Übersichtsarbeiten - OUP 03/2016

Behandlungsalgorithmus Ellenbogenluxation

Sebastian Siebenlist1, Andreas Lenich2, Andreas B. Imhoff1

Zusammenfassung: Für die „einfache“ Ellenbogenluxation bestehen bis dato im Gegensatz zur Luxationsfraktur des Ellenbogens keine einheitlichen Behandlungsrichtlinien. Im vorliegenden Artikel geht es um die Frage, wann eine akute Ellenbogenluxation konservativ behandelt werden kann oder besser einer operativen Therapie zugeführt werden sollte. Grundlegende Voraussetzung für das therapeutische Vorgehen ist eine genaue Analyse der Gelenkstabilität nach der Reposition anhand klinischer und radiologischer Kriterien. Anhand eines möglichen Behandlungsalgorithmus werden sowohl die konservative Therapie wie auch das praktische Vorgehen bei der operativen Stabilisierung des Ellenbogengelenks ausführlich beleuchtet.

Schlusselwörter: Ellenbogen, Luxation, Instabilitätszeichen,
konservative Therapie, operative Stabilisierung

Zitierweise
Siebenlist S, Lenich A, Imhoff AB: Behandlungsalgorithmus
Ellenbogenluxation.
OUP 2016; 3: 132–138 DOI 10.3238/oup.2016.0132–0138

Abstract: Other than for elbow fracture dislocations, there is no consensus for the therapeutic management of simple elbow dislocations so far. The topic of the present article therefore is to give a structured approach for the conservative or surgical therapy of simple elbow dislocation if necessary. A systematic analysis of the elbow joint stability based on clinical and radiological criteria is essential for therapeutic decision making. Both the non-operative treatment and the surgical repair of a simple elbow dislocation are presented in detail.

Keywords: elbow, dislocation, instability, conservative treatment, surgical management

Citation
Siebenlist S, Lenich A, Imhoff AB: Simple elbow dislocation –
a systematic approach.
OUP 2016; 3: 132–138 DOI 10.3238/oup.2016.0132–0138

Für den vermeintlich „einfachen“ Verletzungstyp der rein kapsulo-ligamentären Luxation des Ellenbogens existieren im Gegensatz zur Luxationsfraktur des Ellenbogens aktuell keine einheitlichen Behandlungsempfehlungen [1]. Allerdings stellt auch die „einfache“ Luxation eine komplexe Weichteilverletzung des Ellenbogengelenks dar, die zu persistierenden Beschwerden führen kann.

Um das gesamte Verletzungsausmaß einer akuten Ellenbogenluxation zu verstehen und zu erkennen, ist einerseits die genaue Kenntnis sowohl der gelenk-stabilisierenden, anatomischen Strukturen als auch der zugrunde liegenden Unfallmechanismen unabdingbar, und andererseits eine exakte klinische und radiologische Diagnostik notwendig. Die in der Vergangenheit häufig propagierte Ruhigstellung im Gips nach akuter Ellenbogenluxation wird heutzutage zunehmend von einer frühfunktionellen konservativen Therapie und/oder einer operativen Versorgung abgelöst. Die zentrale Frage, wann eine „einfache“ Ellenbogenluxation konservativ behandelt werden kann oder eher operativ stabilisiert werde sollte, ist Gegenstand aktueller Untersuchungen, was sich auch in der steigenden Zahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen zu diesem Themenkomplex widerspiegelt [2].

Stabilisatoren
des Ellenbogengelenks

Die Kongruenz des Ellenbogengelenks ist sowohl von knöchernen als auch von ligamentären, kapsulären und muskulären Strukturen abhängig. Unterschieden werden primäre und sekundäre Gelenkstabilisatoren (Abb. 1).

