Übersichtsarbeiten - OUP 02/2023

Behandlungsprinzipien von Pilonfrakturen

Atesch Ateschrang, Ulrich Stöckle, Paul Grützner

Lernziele:

Frakturklassifikationen

Behandlungsstrategische Aspekte

Operative Rekonstruktion step by step

Bedeutung der 3D-Bildgebung bei Pilonfrakturen

Zusammenfassung:
Pilonfrakturen stellen auch heute noch durch die vulnerable Weichteilbedeckung und primäre Gelenkfrakturierung eine besondere Herausforderung dar, obwohl mittlerweile eine Vielzahl präformierter winkelstabiler Plattensysteme entwickelt wurden. Eine umsichtige notfallmäßige Versorgung mit zwei- oder mehrzeitigem Vorgehen stellt einen wichtigen Bestandteil der chirurgischen Weichteilprotektion dar. Studiendaten zeigten, dass die chirurgische Rekonstruktionsqualität mit funktionellen Langzeitergebnissen korrelierten, so dass eine exakte Gelenkrekonstruktion angestrebt werden sollte. Diese kann nur durch eine detaillierte Operationsplanung ggf. mit endoskopischer Gelenkeinsichtnahme und intraoperativer 3D-Bildgebung erreicht werden. Trotz dieser Verbesserungen wurden die bisherigen Ergebnisse getrübt durch einen hohen Prozentsatz unbefriedigender Lebensqualität mit sozio-ökonomischer Relevanz.

Schlüsselwörter:
Pilonfraktur, Arthroskopie, endoskopisch gestützte Gelenkrekonstruktion, Sprunggelenk

Zitierweise:
Ateschrang A, Stöckle U, Grützner P: Behandlungsprinzipien von Pilonfrakturen
OUP 2023; 12: 78–86
DOI 10.53180/oup.2023.0078-0086

Summary: Pilon fractures are still very demanding due to the fact that the soft tissue envelope is vulnerable and the primary joint pathology is rather complex although technical advances are made by different preformed locking plate systems. The primary surgical care should be made carefully while a multi-staged strategy has the advantage to reduce soft-tissue complications. Surgical joint reconstruction corelates with functional long-term results and quality of life, so that tools like arthroscopic assisted joint reconstruction and intraoperative 3D imaging should be considered. Despite technical advances and improved surgical techniques long-term results following pilon fractures remain in high percentages unsatisfiable with socio-economic burden.

Keywords: Pilon fracture, arthritis, ankle, arthroscopy, arthroscopic assisted joint reconstruction

Citation: Ateschrang A, Stöckle U, Grützner P: Treatment principles of pilon fracture
OUP 2023; 12: 78–86. DOI 10.53180/oup.2023.0078-0086

Ateschrang: Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Akad. Lehrkrankenhaus der Universitätsmedizin der JG-U Mainz, Ev. Stift St. Martin, Koblenz

U. Stöckle: Centrum für Muskuloskeletale Chirurgie, Charité – Universitätsmedizin Berlin

P. Grützner: BG Unfallklinik Ludwigshafen

Einleitung

Frakturen der distalen tibialen Gelenkfläche sind mit insgesamt 1 % knöcherner Verletzungen der unteren Extremität verhältnismäßig selten und gleichzeitig eine sehr herausfordernde Verletzungs-Entität [1]. Erstmals wurde das „tibial pilon“ von Destot 1911 beschrieben. Später wurde von Bonin 1950 die Begrifflichkeit des „tibial plafond“ genutzt, um die Gelenkflächenimpression zu beschreiben [2]. Pilon tibiale Frakturen beinhalten neben der Gelenkflächenpathologie die Beteiligung der Metaphyse und eine teilweise erhebliche Weichteil-Traumatisierung. Der Verletzungsmechanismus beinhaltet neben direkter Impressionen der Gelenkfläche auch indirekte Verletzungs- und Kombinationstraumata. Therapeutisch sollten Hochrasanztraumata von Distorsions-Stauchungsverletzungen, wie sie bei Sportverletzungen auftreten können, differenziert werden, da der Weichteilschaden bei den erstgenannten Verletzungen mit den damit verbundenen versorgungsstrategischen Konsequenzen erheblich ist. Die Frakturmorphologie gibt auf Grund der typischen Charakteristika bereits Hinweise auf den Verletzungsmechanismus mit dem damit verbundenen Weichteilschaden. Den Abbildungen 1 und 2 sind die charakteristischen Unterschiede einer Impressionsfraktur (Hochrasanztrauma mit erheblichem Weichteilschaden) und einer Distorsionsverletzung (Sport-Verletzung mit mäßigem Weichteil-Trauma) zu entnehmen (Abb. 1, 2).

