Arzt und Recht - OUP 04/2014

Arzthaftung: Thromboseprophylaxe nicht auf Verdacht

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts ist nach Auffassung des Oberlandesgerichts unbegründet. Das Urteil des Landgerichts sei weder abzuändern noch aufzuheben.

Das Landgericht habe nach ordnungsgemäßer Beweisaufnahme die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Die dagegen mit der Berufung vom Kläger geltend gemachten Einwände griffen im Ergebnis nicht durch.

Schadensersatzansprüche wegen eines ärztlichen Behandlungsfehlers kämen nicht in Betracht. Der Kläger habe den ihm obliegenden Beweis dafür, dass dem beklagten Orthopäden ein Behandlungsfehler vorzuwerfen ist, nicht geführt. Nach dem Ergebnis der vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme sei der Vorwurf, der beklagte Orthopäde habe behandlungsfehlerhaft eine Thromboseprophylaxe unterlassen, nicht berechtigt. Das Abnehmen der in Italien zur Erstversorgung angelegten Schiene und die Aufforderung an die Ehefrau des Klägers, das verletzte Bein schmerzadaptiert voll zu belasten, seien ausreichend gewesen. Weitergehende Maßnahmen zur Thromboseprophylaxe seien nicht indiziert gewesen.

Eine weitere Abklärung einer Thrombose wäre nur dann angezeigt gewesen, wenn es anamnestische oder klinische Zeichen dafür gegeben hätte. In dieser Einschätzung folgt der Senat den Ausführungen des Sachverständigen, der für den Senat nachvollziehbar erklärt habe, dass eine klinische Diagnose einer sich erst anbahnenden Thrombose nicht möglich sei, weil eine beginnende Thrombose noch keine entzündlichen Reaktionen der Gefäße oder eine fassbare venöse Abflussstörung bewirke. Die wegen des hohen Risikos einer Lungenembolie erforderliche Thromboseprophylaxe sei daher nur individuell und risikoadaptiert möglich. Ohne entsprechendes individuelles Risiko könne wegen der der Prophylaxe immanenten Risiken keine Thrombosevorbeugung durchgeführt werden. Für eine medikamentöse Prophylaxe müssten deshalb neben bestimmten Risikofaktoren auch klinische Anhaltspunkte bestanden haben. Ohne solche Anhaltspunkte und nur auf bloßen Verdacht dürfe hingegen eine medikamentöse Prophylaxe aufgrund der damit verbundenen Risiken nicht begonnen werden. Dies habe der Sachverständige im Rahmen der mündlichen Erläuterung seines Gutachtens im Senatstermin plausibel damit erklärt, dass man sich sonst im Falle des Auftretens von Komplikationen durch eine medikamentöse Thromboseprophylaxe fragen lassen müsse, warum man diese auch ohne klinische Anhaltspunkte eingeleitet habe.

Für weitere klinische Anzeichen eines erhöhten Thromboserisikos hätten sich im vorliegenden Fall aber keine Anhaltspunkte ergeben. Nach der Dokumentation des beklagten Orthopäden habe die zur Ermittlung solcher Anhaltspunkte lediglich erforderliche Untersuchung der Wade des verletzten Beines stattgefunden und habe keine Anzeichen für eine Thrombose ergeben. Entgegen der Auffassung des Klägers müsse auch keine weitere Untersuchung des betroffenen Beines erfolgen. Der Sachverständige habe dazu erklärt, es müsse nicht einmal der gesamte Unterschenkel untersucht werden, vielmehr reiche der „klassische Untersuchungsgriff“ durch Umfassung der Wade zur Abklärung einer Schmerzempfindlichkeit, die auf eine Thrombose hindeute, aus. Eine Untersuchung des Oberschenkels sei – so der Sachverständige – nicht erforderlich.

