grundgelenk und benötigt keine funktionsverbessernde Therapie.

Der Typ II zeigt neben der Verkleinerung eine Adduktionsstellung des Daumens mit verkürzter Zwischenfingerfalte. Das Grundgelenk ist instabil und die Thenarmuskulatur hypoplastisch. Eine unidirektionale Instabilität im Grundgelenk wird von einer multidirektionalen Instabilität unterschieden in Typ IIa bzw. IIb.

Typ III ist bezüglich der Hypoplasie noch stärker ausgeprägt und zeigt sowohl die intrinsische (Thenar-) als auch die extrinsische (EPL und FPL-) Muskulatur hypoplastisch. Die Stabilität im Sattelgelenk ist aber noch erhalten. Dies wird als Typ IIIa bezeichnet.

Der Typ IIIb zeigt radiologisch eine partielle Aplasie des proximalen Metacarpale I oder auch von Trapezoid und Scaphoid. Das Daumensattelgelenk ist bei Typ IIIb instabil.

Bei Typ IV ist nur ein sogenannter Pendeldaumen angelegt (Abb. 4), der keine knöcherne oder muskuläre Verbindung zur Hand besitzt und bezeichnenderweise nur an einer Hautbrücke pendelt.

Typ V bezeichnet die vollständige Aplasie des Daumens und ist die häufigste Variante.

Welchen Therapieoptionen gibt es, um eine Verbesserung zu erreichen? Während eine Daumenhypoplasie vom Typ I keiner Therapie bedarf, sollten alle höhergradigen Deformitäten chirurgisch korrigiert werden.

Bei einem Typ II Daumen kann die Adduktion aufgrund der verkürzten Zwischenfingerfalte mit Hilfe einer Z-Plastik oder kombinierten Z-YV-Plastik („jumping man“) verlängert und vertieft werden. Da die Thenarmuskulatur mitbetroffen und die Oppositionsfähigkeit geschwächt ist, kann eine Opponensplastik erfolgen. Dazu wird die oberflächliche Ringfinger-Beugesehene (FDS 4) zum Grundglied des Daumens an die Insertion der Abduktor pollicis brevis Sehne (APB) transferiert. Für die Rekonstruktion eines ulnaren Seitenbands am Grundgelenk steht ein Streifen der transferierten FDS-Sehne zur Verfügung [8].

Bei einem Typ IIIA muss neben der Vertiefung der 1. Interdigitalfalte ebenso eine Verbesserung der Opposition durchgeführt werden. Die Opponensplastik kann mit Hilfe der Abduktor-digiti-minimi-Opponensplastik [9] aus der Hypothenar-Muskulatur erreicht werden. Hierzu wird der M. abduktor digiti minimi zum dorso-radialen Aspekt des Daumengrundglieds verlagert (Abb. 5a-b und 6a-b).

Eine Rekonstruktion der Daumenfunktion ist für eine Hypoplasie von Typ IIIB bis zum Typ V nur mit Hilfe einer Pollizisation zu erreichen (Abb.7a-b). Dabei wird aus dem benachbarten Zeigefinger ein Neo-Daumen geschaffen. Welche Eigenschaften sollte ein Zeigefinger haben, um ein funktionell guter und kosmetisch anspruchsvoller Daumen zu werden? Günstig ist ein gut entwickelter und frei beweglicher Zeigefinger, denn daraus kann ein funktionell guter Neo-Daumen werden. Ein wenig beweglicher Finger wird auch zu einem wenig beweglichen Neo-Daumen werden. Zwei Streckmuskeln samt Sehnen (Extensor indicis und Extensor dig. communis) sollten für eine extrinsische Extension und Abduktion angelegt sein. Weiterhin ein kräftiger erster M. interosseus dorsalis für entsprechende intrinsische Thenarfunktion. Die streckseitige Haut sollte ausreichend und flexibel für die erforderliche Rotation in die erste Zwischenfingerfalte vorhanden sein. Radiologisch sollte eine normale distale Epiphyse des Metacarpale angelegt sein, da diese Epiphyse in ein Neo-Trapezium umgewandelt wird [2]. Der proximal der Epiphyse gelegene Anteil des Metacarpale II wird exzidiert.

Womit muss ein gut geeigneter Zeigefinger versorgt werden, um ein Neo-Daumen zu werden? Er benötigt ausreichend Haut für eine mobile, tiefe erste Zwischenfingerfalte und genügend Kraft für die Abduktion und Opposition. Es muss eine knöcherne Reduktion erfolgen, um aus einem dreigliedrigen Zeigefinger einen zweigliedrigen Daumen zu erhalten. Ein neues Carpo-Metacarpales (CMC) Gelenk in passender Ausrichtung auf den zukünftigen Zeigefinger (bisherigen Mittelfinger), um u.a. einen Spitzgriff, Dreipunktgriff und die Opposition zu ermöglichen [2]. Die nicht angelegte Thenarwölbung kann aus einem adipo-faszialen Lappen für eine natürlichere optische Erscheinung rekonstruiert werden [10] (Abb. 8a-c).

Für die postoperative Nachbehandlung wird ein Oberarm-Cast mit Einschluss des Daumens für 3 bis 4 Wochen angelegt. Anschließend eine Lagerungsschiene, z.B. aus Thermoplast mit dem Daumen in Opposition, palmarer Abduktion und leichter Dehnung der 1. Zwischenfingerfurche für 4 Wochen Tag und Nacht. Danach noch für weitere 4 Wochen nur in der Nacht. Aus der Schiene werden passive und aktive Übungen zur Mobilisierung im Grund-, End- und Carpo-Metacarpalen-Gelenk durchgeführt (Abb. 9). Zur Unterstützung des Daumeneinsatzes können D II und III mit Buddy-loops verbunden werden. Bei Vorliegen einer radialen Klumphand wird die Lagerungsschiene länger verwendet.

Zusammenfassung

Die Behandlung von angeborenen Deformitäten des Daumens und der Finger hat das Ziel einer funktionellen Verbesserung der Hand und muss auch ästhetischen Ansprüchen genügen. Die Entscheidung über mögliche Therapieoptionen muss gemeinsam mit den Eltern der Patienten nach Analyse der vorliegenden Veränderungen getroffen werden. Eine differenzierte Vorgehensweise auch bei schweren Deformitäten kann zu einer signifikanten Funktionsverbesserung führen.

Interessenkonflikt: Keine angegeben.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Falko von Stillfried

Klinik für Rekonstruktive und
Plastische Chirurgie,
Handchirurgie

Sankt Vincentius Krankenhaus

Holzstraße 4a

67346 Speyer

F.Stillfried@vincentius-speyer.de

Literatur

1. Bosse K, Betz RC, Lee YA et.al. Localization of a gene for syndactyly type 1 to chromosome 2q34-q36. Am J Hum Genet 2000; 67: 492–497

2. Waters PM, Bae DS. Pediatric Hand and Upper Limb Surgery: A Practical Guide. Philadelphia: Lippincott Williams & Wilkins, 2012

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