Übersichtsarbeiten - OUP 12/2013

Apophysenverletzungen

Die Basis der Diagnostik stellt eine exakte Anamnese, die klinische Untersuchung und eine native Röntgenaufnahme der verletzten Region (in 2 Ebenen) dar.

Ergänzend kommen dazu auch radiologische Schnittbildverfahren zur Anwendung (Computertomografie und Kernspintomografie), die eine exaktere Bilanzierung der Verletzung und des Dislokationsgrades zulassen und Aufschluss über evtl. vorliegende zusätzliche Begleitverletzungen (z.B. Kniebinnenverletzungen) geben. Zusätzlich kann mithilfe der Schnittbilddiagnostik – z.B. bei Vorliegen eines Knochenmarködems, lokaler Hämatome, etc. – eine zuverlässige Abgrenzung zwischen der Apophysenlösung und dem akuten Apophysenausriss erfolgen.

Differenzialdiagnosen

Im Falle einer überschießenden Knochenbildung im ehemaligen Apophysenbereich sollte u.a. ein mögliches Vorliegen folgender Differenzialdiagnosen erwogen werden [15]:

Myositis ossificans,

Osteochondrom,

Enchondrom,

Chondrosarkom.

Klassifikation

Klassifikationssysteme existieren u.a. für Apophysenverletzungen im Beckenbereich und im Kniegelenksbereich, siehe Tabellen 1 und 2.

Therapie

Die Therapie ist abhängig von der Verletzungsart, der -lokalisation und dem Ausmaß der Dislokation.

Zumeist ist ein konservatives Vorgehen zu empfehlen [14]. Sinnvoll erscheinen initiale Schonung oder Ruhigstellung bzw. eine kurzzeitige Entlastung. Begleitend kommen neben einer physiotherapeutischen Übungsbehandlung antiphlogistische Maßnahmen und eine angepasste Analgesie zur Anwendung [3]. Nach Erreichen der Schmerzfreiheit kann eine vorsichtige und schrittweise Aufbelastung erfolgen. Begleitend sollten dann Bewegungsübungen und ein zunehmender Muskelaufbau durchgeführt werden. Die erneute Sportaufnahme wird durch die klinische Einschätzung von Schmerz, Bewegungsumfang und lokaler Druckdolenz gesteuert, im allgemeinen ist nach 8–12 Wochen die Wiederaufnahme der sportlichen Aktivität möglich [15].

Ein operatives Vorgehen wird zumeist nicht empfohlen, da eine sichere Refixation kleinerer Apophysenfragmente nicht gelingt [3]. Bei größeren Fragmenten und starker Dislokation (> 2 cm) kann eine Refixation erwogen werden [3]. Bei chronischen Beschwerden durch Ausbildung einer Pseudarthrose (insbesondere bei stark dislozierter Apophyse) und Entwicklung einer Exostose durch überschießende Kallusbildung kann ebenfalls eine operative Revision erwogen werden [15].

Für Apophysenverletzungen mit Gelenk- bzw. Gelenkflächenbeteiligung wird bei Vorliegen einer stärkeren Dislokation die chirurgische Intervention empfohlen. Ziel ist eine anatomische Reposition und eine korrekte Wiederherstellung der Gelenkfläche. Ebenso ist zu bedenken, dass eine ausgedehnte Kallusreaktion lokal zu Beschwerden führen kann [13]. Die Operation sollte zeitnah nach gründlicher Vorbereitung und Verletzungsbilanzierung erfolgen.

