Übersichtsarbeiten - OUP 02/2022

Ausgedehnte Rotatorenmanschettenläsionen
Typische Indikationen und technische Möglichkeiten für ein gelenkerhaltendes Vorgehen

Eric Tille, Philip Kasten, Jörg Nowotny

Zusammenfassung:
Trotz moderner Therapieverfahren stellt die Rekonstruktion von Rotatorenmanschettenmassenrupturen eine Herausforderung in der Schulterchirurgie dar. Die Pathogenese, Rupturmorphologie und das resultierende Funktionsdefizit können erheblich variieren. Nach Anamnese und Beurteilung des biologischen Zustandes hinsichtlich Atrophie, Degeneration und Retraktion muss, in Abhängigkeit von demographischen Charakteristika, klinischen Begleitfaktoren und bestehenden Funktionsansprüchen gemeinsam mit dem Patienten das individuell bestmögliche Verfahren gewählt werden. Dabei kommen schmerzlindernde Verfahren wie das arthroskopische Débridement mit Tenodese oder Tenotomie der langen Bizepssehne ebenso zum Einsatz, wie partielle Rekonstruktionen, die Implantation subakromialer Platzhalter, Patchplastiken (z.B. Superiore Kapselrekonstruktion) und Muskel-/Sehnentransfers (z.B. M. latissimus dorsi, M. trapezius oder M. pectoralis major). Bei fortgeschrittenen Befunden mit begleitender Defektarthropathie kann zudem die Implantation einer inversen Schulterprothese erwogen werden.

Schlüsselwörter:
Massenruptur der Rotatorenmanschette, InSpace® Ballon, partielle Rekonstruktion,
superiore Kapselrekonstruktion, Patchplastik

Zitierweise:
Tille E, Kasten P, Nowotny J: Ausgedehnte Rotatorenmanschettenläsionen. Typische Indikationen und technische Möglichkeiten für ein gelenkerhaltendes Vorgehen.
OUP 2022; 2: 074–079
DOI 10.53180/oup.2022.0074-0079

Summary: Despite modern treatment options, the reconstruction of massive rotator cuff tears remains challenging for shoulder surgeons. Pathogenesis, rupture morphology and the resulting functional deficit can differ greatly. After anamnesis and evaluation of the biological condition in regard to atrophy, degeneration and retraction, an individual treatment concept must be established in accordance with the patient’s demographic criteria, accompanying pathologies and functional demands. Hereby pain reducing procedures such as debridement and tenodesis or tenotomy of the long biceps tendon as well as reconstructive treatment options like partial reconstruction, patch augmentation (i.e. superior capsular reconstruction), implantation of subacromial spacer and muscle-/tendon-transfers (i.e. latissimus dorsi, trapezius- and pectoralis major transfer) represent viable options. Severe findings can be addressed by inverse shoulder arthroplasty.

Keywords: Massive rotator cuff tear, reconstruction, InSpace® Ballon, partial reconstruction, superior capsule reconstruction, patch-augmented rotator cuff surgery

Citation: Tille E, Kasten P, Nowotny J: Extended rotator cuff tears. General indications and joint-preserving technical approaches.
OUP 2022; 11: 074–079. DOI 10.53180/oup.2022.0074-0079

Eric Tille, Jörg Nowotny: UniversitätsCentrum für Orthopädie, Unfall- und Plastische Chirurgie, Dresden

