Übersichtsarbeiten - OUP 05/2022

Arthroseschmerz

Hans-Georg Schaible, Annett Eitner

Zusammenfassung:
Arthroseschmerzen gehören zu den häufigsten chronischen Schmerzen. In der Regel handelt es sich um Nozizeptive Schmerzen als Folge von Entzündungs- und Schädigungsvorgängen, die mit der progressiven Knorpelschädigung verbunden sind. MRT-Untersuchungen des Gelenks können entzündliche Prozesse und Knochenmarködeme sichtbar machen. Histologische Untersuchungen der Synovialschicht bei Gelenkersatz zeigen unterschiedliche Synovitisgrade, die mit der Schmerzintensität korreliert sind. Chondrozyten des Arthrosegelenks können durch Freisetzung von Entzündungsmediatoren zur Gelenkentzündung beitragen. Typischerweise weist das gesamte Nozizeptive System eine gesteigerte Empfindlichkeit auf, das periphere und zentrale nozizeptive System einbeziehend (periphere und zentrale Sensibilisierung). Eine solche Sensibilisierung ist typisch für Entzündungsprozesse. Endogene Schmerzhemmung, z.B. die Aktivität vom Gehirn zum Rückenmark absteigender Hemmsysteme, kann bei Arthrose vermindert sein. Die periphere und zentrale Sensibilisierung kann durch Anamnese und Methoden der Quantitativen Sensorischen Testung (QST) dokumentiert werden. Ein Teil der Patienten zeigt zusätzlich Hinweise für neuropathische Schmerzkomponenten, die auf neuronale Schädigungen hindeuten, zumindest in Spätstadien der Erkrankung. Komorbiditäten wie Diabetes mellitus können die Schmerzintensität signifikant verstärken. Die Schmerztherapie zielt darauf, den Zustand der Sensibilisierung zu vermindern. Dies gelingt teilweise mit der Gabe von Cyclooxygenasehemmern, die die Prostaglandinsynthese reduzieren. Da jedoch andere Mediatoren, z.B. proinflammatorische Zytokine, ebenfalls sensibilisierend wirken, ist der Schmerz häufig mit COX-Hemmern alleine nicht zu beherrschen. Es ist zu beachten, dass chronischer Schmerz am besten mit einem biopsychosozialen Modell zu beschreiben ist. Daher sollten in der Schmerztherapie auch psychosoziale Faktoren berücksichtigt werden.

Schlüsselwörter:
Entzündung, neuropathischer Schmerz, Sensibilisierung, nozizeptives System

Zitierweise:
Schaible H-G, Eitner A: Arthroseschmerz
OUP 2022; 11: 208–213
DOI 10.53180/oup.2022.0208-0213

Summary: Osteoarthritis pain is among the most frequent chronic pains. In most cases the pain is nociceptive in its nature resulting from inflammatory and damaging processes which are associated with the progressive cartilage degeneration. MRI studies can visualize inflammatory processes and bone marrow lesions. Histological assessment of the synovial layer obtained during arthroplasty shows different grades of synovitis which are correlated with pain intensity. Chondrocytes of the osteoarthritic joint can contribute to joint inflammation by the release of inflammatory mediators. Typically the whole nociceptive system is in a state of hyperexcitability including the peripheral and central nociceptive system (peripheral and central sensitization). Such a sensitization is typical for inflammatory processes. Endogenous pain inhibition, e.g. the activity of inhibitory systems descending from the brainstem to the spinal cord, can be reduced in osteoarthritis. Peripheral and central sensiti-
zation can be documented by anamnesis and the methods of Quantitative Sensory Testing (QST). Part of the patients exhibit in addition neuropathic pain components which suggest neuronal damage, at least at later
disease stages. Comorbidities such as diabetes mellitus can significantly aggravate pain intensity. Pain therapy aims to attenuate the state of hyperexcitability. This is partly possible with the application of cyclooxygenase inhibitors which reduce prostaglandin synthesis. Since other mediators, e.g. proinflammatory cytokines also sensitize nociceptive neurons, the pain is often not sufficiently treated with COX inhibitors. It should be noted that chronic pain is best described by the biopsychosocial model. Therefore pain therapy should also address psychosocial factors.

Keywords: Inflammation, neuropathic pain, sensitization, nociceptive system

Citation: Schaible H-G, Eitner A: Osteoarthritis pain
OUP 2022; 11: 208-213. DOI 10.53180/oup.2022.0208-0213

H.-G. Schaible: Institut für Physiologie 1, Universitätsklinikum Jena

A. Eitner: Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Experimentelle Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Jena

Einleitung

Arthroseschmerzen gehören zu den häufigsten chronischen Schmerzen [4]. Arthrose ist in der Regel eine progrediente Erkrankung mehrjähriger Dauer, eine kausale Therapie ist derzeit nicht möglich. Heilungen sind ausgeschlossen und es gibt bislang keine medikamentösen krankheitsmodifizierenden Ansätze. Daher kommt der Schmerzproblematik und Schmerztherapie eine erhebliche klinische Bedeutung zu. Viele Patienten können über Jahre erfolgreich gegen Schmerzen behandelt werden. Allerdings können sich die Schmerzen über die Zeit verstärken und in vielen Fällen nicht mehr ausreichend gelindert werden, sodass am Ende nur eine operative Behandlung der Arthrose (Gelenkersatz) zur Schmerztherapie bleibt. Durch die Operation werden die meisten Patienten schmerzfrei, jedoch treten bei 8–34 % der Patienten mit totaler Kniearthroplastik trotz gelungener Operation chronische post-chirurgische Schmerzen auf [30].

Wie entstehen Arthroseschmerzen? Diese Frage ist keinesfalls trivial, da die Arthrose ein sehr komplexer Krankheitsprozess ist. In den letzten Jahren ist es gelungen, etwas Licht in die Mechanismen des Arthroseschmerzes zu bringen. Dies hat bisher noch nicht zu wesentlichen Änderungen der Therapie geführt, lässt aber Hoffnung auf neue Ansätze der Schmerztherapie zu. Ein besseres Verständnis der Schmerzmechanismen ist eine wichtige Voraussetzung dafür, neue Therapieansätze zu entwickeln.

Das neue Bild der Arthrose und dessen Relevanz für
Arthroseschmerzen

Während im angelsächsischen Sprachraum eine Arthrose als Osteoarthritis bezeichnet wird, was die Arthrose als eine entzündliche Erkrankung erscheinen lässt, wird im deutschen Sprachraum in der Regel die Arthrose gegenüber der Arthritis als eine degenerative Erkrankung abgegrenzt. Inzwischen ist klar, dass auch degenerative Erkrankungen Entzündungskomponenten aufweisen (z.B. neurodegenerative Erkrankungen) und dass daher eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen degenerativen und entzündlichen Erkrankungen problematisch ist. So auch bei Arthrose. Das Hauptmerkmal der Arthrose ist der progrediente Untergang des Knorpels. Allerdings ist bei Arthrose das gesamte Gelenk erkrankt. Typisch sind eine subchondrale Knochensklerose, Os-
teophyten, und die betroffenen Gelenke weisen zahlreiche Entzündungskomponenten auf [7]. Die normalerweise einschichtige Synovialmembran ist häufig verdickt, von Entzündungszellen infiltriert, und das regelrechte subsynoviale Geflecht aus Kapillaren und Nervenfasern kann zumindest regional zerstört sein [8].

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