Übersichtsarbeiten - OUP 11/2017

Arthroskopische superiore Kapselrekonstruktion bei irreparabler Rotatorenmanschettenruptur

Marvin Minkus1, Fabian Plachel1, Philipp Moroder1, Markus Scheibel1

Zusammenfassung: Die superiore Kapselrekonstruktion (SCR) stellt einen innovativen Behandlungsansatz bei irreparabler posterosuperiorer Rotatorenmanschettenruptur dar. Ziel ist es, einer vertikalen Translation des
Humeruskopfs entgegenzuwirken und die superiore Stabilität des Glenohumeralgelenks wiederherzustellen. Der vorliegende Artikel gibt einen Überblick zur Indikationsstellung, der operativen Technik sowie den ersten klinischen und radiologischen Ergebnissen dieses innovativen Verfahrens.

Schlüsselwörter: superiore Kapselrekonstruktion, SCR, irreparable posterosuperiore Rotatorenmanschettenruptur, Arthroskopie

Zitierweise
Minkus M, Plachel F, Moroder P, Scheibel M: Arthroskopische
superiore Kapselrekonstruktion (SCR) bei irreparabler Rotatorenmanschettenruptur.
OUP 2017; 11: 538–543 DOI 10.3238/oup.2017.0538–0543

Summary: The superior capsular reconstruction (SCR) has been developped for the treatment of irreparable posterosuperior rotator cuff tendon tears. The aim is to prevent vertical migration of the humeral head and re-establish superior stability of the glenohumeral joint. This article aims at giving an overview of the indication, surgical technique and current clinical and radiological results of this innovative procedure.

Keywords: superior capsular reconstruction, SCR, irreparable posterosuperior rotator cuff tendon tear, arthroscopy

Citation
Minkus M, Plachel F, Moroder P, Scheibel M: Arthroscopic superior capsular reconstruction (SCR) for irreparable posterosuperior rotator cuff tendon tears.
OUP 2017; 11: 538–543 DOI 10.3238/oup.2017.0538–0543

Hintergrund

Im Rahmen irreparabler posterosuperiorer Rotatorenmanschettenrupturen kommt es zu einer superioren Translation mit Dezentrierung des Humeruskopfs. Der Verlust der vertikalen Schulterstabilität führt zu einer Störung des biomechanischen Gleichgewichts mit gravierenden Folgeschädigungen, welche letztlich Schmerzen, Bewegungseinschränkungen und Kraftverlust der betroffenen Schulter bedingen [5, 10, 12]. Die bisherigen Therapieoptionen bei irreparablen Rotatorenmanschettenrupturen belaufen sich, je nach Schweregrad, auf minimal-invasive Eingriffe, wie die Teilrekonstruktion (Partial-Repair) oder Debridement mit dem Ziel der Schmerzlinderung und der Wiederherstellung des horizontalen Kräftepaars oder invasiveren Eingriffen, wie Muskeltransfers oder dem totalen Gelenkersatz [1–4, 6–9, 14, 15, 17].

Die superiore Kapselrekonsruktion (Superior Capsular Reconstruction, SCR) wurde erstmalig von Mihata et al. 2012 in einer Kadaverstudie beschrieben, in Folgestudien klinisch untersucht und bietet heute einen innovativen Therapieansatz in der operativen Versorgung irreparabler Rotatorenmanschettenrupturen [5, 10– 12]. Das Ziel der SCR ist die Wiederherstellung der superioren Gelenkkapsel, um damit einer statischen und dynamischen Dezentrierung des Humeruskopfs entgegenzuwirken. Durch die glenohumerale Zentrierung sollen die klinische Funktion verbessert und Beschwerden gelindert werden. Nach Mihata et al. wird dies durch die mediale Fixierung eines Grafts (Auto- oder Allograft) am superioren Glenoidhals und laterale Fixierung am humeralen Footprint des Tuberculum majus erzielt [12].

Im Gegensatz zu früheren Patch-Augmentations-Techniken wird also auf eine alleinige Überbrückung der rupturierten Sehne mit Fixierung am rupturierten Sehnenstumpf verzichtet. Die Autoren verwendeten zur arthroskopischen superioren Kapselrekonstruktion ein autologes Fascia-lata-Graft und konnten hiermit sehr gute klinische Ergebnisse erzielen [10]. Zur Eliminierung der Entnahmemorbidität verwenden wir im eigenen Vorgehen ein Patch aus extrazellulärer, dermaler Matrix (ArthroFLEX, Arthrex, Naples, Florida), das, wie in Abbildung 1 zu sehen ist, den Rotatorenmanschettendefekt abdeckt bzw. die superiore Gelenkkapsel wiederherstellt. Seit-zu-Seit-Nähte von Graft zu Infraspinatussehne bzw. Rotatorenintervallgewebe empfehlen sich zur vollständigen Wiederherstellung der Kontinuität und sind einer reinen Fixierung glenoidal und humeral auch biomechanisch überlegen [11].