  • 1. Primäre Stabilisatoren:

Proc. coronoideus

Lateraler Kollateralband-Komplex (LCL)

Medialer Kollateralband-Komplex (MCL)

  • 2. Sekundäre Stabilisatoren:

Radiuskopf

Extensoren-Anconeus-Muskulatur

Flexoren-Pronator-Muskulatur

Gelenkkapsel

Als Teil des Humeroulnar-Gelenks bildet der Processus coronoideus den wichtigsten Hauptstabilisator gegen eine dorsale Luxation [3]. Darüber hinaus ist das humeroulnare Gelenk maßgeblich für die Varusstabilität des Ellenbogens verantwortlich [4, 5]. Der wichtigste ligamentäre Stabilisator gegen Varusstress ist der laterale Kollateralband-Komplex (LCL), der sich aus 4 funktionellen Anteilen, dem Ligamentum anulare radii, dem radialen Seitenband (RCL), dem lateralen ulnaren Seitenband (LUCL) und dem akzessorischen lateralen Seitenband zusammensetzt (Abb. 2). Der laterale Bandkomplex (LCL) entspringt am Unterrand des lateralen Epicondylus aus einem gemeinsamen Isometriepunkt [6]. Von dort läuft das LUCL dorsal um den Radiuskopf herum und inseriert zusammen mit dem Lig. anulare an der Crista supinatoris der proximalen Ulna. Der Radiuskopf wird so von der sog. „Hängematte“ umschlossen und gegen dorsolateralen Stress stabilisiert [7]. Das RCL strahlt lateral in die Gelenkkapsel ein und dient zusammen mit dem Lig. anulare als Varusstabilisator.

Der Hauptstabilisator gegen Valgusstress ist der mediale Kollateralband-Komplex (MCL) [8] (Abb. 3). Neben dem postero-medialen Seitenband (PMCL) und dem transversalen Bündel spielt dabei vor allem das antero-mediale Kollateralband (AMCL) die entscheidende Bedeutung. Der mediale Kollateralbandkomplex inseriert variabel am Unterrand des medialen Epicondylus [9]. Das AMCL zieht nach distal zur anteromedialen Facette des Processus coronoideus (dem sog. Tuberculum subliminus) und das PMCL als fächerförmiges Band zum Olecranon. Das tranversale Bündel (Coopersches Ligament) dient vermutlich der Vorspannung der beiden medialen Seitenbänder.

Der Radiuskopf bzw. das humeroradiale Gelenk als wichtigster sekundärer Stabilisator stabilisiert bei vorliegender Ruptur des MCL-Komplexes gegen einwirkenden Valgusstress [10].

Außerdem tragen die sog. dynamischen Stabilisatoren (alle Muskelgruppen die das Ellenbogengelenk überqueren) entscheidend zur Stabilität des Ellenbogengelenks bei, was bei der funktionellen Behandlung nach einer stattgehabten Luxation Berücksichtigung findet [11, 12]. Während der M. anconeus und die Extensor-communis-Muskelgruppe als Varusstabilisator fungieren, übernimmt die Flexor-Pronator-Muskelgruppe die Valgusstabilisierung [13]. Die Mm. triceps und biceps brachii sowie der M. brachialis üben außerdem einen komprimierenden Effekt auf das Ellenbogengelenk aus. Zudem wird auch für die Gelenkkapsel eine stabilisierende Wirkung vor allem in Streckstellung des Ellenbogens und gering auch in Beugestellung angenommen [14].

Verletzungsmechanismen
bei der Ellenbogenluxation

Luxationsverletzungen des Ellenbogens werden nach ihrer Luxationsrichtung (Stellung des Unterarms zum Oberarm) eingeteilt. Dabei tritt die Luxation nach dorsal bzw. dorso-lateral in > 80 % der Fälle auf. Nur in Ausnahmefällen (meist Hochrasanztraumata) kann es auch zu einer medialen, ventralen oder divergierenden Luxation des Ellenbogengelenks kommen.

Für die dorsale Luxation wird der Hyperextensionsmechanismus am häufigsten angegeben. Der Sturz auf die ausgestreckte, pronierte Hand führt dabei zu einer Überstreckung im Ellenbogen, sodass das Gelenk durch die Olekranonspitze nach dorsal aus seiner Führung gehebelt wird. Zunächst reißt die ventrale Gelenkkapsel, gefolgt von der Ruptur der lateralen und/oder medialen Kollateralbandkomplexe [15].