Philip Kasten: Orthopädisch-Chirurgisches Centrum, Tübingen

Einleitung

Die Rotatorenmanschette besteht aus 4 Muskeln. Dem M. subscapularis (SSC), M. supraspinatus (SSP), M. infraspinatus (ISP) und dem M. teres minor (TM). Rotatorenmanschettenläsionen bezeichnen eine partielle (intratendinös, gelenk- oder bursaseitig) oder komplette (transmurale) Kontinuitätsunterbrechung einer oder mehrerer Sehnen. Die Prävalenz symptomatischer Läsionen steigt mit dem Alter stark an (6. Lebensjahrzehnt ca. 25 %, 7. Lebensjahrzehnt ca. 50 %) [1]. Der Anteil von Rotatorenmassenrupturen (RMR) wird dabei mit 10–40 % angegeben, wobei unter diesen der posterosuperiore Sehnendefekt mit Ausdehnung auf die Supraspinatus- und kraniale Anteile der Infraspinatussehne die häufigste Läsion darstellt (Abb. 1) [2]. Insbesondere unter Berücksichtigung des demographischen Wandels und des zunehmenden Funktionsanspruches älterer Patienten sind daher Behandlungsoptionen auch für komplexe Läsionen von hoher Relevanz für den klinischen Alltag.

Erstmals wurden Verletzungen der Rotatorenmanschette 1934 durch Codman hinsichtlich Entität, Diagnostik und Therapie beschrieben [3]. Seitdem hat sich eine differenziertere Betrachtungsweise hinsichtlich Morphologie, Symptomatik sowie Behandlungskonzepten etabliert. Während einfache Rupturen der Rotatorenmanschette, sofern frühzeitig diagnostiziert, in der Regel mit guten Ergebnissen therapiert werden können, stellen ausgedehnte Defekte mit einer Beteiligung mehrerer Sehnen weiterhin eine Herausforderung für die moderne Schulterchirurgie dar. Massenrupturen werden dabei inhomogen definiert und klassifiziert. Cofield et al. sprechen von einer Massenruptur bei einer anterio-superioren Rupturausdehnung von > 5 cm [4]. Demgegenüber klassifiziert Gerber et al. die Massenruptur als vollständige Ruptur von 2 oder mehr Sehnen der Rotatorenmanschette [5].

Unabhängig von der Definition kommt es bei ausgedehnten Verletzungen der Rotatorenmanschette häufig zu einem gestörten Kräfteverhältnis der gelenkstabilisierenden Muskulatur der Schulter (engl. „force couple“) [6]. Neben der Einteilung nach Lokalisation und Anzahl beteiligter Sehnen können Rupturen der Rotatorenmanschette nach ihrem Verlauf als chronisch, akut oder akut auf chronisch klassifiziert werden. Chronische Rupturen sind dabei in der Regel auf degenerative Prozesse und rezidivierende Mikrotraumata zurückzuführen. Akute Rupturen entstehen indes im Rahmen eines direkten oder indirekten Traumas. Akut auf chronisch wiederum beschreibt Läsionen, welche über einen längeren Zeitraum entstanden und klinisch stumm oder kompensiert sind und durch ein plötzliches Ereignis aggraviert oder klinisch manifest werden. Bleibt die Läsion unbehandelt, kann es zu einer Funktionsstörung mit zunehmender Dezentrierung des Gelenkes kommen. Es resultiert ein Gelenkverschleiß mit Humeruskopfhochstand sowie einer zunehmenden Deformierung der Gelenkflächen und des Acromions, der sog. Azetabularisierung. Dies wird als Defektarthropathie bezeichnet. Um dieser Entwicklung vorzubeugen, ist eine frühzeitige Diagnosestellung mit nachfolgender individualisierter Therapie empfehlenswert.

