Übersichtsarbeiten - OUP 06/2016

Azetabuläre Defektrekonstruktion in der Revisionsendoprothetik des Hüftgelenks

Matthias D. Wimmer1, Dieter C. Wirtz1, Sascha Gravius1

Zusammenfassung: Periazetabuläre Defektsituationen stellen bei endoprothetischen Revisionsoperationen am Hüftgelenk eine Herausforderung dar. Präoperativ ist es
essenziell, den bestehenden oder zu erwartenden Knochendefekt zu klassifizieren. Entsprechend der Defektausprägung stehen verschiedene Operationsverfahren zur Verfügung.

Wesentliche Ziele der Pfannenrevision sind neben der Rekonstruktion des anatomischen Drehzentrums die primärstabile Verankerung des Revisionsimplantats wie die Rekonstruktion knöcherner Defekte mit Wiederaufbau eines tragfähigen Implantatlagers mit dem Ziel des „Defekt-down-sizing“ im erneuten Revisionsfall.

Zur Knochendefektrekonstruktion sollte die Kombination unterschiedlicher Materialien vorgehalten werden. Da Knochentransplantate allein im Langzeitverlauf nicht mechanisch tragfähig sind, sollten in den Hauptbelastungszonen makrorauhe bzw. makrostruktuierte Metallkonstrukte (modular als Metallaugmente oder nichtmodular als längsovale Monoblockimplantate) Anwendung finden. Homologe spongiöse Knochenchips eignen sich, um umschlossene (contained) Knochendefekte am Pfannenboden oder am superomedialen Pfannendach in „Impaction-grafting-Technik“ zu rekonstruieren.

Der vorliegende Artikel gibt einen Überblick über die derzeitigen Versorgungsstrategien in der Therapie periazetabulärer Knochendefekte. Dies umfasst den Einsatz von Primärimplantaten bei geringgradigen Defekten (Paprosky Typ I und IIa) bis hin zu individuell angefertigten „Beckenteilersätzen“ bei Beckendiskontinuitäten (Paprosky Typ IIIb).

Schlüsselwörter: Revision, azetabulär, Rekonstruktion, Knochendefekt

Zitierweise
Wimmer MD, Wirtz DC, Gravius S: Azetabuläre Defektrekonstruktion in der Revisionsendoprothetik des Hüftgelenks.
OUP 2016; 6: 358–363 DOI 10.3238/oup.2016.0358–0363

Summary: Periacetabular bony defects are challenging to manage in revision total hip arthroplasty. It is essential to classify the defect situation preoperativly and to choose the reconstruction strategy appropriatly. The aims of acetabular revisions are reconstruction of the physiologica joint geometrie, primary stability of the implant as well as the reconstruction of bony defects to „down size“ the defect anticipating potential future revisions.

Different reconstruction techniques should be available if revision arthroplasty of the hip is going to be performed. Since bone grafts alone do not provide long term stability modular or non modular, metal augments should be used in mechanical peak load areas. Homologous bone chips can be used to reconstruct contained defects in impaction bone grafting technique.

This article provides an overview of a both, defect size and defect location adapted treatment approach for acetabular revisions, ranging from primary implants for Paprosky I defects to custom made implants for extensive defects with acetabular discontinuity (Paprsosky IIIb).

Keywords: revision, acetabular, reconstruction, bone defect

Citation
Wimmer MD, Wirtz DC, Gravius S: Acetabular defect reconstruction in revision total hip arthroplasty.
OUP 2016; 6: 358–363 DOI 10.3238/oup.2016.0358–0363

Problemstellung

Ausgeprägte knöcherne Defektsituationen im Pfannenbereich stellen bei endoprothetischen Revisionsoperationen am Hüftgelenk eine operationstechnische Herausforderung dar. Dies betrifft im Vorfeld der Operation die Entscheidung zur Rekonstruktionstrategie als auch die konkrete und an die spezifische Situation adaptierte Wahl des geeigneten Revisionsimplantats und -verfahrens. Hierbei muss bedacht werden, dass die präoperativ vorliegende Defektsituation wesentlich von der intraoperativen Situation abweichen kann. So können u.a. abriebinduzierte Osteolysen oder das chirurgische Debridement zur Therapie periprothetischer Infektionen zusätzliche Knochendefekte bedingen, die zur Abkehr oder Änderung der initialen chirurgischen Therapie führen können [1–3]. Wie in Wirtz [4] dargelegt, müssen die im Folgenden aufgeführten Aspekte Beachtung finden:

Periazetabuläre Knochendefekte lassen sich nach verschiedenen publizierten Klassifikationen einteilen [5]. Im klinischen Alltag findet die Klassifikation nach Paprosky am häufigsten Anwendung. Sie bietet eine international übliche und reproduzierbare Möglichkeit, die Defektsituation deskriptiv zu beschreiben [6].

Die Ziele der Pfannenrevisionsoperation lassen sich nach Gravius und Wirtz wie folgt zusammenfassen [1]:

  • 1. Wiederherstellung der physiologischen Gelenkgeometrie:
  • Dies beinhaltet die Rekonstruktion des anatomisches Drehzentrums, die Wiederherstellung des femoralen Offset und nicht zuletzt der Weichteilspannung – Ziel sollte ein impingementfreies, luxationsstabiles Gelenkspiel mit „bestmöglichem“ Bewegungsumfang sein.
  • 2. Primärstabile Verankerung der Primär-/Revisionsimplantate am verbliebenen periazetabulären Knochen mit dem Ziel der sekundärer Osseointegration
  • 3. Wiederherstellung eines tragfähigen Implantatlagers – dies beinhaltet die Überführung eines „non contained“ (nicht umschlossener „segmentaler“ Defekt) in einen „contained“ Defekt (umschlossener „kavitärer“ Defekt) und die Wiederherstellung der Kraftübertragung auf den verbliebenen periazetabulären Knochen
  • 4. Biologische Augmentation der verbliebenen „contained“ Defekte mit „down-grading“ der Knochendefekte im erneuten Revisionsfall [7].

Die Wahl des Rekonstruktionsverfahrens wird neben patientenspezifischen Faktoren (u.a. Alter, Knochenqualität, Co-Morbiditäten), durch die Muskel- und Weichteilsituation (u.a. Funktion der pelvitrochantären Muskulatur) insbesondere durch die intraoperative Knochendefektsituation bestimmt.

Zur Defektaugmentation muss die Kombination unterschiedlicher Materialien vorbehalten werden [2]. Da strukturelle kortikospongiöse Knochentransplantate im Langzeitverlauf wegen ihrer fehlenden Revitalisierung nicht mechanisch tragfähig sind, sollten in den Hauptbelastungszonen (kraniolateraler Pfannenerkerdefekt = Steilwanddefekt oder dorsaler Azetabulumpfeiler) makrorauhe bzw. makrostrukturierte Metallkonstrukte (modular als Metallaugmente oder nichtmodular als längsovale Monoblockimplantate) Anwendung finden. Spongiöse Knochenchips wiederum eignen sich dagegen, um umschlossene (contained) Knochendefekte am Pfannenboden oder am superomedialen Pfannendach in „Impaction-grafting-Technik“ zu rekonstruieren [8, 9, 10, 11, 12]. Die Impaction-grafting-Technik hat das Ziel der „biologischen Defektrekonstruktion“, d.h. die Umwandlung der eingebrachten homologen spongiösen Chips in einen stabilen tragfähigen Knochen. Hier muss die Voraussetzung des großflächigen Knochenkontakts und die Transplantatkompression durch eine überbrückende stabil verankernde Abstützschale erfüllt sein [13].

Zementierte Reimplantation

Die Reimplantation mit zementierten hemisphärischen Polyethylenstandardpfannen sollte nur beim älteren Menschen (> 75 Jahre, Lebenserwartung < 10 Jahre) mit geringem azetabulärem Knochendefekt (Paprosky Typ I und IIa) angewendet werden (Abb. 2). Auf eine alleinige zementierte Defektaugmentation mittels Knochenzement sollte verzichtet werden, da aufgrund der fehlenden Dauerbindungsfähigkeit im häufig sklerosierten Knochenlager höhere Lockerungsraten beschrieben sind [14].

Zementfreie Reimplantation – Pressfitpfannen/Schraubpfannen

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