Als weiteres Verletzungsmuster ist die von O´Driscoll propagierte „Ringtheorie“ weit verbreitet [16]. Beim Sturz kommt es bei am Boden fixierter Hand durch eine Rotation des Oberkörpers neben einer axialen Kompression außerdem zu einem Valgusstress. Es reißt zunächst der laterale Bandkomplex, dann die ventrale Kapsel und schließlich der mediale Kollateralkomplex. Die Folge ist die vollständige Gelenkluxation, die in 3 Unterkategorien eingeteilt wird:

  • 1. Stadium 3A: Ruptur aller lateralen und medialen Bandstrukturen mit Ausnahme des AMCL-Bündels; Pivotieren des Gelenks um das intakte AMCL
  • 2. Stadium 3B: Komplettruptur des MCL-Komplexes; Valgus-, Varus-, und rotatorische Instabiltät
  • 3. Stadium 3C : Vollständige Dissoziation aller muskulo-ligamentären Verbindungen des Humerus mit dem Unterarm; Reluxation des Gelenks bis 90° Flexion; sichere Ruhigstellung nur in > 90° Beugestellung gewährleistet

Klinische Stabilitätsprüfung

Nach der geschlossenen Gelenkreposition wird mit Hilfe des Bildverstärkers (BV) die Reluxationstendenz sowie die Varus- und Valgusstabilität bewertet und dokumentiert. Die in den meisten Fällen für die Reposition notwendige Analgosedierung bietet dem Untersucher die Möglichkeit, isoliert die ligamentäre Bandstabilität des Ellenbogens zu prüfen, da die muskuläre Gelenkspannung durch die Medikamentengabe aufgehoben ist.

Zur Beurteilung der Integrität der gelenkübergreifenden Muskelgruppen (Mm. biceps und brachialis, M. triceps, Extensor-Supinator-Muskelgruppe und Flexor-Pronator-Muskelgruppe) erfolgt eine dynamische Stabilitätsprüfung (ggf. auch mittels BV) am wachen Patienten im Intervall von 3–5 Tagen. Dabei wird der Patient aufgefordert, den Ellenbogen aktiv zu beugen und zu strecken. Bewegt der Patient schmerzfrei bis zu einer strecknahen Stellung (mindestens 30° oder < 30° Extension) und ohne „Luxationsangst“, kann von einer guten Gelenkzentrierung und Stabilisierung durch die Muskultur ausgegangen werden. Findet sich im Rahmen dieser zweiten Untersuchung eine großflächige, subkutane Einblutung medial oder lateral, ist dies häufig hinweisend für eine höhergradige Muskelverletzung. Vor allem diese zweite aktive Stabilitätsprüfung ist wegweisend für das weitere Therapieregime.

Radiologische
Stabilitätskriterien

Folgende radiologische Zeichen, welche indirekt Hinweise auf eine Gelenkinstabilität geben, sollten in der Röntgenkontrolle nach der Reposition Beachtung finden:

eine Asymmetrie der Gelenklinie („river delta sign“) in der a.p.-Aufnahme bedingt durch eine medialen oder laterale Instabilität oder durch eine Koronoidfraktur,

das sog. „drop sign“: vermehrter ulnohumeraler Abstand > 3 mm im seitlichen Strahlengang als Zeichen einer persistierenden Gelenkinstabilität [17],

eine nach dorsal verschobene Radius-Capitulum-Linie (Stoeren-Linie) in der Seitaufnahme als Anzeichen einer lateralen Bandinstabilität,

eine knöcherne Impression dorsal am Capitulum („Osborne-Cotterill-Lesion“ [18]) als indirekter Hinweis einer lateralen Instabilität.