Diagnostik

Charakteristische Symptome einer
Rotatorenmanschettenruptur sind Schmerzen bzw. schmerzhafte Bewegungseinschränkungen mit einer zunehmenden Intensität bei Über-Kopf-Bewegungen, Nachtschmerzen, einer Kraftminderung sowie resultierend einer eingeschränkten Lebensqualität. Das klinische Bild kann dabei von Beschwerdefreiheit mit vollständiger Beweglichkeit bis zur Pseudoparalyse differieren. Die Anamnese muss diese Charakteristika ebenso erfassen wie ein mögliches ursächliches Trauma, das bisherige Aktivitätsniveau (berufliche Tätigkeit und sportliche Aktivität), Risikofaktoren (Nikotinabusus) und eventuell bestehende Begleitpathologien. Weiterhin sollten Schmerzcharakter und -intensität (z.B. visuelle Analogskala,) sowie der Verlauf (Crescendo/Decrescendo) beurteilt werden. Hiernach erfolgt die klinische Diagnostik. Diese umfasst die Inspektion nach sichtbaren Muskelatrophien und die Palpation nach lokalen Druckdolenzen. Wichtig ist die Objektivierung des aktiven und passiven Bewegungsumfangs. Anschließend sollten zur weiterführenden Differenzierung spezifische Tests der einzelnen Muskeln der Rotatorenmanschette (z.B. SSP: Jobe-Test, drop-arm Test, SSC: Bear-hug Test, Belly-press Test und ISP: Kraft für ARO in 0°-Abduktion und 90° gebeugten Ellenbogen, Hornblower-Zeichen) durchgeführt werden.

Hiernach sollte die stufenweise bildgebende Diagnostik zunächst mittels Röntgen in mindestens 2 Ebenen erfolgen. Die Röntgenaufnahme in stehender Neutralposition gibt einen Anhalt über den Zustand des Glenohumeralgelenkes. So lassen sich Zeichen einer Dezentrierung wie der subakromiale Abstand, der „critical shoulder angle“ (CSA), der akromiohumerale Index (AI), eine mögliche Deformierung der Gelenkpartner, das Vorliegen von osteophytären Anbauten sowie der Grad einer möglicherweise vorliegenden Omarthrose (nach Samilson) oder Defektarthropathie (nach Hamada und Fukuda) beurteilen. Anhand der röntgenologischen Gelenkkonfiguration lassen sich somit bereits Hinweise für die weitere Behandlung ableiten. Ist bspw. der subakromiale Abstand < 7 mm, resultieren schlechtere Ergebnisse nach Refixation einer Rotatorenmanschettenruptur.

Neben der Röntgendiagnostik bietet die Sonographie für geübte Untersucher ein schnell verfügbares Verfahren zur Beurteilung von Rotatorenmanschettenläsionen. Der entscheidende Vorteil liegt in der Möglichkeit einer dynamischen Untersuchung der Schulter und der Rotatorenmanschette. Weiterhin eignet sich die Sonographie zur Verlaufskontrolle bei klinisch bisher nicht manifesten Läsionen.

Eine weitere Differenzierung erlaubt schließlich die Bildgebung mittels nativer Magnetresonanztomographie. Hiermit kann die Rotatorenmanschette direkt beurteilt werden. Neben der Morphologie der Läsion (transmural versus partiell) kann auch der Zustand der Muskulatur beurteilt werden. So erfolgt die Quantifizierung der Muskelatrophie nach Thomazeau (Beurteilung des Verhältnis des SSP-Muskels zur Fossa supraspinata) und der fettigen Degeneration nach Goutallier (Verhältnis intramuskuläres Fett : Volumen des Muskels) [7, 8]. Weiterhin kann der Retraktionsgrad der jeweiligen Sehne nach Patte beurteilt werden [9]. Eine ausgeprägte Muskelatrophie (> Thomazaeu 2), fettige Degeneration (> Goutallier 2) und Retraktion (> Patte 2) sind Indikatoren gegen eine operative Rekonstruktionsfähigkeit. Vorteilhaft ist die Wellung der Sehne, weil dies auf eine Elastizität hindeutet.

Therapieoptionen –
konservativ oder operativ?

