Übersichtsarbeiten - OUP 10/2012

Behandlungsfortschritte dezentrierter Hüftgelenke durch die sonografische Frühvorsorge – Ergebnisse einer retrospektiven monozentrischen Kohortenstudie 1978–2007

C. Tschauner1, F. Fürntrath1, R. Radl1, A. Berghold2, G. Schwantzer2

Einleitung: Mit Unterstützung der „Deutsche Arthrosehilfe e.V.“ konnte das umfangreiche klinische Datenmaterial 1978–2007 des LKH Stolzalpe im Hinblick auf den Einfluss der sonografischen Frühdiagnose auf das Behandlungsergebnis dezentrierter Hüftgelenke retrospektiv analysiert werden.

Material und Methode: Nach klaren Such-, Ein- und Ausschluss-Kriterien wurden 3 repräsentative Kohorten mit je 80, 91, 91 konsekutiven Behandlungsfällen gebildet und nach 7 Parametern (Alter bei Diagnose bzw. Beginn der Erstbehandlung, Raten an erfolgreichen konservativen Behandlungen, an offenen Repositionen, an Overheadextensionen, an Adduktorentenotomien, an Hüftkopfnekrosen, an residuellen Pfannendysplasien) statistisch vergleichend analysiert.

Ergebnisse: Der Diagnosezeitpunkt wurde von 5,5 auf 2 Monate vorverlegt; die Rate erfolgreicher konservativer Behandlungen stieg von 88,7 % auf 98,9 % in der Sono-Screening-Ära; in dieser sind persistierende Grad 2-Hüftkopfnekrosen ganz verschwunden.

Schlussfolgerung: Die Sonografie-basierte Frühbehandlung ermöglicht bessere Ergebnisse in kürzerer Zeit mit weniger Komplikationen.

Schlüsselwörter: DDH, Hüftreifungsstörungen, dezentrierte Hüftgelenke, Hüftsonografie nach GRAF, Behandlungsergebnisse

Introduction: The medical database of 3 decades (1978–2007) was evaluated regarding the impact of neo
natal sonografic hip screening according to the GRAF-method on the management and outcome of orthopaedic treatment of decentered hip joints with developmental
dysplasia of the hip (DDH).

Materials & Methods: Using different search criteria and inclusion and exclusion parameters, 3 representative cohorts with a total of 262 consecutive cases were selected and compared according to the following parameters: age at
initial treatment, rates of successful closed reduction, of open reduction, of necessary overhead traction, of necessary adductor-tenotomy, of avascular necrosis (AVN), of secondary acetabuloplasty.

Results: The age at initial treatment was reduced from 5.5 months in the first cohort without sonography to 2 months in the following 2 cohorts with sonography; the rate of successful closed reduction could be increased from 88.7 % to 98.9 % and 95.6 %, respectively. Persistent grade 2 AVN completely disappeared.

Conclusion: Compared to the era before the institution of a sonographic hip screening programme according to the GRAF-method (Austria 1992), ultrasound screening based treatment of decentered hip joints has become safer and shorter and simpler.

Keywords: DDH, decentered hip joints, hip sonography according to GRAF`s method, non-surgical treatment, therapeutic outcome

Einleitung

Die diagnostische Methode der Hüftsonografie wurde von Graf in den frühen 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts entwickelt und verfeinert [1–5]. Bereits 1992 in Österreich und 1996 in der Bundesrepublik Deutschland wurde eine generelle sonografische Hüftvorsorge bis spätestens zur 6. Lebenswoche (sog. „Sono-Hüftscreening“) vom öffentlichen Gesundheitssystem flächendeckend eingeführt. Die positiven Folgeerscheinungen in Österreich und Deutschland, insbesonders der drastische Rückgang operationsbedürftiger Kinderhüftgelenke, wurde mehrfach publiziert [6–9]. Trotzdem wird die Sinnhaftigkeit und Machbarkeit einer generellen sonografischen Hüftvorsorge im angloamerikanischen Sprachraum weiterhin kontrovers diskutiert [10]. Unsere von der Deutschen Arthrosehilfe e.V. dankenswerterweise unterstützte Langzeitstudie wurde primär in englischer Sprache publiziert [11], um die bei uns erreichten Behandlungsfortschritte auch für Skeptiker des sonografischen Hüftscreenings nachvollziehbar zu dokumentieren. Sie sollen nun in dieser Arbeit kompakt zusammengefasst auch für die deutschsprachige Leserschaft zugänglich gemacht werden.