Fragliche knöcherne Begleitverletzungen sind durch eine Computertomografie (CT) zu verifizieren, da insbesondere Frakturen des Proc. coronoideus im nativen Röntgenbild häufig unterschätzt oder fehlinterpretiert werden. Als Folge können Instabilitäten, Gelenkfehlstellungen und arthrotische Veränderungen persistieren.

MRT-Diagnostik

Entsprechend o.g. Verletzungsmechanismen ist bei der „einfachen“ Ellenbogenluxation sowohl von einer Ruptur des lateralen als auch des medialen Kapsel-Band-Komplexes auszugehen. Demzufolge dient eine MRT-Untersuchung nicht primär dazu, Kapsel-Band-Läsionen zu detektieren, sondern vor allem dazu, fragliche Inkongruenzen und deren Ursachen (Knorpelfragmente, Weichteilinterponate) zu erfassen [19]. Daher sollte eine MRT-Untersuchung heutzutage in jedem Fall durchgeführt werden, um die weitere Therapieentscheidung treffen zu können. Die Untersuchung muss in strecknaher Stellung des Gelenks durchgeführt werden. Nur so können Inkongruenzen und Bandverletzungen sicher beurteilt werden, da erst in extensionsnaher Stellung durch die fehlende aktive muskuläre Führung eine Subluxation der Gelenkpartner resultiert (Abb. 4).

Arthroskopie
nach Ellenbogenluxation

In jüngster Zeit wird die Arthroskopie als additive Diagnostik nach akuter Ellenbogenluxation zunehmend eingesetzt [20–22]. Obgleich die Arthroskopie aktuell noch kein wissenschaftlich evaluiertes Verfahren nach stattgehabter Ellenbogenluxation darstellt, bietet sie die Möglichkeit der direkten Stabilitätsprüfung der einzelnen Gelenkpartner (humeroulnar, humeroradial, radioulnar), um Bandinsuffizienzen des betroffenen Gelenkabschnitts sicher zu beurteilen. Aufgrund der Formschlüssigkeit des Ellenbogengelenks unter physiologischen Bedingungen ist ein Eindringen mit einem Wechselstab zwischen die jeweiligen Gelenkpartner nur bei Vorliegen einer Bandinsuffizienz bzw. Ruptur überhaupt möglich (Abb. 5).

Konservative versus
operative Therapie

Das therapeutische Ziel nach stattgehabter Ellenbogenluxation ist die Gewährleistung einer ausreichenden Gelenkstabilität für eine frühestmögliche aktive Beübung, um damit sekundäre Bewegungseinschränkungen bzw. eine Gelenksteife zu verhindern. Voraussetzung für eine konservative Therapie ist nach unserem Dafürhalten eine isolierte laterale oder mediale Instabilität und eine sichere aktive, muskuläre Zentrierung des Gelenks innerhalb des funktionellen Bogens.

Die nachfolgend aufgeführten Checklisten und der Algorithmus geben eine Hilfestellung bei der Therapieentscheidung zwischen konservativer oder operativer Behandlung (Abb. 6).

Checkliste:

Konservative Therapie

Geschlossene Gelenkreposition möglich

Keine Reluxationstendenz im funktionellen Bogen zwischen 30° und 130° Flexion

Kongruente Gelenkführung durch aktive muskuläre Kompensation möglich

Ausschluss freier Gelenkkörper oder Weichteilinterponate im MRT

Checkliste: Operative Therapie

Offene Luxationsverletzung

Begleitender Gefäß-Nervenschaden

Keine geschlossene Reposition möglich

Reluxationstendenz innerhalb des funktionellen Bogens

Keine aktive Gelenkzentrierung verifizierbar („Luxationsangst“)

Persistierende Subluxation im MRT durch Weichteilinterponate oder Knorpelfragmente

Extensionsnahe Reluxationstendenz (< 30°) bei Patienten mit hohem funktionellen Anspruch

