Arzt und Recht - OUP 06/2012

Bewertung von Ärzten durch Patienten im Internet

Allerdings arbeitet die Klägerin – im Gegensatz zu Lehrern – nicht in einem geschlossenen, abgrenzbaren Raum, sondern als niedergelassene Ärztin. Das LG weist deshalb zu Recht darauf hin, dass sich die Klägerin insbesondere vor dem Hintergrund des Rechts auf freie Arztwahl dem auch zwischen Ärzten bestehenden Wettbewerb stellen muss und insoweit den Marktmechanismen ausgesetzt ist, zu denen heute – wie in vielen anderen Lebensbereichen – auch Bewertungsmöglichkeiten in öffentlich zugänglichen Quellen (zu denen auch das Internet zählt) gehören. Da die Meinungsfreiheit auch das Recht des Äußernden umfasst, die Modalitäten einer Äußerung und damit das Verbreitungsmedium frei zu bestimmen, muss es die Klägerin grundsätzlich hinnehmen, wenn die Möglichkeit besteht, sie in einem öffentlich zugänglichen Portal zu bewerten, und diese Möglichkeit genutzt wird.

Die Datenerhebung ist auch nicht deshalb unzulässig, weil die Bewertungen anonym erfolgen und der Klägerin damit die Möglichkeit der Auseinandersetzung genommen wird.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Vornahme einer Bewertung nicht ohne jegliche Beschränkung möglich ist. So muss derjenige, der eine Bewertung abgeben möchte, zunächst über einen Klick die Nutzungsrichtlinien akzeptieren und seine E-Mail-Adresse angeben, an die dann vor der ersten Bewertung ein Aktivierungslink geschickt wird; allerdings ist zutreffend, dass unabhängig davon die Bewertungen anonym bleiben. Der Senat verkennt nicht, dass eine solche anonyme Bewertung(smöglichkeit) zum einen die Gefahr missbräuchlicher oder unberechtigter Äußerungen birgt, zum anderen der Klägerin die Möglichkeit der direkten Auseinandersetzung nimmt und es wünschenswert wäre, wenn sich derjenige, der eine Meinung vertritt, auch zu ihr bekennt. Dessen ungeachtet kann die Meinungsäußerungsfreiheit nicht auf Äußerungen beschränkt werden, die einem bestimmten Individuum zugeordnet werden können. Der Bundesgerichtshof hat in der vorbenannten Entscheidung in aller Deutlichkeit und ohne Beschränkung auf den schulischen Bereich darauf hingewiesen, dass die Verpflichtung, sich namentlich zu einer bestimmten Meinung zu bekennen, die Gefahr begründet, dass der Einzelne aus Furcht vor Repressalien oder sonstigen negativen Auswirkungen eine Art Selbstzensur vornimmt und davon absieht, seine Meinung zu äußern. Dies ist aber mit dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung nicht vereinbar.

Zudem ist vorliegend im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, dass die Beklagte neben dem Erfordernis der Angabe einer E-Mail-Adresse weitere Sicherungsmaßnahmen eingebaut hat. So gibt es bei dem Bewertungsformular einen Hinweis darauf, dass „Unangemessene oder falsche Bewertungen nicht akzeptiert“ werden, verbunden mit einem Button „….-Qualitätssicherung“, der mit einer Beschreibung des Bewertungs- und Freigabeprozesses verlinkt ist, der auch die Information an den Arzt über die Bewertung und die Möglichkeit des Einspruchs vorsieht. Vor dem Hintergrund dieser Sicherungsmaßnahmen reicht entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht bereits der latente Verdacht der Manipulation von Bewertungen aus, um annehmen zu können, dass die berechtigten Interessen der Klägerin überwiegen.

Soweit die Klägerin die – nicht näher konkretisierte – Gefahr standeswidriger, schönrednerischer (Eigen-) Werbung durch Kollegen sieht, wäre sie durch eine solche nicht unmittelbar in ihren eigenen Rechten betroffen, sodass sich daraus kein Anspruch auf Löschung ihrer Daten herleiten lässt. Zudem ist nicht ersichtlich, dass sich diese Gefahr tatsächlich bereits verwirklicht hat.

Schließlich kann sich die Klägerin auch nicht darauf berufen, dass die Bewertungen mangels Objektivität und Kompetenz der Laien nicht werthaltig seien. Wie das LG zutreffend darlegt, ist das Recht auf Meinungsäußerung nicht auf objektivierbare allgemein gültige Werturteile beschränkt; vielmehr ist es gerade charakteristisch für eine Meinungsäußerung, dass sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder des Meinens und damit durch eine eigene, subjektive Einschätzung des Äußernden geprägt ist. Zudem ist mit dem LG davon auszugehen, dass es dem Nutzer einer Bewertungsplattform grundsätzlich bewusst ist, dass die dort befindlichen Bewertungen naturgemäß keinen wissenschaftlichen Standard erfüllen, sondern allein die subjektiven Erfahrungen wiedergeben, die einzelne Betroffene mit den verschiedenen Ärzten gemacht haben – und diese Erfahrungen können, wie auch die Einträge bei der Klägerin zeigen, ganz unterschiedlicher Art sein.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Unterlassung der Veröffentlichung der Daten durch deren Übermittlung an die abfragenden Nutzer.

Fazit

Diese Rechtsprechung setzt Ärzte nahezu ungeschützt kritischen Bewertungen durch Patienten aus. Sofern die Bewertungen nicht offensichtlich beleidigend oder unwahr sind, dürfte die Löschung solcher Bewertungen kaum durchsetzbar sein, da die Rechtsprechung die Informationsfreiheit der Patienten tendenziell über die Interessen der Ärzte stellt. Damit wird die Rechtsprechung der besonderen Sensibilität im Arzt-Patienten-Verhältnis und für Ärzte drohenden verheerenden Folgen überzeichneter Patientenwahrnehmungen nicht gerecht. Enthält eine Bewertung jedoch im Einzelfall nachweisbar unwahre Tatsachen, so hat eine Klage auf Unterlassung bzw. Löschung Aussicht auf Erfolg.

Korrespondenzadresse

RA Dr. Christoph Osmialowski

Kanzlei für ArztRecht

Fiduciastraße 2

76227 Karlsruhe

E-Mail: kanzlei@arztrecht.org

Internet: www.arztrecht.org

Fussnoten

1 Urteil zur Lehrerbewertung im Internetportal „spickmich“, Az. VI ZR 196/08.

2 Az. 8 O 224/10.

3 Az. 16 O 125/11.

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