Material und Methode

Auswertungsgrundlage sind die Krankengeschichten und Bildbefunde jener Säuglinge, die zwischen 1978 und 2007 wegen dezentrierter Hüftgelenke stationär am LKH Stolzalpe behandelt wurden. In einem ersten Schritt wurde in den OP-Büchern der Jahre 1978–2007 manuell nach einschlägigen Einträgen (z.B. Hüftluxation, Subluxation, Dezentrierung, geschlossene Reposition, offene Reposition, Acetabuloplastik, usw.) gesucht; aus diesem ersten Suchschritt resultierten 4122 Treffer.

In einem zweiten Schritt wurden Einschlusskriterien (DDH mit Dezentrierung und Diagnose/Erstbehandlung innerhalb der ersten 12 Lebensmonate) definiert und mit diesem Suchraster die Krankengeschichten und Bilddokumentationen durchforstet; danach entsprachen 725 Patienten mit 1036 Eingriffen den geforderten Einschlusskriterien. Schließlich wurden in einem dritten Schritt 3 repräsentative Kohorten ausreichend vollständig dokumentierter konsekutiver Verläufe gebildet und in Excel-Tabellen übertragen, um statistisch 3 typische Perioden von Hüftvorsorgeuntersuchungen miteinander vergleichen zu können (Tab. 1).

Der angewendete therapeutische Algorithmus für dezentrierte Hüftgelenke beruht im gesamten Nachuntersuchungszeitraum (1978–2007) auf den gleichen grundsätzlichen biomechanischen Prinzipien (Tab. 2), konnte aber aufgrund der sonografischen Typisierung nach GRAF in der täglichen Praxis vereinfacht und standardisiert werden, sodass man aktuell von einer „sonografiegesteuerten“ Therapie [12] sprechen kann.

Die Behandlungsschritte wurden phasengerecht angewendet und die Behandlung so lange fortgesetzt, bis sonografisch sicher ein Hüfttyp 1 nach GRAF dokumentiert werden konnte. Ein Abschlussröntgen wurde routinemäßig im Lauflernalter gemacht, um eine Hüftkopfnekrose auszuschließen und um einen Ausgangspunkt für weitere Verlaufskontollen (sog. „Meilensteinröntgen“) bis Wachstumsabschluss zu bekommen.

Für die vergleichende Nachuntersuchung der 3 repräsentativen Kohorten (s. Tabelle 1) wurden für alle 3 Kollektive in gleicher Weise die folgenden Auswertungsparameter definiert:

Alter bei Diagnose bzw. Beginn der Erstbehandlung

Rate an erfolgreichen konservativen Behandlungen

Rate an offenen Repositionen

Rate an Overheadextensionen als Vorbereitung der geschlossenen Reposition

Rate an Adduktorentenotomien als Vorbehandlung der geschlossenen Reposition

Rate an Hüftkopfnekrosen

Rate an residuellen Pfannendysplasien mit der Notwendigkeit einer sekundären chirurgischen Pfannendachkorrektur

Die professionelle statistische Aufarbeitung erfolgte unter Verwendung des Softwarepaketes PASW18. Das Signifikanzniveau wurde mit einem p-Wert von < 5 % definiert.

Diese retrospektive Langzeitnachuntersuchung wurde von der Ethikkommission der Meduni Graz bewilligt (EK-Nummer: 23–398ex10/11).

Ergebnisse

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