Bei gleichzeitig vorliegender medialer und lateraler Instabilität ist die sichere Gelenkzentrierung nicht selten nur in einem deutlich reduzierten Bewegungsausmaß (> 30° Extensionslimit) zu gewährleisten. Langzeituntersuchungen beschreiben hohe Raten persistierender Beschwerden und Gelenksteifen nach konservativer Therapie mit längerfristiger Ruhigstellung innerhalb des funktionellen Bogens [23]. Wird also eine kongruente Gelenkartikulation nur durch die Einstellung eines Extensionslimits von 30° oder mehr erreicht, sollte gerade bei Patienten mit sehr hohem funktionellen Anspruch (beruflich oder im Sport) eher das operative Vorgehen indiziert werden. Postoperativ kann dann die funktionelle Beübung im gesamten Bewegungsausmaß des Ellenbogens (nicht nur innerhalb des funktionellen Bogens!) frühzeitig freigegeben werden und so chronischen Instabilitäten und/oder Bewegungseinschränkungen vorgebeugt werden. Allerdings ist diesbezüglich anzumerken, dass für die primäre Stabilisierung einfacher Luxationen in früheren Langzeitstudien kein Vorteil gegenüber einer konservativen Therapie gezeigt werden konnte [24]. Bis heute wurde bislang lediglich eine randomisiert-kontrollierte Studie veröffentlicht [25], die die operative Therapie der konservativen Behandlung nach einfacher Ellenbogenluxation gegenübergestellt hat. Signifikante Unterschiede im funktionellen Outcome konnten dabei nicht gezeigt werden.

Konservative Therapie

Für die „einfache“ Ellenbogenluxation ohne höhergradige Instabilität ist die frühfunktionelle Therapie aktuell evidenzbasierter Behandlungsstandard [2]. Dementsprechend sollte eine prolongierte Ruhigstellung (> 3 Wochen) des Ellenbogengelenks als konservative Therapiemaßnahme in jedem Fall vermieden werden. Als schmerztherapeutische Maßnahme ist eine kurzzeitige Ruhigstellung (max. 1 Woche) effektiv [26]. Entscheidend für den Erhalt der Gelenkbeweglichkeit ist jedoch ein frühzeitiges aktives bzw. aktiv-assistiertes Übungsprogramm [27–30].

Im eigenen Vorgehen wird nach der Reposition das Gelenk initial für max. 1 Woche in einer dorsalen Gipsschiene und anschließend für weitere 6 Wochen in einer beweglichen Orthese (zur Reduktion von Scherkräften) ruhiggestellt. Bei Ruptur der lateralen Stabilisatoren wird das Gelenk in Pronation, bei Ruptur der medialen Stabilisatoren in Supination eingestellt und beübt [11, 12]. Bei Ruptur beider Kollateralkomplexe wird das Gelenk in Neutralstellung ruhiggestellt und mobilisiert. Ab der 2. Woche post trauma wird mit aktiven Bewegungsübungen begonnen. Durch isometrische Anspannungsübungen wird das Gelenk aktiv zentriert. Die zusätzlich aktive Beübung der Hand- und Fingerbeuger bzw. -strecker verstärkt diesen Effekt [30]. Die Übungsbehandlungen sollten außerdem unter physiotherapeutischer Kontrolle in Rücklage und „Überkopfposition“ durchgeführt werden, um den zusätzlichen komprimierenden Effekt der Schwerkraft auf das Gelenk auszunutzen und so die Gelenkzentrierung zu verbessern [31]. Eine initiale Strecklimitierung in der Orthese sollte spätestens in der 3. Woche freigegeben bzw. minimiert werden. Innerhalb der ersten 3 Wochen erfolgt wöchentlich eine radiologische Kontrolle der Gelenkkongruenz (drop sign!). Nach 6 Wochen werden Alltagsaktivitäten freigegeben und Kraftaufbauübungen dürfen begonnen werden.