Insbesonders mehrfragmentäre Gelenkflächenfrakturen werden durch koinzidente Defekte der Metaphyse und Weichteiltraumatisierung zu therapeutischen Herausforderungen, welche eine gute chirurgische Strategie und Planung notwendig machen, um Komplikationen zu vermeiden.

Weichteiltraumatisierungen bei anatomisch vorgegebener vulnerabler Durchblutung der distalen Tibia prädisponieren daher zu Wundheilungsstörungen und tiefen peri-implantären Infekten sowie ungenügender knöcherner Durchbauung bzw. Pseudarthrosen-Entwicklung.

Bereits 1969 haben Rüedi und Allgöwer die operative Therapie der Pilonfraktur empfohlen. Die Rekonstruktion der lateralen Säule, kombiniert mit einer medialen Abstützplatte und autologer Beckenkamm-Spongiosaplastik zur Defekt-Beherrschung wurde empfohlen. Die gesammelten Erfahrungen dieser Patientengruppe beinhalteten jedoch keine Hochrasanzverletzungen. Daher überraschte es nicht, dass unter Anwendung dieser Prinzipien weitere Autorinnen und Autoren deutlich häufiger über Komplikationen wie Wundheilungsstörungen und Infekte berichten mussten und sehr deutlich wurde, wie anspruchsvoll sich die chirurgische Therapie darstellt [2, 3].

Bildgebende Diagnostik und Klassifikation

Neben der klinischen Untersuchung mit Erhebung der Anamnese und Inspektion muss die periphere Durchblutung, Motorik und Sensibilität erfasst werden. Die Basisbildgebung sollte immer konventionelle Projektionen in 2 Ebenen (ap und seitlich) beinhalten und kann nicht durch die Computer-Tomographie (CT) ersetzt werden. Unterschiedliche Klassifikationen wurden während der vergangenen Jahrzehnte beschrieben. 1969 beschrieben Rüedi und Allgöwer 3 Gruppen, basierend auf der Gelenkflächen- und metaphysären Frakturmorpholgie sowie der Dislokation [3]. 1987 beschrieb Müller die bisher am häufigsten zur Anwendung kommende Klassifikation mit prognostischer Relevanz, welche durch die AO (Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen) im Wesentlichen übernommen wurde. Auch hier werden 3 Frakturtypen differenziert, wobei die Gruppe A extra-artikuläre, Gruppe B partiell-intra-artikuläre und Gruppe C komplexe intra-artikuläre Frakturen differenziert. Diese Frakturtypisierung von A–C wurde in weitere Untergruppen klassifiziert, um die jeweilige Frakturkomplexität zu differenzieren.

Bedeutung der
Computer-Tomographie

Da die letztgenannten Klassifikationen auf konventionellen Röntgenbildern beruhen, wurde 2017 von Leonetti eine CT basierte Klassifikation veröffentlicht mit 4 Hauptgruppen und weiteren Subgruppen [4]. Diese Einteilung beruht auf der Zahl der Frakturfragmente in den jeweilig dafür definierten CT-Segmentabschnitten. Zusätzlich wird der Dislokationsgrad differenziert von 1 (nicht disloziert) bis 4 (mit 4 Fragmenten und deutlicher Zertrümmerung). Diese Klassifikation ist gut reproduzierbar und hat eine prognostische Bedeutung, so dass therapeutische Konsequenzen abgeleitet werden können.

Behandlungsstrategie

Notfalltherapie

Im Zuge der Gelenkrekonstruktion steht das Weichteil-Management im Mittelpunkt aller Überlegungen sowie der damit verbundenen Zugangsoptionen, da Pilonfrakturen häufig mit erheblichen Weichteilschäden einhergehen. Bis zum Beweis des Gegenteils sollte man von erheblichen Weichteiltraumatisierungen ausgehen, da die Erfahrungen der 1990er Jahre im Rahmen einer sofortigen definitiven Versorgung mit offener Reposition und interner Stabilisierung erhebliche Komplikationsraten mit sich brachten. Auf Basis dieser Erfahrungen wurde ein mehrzeitiges chirurgisches Vorgehen entwickelt, wobei die damit verbundenen Studien eine Reduktion der Komplikationen objektivieren konnten [5]. Die primäre notfallmäßige Intervention erfolgt daher für die absolute Mehrheit der Pionfrakturen durch die primäre externe Stabilisierung (Fixateur externe), um nach Konsolidierung der Weichteile die offene Rekonstruktion des Gelenkes und interne Stabilisierung zu realisieren [5]. Nur für sorgfältig ausgesuchte Fälle mit kritischer Prüfung der Weichteile kann in erfahrenen Händen auch die primäre offene Reposition und Stabilisierung innerhalb von bis zu 72 h erfolgen [6, 7].

