Übersichtsarbeiten - OUP 01/2024

Das Iliosakralgelenk
Von der Anatomie zur Therapie

Alexander Schuh, Philipp Koehl, Loreto C. Pulido, Inge Unterpaintner, Achim Benditz

Zusammenfassung:
Obwohl die Iliosakralgelenke (ISG) in bis zu 30 % der Fälle Ursache für tieflumbale Rückenschmerzen sind, werden diese oftmals in differenzialdiagnostischen Überlegungen vernachlässigt. Die komplexe Anatomie und das vielfältige Schmerzbild führen häufig zu einer Fehlinterpretation einer symptomatischen ISG-Affektion mit im Verlauf frustranen Therapieversuchen. Bei der körperlichen Untersuchung spielen Untersuchungstechniken aus der manuellen Therapie eine große Rolle. Neben Physiotherapie stellen Infiltrationen einen wichtigen diagnostischen und therapeutischen Baustein dar. Minimalinvasive Radiofrequenzdenervation des ISG ist möglich, wobei die Studienlage bzgl. des therapeutischen Nutzens inhomogen ist. Minimalinvasive Arthrodesen können nach Ausschöpfen des konservativen Therapiespektrums in Einzelfällen mit guten Ergebnissen indiziert sein.

Schlüsselwörter:
Iliosakralgelenk, Anatomie, Untersuchung, Therapie, Fusion

Zitierweise:
Schuh A, Koehl P, Pulido LC, Unterpaintner I, Benditz A: Das Iliosakralgelenk.
Von der Anatomie zur Therapie
OUP 2024; 13: 15–21
DOI 10.53180/oup.2024.015-021

Summary: Although the sacroiliac joints (SIJ) are the cause of deep lumbar back pain in up to 30 % of cases, they are often neglected in differential diagnostic considerations. The complex anatomy and the diverse pain pattern often lead to a misinterpretation of a symptomatic sacroiliac joint affection, which ultimately leads to frustrating attempts at therapy. Examination techniques from manual therapy play a major role in the physical examination. In addition to physiotherapy, infiltrations represent an important diagnostic and therapeutic component. Minimally invasive radiofrequency denervation of the sacroiliac joint is possible, although the evidence regarding the therapeutic benefit is inhomogeneous. Minimally invasive arthrodeses can be indicated in individual cases with good results after the conservative treatment spectrum has failed.

Keywords: Sacroiliac joint, anatomy, examination, therapy, fusion

Citation: Schuh A, Koehl P, Pulido LC, Unterpaintner I, Benditz A: Sacroiliac joint. From anatomy to therapy
OUP 2024; 13: 15–21. DOI 10.53180/oup.2024.015-021

A. Schuh: Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Sektion für Muskuloskelettale Forschung, Klinikum Fichtelgebirge, Marktredwitz

P. Koehl, L. C. Pulido, I. Unterpaintner: Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Klinikum Fichtelgebirge, Marktredwitz

A. Benditz: Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Sektion für Orthopädie und Wirbelsäulentherapie, Klinikum Fichtelgebirge, Marktredwitz

Einleitung

Kreuzschmerz mit und ohne Ausstrahlung in die Beine ist eine der häufigsten Erkrankungen in den westlichen Industrienationen. Er entsteht nicht nur in der Region der Lendenwirbelsäule, sondern kann auch aus dem Bereich der Iliosakralgelenke (ISG) generiert werden. Man geht davon aus, dass in bis zu 27 % der Fälle von Kreuzschmerzen die Ursache im ISG zu suchen ist [1–5, 34]. Geschichtlich wurde das ISG zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Schmerzursache für lumbalen Schmerz mit und ohne Ischialgie verantwortlich gemacht. In den letzten Jahrzehnten rückte das ISG als Schmerzgenerator wieder vermehrt in den Vordergrund, da nicht alle Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule sowie Schmerzen mit Ausstrahlung in die Beine bildmorphologisch durch Pathologien im Bereich der Lendenwirbelsäule allein erklärt werden konnten. Verschiedene spezifische Pathologien im Bereich des ISG können zu Schmerzen in der ISG-Region führen (Tab. 1) [5, 6, 34].