Bei bestehender Subluxation, aber auch bei ausbleibender Bewegungsverbesserung sollte frühzeitig ein Verfahrenswechsel erwogen werden, um eine Einsteifung des Gelenks zu verhindern. Unserer Erfahrung nach ist eine primäre Kapsel-Band-Rekonstruktion nach mehr als 2 Wochen nicht mehr in jedem Fall möglich. Wenn innerhalb der ersten 3 Wochen eine zunehmende Bewegungseinschränkung auftritt, ist von einer unzureichenden Stabilität des Ellenbogens auszugehen und eine operative Stabilisierung anzustreben. Auch für persistierende bewegungsabhängige Schmerzen ist in der Regel eine insuffiziente Muskelführung oder eine zunehmende Gelenkfibrosierung ursächlich. In diesen Fällen sollte dann die Rekonstruktion bzw. eine Sehnenersatzplastik durchgeführt werden.

Operative Stabilisierung

Die Operation wird in Rückenlage mit dem zu operierenden Arm (fakultativ Blutsperre) auf einem röntgendurchlässigen Armtisch durchgeführt. Vor Schnitt wird erneut die Stabilität mittels BV geprüft und dokumentiert

Die operative Stabilisierung beginnt auf der Lateralseite des Ellenbogens (s. Algorithmus Abb. 5). Im eigenen Vorgehen wird standardmäßig der Kocher-Zugang verwendet. In vielen Fällen zeigt sich nach dem Hautschnitt bereits ein Ein- oder Abriss des Extensorenansatzes am Epicondylus lateralis sowie des lateralen Kapselbandapparats. Ist dies nicht der Fall, werden die Extensorenansätze subperiostal vom lateralen Epikondylus abpräpariert, um den Kapselbandkomplex darzustellen. Abgeschlagene knorpelige Fragmente am Radiuskopf bzw. am Capitulum („Osborne-Cotterill-Lesion“) werden entfernt. Zur Rekonstruktion des LUCL werden die Bandstümpfe mit Fiberwire-Fäden armiert und mittels Fadenanker an ihrem physiologischen Insertionspunkt am Capitulum reinseriert.

Alternativ kann auch ein Internal bracing mittels Fibertape im Verlauf des LUCLs durchgeführt werden (Abb. 6), sofern eine suffiziente Armierung bzw. Reinsertion nicht mehr möglich ist. Die genaue Kenntnis des Bandverlaufs ist dabei essenziell. Die Refixation der Extensoren-Gruppe am Epikondylus lateralis kann ebenfalls mittels Fadenanker oder transossär durchgeführt werden.

Bei gleichzeitig vorliegender medialer Instabilität werden über einen zweiten, medialen Zugang (bevorzugter Hotchkiss-Zugang („over the top“) mit Darstellung des N. ulnaris) der MCL-Komplex und ggf. die Flexor-Pronator-Ansätze rekonstruiert [32]. Die häufig ausgerissene ventrale Gelenkkapsel am Proc. coronoideus kann ebenfalls über den Hotchkiss-Zugang durch Fadenanker refixiert werden (Abb. 6). Beide Kollateralband-Komplexe und Muskelansätze werden in 90°-Flexion fixiert. Nach der Rekonstruktion beider Kollateralband-Komplexe wird in einer erneuten BV-Stabilitätsprüfung die kongruente Gelenkartikulation kontrolliert. Zeigt sich nach allen genannten Rekonstruktionsmaßnahmen weiterhin eine Inkongruenz oder Reluxationstendenz, ist die Anlage eines Bewegungsfixateurs indiziert, um eine sichere Gelenkführung zu gewährleisten. An dieser Stelle ist anzumerken, dass nur durch die absolut exakte Einstellung des Isometriezentrums eine zentrierte Gelenkführung durch den Bewegungsfixateur erreicht werden kann. Die Indikation des Bewegungsfixateurs sollte daher kritisch abgewogen und dessen Anwendung mit größter Sorgfalt durchgeführt werden.