Vor Beginn einer Therapie sollte zunächst entschieden werden, welche Optionen für den betroffenen Patienten in Frage kommen. Insbesondere in höherem Alter zeigt sich eine Vielzahl asymptomatischer Risse mit gleichbleibend guter Überkopffunktion. Wie vorgenannt liegt die Prävalenz von Läsionen der Rotatorenmanschette mit steigendem Alter von > 75 Jahren bei über 50 %. Entsprechend sollte bei asymptomatischen Verläufen oder okkulten Befunden von einer operativen Therapie abgesehen werden. Symptomatische Patienten, welche unter Schmerzen im Alltag und einer Funktionseinschränkung leiden, können indes operativ behandelt werden. Patientenspezifische Faktoren wie das Alter, die Compliance und der persönliche Funktionsanspruch müssen bei der Auswahl eines geeigneten Behandlungsverfahrens unbedingt berücksichtigt und präoperativ ausführlich erörtert werden, um falsche Erwartungen zu vermeiden.

Konservative Behandlung

Insbesondere bei chronischen Rupturen mit kompensierter Schulterfunktion sollte vor einer möglichen operativen Therapie ein konservativer Behandlungsversuch unternommen werden. Hierzu zählt neben der physiotherapeutischen Übungsbehandlung das Training im Rahmen eines Heimübungsprogrammes. Ziele sind, neben einer Kräftigung der verbliebenen Muskulatur und des M. deltoideus, die Verbesserung der Beweglichkeit und Überprüfung der Compliance vor aufwendigen Rekonstruktionen. Älteren Patienten mit geringen funktionellen Ansprüchen gelingt durch konservative Maßnahmen ggfs. die Wiederherstellung eines ausreichenden Funktionsniveaus. Die konservative Therapie umfasst dabei 4 Behandlungsstufen: Zunächst erfolgt die Schmerzreduktion durch z.B. die Etablierung einer antientzündlichen Medikation oder durch eine kurze, vorübergehende Ruhigstellung. In der zweiten Stufe soll anschließend ein freies Bewegungsausmaß wiederhergestellt werden. Hiernach schließen sich Übungen zur Wiederherstellung der Kraft an. In der vierten Stufe folgen schließlich komplexere Übungen zum Erhalt bzw. zur Erweiterung von Kraft und Bewegungsumfang. Grundlegend sollte das Übungsprogramm unter professioneller Anleitung absolviert und der Fortschritt der konservativen Maßnahmen regelmäßig überprüft werden. Additiv können intraartikuläre und subakromiale Injektionen (Cave: Durchführung unter sterilen Kautelen, keine Injektion in die Sehne, Mindestabstand 6 Wochen, nicht mehr als 3 Wiederholungen) angewendet werden. Häufig kommt es jedoch trotz konservativer Maßnahmen zur Progression einer bestehenden Rotatorenmanschettenruptur [10]. Sollten die konservativen Maßnahmen nicht zu einer ausreichenden Beschwerdebesserung beitragen, kann die Indikation einer operativen Therapie neu beurteilt werden.

Subakromiale Dekompression/Tuberkuloplastik/Bizepstenotomie oder -tenodese

Vor allem ältere Patienten jenseits des 70. Lebensjahres, welche vornehmlich unter der Schmerzsymptomatik leiden und nur einen geringen Anspruch an Funktion und Kraft (wenig Tätigkeit über Schulterniveau) haben, eignen sich für diese Therapieoption. Idealerweise kann die oder der Betroffene den Arm noch über 90° anheben. Arthroskopisch erfolgt die Entfernung der entzündlich veränderten Bursa subacromialis, eine partielle Synovektomie, Lavage sowie ggfs. eine Resektion von Osteophyten (z.B. im Bereich des Akromion oder des Tuberculum majus). Weiterhin kann das Akromion dreidimensional geglättet und somit der subakromiale Raum erweitert werden. Ziel ist es, einen homogenen coracoakromialen Bogen zu schaffen, ohne das Akromion ventral zu verkürzen oder das Lig. coracoacromiale zu beschädigen. Sofern notwendig, kann bei symptomatischer AC-Arthrose weiterhin eine arthroskopische Resektion der lateralen Klavikula erfolgen. Zusätzlich kann die Tenotomie oder Tenodese der langen Bizepssehne erfolgen (Abb. 3b). Es ist bekannt, dass die alleinige Behandlung der Bizepssehne die Schulterfunktion und die Zufriedenheit bei Patienten mit Rotatorenmanschettenmassenrupturen deutlich verbessert [11]. Um geeignete Patienten identifizieren zu können, kann im Rahmen der konservativen Maßnahmen eine lokale Infiltration durchgeführt werden. Bessert sich die Symptomatik hierunter, kann das Verfahren zu einer Beschwerdebesserung beitragen. Kontraindikationen stellen das Vorliegen einer Pseudoparalyse sowie eine fortgeschrittene Defekt-arthropathie dar [12].

