Übersichtsarbeiten - OUP 06/2016

Azetabuläre Defektrekonstruktion in der Revisionsendoprothetik des Hüftgelenks

Ziel der azetabulären Revisionsendoprothetik muss die primärstabile Verankerung der Revisionsimplantate am verbliebenen periazetabulären Knochen sein – hierzu ist die großflächige Lastübertragung auf den autochthonen Knochen (insbesondere bei kranialen Steilwanddefekten oder defizitärem dorsalem Pfeiler) notwendig.

Generell sollte gerade bei jüngeren Patienten, wo möglicherweise ein weiterer Prothesenwechsel während des Lebens notwendig werden wird („nach der Revision ist vor der Revision“), immer ein sog. „Down-grading“ durch biologische Defektrekonstruktion mittels Knochentransplantation durchgeführt werden – sofern dies die biomechanische Situation zulässt [2]. Wichtigste Voraussetzungen für einen Knochenwiederaufbau ist, dass der autochthone ortsständige Knochen vital und tragfähig ist, der transplantierte Knochen verdichtet und impaktiert eingebracht wird (Impaction-grafting-Technik) und durch überbrückende „Rekonstruktionskonstrukte“ sowohl geschützt als auch „unter Druck“ gesetzt wird [20, 21].

Bei kraniolateralen Pfannenerkerdefekten oder Defekten des dorsalen Azetabulumpfeilers sollten zusätzlich Metallaugmente („Augment-and-cup“-, „Cup-in-cage“-, „Augment-and-cage“- und „Augment-and-modular-cage“-Technik) oder makrorauhe bzw. makrostruktuierte metallische (längsovale) Monoblock-Großimplantate verwendet werden. Hier zeigen biologische Augmentationsstrategien mit (kortiko-) spongiösen Knochenchips und ebenso „Strut-Grafts“ konsekutiv hohe Versagensraten [23]. Diese Techniken ermöglichen die Kraftübertragung in den Hauptbelastungszonen auf den autochthonen Knochen, die Überführung von „Non-contained“- in „Contained“-Defekte und verfolgen das Ziel der Rekonstruktion des anatomischen Hüftrotationszentrums.

Dennoch besteht eine kontroverse Diskussion über die „optimale“ Anbindung der modularen Augmente an die (modularen) „Revisionskonstrukte“. Dies kann

  • 1. durch die definierte Verbindung („Anschrauben“ der Augmente) oder
  • 2. durch die Nutzung von Zement realisiert werden.

In beiden Fällen ist bis dato unklar, inwieweit sich die „Metall-Metall“- oder die „Metall-Zement-Metall“-Verbindung in der klinischen Anwendung im Langzeitverlauf bewährt. Insbesondere im Fall der „zementierten“ Anbindung ist davon auszugehen, dass der Zement als mechanisch „schwächster Partner“ im Verankerungsverbund unter den hydrolytischen Körpermilieubedingungen nicht nur „ermüden“ und „zerrütten“ wird [24, 25], sondern möglicherweise durch die „schwingende Eigenbewegung“ des Beckens unter Belastung auch brechen wird. Ausgeprägter PMMA- und Metallabrieb sind die Folge (Abb. 9).

Ungeachtet der Wahl des Rekonstruktionsverfahrens sollte die Pfannenrevision dem „erfahrenen Operateur“ vorbehalten bleiben – dies umfasst die Kenntnisse der Zugangswege zum Hüftgelenk wie auch die Anwendung verschiedener Verankerungstechniken und Instrumenten- sowie Implantatsystemen (Ausweichstrategie – „second line of defence“ – bei intraoperativ unvorhersehbaren anatomischen Verhältnissen). Die Vorhaltung von Knochentransplantaten und Metallaugmenten zur Defektrekonstruktion wie auch Erfahrungen in biologischen Rekonstruktionsverfahren („Impaction-grafting-Technik“) sind ebenfalls unabdingbar. „Ein Implantatsystem für alle Fälle“ gibt es bisher nicht [26].

Interessenkonflikt: Keine angegeben

Korrespondenzadresse

PD Dr. med. S. Gravius

Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie

Rheinische Friedrich-Wilhelms-
Universität Bonn

Universitätsklinikum Bonn

Sigmund-Freud-Straße 25, 53127 Bonn

sascha.gravius@ukb.uni-bonn.de

Literatur

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2. Gravius S, Pagenstert G, Weber O, Kraska N, Röhrig H, Wirtz DC: Acetabular defect reconstruction in revision surgery of the hip. Autologous, homologous or metal? Orthopäde 2009; 38: 729–740

3. Gravius S, Randau T, Wirtz DC: „Was tun, wenn die Hüftprothese versagt?“ Neue Trends in der Revisionsendoprothetik. Orthopäde 2011; 40: 1084–1094

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