Ein ISG-Syndrom kann auch während der Schwangerschaft auftreten, in der ein Serumanstieg des Relaxins dazu führt, dass die iliosakrale Beweglichkeit gesteigert wird und somit Schmerzen ausgelöst werden können. Die Symptomatik verliert sich aber post partum in den meisten Fällen, sodass sich dann therapeutische Maßnahmen erübrigen [4, 7, 34].

Obwohl die ISG in bis zu 30 % der Fälle Ursache für tieflumbale Rückenschmerzen sind, werden diese oftmals in differenzialdiagnostischen Überlegungen vernachlässigt. Die komplexe Anatomie und das vielfältige Schmerzbild führen häufig zu einer Fehlinterpretation einer symptomatischen ISG-Affektion mit im Verlauf frustranen Therapieversuchen. ISG-Beschwerden treten gehäuft posttraumatisch, nach der Ausübung gewisser Sportarten, während oder nach der Schwangerschaft oder im Rahmen entzündlicher Arthropathien auf. Außerdem entwickeln bis zu 75 % aller Patientinnen und Patienten mit lumbaler Fusion nach 5 Jahren eine signifikante Degeneration der Iliosakralgelenke [1–3, 8, 9, 34].

Anatomie

Das ISG ist per Definition ein echtes Gelenk mit einer Gelenkkapsel und Gelenkflüssigkeit, das jedoch nur einen begrenzten Bewegungsumfang besitzt [2, 3, 9]. Die gelenkbildenden Flächen setzen sich aus den sakralen Segmenten S1–S3, bestehend aus dickem hyalinem Knorpel, und dem Os Ilium, bestehend aus einer dünnen Faserknorpelschicht, zusammen. Beim ISG handelt es sich um eine sog. Amphiarthrose, eine Kombination von Synarthrose und Diarthrose [2, 3, 10, 11, 34]. Als Verbindungsglied zwischen der Wirbelsäule und der unteren Extremität ist das ISG besonderen Belastungen ausgesetzt und bedarf daher einer hohen Stabilität. Die mechanische Funktion des ISG besteht hauptsächlich in einer allgemein anerkannten Vorwärtsbewegung (Nutation) und einer Rückwärtsbewegung (Gegennutation) des Sakrums in der sagittalen Ebene. Studien konnten eine minimale Bewegung im ISG mit 4°-Rotation (im Wesentlichen um die Transversalachse) und 1,6 mm Translation nachweisen [2, 3, 5, 34]. Charakteristisch ist die hohe Stabilität bei geringer Beweglichkeit. Ursächlich für diese Stabilität sind der stark ausgeprägte Kapsel-Band-Apparat und die unregelmäßige aurikuläre Architektur der Gelenkflächen. Mehrere myofasziale Strukturen stabilisieren zusätzlich das ISG: Die Wichtigsten sind der M. latissimus dorsi über die thorakolumbale Faszie, der M. gluteus maximus und M. piriformis [2, 3, 12, 13, 34]. Durch eine Funktionsstörung im Gelenk kann es zudem in den genannten Muskelgruppen sowie der Bauchmuskulatur, des M. iliopsoas oder der ischiocruralen Muskulatur zu einer reflektorischen Anspannung und Verkürzung kommen. Das Ausmaß der Beweglichkeit im ISG ist zudem individuell äußerst variabel, grundsätzlich aber bei Frauen größer aufgrund anatomischer Unterschiede und hormoneller Einflüsse [2, 3]. Einige Studien zeigen die Empfindlichkeit des ISG gegen axiale Stauchung und axiale Rotationskräfte [2]. Dies könnte das erhöhte Auftreten iliosakraler Dysfunktionen bei Athleten, vor allem Läufern und Arbeitern mit sich wiederholenden unidirektionalen Scherkräften erklären. Unfallmechanismen, wie ein direkter Sturz auf den Glutealbereich, motorisierter Unfall mit einem Bein auf der Bremse oder ein Tritt ins Leere können ebenfalls beschriebene funktionelle Störungen verursachen. Die komplexe Innervation des Gelenks stammt aus dem Plexus lumbalis und den sakralen Segmenten [2, 14, 34]. Die rein nozizeptive Versorgung des Gelenks erfolgt durch die Rami dorsales der Nervenwurzeln S1–S4. Auch die benachbarten Ligamente werden von schmerzleitenden Nervenfasern innerviert und bündeln sich mit denen des Gelenks [2, 5, 14].