Im Bereich des Kniegelenks wir eine offene Reposition und operative Stabilisierung des Fragmentes für Avulsionen mit intraartikulärer Beteiligung und für Dislokationen > 2–3 mm empfohlen [13]. Zumeist kommen auch hier Schraubenosteosynthesen zur Anwendung. Kurz vor bzw. nach erfolgtem Fugenschluss kann auch eine „fugenkreuzende“ Osteosynthese durchgeführt werden, ohne dass relevante Wachstumsstörungen erwartet werden müssen [13]. Der operative Zugangsweg orientiert sich am Dislokationsgrad der Verletzung und an der erforderlichen Reposition. Postoperativ wird eine Ruhigstellung im Oberschenkelgipstutor (angelegt in 5–10° Flexion) für 4–6 Wochen empfohlen, ehe mit dem physiotherapeutischen Aufbautraining begonnen werden kann [13]. Nachfolgend kann eine schrittweise Belastungssteigerung erfolgen. Eine volle Sportfähigkeit wird frühestens ca. 12 Wochen nach dem Unfallereignis erreicht [3].

Fallbeispiele

Die folgende Übersicht zeigt typische Lokalisationen für Apophysen-/Avulsionsverletzungen am juvenilen Beckenskelett [14] (s. auch Abb. 3). Die Abbildungen 4–8 zeigen Fallbeispiele für Apophysenverletzungen am Becken und Kniegelenk.

  • Avulsionsverletzung der Spina iliaca anterior superior.
  • Avulsion der Spina iliaca anterior inferior,
  • Avulsion aus dem Trochanter minor,
  • Avulsion aus dem Trochanter major,
  • Avulsionsverletzung des Tuber ischiadicum des Sitzbeines (Os ischii).

Die Prognose der Avulsionsverletzungen am juvenilen Beckenskelett ist als gut einzuschätzen. In der Regel kann konservativ behandelt werden [14]. Ein operatives Vorgehen kann bei größeren und deutlich dislozierten Apophysenausrissen im Bereich der Spina iliaca anterior superior alternativ in Betracht gezogen werden.

Fazit

Apophysen sind sekundäre Ossifikationszentren, die – altersabhängig – im Ansatzbereich von Sehnen auftreten und durch enchondrale Ossifikation entstehen. Bedingt durch hormonelle und mechanische Einflüsse besteht altersabhängig eine verminderte mechanische Belastbarkeit der Apophysenregion. Apophysenverletzungen sind selten. Voneinander abzugrenzen sind 2 Verletzungsformen: Der Apophysenausriss, der als akute Verletzung infolge einer ruckartigen maximalen Muskelanspannung entsteht und die Apophysenlösung, die ihren Ursprung in Folge repetitiver Mikrotraumen bei chronischer Überbelastung findet.

Häufigste Lokalisationen sind die Kniegelenksregion und das Becken. Im Bereich des Beckens ist zumeist ein konservatives Vorgehen möglich, bei Verletzungen der Kniegelenksregion ist bei Dislokation auch ein operatives Vorgehen mit Rekonstruktion der Gelenkfläche und des knöchernen Ansatzes des Bandapparates indiziert. Bei adäquater Durchführung der Therapie lassen sich Apophysenverletzungen zumeist mit guten Ergebnissen behandeln.

 

Interessenkonflikt: Die Autoren erklären, dass keine Interessenkonflikte im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors bestehen.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Klaus Nowack

RKK Klinikum

St. Josefskrankenhaus Freiburg

Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Kindertraumatologie

Sautierstraße 1, 79104 Freiburg

Klaus.Nowack@rkk-klinikum.de

Literatur

1. Nehrer S, Huber W, Dirisamer A et al.. Apophysenschäden bei jugendlichen Sportlern. Radiologe 2002; 42: 818–822

2. Pöschl M. Juvenile Osteochondronekrosen. In: Pöschl M (Hrsg) Handbuch der medizinischen Radiologie, Bd V/4. Berlin, Heidelberg, New York: Springer, 1971; 824

3. Ruffing T, Danko T, Muhm M et al. Traumatische Apophysenlösung des Trochanter Minor. Unfallchirug 2012; DOI 10.1007/s00113–012–2165–4

4. Morscher M, Desaulles PA. Die Festigkeit des Wachstumsknorpels in Abhängigkeit von Alter und Geschlecht . Schweiz Med Wochenschr 1964; 17: 582

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