Empfehlung: Die primäre Behandlung sollte großzügig mittels geschlossener Reposition und Stabilisierung mittels Fixateur externe erfolgen. Es ist zu empfehlen, die CT-Diagnostik erst nach der Anlage des Fixateur externe durchzuführen; „span – scan – plan“.

Strategie der
Gelenkrekonstruktion

Chirurgische Strategie nach Rüedi und Allgöwer [3]

Werden chirurgische Rekonstruktionskonzepte diskutiert, so sollte als wichtiges Grund-Prinzip die 1969 veröffentlichten Empfehlungen von Rüedi und Allgöwer gewürdigt werden, da diese immer noch mit Ergänzungen durchaus praktikabel sind:

  • 1. Rekonstruktion der Fibula
  • 2. Rekonstruktion der Gelenkfläche
  • 3. Falls erforderlich, Knochendefektauffüllung durch Spongiosa-Transplantation
  • 4. Stabilisierung der Tibia durch eine mediale Abstützplatte

Neuere anatomische Säulen- und Gelenkrekonstruktionskonzepte

Im Zuge der CT-Diagnostik konnte die Frakturpathologie von Pilonfrakturen signifikant detaillierter erfasst werden. Insbesonders die Studie von Cole et al. konnte auf Basis von zahlreichen CTs typische Frakturmuster identifizieren, welche für mehr als 90 % aller Pilonfrakturen 3 Hauptfragmente zeigte [8]. Auf Höhe der fibularen Inzisur können ein mediales, ein antero-laterales und postero-laterales Fragment mit einer insgesamt Y-artiger Frakturform beschrieben werden. Zentral und antero-lateral wurden die wesentlichen mehrfragmentären Zonen bzw. Zertrümmerungen identifiziert, die mit der talaren Artikulation korreliert (Abb. 1). Auf Basis dieser Erkenntnisse wurden unterschiedliche chirurgische Stabilisierungskonzepte entwickelt:

Assal et al. veröffentlichten 2015 ein 3-Säulenmodell nur für die Tibia mit einer medialen, lateralen und dorsalen Säule (Abb. 3) [9].

Eine jüngere Arbeit schlägt die Einteilung in 4 Säulen vor mit Berücksichtigung der Fibula und einer Ansicht von ventral sowie dorsal (Abb. 3) [10]. Bei der Betrachtung von ventral besteht die laterale Säule aus der Fibula, zentral von der ventro-lateral bildenden tibialen Gelenkfläche und medial aus dem Innenknöchel. Bei der Ansicht von dorsal besteht das zentrale Fragment aus der dorsolateralen tibialen gelenktragenden Zone.

Ziel dieser Klassifikationen soll die strategische Planung der chirurgischen Rekonstruktion, wie bspw. Rüedi und Allgöwer in ihrer Arbeit die Strategie auf Basis konventioneller Röntgenbilder vorschlugen. Im Nachfolgenden sollen die unterschiedlichen operativen Strategien zusammenfassend dargestellt werden [3].

Rekonstruktion der Fibula zur ersten Referenzierung

Da die distale Fibula in 90 % der Fälle aller Pilonfrakturen ebenfalls frakturiert ist, sind sich viele Autorinnen und Autoren einig, dass die Stabilisierung relevante Vorteile mit sich bringt [11]. Durch die primäre plattenosteosynthetische Stabilisierung der Fibula in Kombination mit einem Fixateur externe, vorausgesetzt die Weichteile erlauben dies, trägt die laterale Säule so zur Stabilisierung bei, dass neben Definierung der korrekten Länge und Torsion der valgischen Achsabweichung entgegengewirkt wird. Zusätzlich wird über die Ligamentotaxis der Syndesmose das ventrale und dorsale gelenktragende Fragment (teilweise) reponiert mit einem dadurch „weichteil-abschwellenden“ Effekt.