Es sind zahlreiche anatomische Varianten des Iliosakralgelenks in der Literatur beschrieben und sind hauptsächlich in CT-Untersuchungen nachgewiesen [5, 15–17, 34]:

  • 1. Zusätzliche Nebengelenke (extrakapsuläre fibrokartilaginöse Gelenke)
  • 2. Ein „iliosacral complex“, der einem knöchernen Vorsprung vom Ilium ausgehend einer Mulde im Sakrum entspricht
  • 3. Eine 2-teilige Knochenplatte des Iliums
  • 4. Ein halbkreisförmiger Defekt im Bereich der Gelenkfläche des Sakrums bzw. des Iliums
  • 5. Halbmondförmige Gelenkflächen des Iliums (dabei spricht man auch von einer Dysplasie)
  • 6. Ossifikationszentren
  • 7. Isolierte Synostose

Das Auftreten verschiedener anatomischer Varianten führt zu der Überlegung, dass es, insb. bei asymmetrischen Veränderungen, zu einem funktionell gestörten Gelenkspiel im ISG kommt, das Beschwerden in dieser Region auslöst [5, 34].

Anamnese/Beschwerden (Tab. 2)

Typisch sind eher paravertebrale Schmerzen im Bereich des lumbosakralen Übergangs oder des hinteren Beckenrings, teils mit Ausstrahlung in die Leiste, in das laterale oder dorsale Bein und häufig unter Aussparung des lateralen Knies. Die Schmerzen sind häufiger unilateral als bilateral und üblicherweise nicht oberhalb der Gürtellinie lokalisiert [1, 2, 4]. Außerdem sollte in der Schmerzanamnese unruhigem Sitzen mit häufigen Positionswechseln besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Aufgrund des variierenden, teils (pseudo-)radikulären klinischen Bildes fehlt derzeit noch eine eindeutig reproduzierbare Kartierung der nozizeptiven Region des ISG in der Literatur [1, 2]. Wie bei allen Schmerzsyndromen muss auch in der Diagnostik und Behandlung des schmerzhaften ISG beachtet werden, dass sich die Pathomechanismen beim akuten, subakuten und chronischen Schmerz unterscheiden. Eine traumatische Genese liegt knapp der Hälfte der Fälle (44 %) zugrunde [1, 4, 6, 34]. So wird z.B. für rund ein Drittel aller Patientinnen und Patienten mit Beckenfraktur eine schmerzhafte posttraumatische ISG-Symptomatik beschrieben. Des Weiteren sollte an Differenzialdiagnosen gedacht werden, die häufig ähnliche Beschwerden verursachen, die entsprechend anamnestisch berücksichtigt werden sollten (Tab. 3).

Untersuchung

Körperliche Untersuchung

Die körperliche Untersuchung sollte die angrenzende Wirbelsäule und das Hüftgelenk mitsamt dem Bewegungsumfang und der aktiven muskulären Stabilisierung durch die pelvitrochantäre Muskulatur (Trendelenburg-Zeichen) beinhalten. Erforderlich ist die Differenzierung radikulärer Syndrome mit neurologischer Untersuchung der Sensomotorik und des Reflexstatus. Radikuläre Beeinträchtigungen werden anhand der Dermatome bzw. der segmentalen Kennmuskeln geprüft. Die ISG-Funktionsstörung wird klinisch festgestellt. Sie war in der Vergangenheit Gegenstand einer Vielzahl wissenschaftlicher Publikationen und durchaus kontroverser Diskussionen. Eine Auswahl klinisch etablierter Tests zeigt Tabelle 4 [4]. Als erster Hinweis in der klinischen Untersuchung der Patientinnen und Patienten kann der Fortin-Finger-Test dienen; Patientinnen und Patienten mit einer ISG-Symptomatik können meistens punktgenau (< 1 cm) und reproduzierbar die Schmerzen mit einem Finger zeigen [7, 34].