Indikationen

Hinsichtlich der Indikationsstellung sind einerseits Patienten-spezifische Aspekte wie Alter, Aktivitätslevel und Beschwerdesymptomatik zu berücksichtigen und andererseits Ruptur-spezifische Aspekte wie die Art und Größe der Ruptur sowie die Reparabilität entscheidend. Außerdem sollte präoperativ eine höhergradige glenohumerale Arthrose ausgeschlossen werden. Im eigenen Vorgehen wird die Indikation zur SCR bei irreparabler posterosuperiorer Rotatorenmanschettenruptur ohne ausgeprägte glenohumerale Arthrose (Hamada 1 & 2) mit anhaltender klinischer Beschwerdesymptomatik gestellt. Die Patienten zeigen klinisch häufig eine isolierte Reduktion der aktiven Elevation und Außenrotation sowie Schmerzen. Zur präoperativen Planung sollte eine Magnetresonanztomografie der betroffenen Schulter vorliegen, um den Zustand der Rotatorenmanschette und der umliegenden Strukturen hinreichend beurteilen zu können. Bei entsprechender Retraktion der Supraspinatussehne mit begleitender muskulärer Verfettung und Atrophie ist eine Rekonstruktion nicht möglich und die Indikation zur SCR gegeben, vorausgesetzt die Subscapularis- und Teres-minor-Sehne sind intakt. Kraniale Rupturen der Infraspinatus- und Subscapularissehne können und sollten im Sinne einer Partialrekonstruktion immer mitversorgt werden. Eine präoperative Röntgendiagnostik dient vor allem dem Ausschluss einer glenohumeralen Arthrose und der Beurteilung der superioren Translation des Humeruskopfs.

Operative Technik

Zur superioren Kapselrekonstruktion (SCR) wird der Patient in Beach-chair-Position gelagert und der Arm durch einen hydraulischen Armhalter fixiert (Abb. 2a). Über ein posteriores Standardportal erfolgt zunächst eine diagnostische Arthroskopie, um den Rotatorenmanschettenschaden und eventuelle Begleitpatholgien beurteilen zu können (Abb. 2b–c). Bei Vorliegen einer Bizepssehnenpathologie sollte eine Bizepssehnen-Tenodese oder Tenotomie durchgeführt werden. Die Indikation zur SCR wird durch die arthroskopische Verifizierung der irreparablen posterosuperioren Rotatorenmanschettenruptur und Fehlen eines ausgedehnten Chondralschadens nochmals überprüft (Abb. 2c–d). Über ein anterosuperiores Arbeitsportal wird der obere Glenoidrand mithilfe einer Elektrothermik bzw. einem Shaver von Weichteilgewebe und dem retrahierten Rotatorenmanschettenstumpf befreit und für die Platzierung von Fadenankern am glenoidalen Footprint vorbereitet (Abb. 2d). Die Visualisierung des oberen Glenoidrands mit dem retrahierten Rotatorenmanschettengewebe gelingt am besten über ein laterales Portal (Abb. 2d).

Der Knochen am oberen Glenoidpol sollte mit einer Hochfrequenzfräse vorsichtig angefrischt werden, um eine Einheilung des Grafts zu verbessern. Eine ggf. notwendige (Partial-)Rekonstruktion der kranialen Infraspinatus- oder Subscapularissehne sollte vor der Platzierung der medialen humeralen Ankerreihe für das Graft erfolgen. Zur Refixation der kranialen Infraspinatussehne wird ein Fadenanker am posterioren humeralen Footprint eingebracht und die Fäden durch die Sehne gezogen, sodass diese nach lateral mobilisiert werden kann (Abb. 2e). Die Refixation kann in doppelter Matratzennaht-Technik erfolgen. Die verwendeten Fäden können im Rahmen der späteren Fixierung des Grafts am humeralen Footprint weiterverwendet werden und sollten nach der Verknotung nicht abgeschnitten, sondern lang gelassen und ausgeleitet werden.

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