Allerdings ist die Evidenz diesbezüglich nicht eindeutig, da nur einzelne prospektive Arbeiten einen Zusammenhang zeigten zwischen anatomischer Rekonstruktion der Fibula mit guten klinischen Resultaten. Konträr wurden Studien veröffentlicht, die keinen Vorteil durch die Fibulastabilisierung feststellen konnten. Einzelne Arbeiten zeigten sogar gegenteilige Effekte mit erhöhter Pseudarthrosenrate, vorzeitig notwendiger Metallentfernung sowie Infekte [12, 13].

Zusammenfassend bestehen daher grundsätzlich die 4 nachfolgenden Optionen der Notfallversorgung:

Pilonfrakturen mit
Fibula-Beteiligung

Sprunggelenküberbrückender Fixateur externe

Plattenosteosynthetische Stabilisierung der Fibula in Kombination mit gelenküberbrückendem Fixateur externe bei geeigneter Weichteilsituation

Pilonfrakturen ohne
Fibula-Beteiligung

Ruhigstellung mittels Fixateur externe bei relevantem Weichteilschaden

Ruhigstellung mittels gespaltenem Weiß-Gips bei ausschlussrelevanter tibialer Frakturdislokation und Hochrasanz-Mechanismus ohne Weichteilschwellung (sehr selten anwendbar)

Im Zuge der Primärversorgung muss die definitive Stabilisierung unbedingt beachtet werden. Die Pin- bzw. Schanzschraubenplatzierung sollte das spätere Plattenlager nicht tangieren, da ansonsten Plattenlagerinfekte begünstigt werden können. Des Weiteren kann eine nicht-anatomische Osteosynthese der Fibula die spätere definitive Stabilisierung des OSG erschweren bis unmöglich machen, wenn bspw. Rekurvationen oder Torsionsabweichungen durch die Osteosynthese fixiert wurden. Umgekehrt kann die korrekte Rekonstruktion der Fibula sehr vorteilhaft sein, da neben dem erwähnten Effekt der Weichteilprotektion die operative Zeit der definitiven Versorgung verkürzt werden kann. Allerdings müssen die Zugangswege zum Pilon besonders beachtet werden, um Durchblutungsprobleme bzw. vorprogrammierte Wundheilungsstörungen zu vermeiden. Abbildung 4 gibt einen Überblick über die Perfusionsgebiete (Abb. 4).

Nachteilig kann sich die primäre Stabilisierung der Fibula auswirken, wenn die nachfolgende Versorgung einen antero-lateralen Zugang erfordern würde. Ein weiterer Aspekt stellt eine ausgeprägte metaphysäre Zertrümmerung dar, die ggf. eine Verkürzung notwendig machen sollte. Daher sollte die primäre Stabilisierung der Fibula gut abgewogen werden und bleibt erfahrenen Operateuren vorbehalten.

Zeitpunkt der
Gelenkrekonstruktion

Der Zeitpunkt zur definiten Versorgung wird für geschlossene Frakturen immer noch kontrovers diskutiert. Bei mäßigem Weichteilschaden empfahlen einzelne Kolleginnen und Kollegen die Versorgung innerhalb von 48 Stunden mit Infektkomplikationen von 6 % [14]. Allerdings wird von den gleichen spezialisiert ausgebildeten Kolleginnen und Kollegen eine ausreichende Expertise empfohlen [14].

Vor diesem Hintergrund sollte daher im Zweifel die Stabilisierung mittels Fixateur externe erfolgen, um eine zweizeitige Versorgung anzustreben, da nicht flächendeckend eine spezialisierte unfallchirurgische Versorgung gewährleistet werden kann.

Rekonstruktion der Gelenkfläche

Trotz guter Rekonstruktionsergebnisse des Gelenkes können insb. bei Hochrasanztraumata irreversible Schäden resultieren [15]. Beispielsweise konnten Murray et al. Apoptosen der Chondozyten zeigen [16]. Weitere Untersuchungen zeigten einen direkten Zusammenhang der einwirkenden Energie des Traumas mit der Ausprägung der chondrozytären Schädigung [17]. Neben der direkten Zellschädigung wurden Veränderungen der extrazellulären Knorpel-Matrix gesehen, die zu Störungen des Knorpelzell-Metabolismus und damit zu posttraumatischen Gelenkdegenerationen führen können [18]. Diese Primärschädigungen können naturgemäß chirurgisch nicht adressiert oder beeinflusst werden.