Die Validität dieser Tests ist jedoch umstritten, insbesondere wenn als Referenzkriterium das Ansprechen auf einen unter Durchleuchtung vorgenommenen diagnostischen Block genommen wird [3, 4]. Schneider et al. diskutieren zum einen, dass ein klinischer Test nicht zwischen intra- und periartikulären Beschwerden zu differenzieren vermag, die intraartikuläre Injektion jedoch gezielt den artikulär generierten Schmerz ausschalte. Zum anderen sei die Genauigkeit klinischer Tests immer von der durchführenden Person abhängig. Patientenseitige Erwartungen kommen hinzu. In ihrer Studie konnten Schneider et al. keine Korrelation zwischen klinischen Tests und dem Ansprechen auf eine Infiltration nachweisen [3]. Die Tests vermögen in der klinischen Praxis nur die Verdachtsdiagnose einer schmerzhaften ISG-Funktionsstörung begründen. Eine Kombination mehrerer Tests (? 3) dagegen hat jedoch das Potenzial, die diagnostische Genauigkeit zu erhöhen. Auch eine unmittelbare Schmerzangabe über dem ISG bzw. den posterioren Bändern kann als klinischer Hinweis gewertet werden [4, 34].

Distraktionstest [18, 19, 34]

In Rückenlage wird die LWS lordosiert z.B. durch Unterlegen der Unterarme der Patientin/des Patienten. Der Untersucher führt mit gekreuzten Armen einen gleichmäßigen Druck auf die Spinae iliacae anteriores superiores aus (Abb. 1).

Faber-Test (4er-Zeichen,
Patrick-Zeichen) [8, 18–20, 34]

In Rückenlage bringt die Patientin/der Patient seinen Fuß auf den gegenseitigen Oberschenkel. Der Untersucher stabilisiert das Becken auf der Gegenseite und übt leichten Druck auf das Knie aus (Abb. 2).

Kompressionstest
[18, 19, 34]

Die Patientin/der Patient liegt in Seitenlage. Der Untersucher steht dorsal und übt Druck auf die Darmbeinschaufel aus (Abb. 3).

Gaenslen-Zeichen [18, 19, 34]

Die Patientin/der Patient liegt in Rückenlage, möglichst nah an der Kante der Untersuchungsliege. Auf der Gegenseite zieht die Patientin/der Patient das Bein in volle Hüftflexion, während auf der betroffenen Seite das Bein neben der Liege abgesenkt wird (Abb. 4).

Vorlaufphänomen [18, 19, 34]

Bei der/dem stehenden Patientin/Patienten werden die Spinae iliacae posteriores superiores getastet. Der Test ist positiv, wenn beim Vornüberbeugen der Patientin/des Patienten die Spina der betroffenen Seite weiter nach vorn gezogen wird (Abb. 5). Dieser Test wird jedoch inzwischen aufgrund des Weichteilmantels vieler Patientinnen/Patienten als wenig valide eingestuft.

Bildgebende Verfahren

Bildgebend besteht bei der Diagnostik des ISG-Schmerzes das Problem der sehr geringen Sensitivität radiologischer Methoden [3]. Die bildgebende Diagnostik dient dem Ausschluss spezifischer Schmerzursachen, welche insb. in Form destruktiver, entzündlicher und degenerativer Veränderungen vorliegen können. Dabei muss die geringe Spezifität der Bilddiagnostik berücksichtigt werden: Bei Kindern und Erwachsenen kann im Rahmen der modernen Bildgebung eine Vielzahl an Normvarianten und Zufallsbefunden im und um das ISG erhoben werden, ohne dass hieraus eine klinische Symptomatik resultieren muss (vgl. o.) [2–4, 34].

