Übersichtsarbeiten - OUP 02/2022

Ausgedehnte Rotatorenmanschettenläsionen
Typische Indikationen und technische Möglichkeiten für ein gelenkerhaltendes Vorgehen

Die Versagensraten werden zwischen 10 % und 30 % angegeben [44–46]. Risikofaktoren für ein schlechtes Ergebnis und damit eine relative Kontraindikation sind eine Schultersteife bzw. fortgeschrittene Pseudoparalyse, ein irreparabler Riss des M. subscapularis und ein hoher ‚critical shoulder angle‘.

Auch Kombinationen mehrerer Muskeltransfers wurden in der Vergangenheit publiziert [47, 48].

M. pectoralis major

Der Transfer des M. pectoralis major kann bei Rotatorenmanschettendefekten im anteriosuperioren Bereich angewandt werden und wurde erstmals 1997 von Wirth & Rockwood zur Behandlung von irreparablen M. subscapularis Rissen beschrieben [49]. Hierbei wird über einen deltopectoralen Zugang der sternale oder klavikuläre Anteil des M. pectoralis im Ansatzbereich am Humerus abgelöst und nachfolgend unter oder über der gemeinsamen Sehne des M. coracobrachialis und der kurzen Bizepssehne („conjoined tendon“) durchgeführt, um schließlich am Tuberculum minus refixiert zu werden [50]. Die Ergebnisse nach subcorakoidalem Transfer sind gut und konnten eine Verbesserung im mittleren Constant Score von präoperativ 22,6 Punkten auf postoperativ 54,4 Punkte bzw. von 51,73 auf 68,17 Punkte (p = 0,005) belegen [50, 51].

Lower Trapezius Transfer

Eine weitere Behandlungsoption stellt der Transfer der kaudalen Anteile des M. trapezius dar. Während diese Technik zunächst nur bei Patienten mit einer Läsion im Bereich des Plexus brachialis angewandt wurde, kommt der Transfer der kaudalen Anteile des M. trapezius inzwischen auch als Rekonstruktionsversuch für Patienten mit einer irreparablen posterosuperioren Rotatorenmanschettenruptur und deutlich eingeschränkter Außenrotationsfähigkeit in Frage [52, 53]. Voraussetzungen sind jedoch eine gute Funktion des SSC und ein geringer Arthrosegrad [53]. Die unteren Anteile des M. trapezius werden in dieser Technik von der Scapula abgelöst und am Tuberculum majus auf Höhe der Insertionsstelle des SSP refixiert. Da die Sehne nicht lang genug ist, muss regelhaft z.B. eine autologe Semitendinosus-Sehne oder ein Allograft z.B. die Achillessehne als Längeninterponat genutzt werden [54, 55]. Klinische Studien zeigen im 2-Jahres Verlauf gute Ergebnisse mit einer deutlichen Schmerzreduktion und teilweisen Wiederherstellung der Außenrotationsfunktion. Belastbare Langzeitdaten sind aktuell noch nicht verfügbar [56, 57].

Endoprothetik

Sofern eine Rekonstruktion der Rotatorenmanschette nicht mehr sinnvoll erscheint und auch durch die vorgenannten Verfahren keine wesentliche Befundbesserung zu erwarten ist, sollte die Möglichkeit zur Implantation einer inversen Schulterprothese evaluiert werden. Hierbei kommt es durch die Inversion der Konvexität am Glenoid und Konkavität am Humerus zur Verlagerung des Drehzentrums des Schultergelenkes nach medial und kaudal mit resultierender verbesserter Vorspannung des M. deltoideus und damit gesteigertem Drehmoment für die Abduktion. Der endoprothetische Ersatz des Schultergelenks sollte jedoch einem älteren Patientenklientel (> 75 Jahre) mit ausgeprägten degenerativen Gelenkveränderungen (Defektarthropathie °IV–VI nach Hamada), einer hohen Schmerzintensität und einem entsprechend hohen Leidensdruck vorbehalten sein [12 ]. Voraussetzung für die operative Therapie ist die Funktionsfähigkeit des N. axillaris und damit des M. deltoideus.

Nachbehandlung

Während bei einem isolierten subakromialen Débridement oder der Implantation eines Platzhalters bereits ab dem 1. postoperativen Tag mit einer passiven oder aktiven Beübung begonnen werden kann, muss nach Rekonstruktion der Rotatorenmanschette eine Schonung von ca. 6 Wochen eingehalten werden, um eine stabile Integration der Sehne am Knochen zu ermöglichen. Dies erfolgt regelhaft mittels Abduktionskissen, um eine Spannungsreduktion der refixierten Sehne zu ermöglichen. Eine zu frühzeitige oder zu intensive Beübung kann in diesem Zeitraum die Heilung verhindern und zu einer erhöhten Rate an Re-Rupturen führen.

Fazit

Für Massenrupturen der Rotatorenmanschette gibt es eine Vielzahl von Therapieoptionen jenseits der inversen Schulterprothese. Insgesamt muss die Therapie bei irreparablen Schä-
digungen der Rotatorenmanschette jedoch individuell und unter Berücksichtigung demographischer Faktoren und des Aktivitätsniveaus gemeinsam mit dem Patienten geplant und umgesetzt werden.

Interessenkonflikte:

Keine angegeben.

Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de

Korrespondenzadresse

PD Dr. med. Jörg Nowotny

UniversitätsCentrum für Orthopädie,

Unfall- und Plastische
Chirurgie Dresden

Fetscherstraße 74

01307 Dresden

joerg.nowotny@uniklinikum-dresden.de

SEITE: 1 | 2 | 3 | 4