Die relativ hohe anatomische Formschlüssigkeit des oberen Sprunggelenkes erfordert eine möglichst anatomische stufenfreie Gelenkrekonstruktion, die von allen Autorinnen und Autoren geteilt und empfohlen wird. Die Gelenkfunktion korreliert aber nicht immer mit dem anatomischen Ergebnis und ist von dem primären Trauma limitiert. Dennoch ist eine exakte anatomische Rekonstruktion anzustreben [19].

Um eine möglichst anatomische Rekonstruktion zu erreichen, bedarf es je nach Komplexität der Verletzung ausgedehnter chirurgischer Expositionen mit periostaler Präparation und damit verbundener Beeinträchtigung der Durchblutung, langen Operationszeiten und ggf. auftragender Implantate. Dadurch wird in Summe die Komplikationsrate erhöht, da die Weichteilvulnerabilität besonders hoch ist. Kommt es zu Komplikationen wie peri-implantären Infekte, Pseudarthrosen, anatomischen Achsabweichungen oder Arthrosen, wird die Ergebnis- und Lebensqualität erheblich beeinträchtigt.

Nachfolgende operationsstrategische Wege können empfohlen werden:

Die genaue Analyse der Fraktur bestimmt die Operationstaktik und damit die Wahl des Zugangs und der Implantate sowie die Reihenfolge der Versorgung.

Beginnen kann man mit Referenzfragmenten, die temporär mit einer Platte oder Drähten fixiert werden wie bspw. die mediale und dorsale Säule, um anschließend die Gelenkflächenfragmente gegen die Referenzfragmente zu rekonstruieren.

Bestehen ausgeprägte metaphysäre Trümmerzonen, so sollte primär die Gelenkfläche rekonstruiert und mit winkelstabilen Platten stabilisiert werden. Sekundär kann die Defektzone bspw. mit allogener Knochenspongiosa rekonstruiert werden. Die Nutzung von autologer Spongiosa bringt den großen Nachteil mit sich, die Operationszeit zu verlängern und die Möglichkeit von Co-Morbiditäten am Beckenkamm.

Besteht eine ausgeprägte Weichteilschädigung, so kann eine perkutane Reposition ggf. in Kombination mit einer arthroskopischen bzw. endoskopisch gestützten Technik erfolgen. Die Stabilisierung kann mittels Fixateur externe erfolgen, wobei dieser je nach Weichteilstatus verlängert Anwendung finden kann oder um den Verfahrenswechsel zur internen Stabilisierung erst nach einem zwei- bis vierwöchigem Intervall anzuschließen. Bei solchen Konstellationen sollten perkutan eingeschobenen Plattenosteosynthesen den Vorzug gegeben werden. Kompromisse der anatomischen Gelenkrekonstruktion müssen bei einem solchen Weg bewusst eingegangen werden, um zugunsten des Weichteilmanagements Komplikationen zu vermeiden. Auf Grund der vulnerablen Weichteile besteht Einigkeit, letztere als höchstes Gut zu betrachten, gefolgt von der anatomischen Rekonstruktion. Insbesonders bei nicht rekonstruierbaren Gelenkfrakturen kann durch Vermeidung von Weichteilkomplikationen sekundär die Arthrodese erfolgen.

Unabhängig von dem strategischen Vorgehen sollte die Aufklärung der betroffenen Patientinnen und Patienten erfolgen, um die Grundproblematik verständlich darzustellen.

Zugänge und Stabilisierung der betroffenen Säulen

Anatomisch präformierte Platten stehen für die antero-laterale, die mediale und posteriore Säule grundsätzlich zur Verfügung. Durch die biomechanische Simulation in einem Sawbone-Modell wurde die alleinige antero-laterale und mediale winkelstabile Plattenosteosynthese gegenüber einer Doppel-Plattenosteosynthese hinsichtlich der jeweiligen Fragmentstabilitäten geprüft [20]. Es überraschte nicht, dass die singuläre antero-laterale Stabilisierung die mediale Säule nur ungenügend fixierte. Umgekehrt fixierte die mediale Abstützplatte die antero-laterale Säule nur ungenügend, so dass rein biomechanisch eine Doppelplattenosteosynthese zu fordern wäre. Weitere Arbeitsgruppen kamen zu vergleichbaren Ergebnissen [21]. Allerdings ist eine Doppelplatten-Osteosynthese auf Grund der Weichteilverhältnisse häufig nicht möglich.

Demgegenüber steht die Finite-Element-Studie von Oken et al. gegenüber, die zu dem Ergebnis kamen, dass die alleinige antero-laterale oder mediale Plattenosteosynthese keinen relevanten Unterschied mache, wobei auch andere Arbeitsgruppen zu einem vergleichbaren Ergebnis kamen [22].