Das Nativröntgen ist wegen der fehlenden dreidimensionalen Abbildung eines komplexen Gelenkes nur bei massiven Veränderungen wie erheblichen Arthrosen oder Synostosen aussagekräftig [3].

Besteht jedoch der Verdacht auf eine rheumatische Sakroiliitis, kann die MRT-Untersuchung mit der STIR-Sequenz („short tau inversion recovery“) die Verdachtsdiagnose erhärten [2, 3, 21]. Weiterhin kann die Bildgebung mit MRT und/oder Computertomographie bei Patientinnen/Patienten mit positiver Traumaanamnese oder Verdacht auf Insuffizienzfraktur des hinteren Beckenrings wichtige differenzialdiagnostische Informationen liefern [21, 34].

Labordiagnostik

Die reine funktionelle Störung des ISG hat kein pathognomonisches laborchemisches Korrelat. Aus diesem Grund dient die Labordiagnostik, ähnlich der bildgebenden Diagnostik, primär der Abgrenzung differenzialdiagnostisch wichtiger Erkrankungsbilder. Bei klinisch-anamnestischem Verdacht auf eine bakterielle Entzündung sollte daher ein Blutbild mit Bestimmung von C-reaktivem Protein (CRP) und ggf. Prokalzitonin abgenommen werden. Im Rahmen des Ewing-Sarkoms besteht häufig eine auffällige Erhöhung laborchemischer Infektparameter. Bei Verdacht auf eine axiale Spondylarthritis finden sich Erhöhungen von Blutsenkungsgeschwindigkeit und CRP. Zudem sollte die Bestimmung des humanen Leukozytenantigens HLA-B27 erfolgen [1, 21, 34].

Diagnostischer Block

Bei erhärtetem klinischem Verdacht auf eine ISG-Funktionsstörung beschreiben Literaturquellen den diagnostischen Block als diagnostischen Referenzstandard. Uneinigkeit besteht jedoch bezüglich der quantitativen Reduktion des Schmerzes, ab welcher diese als „positiv“ gewertet wird. Prozentuale Angaben zwischen 70 und 90 % werden genannt. Zur Verbesserung der Präzision sollte die Infiltration grundsätzlich unter Durchleuchtung durchgeführt werden Abb.6 [8, 21, 34].

Therapie

Bei funktioneller Störung sollte der Arzt vor Beginn der Behandlung über die Gutartigkeit des Erkrankungsbilds aufklären. Ziel muss sein, trotz einer Vielzahl an möglichen Behandlungsoptionen die Patientin/den Patienten nicht in eine ärztliche Abhängigkeit zu führen. Dies steigert unter Umständen die Ängste der Patientin/des Patienten und führt häufig zu einem schädlichen Bewegungs- und Vermeidungsverhalten und konsekutiv zu noch mehr Schmerzen mit der Gefahr einer Chronifizierung [4, 34].

Konservative Therapie

Die konservative Therapie beim akuten Schmerz beschränkt sich fast ausschließlich auf die orale Analgesie mit NSAR für einige Tage, lokale Kühlung und relative Ruhigstellung [1, 2, 4]. In der subakuten Phase tragen die manuelle Therapie mit Mobilisierung und Manipulation des Iliosakralgelenks und die Physiotherapie wesentlich zur Besserung bei [1, 2, 4, 21, 22, 34]. Vor allem scheint ein individualisiertes spezifisches Übungsprogramm hilfreich zu sein. Bei rezidivierenden Beschwerden ist die Aktivierung der tiefen stabilisierenden Muskelsysteme im Rücken- und Beckenbereich das Ziel. Die globalen Muskelsysteme sollten graduell miteinbezogen werden, um Mobilität, Kraft und Ausdauerkapazität zu verbessern [1, 4]. Zur Prävention bei vorbestehenden ISG-Funktionsstörungen kann es hilfreich sein, Aktivitäten mit Einbeinstand und somit vertikale Scherkräfte wie Laufen, Kegeln, Skaten und Treppensteigen weitestgehend zu vermeiden [1, 4]. Bestehende Beinlängendifferenzen sollten ausgeglichen und rheumatologische Grunderkrankungen systemisch behandelt werden [1, 2, 4, 34].