Diese Feststellungen würden durch die Behauptung des Klägers, bereits die von seiner Frau geklagten Beschwerden, insbesondere starke Schmerzen, sowie ihre Übelkeit schon auf der Rückfahrt und das starke Anschwellen des Knies, hätten auf eine beginnende Thrombose hingewiesen, nicht in Frage gestellt. Auch die Vernehmung der vom Kläger zu dieser Behauptung benannten Zeuginnen, insbesondere der Zeugin N., auf deren Vernehmung anders als bei den Zeuginnen H. und C. nicht verzichtet worden war, sei entbehrlich gewesen. Der Kläger hätte zwar dazu vorgetragen, seine Ehefrau habe der Zeugin am Telefon davon berichtet, dass ihr Bein angeschwollen gewesen sei. In der mündlichen Verhandlung habe er ergänzend erklärt, die Zeugin könne bekunden, dass seine Frau nach der Rückkehr vom Unfall erzählt und geschildert habe, dass sie Schmerzen habe. Hierauf komme es indessen nicht an. Der Zustand des verletzten Beines und der Umfang der von der Ehefrau des Klägers vor der Untersuchung durch den beklagten Orthopäden beklagten Beeinträchtigungen sei für die Frage eines Behandlungsfehlers unerheblich, denn der beklagte Orthopäde habe die bei der von ihm durchgeführten Untersuchung erhobenen Befunde dokumentiert. Die zu diesem Zeitpunkt festgestellten Beeinträchtigungen seien aber keine erheblichen klinischen Anhaltspunkte für ein erhöhtes Thromboserisiko gewesen. Der durch das Trauma vermutlich verursachte Innenbandriss, der selbst kein erhöhtes Thromboserisiko bewirke und konservativ behandelt werde, sodass eine sofortige Operation regelmäßig nicht erforderlich sei, führe nach den Erläuterungen des Sachverständigen zwar zu einer Schwellung und zu einer Überwärmung im Bereich des Knies. Dass dadurch Schmerzen aufträten, so wie sie geschildert worden sind, sei – so der Sachverständige – auch verständlich und nachvollziehbar. Wie er aber bereits im Kammertermin beim Landgericht ausgeführt hatte, stellten diese Beschwerden im Knie selbst keine Thromboseanzeichen dar. Eine bei Vorliegen einer Thrombose zu erwartende Schwellung des gesamten Unterschenkels sei genauso wenig dokumentiert wie durch die Orthese im Falle einer Thrombose verursachte Schnürfurchen.

Dem weiteren Vortrag des Klägers, das Thromboserisiko hätte durch die Bestimmung des sogenannten D-Dimere-Wertes ermittelt werden können, stehe die Erklärung des Sachverständigen entgegen, wonach eine beginnende Thrombose sich auch mit Blutuntersuchungen nicht feststellen lasse, weil sich das Vorliegen einer Thrombose nur an dem Druckschmerz in der Wade erkennen lasse und andere sichere Untersuchungsmethoden zur Feststellung fehlen. Schließlich habe der beklagte Orthopäde es auch nicht fehlerhaft unterlassen, der Ehefrau des Klägers Thrombosestrümpfe zu verschreiben, weil diese nach den Ausführungen des Sachverständigen bei einer Knieverletzung mit Weichteilschwellung ungeeignet sind.

Mangels anderer klinischer Anzeichen habe bei der Ehefrau des Klägers nur ein niedriges Risiko vorgelegen, das keine medikamentöse Prophylaxe erforderlich gemacht hat. Es hätte zwar zunächst aufgrund des in Italien angelegten Tutors und der mit der zehnstündigen Rückfahrt verbundenen Immobilisation der Ehefrau des Klägers ein mittleres Risiko bestanden, das jedoch infolge der Abnahme der Orthese durch den beklagten Orthopäden verringert worden sei, sodass nach den Erläuterungen des Sachverständigen die Mobilisation der Ehefrau des Klägers zur weiteren Prophylaxe ausreichte. Wie der Sachverständige im Senatstermin nachvollziehbar erläutert habe, sei auch der Vortrag des Klägers, die Abnahme des sogenannten Tutors sei nicht ausreichend gewesen, weil seine Ehefrau nicht ausreichend hätte mobilisiert werden können, unzutreffend. Der Sachverständige habe dazu ausgeführt, dass die Empfehlung einer Vollbelastung als Basismaßnahme zur Thromboseprophylaxe ausreichend sei. Auch unter Zugrundelegung des Vortrags des Klägers, seine Frau habe nicht frei gehen können und habe beim Verlassen des Behandlungszimmers die Gehhilfen benutzt, habe kein erhöhtes Thromboserisiko bestanden, weil nach den plausiblen Erläuterungen des Sachverständigen im Senatstermin die „Muskelpumpe“ auch noch bei einer Teilbelastung des Beines funktioniert. Es reiche demnach aus, wenn die Ehefrau des Klägers unter Zuhilfenahme der Gehhilfen mit beiden Beinen aufgetreten ist. Dies habe der Kläger ausdrücklich bestätigt und erklärt, seine Ehefrau habe beide Beine auf dem Boden bewegt und nicht etwa das verletzte Bein angezogen.

Fazit

SEITE: 1 | 2 | 3