Informationen aus der Gesellschaft - OUP 03/2020

Ansätze und Anforderungen für den OP-Saal der Zukunft

Dirk Wilhelm, Michael Kranzfelder, Hubertus Feussner, Daniel Ostler

Technische Universität München, Fakultät für Medizin, Klinik und Poliklinik für Chirurgie, Klinikum rechts der Isar, München

Der Operationssaal stellt in jeder chirurgischen Disziplin die zentrale Einheit der Patientenversorgung dar, hier erfährt der Patient seine eigentliche Therapie und unabhängig vom durchgeführten Eingriff wird hier der weitere Krankheitsverlauf maßgeblich beeinflusst. Jeder operativ tätige Arzt verbringt einen relevanten Anteil seines Berufslebens im Operationssaal und ist hier zahlreichen Einflüssen und Belastungen unterworfen. Insofern erscheint es logisch, dass der Operationssaal perfekt an die Bedürfnisse des Operateurs angepasst werden sollte. Dem Arzt muss eine Arbeitsumgebung bereitgestellt werden, die eine präzise und erfolgreiche Tätigkeit unterstützt. Aussagen wie „Der Operationsaal ist das Wohnzimmer des Chirurgen“ unterstreichen diesen Anspruch. Objektiv betrachtet, wird dieser Anforderung nur in sehr eingeschränktem Maße Rechnung getragen, etwa durch einen in der Höhe anpassbaren OP Tisch, frei beweglich aufgehängte Monitore oder eine speziell ausgelegte Beleuchtung. Ansonsten prägen vor allem technische, hygienische und ökonomische Aspekte die Architektur des Operationssaals und der Chirurg adaptiert sich an diese, da er gewohnt ist, selbst unter widrigen Umständen Höchstleistungen zu erbringen. Welche Probleme diese Adaptation bringt, erfährt jeder Operateur (und das gesamte Team) am eigenen Körper. Zahlreiche Arbeiten bestätigen die ergonomischen Unzulänglichkeiten im OP-Saal und deren Folgen für die Chirurgen, z.B. Janki et al. [1]. Wie in dieser Arbeit betont, zeigt sich das Problem unabhängig von der Disziplin und Prozedur übergreifend in allen Bereichen. Betrachtet man im Vergleich die Vorgaben für einen Bildschirmarbeitsplatz (www.arbeitsschutzgesetz.org/bildscharbv/), wundert man sich über fehlende Regelungen zum Schutz der Operateure. Trotz der bestehenden hygienischen und prozeduralen Einschränkungen gibt es durchaus Ansätze, die Ergonomie im OP zu verbessern, etwa durch den Einsatz robotischer Systeme [2]. Diese erlauben es dem Operateur, unabhängig vom Eingriff und der Lagerung des Patienten eine optimale Stellung einzunehmen. Robotische Ansätze könnten leicht auf autonom adjustierte Monitore und Lagerungssysteme übertragen werden, um kostengünstig zur Verbesserung der Ergonomie beizutragen. Ergonomie bezieht sich aber auch auf akustische Belastung [3], die eine klare Korrelation zur Komplikationsrate aufweist und interessanterweise auch zur Rate der postoperativen Infektionen [4, 5]. Die Arbeit von Wheelock et al. belegt den Einfluss von akustischen Störfaktoren auf Workload und Performance [6]. Hierbei sieht die Arbeit das Auftreten eines akustischen Belastungsevents innerhalb von 10 Minuten bereits kritisch an, eine Situation von der mancher Arzt nur träumen kann. Auch hier kann durch den Einsatz technischer Methoden leicht Abhilfe geschaffen werden, etwa durch intelligente Telefonassistenten, die Telefonanrufe in Abhängigkeit von Dringlichkeit und aktueller Situation im OP filtern. Eigene Arbeiten (eingereicht, unter Review) konnten hierfür bereits eine signifikante Reduktion der Arbeitsplatzbelastung zeigen.