Partielle Rekonstruktion

Primäres operatives Ziel sollte stets die komplette Rekonstruktion der Rotatorenmanschette sein, um den natürlichen Progress zu minimieren. Als prognostisch ungünstig für die Rekonstruktionsfähigkeit hat sich eine nativ-radiologisch akromiohumerale Distanz (AHD) von < 7 mm und eine fortgeschrittene Retraktion der Sehne (> Patte 2) sowie ein positives Tangentenzeichen herausgestellt [13, 14]. In Abhängigkeit dieser Kriterien kann ein kompletter Verschluss einer bestehenden Rotatorenmanschettenläsion ggfs. nicht erfolgen oder möglich sein. Um dennoch eine Balance der Kräftepartner (sog. „force couple“) wiederherstellen zu können, kann eine partielle Rekonstruktion (z.B. Refixation der Infraspinatussehne bei posterosuperioren Läsionen bzw. eine Seit-zu-Seit-Naht) mit Wiederannäherung der Rupturenden (sog. „margin convergence“) erfolgen, um die Rissgröße zu verkleinern [15]. Entscheidend ist dabei die Wiederherstellung des Gleichgewichts aus Infraspinatus und Subscapularis, welches den Humeruskopf zentriert und somit eine ideale Kraftentwicklung des Deltamuskels erlaubt [15, 16]. Die kurz- und mittelfristigen klinischen Ergebnisse einer partiellen Rekonstruktion zeigen eine signifikante Verbesserung der Schulterfunktion und der Patientenzufriedenheit, wenngleich hohe Raten von Re-Rupturen beschrieben sind [17–19]. Ein signifikanter Unterschied im Vergleich zur Superioren Kapselrekonstruktion (s.u.) konnte in einer prospektiv, randomisierten Studie nicht festgestellt werden [20].

Subakromiale Abstandshalter/InSpace® Ballon

Patienten mit einer dekompensierten posterosuperioren Ruptur, intaktem Subscapularis und nur geringgradiger Arthrose (max. Hamada II) kommen für eine Therapie mittels subakromialem Platzhalter in Frage. Hierbei wird nach subakromialer Dekompression ein biodegradabler (Polylactide und Epsilon-Caprolactone) Abstandshalter (sog. InSpace® Balloon, Fa. Stryker) eingebracht (Abb. 2). Durch das Auffüllen mit Natriumchloridlösung entfaltet sich der Ballon und bewirkt somit eine Vergrößerung des subakromialen Abstands. Der Platzhalter löst sich im Zeitraum von ca. 12 Monaten auf und sorgt idealerweise für eine Vernarbung der Strukturen unterhalb des Akromions. Ggfs. kann diese Methode auch mit anderen Verfahren kombiniert werden, um z.B. Reibung und Friktion über einer rekonstruierten Sehne oder nach durchgeführter Partialrekonstruktion zu minimieren [21]. Studien zur Effizienz des Verfahrens sind schwach und weisen meist nur ein Evidenzlevel von III bzw. IV auf, zeigen eine Schmerzreduktion und eine Verbesserung der Beweglichkeit sowie des Constant Scores bei niedrigen Komplikationsraten auf [22, 23]. Ein klarer Vorteil gegenüber der partiellen Rekonstruktion konnte nicht belegt werden und belastbare Langzeitdaten für die Anwendung des InSpace® Ballon sind ausstehend [24, 25].

