Übersichtsarbeiten - OUP 07/2019

Craniomandibuläre Dysfunktion – eine oft nicht beachtete Komorbidität des nicht-spezifischen Rückenschmerzes
Retrospektive Praxisstudie mit 652 CMD-CCD-Rückenschmerz-Patienten

Von den 942 chronischen und therapieresistenten Schmerzpatienten, die untersucht wurden, beklagten 652 (69,2 %) unspezifische Rückenschmerzen. Die Gruppe der 652 untersuchten Rückenschmerzpatienten setzten sich zusammen aus 67,7 % (n = 442) Frauen und 32,3 % (n = 211) Männer. Der Altersdurchschnitt der Patienten lag bei 45,1 (18–74 Jahre) Im Mittel bestanden die Schmerzen seit 105 Monaten (8,8 Jahren). Der mittlere Beobachtungszeitraum betrug 33 Monate. Die durchschnittliche Schmerzintensität lag auf einer Skala von 1–10 bei 8,1. 68,6 % (n = 448) der Patienten zeigten einen WPI von mindestens 7 und einen Symptomschwere-Score von mindestens 5. 14,2 % (n = 93) der Patienten wiesen einen WPI von 3–6 und einen Symptomschwere-Score von mindestens 9 auf (Tab. 1a, 1b). Somit ließen sich bei 82,8 % (n = 541) der 652 Rückenschmerzpatienten auch ein FMS-Syndrom diagnostizieren (AWMF-Diagnosekriterien 2012). Bezogen auf den WPI zeigten sich im Schnitt 8,3 Komorbiditäten. Zählt man weitere, im WPI nicht aufgeführte Komorbiditäten hinzu (Insomnie, Kopfschmerzen, Schwindel, Ohrprobleme, Tinnitus, Schluckstörungen, Stimmstörungen, Augen-Sehstörungen, vegetative Symptome, depressive Verstimmung), so ergeben sich im Schnitt 12,8 Komorbiditäten pro Patient, wobei 69 % (n = 450) zwischen 11–29 Komorbiditäten angegeben haben (Abb. 1). In Tab. 1b werden alle 942 CMD-CCD-Patienten verglichen mit Patienten mit und ohne Rückenschmerzen und den Rückenschmerzpatienten mit und ohne FMS bezüglich des Symptomschwere-Scores, der Schmerzangaben in der NRS-Skala von 1–10, im WPI und zusätzlichen Komorbiditäten und der Anzahl der betroffenen Körperregionen. Die Patienten mit Rückenschmerzen und der zusätzlichen Diagnose der Fibromyalgie zeigen in allen Bereichen die höchste Belastung. Der größte Unterschied zeigt sich bei der Patientengruppe mit Rückenschmerzen ohne FMS.

440 (67,4 %) unserer 652 Patienten zeigten eine Gesichtsskoliose. Da eine Gesichtsskoliose sich erst nach mehreren Jahren erkennbar ausbildet, bedeutet dies, dass annähernd 68 % der Patienten seit mehreren Jahren unter einer CMD litten. 357 (54,7 %) Patienten berichteten über ein subjektiv empfundenes Zähnepressen und Zähneknirschen. Beides sind häufige Symptome einer CMD. Einigen dieser betroffenen Patienten sind die Symptome oft gar nicht bewusst. 88,4 % (557) der Patienten zeigten eine pathologische Seitenabweichung mit > 2 mm beim Öffnen und/oder Schließen. Weitere bedeutende CMD-Zeichen und Symptome sind der Tabelle 2 zu entnehmen.

Bei der Inspektion der Körperhaltung zeigten 99,3 % (n = 650) der Patienten einen Schulterschiefstand und bei 99,4 % (n = 649) wurde eine Kopfvorhaltung notiert. 97,9 % (n = 639) Patienten wiesen im Ausgangszustand eine Beinlängendifferenz auf, die mit der myozentrischen Bissnahme nach Manualtherapie und niederfrequenter TENS-Therapie der Kau-, Kopf- und Halsmuskulatur nur noch bei 0,5 % (n = 3) nachweisbar war. Bei allen Patienten war im Ausgangzustand eine Hüftblockade im Schnitt und rechts und links gemittelt mit 38,3° nachweisbar, die sich mit der myozentrischen Bissnahme im Schnitt auf 11,6° verringerte (Tab. 2).

Neben den Rückenschmerzen wurden die meisten Schmerzen im WPI im Nacken mit 92 % (n = 602) und den Wangen mit 82 % (n = 539) beklagt. Eine genaue Aufzählung der Beschwerden im WPI ist in Tabelle 3 vermerkt. Bei diesen 652 CMD-Rückenschmerzpatienten musste bei 66,6 % (n = 435) von einem großflächigen Körperschmerz gesprochen werden (Schmerzen in 3 oder 4 Körperquadranten). Nur 0,2 % (n = 1) wiesen Schmerzen in nur einem Körperquadranten auf (Tab. 1b).

Tabelle 4 vergleicht die Beschwerden und Schmerzsymptome bei allen 942 CMD-CCD-Patienten mit den Patienten ohne Rückenschmerzen, den Rückenschmerzpatienten mit und ohne FMS. Auch hier wird wieder deutlich, dass die höchste Belastung in allen Bereichen, mit Ausnahmen des selbst berichteten Kiefergelenkknackens, bei den Rückenschmerzpatienten mit FMS zu verzeichnen ist. Ein besonderes Augenmerk ist auf die Schlafqualität zu richten, bei der der Unterschied sehr gravierend ist. 79,1 % der Rückenschmerzpatienten mit FMS klagen über schlechten Schlaf, bei denen ohne FMS sind es nur 21,6 %.

Durch die myozentrische Aufbissschienentherapie, die zeitgleich und kombiniert zu neuromuskulären Entspannungsmaßnahmen (u.a. Manualtherapie, niederfrequente TENS-Therapie der Kau-, Kopf- und Halsmuskulatur) durchgeführt wurde, konnten bei 85,3 % (n = 556) der Patienten eine gute bis sehr gute Besserung der bislang therapieresistenten Beschwerden im Körper und bei 90,2 % (n = 588) eine Besserung der Beschwerden im Kiefer erzielt werden. Einzelheiten zum Beschwerdebild und deren Besserung sind den Tabellen 5 und 6 zu entnehmen. In Tabelle 7 wird die Besserung der Beschwerden bei CMD-CCD-Rückenschmerzpatienten mit FMS (n = 541) und ohne FMS (n = 111) verglichen. Ein besonders großer Unterschied in der geringeren Besserung bei den Patienten mit FMS ist im Nacken/HWS, dem Rücken, der Hüfte, den Knien, den Kopfschmerzen, den Ohrproblemen, dem Tinnitus, den Schluckbeschwerden und dem Schwindel zu verzeichnen.

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