Eine alternative Strategie ist die postero-laterale Stabilisierung der Fibula und der dorsalen Säule in Bauchlagerung, um zweizeitig durch einen ventralen Zugang das Gelenk zu rekonstruieren mit Abstütz-Plattenosteosynthese [23].

Ein biomechanischer Praxis-Tipp sollte nicht unerwähnt bleiben mit dem Hinweis bei valgischer Dislokation eher anterolaterale Plattenpositionen und varischer Dislokation eher medial abstützende Platten zu nutzen.

Zugänge und
Weichteilmanagement

Neben diesen grundsätzlichen Optionen sollte immer eine individuelle Analyse der Frakturmorphologie und der Weichteile erfolgen. Die Abbildungen 5A und 5B geben einen Überblick über die möglichen Zugangswege. Beachtet werden sollte, dass eine ausreichende Hautbrücke zwischen den einzelnen Inzisionen von 7 cm nach den AO-Empfehlungen eingehalten werden sollte. Allerdings kann in Einzelfällen davon abgewichen werden, da Howard et al. Abstände im Mittel von 5,9 cm gemessen haben (Range von 3–10,9 cm) mit Wundheilungskomplikationen in 9 % (Abb. 5A–B) [24].

Neben diesen Überlegungen zeigten experimentelle Arbeiten, dass es Vorteile bei der Wundperfusion gäbe mit der Donati-Allgöwer-Rückstich-Naht. Ein möglichst spannungsfreier Wundverschluss reduziert Wundheilungsstörungen. Zusätzlich kann durch primäre Nutzung von Vacuum-Inzisionsfolien eine proaktive Weichteilprotektion erfolgen (Abb. 7). Stannard et al. konnte in einer größeren Serie Vorteile zeigen, so dass mittlerweile im eigenen Vorgehen diese Methode Anwendung findet [25].

Intra- und post-operative Bildgebung und Bedeutung der Arthroskopie

Neben der konventionell radiologischen Bildgebung sollte nach Rekonstruktion komplexer Pilonfrakturen die postoperative Kontrolle auch ein CT beinhalten. Diese dient nicht nur zur Dokumentation des Ergebnisses, sondern auch um revisionspflichtige Befunde oder Verbesserungsoptionen auszuschließen. Die intra-operative 3D-Bildgebung sollte, wenn verfügbar, genutzt werden, um Folgeeingriffe zu vermeiden. Eine moderne intraoperative Bildgebung mit DVT oder intraoperativem CT ermöglicht die Detektion von in der konventionellen Durchleuchtung nicht erkennbaren Stufen, Spalten und Implantatfehllagen. Auf ein postoperatives CT kann dann in den meisten Fällen verzichtet werden.

In diesem Zusammenhang sollte die Möglichkeit der Arthroskopie nicht unerwähnt bleiben, da die direkte Gelenkeinsichtnahme eine 3D-Bildgebung unter Umständen entbehrlich macht. Zur Optimierung der Gelenkeinsicht können bestehende Innenköchelfrakturen quasi als Osteotomie aufgeklappt werden. Abbildung 8A zeigt eine komplexe Pilonfraktur vor und Abbildung 8B nach Rekonstruktion, wobei die Einsicht über den weggeklappten Innenknöchel erfolgte (Abb. 8A, 8B).

Primäre OSG-Arthrodese

Wenn sich eine vernünftige Rekonstruktion nicht erzielen lassen sollte, so kann auch für solche eher seltene Konstellationen die primäre Arthrose erwogen werden. Einzelne Untersuchungen haben mit unterschiedlichen Techniken über gute funktionelle Ergebnisse sowie Heilungsraten berichtet [26]. Dabei wurde eine ventrale überbrückende Plattenosteosynthese mit einer additiven Stabilisierung mittels Fixateur externe angewandt [26].

Eine weitere Arbeitsgruppe um Zelle et al. berichtete befriedigende Ergebnisse der primären OSG-Arthrodese unter Anwendung einer dorsal eingebrachten Klingenplatte [27]. In diesem Zusammenhang wurde auf geringe Infekt bedingte Komplikationen hingewiesen. Allerdings wurde gleichzeitig betont, dass das primäre Ziel immer die Gelenkrekonstruktion sein sollte, um Nachteile der Arthrodese-bedingten Nebenwirkungen wie Anschluss-Arthrosen und Gangbild-Beeinträchtigungen zu vermeiden [27].