Die Nachbehandlung lehnt sich an die konservative Therapie an und beinhaltet ebenfalls ein frühfunktionelles aktives Übungsprogramm in Kombination mit einer Bewegungsorthese (siehe konservative Therapie!). Die häufig in Verkürzung refixierten Kollateralbandkomplexe werden durch die Vorgabe eines Extensionslimits in der initialen postoperativen Phase geschützt. Ab dem 2. postoperativen Tag wird unter physiotherapeutischer Anleitung mit aktiven Übungsbehandlungen begonnen. Normale Alltagsbelastungen sollten frühestens 6 Wochen (ligamentäre Heilung!), Kraftaufbauübungen frühestens nach 3 Monaten beginnen.

Zusammenfassung

Das therapeutische Vorgehen bei der „einfachen“ Ellenbogenluxation bedarf der genauen Beurteilung klinischer und radiologischer Stabilitätskriterien. Dabei ist ein systematisches diagnostisches Vorgehen essenziell, um eine fehlerhafte Einschätzung der Ellenbogenstabilität zu vermeiden. Wesentliches Kriterium für den Therapieentscheid ist die dynamische, aktive Stabilisierung durch die Gelenk-übergreifenden (und somit das Gelenk zentrierenden) Muskelgruppen. Um eine optimale Wiederherstellung der Ellenbogenfunktion zu gewährleisten, sollte zudem der körperliche Anspruch und das Patientenalter bei der Therapieentscheidung Berücksichtigung finden.

Der Behandlungsstandard für die konservative Therapie ist die frühfunktionelle aktive Beübung unter engmaschiger klinischer und radiologischer Kontrolle. Indikationen für die operative Behandlung sind Reluxationen, persistierende Subluxationen/Inkongruenzen und intraartikuläre Pathologien (z.B. freie Gelenkkörper).

Interessenkonflikt: Keine angegeben.

Korrespondenzadresse

PD Dr. med. Sebastian Siebenlist

Abteilung und Poliklinik für

Sportorthopädie

Technische Universität München

Ismaninger Straße. 22

81675 München

sebastian.siebenlist@mri.tum.de

Literatur

1. Mathew PK, Athwal GS, King GJ: Terrible triad injury of the elbow: current concepts. J Am Acad Orthop Surg 2009; 17: 137–151

2. Hackl M, Beyer F, Wegmann K et al.: The treatment of simple elbow dislocation in adults. Dtsch Arztebl Int. 2015 1;112: 311–319

3. Schneeberger AG, Sadowski MM, Jacob HA: Coronoid process and radial head as posterolateral rotatory stabilizers of the elbow. J Bone Joint Surg Am 2004; 86: 975–982

4. DiPaola M, Geissler WB, Osterman AL. Complex elbow instability. Hand Clin 2008; 24: 39–52

5. Hull JR, Owen JR, Fern SE et al.: Role of the coronoid process in varus osteoarticular stability of the elbow. J Shoulder Elbow Surg 2005; 14: 441–446

6. Cohen MS, Hastings H: Rotatory instability of the elbow. The anatomy and role of the lateral stabilizers. J Bone Joint Surg Am 1997; 79: 225–233

7. O’Driscoll SW, Horii E, Morrey BF, Carmichael SW: Anatomy of the ulnar part of the lateral collateral ligament of the elbow. Clin Anat 1992; 5: 296–303

8. Safran M, Ahmad CS, Elattrache NS: Ulnar collateral ligament of the elbow. Arthroscopy 2005; 21: 1381–1395

9. Floris S, Olsen BS, Dalstra M et al.: The medial collateral ligament of the elbow joint: anatomy and kinematics. J Shoulder Elbow Surg 1998; 7: 345–351

10. O’Driscoll SW, Morrey BF, Korinek S, An KN: Elbow subluxation and dislocation: a spectrum of instability. Clin Orthop Relat Res 1992; 280: 186–197

11. Dunning CE, Zarzour Z, Patterson SD et al.: Ligamentous stabilizers against posterolateral rotatory instability of the elbow. J Bone Joint Surg Am 2001; 83: 1823–1828

12. Dunning CE Zarzour ADS, Patterson SD et al.: Muscle forces and pronation stabilize the lateral ligament deficient elbow. Clin Orthop Relat Res 2001; 288: 118–124