Um derartige Lösungen umsetzen zu können, ist eine entscheidende Veränderung im OP notwendig. Der Operationssaal muss in eine kognitive, kooperative Behandlungseinheit umgewandelt werden. Hierunter versteht man einen Operationssaal, der nicht nur als hygienisch angepasste Räumlichkeit dient, sondern der aktiv die Operation begleitet und situativ angepasst assistiert [7, 8]. Was als Vision erscheinen mag, ist in technischer Hinsicht bereits umgesetzt und in manchen Institutionen schon Realität. Das Prinzip ist recht einfach und basiert auf einer Einbindung multipler Sensoren in den OP-Saal. Diese erfassen etwa die Lagerung des Patienten, die Anwendung von elektrischen Geräten (z.B. HF-Generator), welche und wie viele Instrumente am Patienten eingesetzt werden, das Volumen der Spülung und Saugung etc.; hieraus können bereits einfache Größen abgeleitet werden. So kann z.B. die Differenz aus Spül- und Saugvolumen einen Hinweis auf den Blutverlust bieten. Wird nun gleichzeitig eine übermäßige Aktivierung des HF-Generators registriert, kann man hieraus auf eine aktive Blutung schließen usw.. Verbindet man die Sensorinformation mit einem mathematischen Modell des chirurgischen Eingriffs, d.h. einer exakten Beschreibung der Form und Abfolge der operativen Teilschritte, so lassen sich weitere Informationen ableiten. Als Beispiel mag die Verwendung des Einschlaginstrumentariums bei der Endoprothetik genannt werden, welche einen Hinweis auf den aktuell laufenden operativen Teilschritt liefert und z.B. als Signal für das Bestellen des nächsten Patienten genutzt werden kann. Eigene Arbeiten während laparoskopischer Cholezystektomien, die in einem sensorbasierten Workflow-OP durchgeführt wurden, konnten diesen Ansatz bereits belegen [9, 10]. Obwohl die prinzipielle Umsetzung somit gelöst und die erforderlichen Anforderungen definiert sind, müssen noch zahlreiche Probleme gelöst werden, bevor eine ubiquitär einsetzbare kognitive Operationsumgebung Realität wird. Auf chirurgischer Seite betrifft dies vor allem die Beschreibung des chirurgischen Eingriffs und die Erstellung sogenannter chirurgischer Prozess-Modelle [11], die als Basis der Interpretation der Sensordaten dienen. Hierbei hat sich gezeigt, dass unsere z.T. historisch geprägten Operationsabläufe zunächst an die digitalen Anforderungen angepasst werden müssen. Wir haben diesen Ansatz als Surgineering bezeichnet und verstehen hierunter eine angepasste und zulässige Abwandlung des chirurgischen Vorgehens, um die Anwendung neuer Technologien zu unterstützen [12]. Auf medizintechnischer Seite verlangt der Ansatz die Einbindung weiterer Sensorik, die eine immer feinere Analyse der Operationsabläufe ermöglicht. Exemplarisch seien hierfür die Analyse von Videodaten genannt (z.B. Laparoskopie, Raumkamera), die über Computer-Vision-Ansätze (KI-basierte Bildanalyse) wertvolle Informationen liefern können [13]; aber auch die umfassende Nutzung von Geräteparametern fällt in diesen Bereich. Letztere war bislang durch die fehlende Interoperabilität der Systeme und der Nutzung unterschiedlicher Kommunikationsstandards erschwert, mit dem neuen HL7 FHIR Standard [14] und den erarbeiteten Ansätzen aus dem OR.-NET Projekt [15] konnten hierfür jedoch bereits wesentliche Vorrausetzungen geschaffen werden. Der Abgleich der Sensordaten auf Basis der Prozessmodelle hingegen ist vergleichsweise einfach und kann zukünftig durch Einbindung von KI-Anwendungen noch wesentlich befeuert werden.

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