Übersichtsarbeiten - OUP 02/2023

Behandlungsprinzipien von Pilonfrakturen

Atesch Ateschrang, Ulrich Stöckle, Paul Grützner

Lernziele:

Frakturklassifikationen

Behandlungsstrategische Aspekte

Operative Rekonstruktion step by step

Bedeutung der 3D-Bildgebung bei Pilonfrakturen

Zusammenfassung:
Pilonfrakturen stellen auch heute noch durch die vulnerable Weichteilbedeckung und primäre Gelenkfrakturierung eine besondere Herausforderung dar, obwohl mittlerweile eine Vielzahl präformierter winkelstabiler Plattensysteme entwickelt wurden. Eine umsichtige notfallmäßige Versorgung mit zwei- oder mehrzeitigem Vorgehen stellt einen wichtigen Bestandteil der chirurgischen Weichteilprotektion dar. Studiendaten zeigten, dass die chirurgische Rekonstruktionsqualität mit funktionellen Langzeitergebnissen korrelierten, so dass eine exakte Gelenkrekonstruktion angestrebt werden sollte. Diese kann nur durch eine detaillierte Operationsplanung ggf. mit endoskopischer Gelenkeinsichtnahme und intraoperativer 3D-Bildgebung erreicht werden. Trotz dieser Verbesserungen wurden die bisherigen Ergebnisse getrübt durch einen hohen Prozentsatz unbefriedigender Lebensqualität mit sozio-ökonomischer Relevanz.

Schlüsselwörter:
Pilonfraktur, Arthroskopie, endoskopisch gestützte Gelenkrekonstruktion, Sprunggelenk

Zitierweise:
Ateschrang A, Stöckle U, Grützner P: Behandlungsprinzipien von Pilonfrakturen
OUP 2023; 12: 78–86
DOI 10.53180/oup.2023.0078-0086

Summary: Pilon fractures are still very demanding due to the fact that the soft tissue envelope is vulnerable and the primary joint pathology is rather complex although technical advances are made by different preformed locking plate systems. The primary surgical care should be made carefully while a multi-staged strategy has the advantage to reduce soft-tissue complications. Surgical joint reconstruction corelates with functional long-term results and quality of life, so that tools like arthroscopic assisted joint reconstruction and intraoperative 3D imaging should be considered. Despite technical advances and improved surgical techniques long-term results following pilon fractures remain in high percentages unsatisfiable with socio-economic burden.

Keywords: Pilon fracture, arthritis, ankle, arthroscopy, arthroscopic assisted joint reconstruction

Citation: Ateschrang A, Stöckle U, Grützner P: Treatment principles of pilon fracture
OUP 2023; 12: 78–86. DOI 10.53180/oup.2023.0078-0086

Ateschrang: Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Akad. Lehrkrankenhaus der Universitätsmedizin der JG-U Mainz, Ev. Stift St. Martin, Koblenz

U. Stöckle: Centrum für Muskuloskeletale Chirurgie, Charité – Universitätsmedizin Berlin

P. Grützner: BG Unfallklinik Ludwigshafen

Einleitung

Frakturen der distalen tibialen Gelenkfläche sind mit insgesamt 1 % knöcherner Verletzungen der unteren Extremität verhältnismäßig selten und gleichzeitig eine sehr herausfordernde Verletzungs-Entität [1]. Erstmals wurde das „tibial pilon“ von Destot 1911 beschrieben. Später wurde von Bonin 1950 die Begrifflichkeit des „tibial plafond“ genutzt, um die Gelenkflächenimpression zu beschreiben [2]. Pilon tibiale Frakturen beinhalten neben der Gelenkflächenpathologie die Beteiligung der Metaphyse und eine teilweise erhebliche Weichteil-Traumatisierung. Der Verletzungsmechanismus beinhaltet neben direkter Impressionen der Gelenkfläche auch indirekte Verletzungs- und Kombinationstraumata. Therapeutisch sollten Hochrasanztraumata von Distorsions-Stauchungsverletzungen, wie sie bei Sportverletzungen auftreten können, differenziert werden, da der Weichteilschaden bei den erstgenannten Verletzungen mit den damit verbundenen versorgungsstrategischen Konsequenzen erheblich ist. Die Frakturmorphologie gibt auf Grund der typischen Charakteristika bereits Hinweise auf den Verletzungsmechanismus mit dem damit verbundenen Weichteilschaden. Den Abbildungen 1 und 2 sind die charakteristischen Unterschiede einer Impressionsfraktur (Hochrasanztrauma mit erheblichem Weichteilschaden) und einer Distorsionsverletzung (Sport-Verletzung mit mäßigem Weichteil-Trauma) zu entnehmen (Abb. 1, 2).

