Übersichtsarbeiten - OUP 05/2022

Arthroseschmerz

Während die klassische Röntgenaufnahme eine Arthrose anhand der Verschmälerung des Gelenkspalts und der Osteophyten identifiziert und eine Stadieneinteilung nach Lawrence-Kellgren erlaubt, zeigen bildgebende Verfahren, vor allem das MRT, Entzündungen (z.B. Hoffa-Synovitis, Effusions-Synovitis) und Knochenmarködeme in Arthrosegelenken [20]. Die histologische Untersuchung von Synovialgewebe aus Kniegelenken, die durch künstliche Gelenke ersetzt wurden, zeigte durchweg Synovitiden unterschiedlichen Grades. Hierbei war der Entzündungs-Score mit der Intensität des Arthoseschmerzes korreliert [9].

Die Beteiligung entzündlicher Veränderungen an der Pathogenese der Arthrose wird durch weitere Untersuchungen gestützt. Ein wesentlicher Zelltyp in der entzündeten Synovialschicht sind Makrophagen. Die meisten Makrophagen im erkrankten Gelenk haben sich aus Monozyten differenziert und sind eingewandert. Diese Makrophagen haben einen proinflammatorischen Phänotyp (M1) und sind gewebeschädigend. Es gibt aber auch geweberesidente synoviale Makrophagen, die unabhängig von den Monozyten sind, und eher einen antiinflammatorischen Phänotyp (M2) besitzen. Eine Charakterisierung der Makrophagen im Arthrosegelenk und deren Funktionen ist derzeit Gegenstand intensiver Untersuchungen [30].

Proinflammatorische Makrophagen sind neben anderen Zellen eine Quelle von Entzündungsmediatoren. Dazu gehören Prostaglandine (z.B. PGE2 und PGD2), diverse Zytokine (TNF, Interleukin-1ß, Interleukin-6, Interleukin-8) und reaktive Sauerstoffspezies (ROS), die für die Schmerzentstehung große Bedeutung haben [30].

In einem systematischen Übersichtsartikel [5] wurde untersucht, ob bei Patienten mit Kniearthrose Entzündungsprozesse mit Arthroseschmerzen korreliert sind. Hierbei wurden als Marker MRT-Befunde, Ultraschallbefunde, Baker-Zysten, Zytokin-Spiegel und CRP-Spiegel herangezogen. Die Autoren kamen zu dem Ergebnis, dass es eine positive Korrelation zwischen Entzündungsparametern (insbesondere Synovitis) und Schmerz gibt. Allerdings sei diese Korrelation insgesamt als moderat einzustufen. Besonders bei den Zytokinen wurden sich widersprechende Daten gefunden [5]. Dies mag damit zusammenhängen, dass bei den Zytokinspiegeln nicht zwischen Spiegeln in der Synovialflüssigkeit und im Serum unterschieden wurde und dass das experimentelle Design der Schmerzerfassung unterschiedlich war (keine Unterscheidung von Schmerzen bei Ruhe oder Belastung).

Als Ort der Entzündung werden Gelenkstrukturen außerhalb des Knorpels genannt (s.o.). Als avaskuläre Struktur kann der Knorpel keine Entzündung ausbilden. Dies schließt aber eine Rolle des Knorpels bei den Entzündungsvorgängen nicht aus. Chondrozyten können zahlreiche Mediatoren bilden, die zu den intraartikulären Spiegeln von Entzündungsmediatoren beitragen. Von Chondrozyten produziert und freigesetzt werden z.B. Prostaglandine, proinflammatorische Zytokine, Radikale Sauerstoffspezies (ROS), Stickoxid (NO) und viele andere Mediatoren [7]. Sie beeinflussen das Milieu im Knorpel selbst [7], gelangen aber nach Diffusion in die Synovialflüssigkeit auch in die innervierten Gelenkstrukturen und können so zur Schmerzentstehung beitragen.