Prognose und
Langzeitergebnisse

Bisher wurde insb. für Hochrasanzverletzungen über unbefriedigende Ergebnisse berichtet. Aktuelle Untersuchungen stellten erhebliche Beeinträchtigungen der Lebensqualität im Vergleich zur Normalbevölkerung fest [28]. Es wurde über chronifizierte Schmerzen und eingeschränkte Mobilität geklagt [29]. Die Return-to-Work-Quote war niedrig. Weniger als 15 % aller körperlich arbeitenden Verletzten konnten beruflich rehabilitiert werden [29, 30]. Besonders komplexe C3-Frakturen haben eine sehr ungünstige Prognose hinsichtlich posttraumatischer Arthrose-Inzidenzen von mehr als 50 % [31], die wiederum mit relevanten Beeinträchtigungen der Lebensqualität belastet sind [32].

Da die funktionellen Langzeitergebnisse mit der Qualität der Fraktur- und Gelenk-Reposition korrelierten, sollte die chirurgische Strategie neben der Gelenkrekonstruktion ein möglichst komplikationsarmes Vorgehen beinhalten, da Weichteil- und Infekt-Komplikationen das Gesamtergebnis signifikant beeinträchtigen [28, 32].

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

Die Pilonfraktur stellt auch heute noch eine erhebliche Herausforderung dar. Die Behandlung sollte durch ein erfahrenes Team erfolgen, wobei die notfallmäßige Versorgung im Zweifel die gelenküberbrückende Ruhigstellung mittels Fixateur externe beinhalten sollte. Die Frakturanalyse sollte neben der konventionell radiologischen Bildgebung immer durch eine CT ergänzt werden, um die Rekonstruktionsstrategie mit den damit verbundenen Zugangsoptionen auf Basis des Weichteilschadens planen zu können. Eine endoskopisch assistierte Frakturversorgung kann insb. bei nicht verfügbarer intra-operativer 3D-Bildgebung die Repositionsqualität verbessern. Additive weichteilprotektive Maßnahmen mit Vacuum-Inzisionsfolien zeigten positive Effekte, um Komplikationen zu reduzieren.

Die Langzeitergebnisse wurden durch verhältnismäßig stark beeinträchtigte Lebensqualität und hohen post-traumatische Arthroseraten getrübt. Die Langzeitergebnisse korrelieren mit der Güte der chirurgischen Gelenkrekonstruktion, wobei neben Patientenfaktoren die Weichteile einen limitierenden Faktor darstellen ebenso wie die primäre irreversible Gelenkknorpelschädigung.

Interessenkonflikte:

Keine angegeben.

Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf: www.online-oup.de.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Atesch Ateschrang

Klinik für Orthopädie und

Unfallchirurgie

Gemeinschaftsklinikum Mittelrhein

Ev. Stift St. Martin

Johannes-Müller-Str. 7

56068 Koblenz

atesch.ateschrang@gk.de

Fragen zum CME-Artikel:

1. Pilonfrakturen – welche Aussage trifft zu?

Sie kommen bei osteoprotischer Knochenqualität vor.

Sie werden durch mind. 5 Fragmente definiert.

Sie wurden erstmals 1750 von Plafond beschrieben.

Sie werden nach Weber Danis klassifiziert.

Es können unterschiedliche Klassifikationen angewandt werden.

2. Klassifizierung der Pilonfraktur – welche Aussage trifft zu?

Die Klassifikation nach Rüedi und Allgöwer wird heute ausschließlich angewandt.

Die AO-Klassifikation hat eine prognostische Aussage.

Die Klassifikation nach Leonetti bildet die Komplexität der Gelenkfraktur nicht ab.

Es bestehen immer 3 Hauptfragmente.

Die Studie von Cole et al. identifizierte 4 Hauptfragmente.

3. Behandlung von Pilonfrakturen – welcher Aspekt trifft zu?

Der Weichteilschaden wird nach Rüedi und Allgöwer klassifiziert.

Weichteilschäden sollten besonders beachtet werden.

Hochrasanz- und Distorsionstraumata führen zu identischen Frakturmorphologien.

Die definitive Versorgung beinhaltet die Gelenkrekonstruktion mit einem Fixateur externe.

Die Prognose der Pilonfraktur ist mittlerweile auf Grund neuer präformierter Plattenosteosynthesen sehr gut.