13. Park MC, Ahmad CS: Dynamic contributions of the flexor-pronator mass to elbow valgus stability. J Bone Joint Surg Am 2004; 86-A: 2268–2274

14. Morrey BF, An KN: Articular and ligamentous contributions to the stability of the elbow joint. Am J Sports Med 1983; 11: 315–319

15. Hobgood ER, Khan SO, Field LD: Acute dislocations of the adult elbow. Hand Clin 2008; 24: 1–7

16. O’Driscoll SW, Jupiter JB, King GJ et al.: The unstable elbow. Instr Course Lect 2001; 50: 89–102

17. Coonrad RW, Roush TF, Major NM, Basamania CJ: The drop sign, a radiographic warning sign of elbow instability. J Shoulder Elbow Surg 2005; 14: 312–317

18. Osborne G, Cotterill P: Recurrent dislocation of the elbow. J Bone Joint Surg Br 1966; 48: 340–346

19. Siebenlist S, Biberthaler P: Acute soft tissue injuries of the elbow. Trauma Berufskrankh 2013; 17 [Suppl 1]: 132–139

20. Dexel J, Kasten P: Technik der Ellenbogenarthroskopie. Arthroskopie 2013; 26: 174–180

21. Hollinger B, Dehlinger F, Franke S: Diagnostic and treatment of elbow instability. Obere Extremität 2014; 9: 147–155

22. Vester H, Siebenlist S, Imhoff AB, Lenich A: Arthroscopy of the elbow: diagnostic and therapeutic approaches. Orthopäde 2014; 43: 943–956

23. Anakwe RE, Middleton SD, Jenkins PJ et al.: Patient-reported outcomes after simple dislocation of the elbow. J Bone Joint Surg Am 2011; 93: 1220–1226

24. Josefsson PO, Gentz CF, Johnell O, Wendeberg B: Surgical versus nonsurgical treatment of ligamentous injuries following dislocations of the elbow joint. Clin Orthop Relat Res 1987; 214: 165–169

25. Josefsson PO, Gentz CF, Johnell O, Wendeberg B: Surgical versus nonsurgical treatment of ligamentous injuries following dislocations of the elbow joint. A prospective randomized study. J Bone Joint Surg Am 1987; 69: 605–608

26. Iordens GI, Van Lieshout EM, Schep NW et al.: Early mobilisation versus plaster immobilisation of simple elbow dislocations: results of the FuncSiE multicentre randomised clinical trial. Br J Sports Med. 2015; published online first: 14 July 2015 doi:10.1136/bjsports-2015–094704

27. Maripuri SN, Debnath UK, Rao P et al.: Simple elbow dislocation among adults: a comparative study of two different methods of treatment. Injury 2007; 38: 1254–1258

28. Schippinger G, Seibert FJ, Steinbock J et al.: Management of simple elbow dislocations. Does the period of immobilization affect the eventual results? Langenbecks Arch Surg 1999; 384: 294–297

29. Eygendaal D, Verdegaal SH, Obermann WR et al.: Posterolateral dislocation of the elbow joint. Relation ship to medial instability. J Bone Joint Surg Am 2000; 82: 555–560

30. Pipicelli JG, Chinchalkar SJ, Grewal R et al.: Therapeutic implications of the radiographic „drop sign“ following elbow dislocation. J Hand Ther 2012; 25: 346–353

31. Wolff AL, Hotchkiss RN: Lateral elbow instability: nonoperative, operative, and post-operative management. J Hand Ther 2006; 19: 238–243

32. Hotchkiss RN. Elbow contracture. In: Green DP, Hotchkiss RN, Pederson WC (eds) Green’s operative hand surgery. Philadelphia: Churchill-Livingstone; 1999: 667–682

Fussnoten

1 Abteilung für Sportorthopädie, Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München

2 Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Sportorthopädie, Helios Klinikum München West

SEITE: 1 | 2 | 3 | 4 | 5