Patchplastik
(Allograft/Autograft)

Jüngere Patienten mit einer schlechten Sehnenqualität oder irreparablen Massenruptur aber hohem Funktionsanspruch können mittels Patchplastik behandelt werden. Dabei wird die körpereigene Sehne durch einen Allo-, Auto- oder Xenograft verlängert („bridging“) bzw. augmentiert, um eine möglichst breite Bedeckung des Footprints zu gewährleisten und somit die Wiederanheftung an die originäre Insertionsstelle zu ermöglichen. Das ideale Graftmaterial ist dabei Gegenstand aktueller Diskussion. Es stehen verschiedene resorbierbare, nicht-resorbierbare und auf Extrazellulärmatrix basierende Patches zur Verfügung. Die Ergebnisse der Patch-Augmentation werden kontrovers diskutiert. Während einige Studien positive Daten für die Überlegenheit des Verfahrens liefern, sehen andere Untersuchungen keinen Benefit des Verfahrens im Vergleich zur Partialrekonstruktion [26, 27]. Studien von Snyder et al. konnten Heilungsraten von bis zu 75 % für dieses Verfahren nachweisen [28]. Interpositionen schneiden signifikant schlechter ab als Augmentationen.

Superiore
Kapselrekonstruktion (SCR)

Das Verfahren der superioren Kapselrekonstruktion wurde erstmals 2012 von Mihata et al. beschrieben [29]. Ziel der Operationstechnik ist eine Wiederherstellung der Funktion und Rezentrierung des Humeruskopfes bei irreparabel geschädigter Supraspinatussehne [30, 31]. Als Hauptindikation wird aktuell vor allem die partiell reparable posterosuperiore Ruptur mit niedriggradiger Defektarthropathie (Hamada II) angesehen. Es erfolgt einerseits ein Ersatz der Sehne zwischen superioren Glenoidrand und Tuberculum majus durch ein Sehnenersatzmaterial (in Europa meist dezellularisierte Haut) und die zusätzliche Seit-zu-Seit-Naht desselben an den Infraspinatus und Subscapularis (Abb. 3). Dies führt zum einen zu einer verbesserten vertikalen Stabilität und soll damit das subakromiale Impingement reduzieren. Zum anderen wirkt der Patch als Stabilisator für die verbleibende Subscapularis- und Infraspinatussehne, was zu einer Erhöhung der Sehnenspannung und einer Wiederherstellung des Kräftegleichgewichtes („force couple“) beiträgt. Die Studien zeigen kontroverse Ergebnisse mit z.T. hohen Rerupturraten des Patches, jedoch mit klinisch signi?kanter Verbesserung in Bezug auf Schulterfunktion und die Schmerzintensität im kurzen und mittleren Nachuntersuchungszeitraum [32–35]. Es sind jedoch auch Studien mit schlechtem klinischem Ergebnis beschrieben, die eine nur sehr strenge Indikationsstellung befürworten (isolierte Supraspinatussehnenruptur oder posterosuperior nach Collin et al.) [36–39]. Wie bei den reinen Patchplastiken steht momentan die Wahl des idealen Sehnenersatzmaterials im Vordergrund weiterer Untersuchungen. Das Verfahren eignet sich ebenfalls für jüngere Patienten mit hohem Anspruch, nur geringgradiger Arthrose und sonst stabilem Glenohumeralgelenk. Als Kontraindikationen werden eine fortgeschrittene Defektarthropathie mit beginnender Humeruskopfdestruktion und Azetabularisierung des Akromions (Stadium V nach Hamada) angesehen.