Insbesonders mehrfragmentäre Gelenkflächenfrakturen werden durch koinzidente Defekte der Metaphyse und Weichteiltraumatisierung zu therapeutischen Herausforderungen, welche eine gute chirurgische Strategie und Planung notwendig machen, um Komplikationen zu vermeiden.

Weichteiltraumatisierungen bei anatomisch vorgegebener vulnerabler Durchblutung der distalen Tibia prädisponieren daher zu Wundheilungsstörungen und tiefen peri-implantären Infekten sowie ungenügender knöcherner Durchbauung bzw. Pseudarthrosen-Entwicklung.

Bereits 1969 haben Rüedi und Allgöwer die operative Therapie der Pilonfraktur empfohlen. Die Rekonstruktion der lateralen Säule, kombiniert mit einer medialen Abstützplatte und autologer Beckenkamm-Spongiosaplastik zur Defekt-Beherrschung wurde empfohlen. Die gesammelten Erfahrungen dieser Patientengruppe beinhalteten jedoch keine Hochrasanzverletzungen. Daher überraschte es nicht, dass unter Anwendung dieser Prinzipien weitere Autorinnen und Autoren deutlich häufiger über Komplikationen wie Wundheilungsstörungen und Infekte berichten mussten und sehr deutlich wurde, wie anspruchsvoll sich die chirurgische Therapie darstellt [2, 3].

Bildgebende Diagnostik und Klassifikation

Neben der klinischen Untersuchung mit Erhebung der Anamnese und Inspektion muss die periphere Durchblutung, Motorik und Sensibilität erfasst werden. Die Basisbildgebung sollte immer konventionelle Projektionen in 2 Ebenen (ap und seitlich) beinhalten und kann nicht durch die Computer-Tomographie (CT) ersetzt werden. Unterschiedliche Klassifikationen wurden während der vergangenen Jahrzehnte beschrieben. 1969 beschrieben Rüedi und Allgöwer 3 Gruppen, basierend auf der Gelenkflächen- und metaphysären Frakturmorpholgie sowie der Dislokation [3]. 1987 beschrieb Müller die bisher am häufigsten zur Anwendung kommende Klassifikation mit prognostischer Relevanz, welche durch die AO (Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen) im Wesentlichen übernommen wurde. Auch hier werden 3 Frakturtypen differenziert, wobei die Gruppe A extra-artikuläre, Gruppe B partiell-intra-artikuläre und Gruppe C komplexe intra-artikuläre Frakturen differenziert. Diese Frakturtypisierung von A–C wurde in weitere Untergruppen klassifiziert, um die jeweilige Frakturkomplexität zu differenzieren.

Bedeutung der
Computer-Tomographie

Da die letztgenannten Klassifikationen auf konventionellen Röntgenbildern beruhen, wurde 2017 von Leonetti eine CT basierte Klassifikation veröffentlicht mit 4 Hauptgruppen und weiteren Subgruppen [4]. Diese Einteilung beruht auf der Zahl der Frakturfragmente in den jeweilig dafür definierten CT-Segmentabschnitten. Zusätzlich wird der Dislokationsgrad differenziert von 1 (nicht disloziert) bis 4 (mit 4 Fragmenten und deutlicher Zertrümmerung). Diese Klassifikation ist gut reproduzierbar und hat eine prognostische Bedeutung, so dass therapeutische Konsequenzen abgeleitet werden können.

Behandlungsstrategie

Notfalltherapie

Im Zuge der Gelenkrekonstruktion steht das Weichteil-Management im Mittelpunkt aller Überlegungen sowie der damit verbundenen Zugangsoptionen, da Pilonfrakturen häufig mit erheblichen Weichteilschäden einhergehen. Bis zum Beweis des Gegenteils sollte man von erheblichen Weichteiltraumatisierungen ausgehen, da die Erfahrungen der 1990er Jahre im Rahmen einer sofortigen definitiven Versorgung mit offener Reposition und interner Stabilisierung erhebliche Komplikationsraten mit sich brachten. Auf Basis dieser Erfahrungen wurde ein mehrzeitiges chirurgisches Vorgehen entwickelt, wobei die damit verbundenen Studien eine Reduktion der Komplikationen objektivieren konnten [5]. Die primäre notfallmäßige Intervention erfolgt daher für die absolute Mehrheit der Pionfrakturen durch die primäre externe Stabilisierung (Fixateur externe), um nach Konsolidierung der Weichteile die offene Rekonstruktion des Gelenkes und interne Stabilisierung zu realisieren [5]. Nur für sorgfältig ausgesuchte Fälle mit kritischer Prüfung der Weichteile kann in erfahrenen Händen auch die primäre offene Reposition und Stabilisierung innerhalb von bis zu 72 h erfolgen [6, 7].

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