Übersichtsarbeiten - OUP 06/2016

Azetabuläre Defektrekonstruktion in der Revisionsendoprothetik des Hüftgelenks

Pressfit-/Schraubpfannen benötigen zur „primärstabilen Verankerung“ eine intakte Pfanneneingangsebene (erhaltener azetabulärer Rahmen) (Paprosky Typ I und IIa) (Abb. 3). Begleitend vorliegende kavitäre Knochendefekte können mit autologen oder allogenen Knochenchips augmentiert werden Die Primärstabilität kann durch die zusätzliche Einbringung von Pfannendachschrauben erhöht werden.

Zementfreie Reimplantation – längsovale/kranial aufgesockelte Pfannen

Knochendefekte mit längsovaler Pfanneneingangsebene (supero- bzw. kraniolaterale Knochendefekte (? Paprosky Typ IIb)) können durch makrorauhe bzw. makrostrukturierte Metallkonstrukte (modular als Metallaugmente oder nichtmodular als Monoblock) versorgt werden.

Nichtmodulare Monoblocksysteme („Kranialsockelpfanne“) rekonstruieren durch die kraniale Aufsockelung den ovalären Defekt unter gleichzeitiger Herstellung des Pfannendrehzentrums. Durch die Erweiterung des Systems (mit dorsolateraler Lasche bei Destruktion des hinteren Pfeilers; zusätzliche „intramedulläre“ Stabilisierung durch einen Ileumzapfen bei Beckendiskontinuitäten) können auch höhergradige Defekte adressiert werden (Abb. 4). Defekte mit einem Knochenverlust > 2 cm am kraniolateralen Pfannenerker (Paprosky Typ IIIa und IIIb) können durch die limitierte kraniale Aufsockelung der Monoblocksysteme nicht suffizient unter gleichzeitiger Rekonstruktion des Pfannendrehzentrums versorgt werden [15].

Zementfreie Reimplantation – „augment and cup“

Alternativ zum nicht modularen Monoblocksystem bieten modulare Metallaugmente den Vorteil, dass sie in unterschiedlicher Größe zur Verfügung stehen und entsprechend der Lage der Knochendefekte (kranioventral, supero-/kraniolateral, kraniodorsal) positioniert werden können. Beim „Augment-and-cup“-Prinzip wird zunächst das Metallaugment am kranialen Defekt mit Schrauben fixiert, bevor eine Pressfit-Pfanne in den Defekt eingebracht wird. Zur Vermeidung eines direkten Metall-Metall-Kontakts sollte eine Zementschicht zwischen Augment und Pfanne aufgebracht werden (Abb. 5). Weiterhin muss durch Einbringung des Augments eine geschlossene Pfanneneingangsebene hergestellt werden, die unter Ausnutzung des ortsständigen Knochens am ventralen und dorsalen Pfannenpfeiler eine Pressfit-Verklemmung ermöglicht [16].

Zementfreie Reimplantation – „cup in cage“ und
„augment and cage“

Kann bei defizientem ventralem und/oder dorsalem Pfeiler keine ausreichende Stabilität für eine „Augment-and-cup“-Verankerung erzielt werden, kann das Prinzip des „cup in cage“ zur Defektrekonstruktion angewendet werden [17]. Beim „Cup-in-cage“-Prinzip wird eine großvolumige zementfreie hemisphärische Pressfit-Pfanne von einer ilioischialen Abstützschale überbrückend „gesichert“. Auch bei dieser Technik ist es notwendig, zur Vermeidung eines direkten Metall-Metall-Kontakts das Interface zwischen Pfanne und Abstützschale mit Zement auszufüllen.

Dies gilt identisch auch für das „Augment-and-cage“-Prinzip. Hier wird nach Befestigung eines Metallaugments am Pfannenerker der Defekt mit einer überbrückenden Abstützschale vom Ilium zum Ischium gesichert. Die verbliebenen superomedialen Pfannendachdefekte repektive die medialen Pfannenbodendefekte können mit Knochentransplantaten augmentiert werden. Vorteilhaft erweist sich das breite Versorgungsspektrum dieser Technik. Des Weiteren vereint diese Technik die Vorteile der metallischen und biologischen Rekonstruktion miteinander [18, 19].