Muskeltransfers

Auch diese Verfahren sind eher jüngeren Patienten mit einer/m hohen Funktionseinschränkung und -anspruch bei bestehender irreparabler Massenruptur der Rotatorenmanschette (fettige Degeneration °III–IV) vorbehalten. Voraussetzung ist ein zentriertes Glenohumeralgelenk ohne wesentliche Arthrosezeichen (nicht höher als Hamada °III) und einem subakromialen Abstand > 6 mm. Grundsätzlich gilt dabei, dass eine Sehne nur einen Muskel ersetzen kann, wobei der zu transferierende Muskel etwa 30 % seiner Kraft verliert. In Abhängigkeit der Refixationsstelle können unterschiedliche Bewegungsrichtungen wiederhergestellt werden [40].

M. latissimus dorsi

Diese Verfahren wurde erstmal 1988 von Gerber et al. beschrieben [41]. Ein Transfer des M. latissimus dorsi kann je nach Lokalisation der Refixation unterschiedliche Funktionen wiederherstellen. Typischerweise werden durch den Transfer isoliert posteriore oder posterosuperiore Defekte (Typ A, C, D, E nach Collin et al.) adressiert. Dabei wird die Sehne im Bereich des ehemaligen SSP-Ansatzes (nach Gerber et al.) oder im Bereich des Ansatzes des ISP (nach Habermeyer et al.) refixiert [42, 43]. Wichtig ist, dass der M. subscapularis als Gegenspieler intakt und ausreichend suffizient ist. Je nach Lokalisation der Refixation steht entweder die Funktion als Außenrotator oder die Kaudalisierung des Humeruskopfes im Vordergrund. Ein entscheidender Vorteil ist, dass neben den Ankern zur Fixierung der Sehne kein zusätzliches allo- oder xenogenes Implantat erforderlich ist. Zu diesem Verfahren liegen bereits Langzeitergebnisse mit einem Mindestnachuntersuchungszeitraum von 10 Jahren vor, welche belegen, dass es zu einer Verbesserung des Constant Score von präoperativ 56 auf postoperativ 80 Punkte kommt und die Patientenzufriedenheit (subjektiver Schulterwert) von präoperativ 29 auf postoperativ 70 ansteigt [44]. Auch neuere arthroskopisch-assistierte Verfahren sind beschrieben und unterscheiden sich nicht signifikant von den offenen Techniken [45].

Die Versagensraten werden zwischen 10 % und 30 % angegeben [44–46]. Risikofaktoren für ein schlechtes Ergebnis und damit eine relative Kontraindikation sind eine Schultersteife bzw. fortgeschrittene Pseudoparalyse, ein irreparabler Riss des M. subscapularis und ein hoher ‚critical shoulder angle‘.

Auch Kombinationen mehrerer Muskeltransfers wurden in der Vergangenheit publiziert [47, 48].

M. pectoralis major

Der Transfer des M. pectoralis major kann bei Rotatorenmanschettendefekten im anteriosuperioren Bereich angewandt werden und wurde erstmals 1997 von Wirth & Rockwood zur Behandlung von irreparablen M. subscapularis Rissen beschrieben [49]. Hierbei wird über einen deltopectoralen Zugang der sternale oder klavikuläre Anteil des M. pectoralis im Ansatzbereich am Humerus abgelöst und nachfolgend unter oder über der gemeinsamen Sehne des M. coracobrachialis und der kurzen Bizepssehne („conjoined tendon“) durchgeführt, um schließlich am Tuberculum minus refixiert zu werden [50]. Die Ergebnisse nach subcorakoidalem Transfer sind gut und konnten eine Verbesserung im mittleren Constant Score von präoperativ 22,6 Punkten auf postoperativ 54,4 Punkte bzw. von 51,73 auf 68,17 Punkte (p = 0,005) belegen [50, 51].