4. Behandlung von Pilonfrakturen – welche Aussage trifft zu?

Posttraumatische Arthrosen nach Pilonfrakturen kommen in ca. 10 % der Fälle vor.

Die Notfallbehandlung beinhaltet die sofortige Gelenkrekonstruktion.

Metaphysäre Knochendefekte können mit allogener Spongiosa-Plastik rekonstruiert werden.

Metaphysäre Knochendefekte können mit Knochenzement definitiv rekonstruiert werden.

Pilonfrakturen sollten wegen der Gelenkzertrümmerung im Fixateur externe ausbehandelt werden.

5. Wie sollte die Behandlungsstrategie von Pilonfrakturen erfolgen?

Die Gelenkrekonstruktion erfolgt beginnend mit der tibialen Gelenkfläche.

Die Notfalltherapie sollte, w.m., die anatomische Rekonstruktion der Fibula beinhalten.

Die notfallmäßige Behandlung mit Stabilisierung der Fibula und Fixateur externe kann die tibiale Gelenkstellung durch Ligamentotaxis nicht verbessern.

Die primäre Fibulaosteosynthese kann Ligamentotaxis aufbauen, auch wenn die Syndesmose rupturiert ist.

Die Pilonfraktur ist vergesellschaftet mit Frakturen der Fibula.

6. Bildgebung bei Pilonfrakturen – welche Aussage trifft zu?

Die radiol. Bildgebung ist mit Röntgenaufnahmen in 2 Ebenen für alle Frakturklassifikationen der Pilonfraktur ausreichend.

Eine MRT ist immer sinnvoll, um Knorpelschäden zu identifizieren.

Die CT wird nur selten benötigt.

Ein präoperatives CT bringt gegenüber der konventionell radiol. Bildgebung keine Vorteile.

Wurde die Fibula primär stabilisiert, so können Nachteile in der Zugangswahl resultieren.

7. Osteosyntheseprinzipien von Pilonfrakturen – welche Aussage trifft zu?

Die Doppelplattenosteosynthese führt zu keinen Weichteilkomplikationen.

Durch die Entwicklung neuer Plattenosteosynthesen ist eine Doppelplattenosteosynthese nicht mehr notwendig.

Der 3D-Bildwandler ist für die
intra-operative Kontrolle der
Osteosynthese obligatorisch.

Die Arthro- bzw. Endoskopie kann die Gelenkfläche so darstellen, dass eine intraop. 3D-Bildgebung nicht erforderlich wird.

Die Arthroskopie hat keine Bedeutung, da durch die Spülflüssigkeit ein Kompartmentsyndrom entsteht.

8. Welche Aussage trifft zu?

Assal und Kollegen haben ein 4-Säulen Modell zur Versorgung der Pilonfraktur vorgeschlagen.

Die Rekonstruktion sollte mit Referenzfragmenten begonnen werden.

Die Rekonstruktionsqualität des OSG korreliert eindeutig mit der Rekonstruktion der Fibula.

Die Lebensqualität nach Pilonfraktur korreliert nicht mit der Güte der Gelenkrekonstruktion.

Posttraumatische Arthrosen werden nur durch Gelenkstufen hervorgerufen, da der talare Knorpel sehr widerstandsfähig ist.

9. OSG – welche Aussage trifft zu?

Die posttraumatische Arthrose entsteht durch die primäre Knorpelschädigung.

Die posttraumatische Arthrose entsteht nur durch Stufenbildung im OSG.

Das OSG ist kein formschlüssiges Gelenk.

Die berufliche Rehabilitation von körperlich arbeitenden Verletzten liegt bei ca. 50 %.

Die Rate der posttraumatischen OSG-Arthrose liegt bei 15 %.

10. Versorgung v. Pilonfrakturen – welche Aussage trifft zu?

Hochrasanztraumen führen zu keinen Weichteilschäden.

Nach Hochrasanztraumen sollte die Notfallversorgung die perkutane Kirschnerdraht-Osteosynthese beinhalten zur Schonung der Weichteile.

Besteht eine sehr angestrengte Weichteilsituation, so können Weichteilkomplikationen immer in Kauf genommen werden zu Gunsten einer möglichst exakten Gelenkrekonstruktion.

Die primäre Gelenkrekonstruktion ist dem mehrzeitigen Versorgungsvorgehen vorzuziehen, da es weniger Komplikationen mit sich bringt.

Hautinzisionsabstände von 7 cm sollten eingehalten werden.

Die Teilnahme an der CME-Fortbildung ist nur online möglich auf der Website www.online-oup.de.

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