Arthrose und
Komorbiditäten

Bei der Betrachtung des Krankheitsbildes der Arthrose hat ein weiterer Aspekt Bedeutung gewonnen, nämlich Komorbiditäten. Während eine posttraumatische Arthrose schon bei jungen Patienten als isoliertes Krankheitsbild auftreten kann, sind die Mehrzahl der Patienten mit Arthrosen ältere Menschen, die häufig Komorbiditäten aufweisen wie Adipositas, Diabetes mellitus, Herz-Kreislauf-Erkrankungen etc.. Viele Arthrosepatienten weisen eine niedergradige systemische Entzündung auf [3, 9]. Es gibt Evidenz dafür, dass metabolische Faktoren die entzündlichen Vorgänge im Gelenk fördern können [3]. Welchen Einfluss haben solche Komorbiditäten auf den Arthroseschmerz?

Unsere Arbeitsgruppe hat sich vor allem mit dem Einfluss von Adipositas und Diabetes mellitus auf den Arthroseschmerz befasst. Bei Patienten, deren Kniegelenke im Endstadium der Arthrose durch ein künstliches Gelenk ersetzt wurden, zeigten Patienten mit Diabetes mellitus im Schnitt höhere Schmerzintensitäten und stärkere Synovitiden als Patienten ohne Diabetes mellitus. Dagegen bestand kein signifikanter Unterschied in der Schmerzintensität zwischen Patienten mit normalen und hohen BMI-Werten [9]. In einer Analyse von Daten einer großen Arthrosekohorte (Osteoarthritis Initiative) wiesen Patienten mit Diabetes mellitus stärkere Schmerzen auf als Patienten ohne Diabetes mellitus, unabhängig von BMI, Schweregrad der Arthrose, Alter und Geschlecht, sodass Diabetes mellitus ein zusätzlicher und unabhängiger Risikofaktor für stärkere Schmerzen ist [6].

Das aktuelle Bild der Schmerzentstehung

Derzeit werden Schmerzen nach ätiopathogenetischen Gesichtspunkten klassifiziert. Man unterscheidet nozizeptive Schmerzen, neuropathische Schmerzen und noziplastische Schmerzen.

Nozizeptive Schmerzen

Bei nozizeptiven Schmerzen sind die nozizeptiven Nervenzellen intakt und erfüllen ihre eigentliche Aufgabe, nämlich die Aufnahme und Kodierung noxischer Reize. Durch Krankheitsprozesse kann eine erhebliche Neuroplastizität induziert werden, die zu einer deutlichen Empfindlichkeitssteigerung führt. Das System wird „sensibilisiert“. Selbst heftige Schmerzen sind häufig belastungsabhängig und ihrer Natur nach „plausibel“.

Neuropathische Schmerzen

Sie entstehen, wenn Nervenzellen inklusive der nozizeptiven Nervenzellen selbst geschädigt werden. Solche Nervenzellen verhalten sich nicht wie gesunde Nozizeptoren. Sie erzeugen Aktionspotentiale manchmal spontan, ihr Entladungsverhalten ist abnormal, der Schmerz zeigt häufig keine noxische Reizung an, und er wird als abnormal (brennend, elektrisierend etc.) empfunden.

Noziplastische Schmerzen

Im Jahr 2016 wurde dieser neue Begriff eingeführt. Kann eine vermehrte Schmerzempfindlichkeit weder durch nozizeptive noch durch neuropathische Mechanismen erklärt werden, wird angenommen, dass das nozizeptive System „aus sich heraus“ übermäßig aktiv ist. Ein Beispiel ist die Fibromyalgie [17].

Der Schmerz bei Arthrose

Der Schmerz bei Arthrose wird zumeist als nozizeptiver Schmerz eingestuft. Er wird als dumpf beschrieben, kann über die Zeit permanent werden mit episodischen Schmerzspitzen [12]. Er tritt (vermehrt) bei Bewegungen auf, kann aber auch in Ruhe und im Liegen, z.B. in der Nacht bestehen [9]. Es gibt Hinweise, dass bei manchen Arthrosepatienten auch neuropathische Schmerzkomponenten auftreten, besonders in Spätstadien (s.u.).

Schmerzen entstehen im
Nozizeptiven System

Schmerzen lassen sich anhand der Anamnese und mit diversen Testmethoden erfassen, z.B. mit der „Quantitativen Sensorischen Testung“ (QST) [1]. Für Arthroseschmerzen sind, wie bei anderen Erkrankungen, mehrere Ebenen zu betrachten (Abb. 1).

Die peripheren
Gelenknozizeptoren

SEITE: 1 | 2 | 3 | 4 | 5