Lower Trapezius Transfer

Eine weitere Behandlungsoption stellt der Transfer der kaudalen Anteile des M. trapezius dar. Während diese Technik zunächst nur bei Patienten mit einer Läsion im Bereich des Plexus brachialis angewandt wurde, kommt der Transfer der kaudalen Anteile des M. trapezius inzwischen auch als Rekonstruktionsversuch für Patienten mit einer irreparablen posterosuperioren Rotatorenmanschettenruptur und deutlich eingeschränkter Außenrotationsfähigkeit in Frage [52, 53]. Voraussetzungen sind jedoch eine gute Funktion des SSC und ein geringer Arthrosegrad [53]. Die unteren Anteile des M. trapezius werden in dieser Technik von der Scapula abgelöst und am Tuberculum majus auf Höhe der Insertionsstelle des SSP refixiert. Da die Sehne nicht lang genug ist, muss regelhaft z.B. eine autologe Semitendinosus-Sehne oder ein Allograft z.B. die Achillessehne als Längeninterponat genutzt werden [54, 55]. Klinische Studien zeigen im 2-Jahres Verlauf gute Ergebnisse mit einer deutlichen Schmerzreduktion und teilweisen Wiederherstellung der Außenrotationsfunktion. Belastbare Langzeitdaten sind aktuell noch nicht verfügbar [56, 57].

Endoprothetik

Sofern eine Rekonstruktion der Rotatorenmanschette nicht mehr sinnvoll erscheint und auch durch die vorgenannten Verfahren keine wesentliche Befundbesserung zu erwarten ist, sollte die Möglichkeit zur Implantation einer inversen Schulterprothese evaluiert werden. Hierbei kommt es durch die Inversion der Konvexität am Glenoid und Konkavität am Humerus zur Verlagerung des Drehzentrums des Schultergelenkes nach medial und kaudal mit resultierender verbesserter Vorspannung des M. deltoideus und damit gesteigertem Drehmoment für die Abduktion. Der endoprothetische Ersatz des Schultergelenks sollte jedoch einem älteren Patientenklientel (> 75 Jahre) mit ausgeprägten degenerativen Gelenkveränderungen (Defektarthropathie °IV–VI nach Hamada), einer hohen Schmerzintensität und einem entsprechend hohen Leidensdruck vorbehalten sein [12 ]. Voraussetzung für die operative Therapie ist die Funktionsfähigkeit des N. axillaris und damit des M. deltoideus.

Nachbehandlung

Während bei einem isolierten subakromialen Débridement oder der Implantation eines Platzhalters bereits ab dem 1. postoperativen Tag mit einer passiven oder aktiven Beübung begonnen werden kann, muss nach Rekonstruktion der Rotatorenmanschette eine Schonung von ca. 6 Wochen eingehalten werden, um eine stabile Integration der Sehne am Knochen zu ermöglichen. Dies erfolgt regelhaft mittels Abduktionskissen, um eine Spannungsreduktion der refixierten Sehne zu ermöglichen. Eine zu frühzeitige oder zu intensive Beübung kann in diesem Zeitraum die Heilung verhindern und zu einer erhöhten Rate an Re-Rupturen führen.

Fazit

Für Massenrupturen der Rotatorenmanschette gibt es eine Vielzahl von Therapieoptionen jenseits der inversen Schulterprothese. Insgesamt muss die Therapie bei irreparablen Schä-
digungen der Rotatorenmanschette jedoch individuell und unter Berücksichtigung demographischer Faktoren und des Aktivitätsniveaus gemeinsam mit dem Patienten geplant und umgesetzt werden.

Interessenkonflikte:

Keine angegeben.

Das Literaturverzeichnis zu
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www.online-oup.de

Korrespondenzadresse

PD Dr. med. Jörg Nowotny

UniversitätsCentrum für Orthopädie,

Unfall- und Plastische
Chirurgie Dresden

Fetscherstraße 74

01307 Dresden

joerg.nowotny@uniklinikum-dresden.de

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