Zementfreie Reimplantation –
Abstützschalen

Abstützschalen werden in „klassische“ Stützringe mit einzuzementierendem PE-Inlay (ohne Laschen (Typ Müller/Ganz) und mit Laschen (Typ Burch-Schneider)) und in zementfreie Stützringe mit modularem Inlay (ohne und mit Laschen) unterschieden. Bei Stützringen mit kaudalem Haken (Stützring Typ Ganz und den daran angelehnten modularen Stützringen) dient dieser neben der Positionierung (Festlegung des Drehzentrums durch Einhakung in Foramen obturatorium) der Verspannung der Abstützschale in kranio-kaudaler Richtung (vorausgesetzt, es liegen keine inferioren Defekte vor) durch das Einbringen einer, besser sogar von 2 Pfannendomschrauben. Diese stellen die direkte Lastübertragung auf den periazetabulären Knochen im Bereich der Hauptbelastungszone sicher. Aufgrund dessen müssen bei kraniolateralen Pfannenerkerdefekten oder Defekten des hinteren Azetabulumpfeilers (immer dann wenn die sichere Kraftübertragung auf den autochthonen periazetabulären Knochen nicht gewährleistet werden kann) zusätzlich zur Abstützschale Metallaugmente verwendet werden („Augment-and-modular-cage“-Prinzip) (Abb. 6). Weiterhin bieten die Kombinationen mit modularen Augmenten bei signifikanten Pfannenerkerdefekten (? Paprosky Typ IIb) die Möglichkeit der Rekonstruktion des Hüftdrehzentrums. Unumgänglich ist neben der sicheren Lastübertragung die „kippelfreie“ Auflage des kranialen Stützkragens am kraniolateralen Pfannenerker und am dorsalen Pfannenrand.

Ähnlich dem „Augment-and-cage“-Prinzip können auch hier verbliebene kavitäre Knochendefekte biologisch augmentiert werden. Die Schraubenverankerung (insbesondere durch die Pfannendomschrauben) setzen dabei die eingebrachten Transplantate unter Kompression [ 8, 10, 20 ,21 ].

Das Vorgehen bei Abstützschalen vom Typ Burch-Schneider unterscheidet sich nur dahingehend, dass der kaudale Haken/Lasche ins Sitzbein eingeschlagen werden muss.

Sonderfall „Beckendiskontinuität“

Bei Defektsituationen (Paprosky Typ IIIb) mit Diskontinuität des vorderen und hinteren Pfeilers und rekonstruktionfähigem dorsalem Pfeiler sollte nach Anfrischen des autochthonen Knochens und zusätzlicher Knochentransplantation eine Plattenosteosynthese des dorsalen Pfeilers vom Os Ileum zum Os Ischium erfolgen. Die Rekonstruktion kann dann in der „Augment-and-cage-“ respektive der „Augment-and-modular-cage“-Technik erfolgen.

Bei nicht rekonstruierbaren Defekten des dorsalen Pfeilers muss das Rekonstruktionsimplantat am Os ileum intramedullär fixiert werden. Hier stehen u.a. die Kranialsockelpfannen mit Ileumzapfen [15], die Sockelpfanne [13] und der Beckenteilersatz zur Verfügung [9]. Die beiden erstgenannten Verfahren bergen das Risiko, dass insbesondere bei ausgeprägten kraniolateralen und superomedialen Defekten, ein sekundär „hohes“ Hüftzentrum resultiert. Aus diesem Grund sind in unserem Behandlungsalgorithmus individuelle Beckenimplantate implementiert, die nach Ausbau des gelockerten Pfannenimplantats und Anfertigung eines 3D-CT zur Planung und Konstruktion des individuellen Beckenteilersatzes in der Sine-Sine-Situation in einem zweiten Eingriff implantiert werden. Neben individuell angefertigten Kranialsockelsystemen mit metallischer Augmentation der kraniolateralen und superomedialen Defekte mit intramedullärem Ileumzapfen und Os-ileum-Lasche (Abb. 7) kommen dem „Triflange“-Prinzip nachempfundene Beckenimplantate (Abb. 8) zur Anwendung. Die am Os ischium anliegende Lasche dient ebenso wie die sog. Os-pubis-Schraube nicht zur mechanischen Verankerung, sondern der intraoperativ exakten Positionierung zur Rekonstruktion des Hüftdrehzentrums. Die mechanische Stabilität wird durch großvolumige, im Os ileum divergierend („aufspreizend“) eingebrachte Domschrauben und 2 anatomisch an das Os ileum angepasste Laschen mit Spongiosaschraubenfixation erreicht. Verbleibende Knochendefekte können entweder mit spongiösen Knochenchips in Impaktiertechnik oder mit antibiotikahaltigem Knochenzement (nach Infektsituationen) gefüllt werden. Als Inlay haben sich tripolare Gleitpaarungen zur Luxationsvermeidung bei den doch meist gleichzeitig vorliegenden narbigen Weichteilsituationen in der klinischen Anwendung bewährt.

Diskussion und Schlussfolgerung

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