Während der Schwangerschaft sollte bei neu aufgetretenen Beschwerden in der Akutphase auf eine Mobilisation und Dehnung des ISG verzichtet werden. Hier kann zum Beispiel ein Gürtel vermehrt Stabilität bringen und Beschwerden lindern [1, 3, 4, 23, 34].

Interventionelle Behandlung

Die Indikation zur therapeutischen ISG-Infiltration wird aufgrund der hohen Prävalenz im klinischen Alltag häufig gestellt. Während bei der diagnostischen Injektion nur geringe Mengen verwendet werden, werden bei der therapeutischen Injektion Volumina bis zu 10 ml Lokalanästhetikum und 20–40 mg Depotsteroid beschrieben [19, 21]. Einzelne Arbeiten berichten hier auch von langanhaltenden Therapieeffekten [4, 24, 25, 34]. Therapeutisch steht die freihändige periartikuläre Infiltration zur Verfügung, intraartikuläre Infiltrationen sind ohne Bildsteuerung trotz hoher Expertise nur verhältnismäßig selten möglich. Als Zielhilfen dienen Ultraschall und der Bildwandler. Derartige Infiltrationen mit Lokalanästhetikum und Kortikosteroiden werden Evidenzlevel I zugeordnet [26].

Aufgrund der Unterschiede der patientenindividuellen Anatomie des dreidimensional oft komplexen Gelenkes wird der CT-gestützten Infiltrationstechnik die höchste Präzision zuerkannt [19, 24, 27, 34], wobei sich eine ausreichend sichere intraartikuläre Nadellage mit dem Bildwandler erreichen lässt [3]. Der Behandler muss sich bewusst sein, dass jede interventionelle Behandlung auch das Risiko einer Infektion birgt (Risiko zwischen 1:1000 und 1:50.000) [19, 25, 34].

Denervation

Die Indikation zur Radiofrequenzablation sollte streng gestellt werden. Ziel der Behandlung ist die Ausschaltung der Schmerzweiterleitung durch thermische Zerstörung der Nozizeptoren (Denervation). Durchgeführt wird sie meist nach einer signifikanten, aber nur vorübergehenden Linderung der Schmerzen nach intraartikulären Injektionen. Die Denervation sollte in Betracht gezogen werden, wenn der Schmerz seit wenigstens 2–3 Monaten besteht und eine mindestens 50-prozentige Schmerzreduktion durch diagnostische Infiltration zu erzielen war [19, 25, 28]. Auch für diese Therapieform ist die Evidenz überschaubar. Bei diesem Eingriff wird die Schmerzweiterleitung durch Denervation der Nozizeptoren durch die von Radiowellen erzeugte Wärme unterbrochen. Es gibt wenige kontrolliert randomisierte Studien, die eine vorübergehende Reduktion der Schmerzen belegen, ohne den Schmerz jedoch komplett auszuschalten [1, 2, 4, 7, 19, 34]. Die Kryotherapie oder gasgekühlte Radiofrequenzablation ist eine Alternative zur herkömmlichen Radiofrequenzablation. Hierbei werden die Nozizeptoren flüssigem oder gasförmigem Stickstoff ausgesetzt, was zu einer Nekrose analog zur Radiofrequenzablation führt. Auch hier zeigen einige ältere systematische Übersichtsarbeiten, dass die Evidenz für therapeutische Interventionen am ISG begrenzt ist [21].

Operative Therapie

Die chirurgische Therapie ist nur selten erforderlich und ausschließlich chronischen Schmerzbildern nach frustraner konservativer Therapie vorbehalten [1, 4]. Chirurgische Eingriffe zur Behandlung des ISG-Syndroms wurden bis zur Jahrhundertwende nur selten und mit Vorbehalten vorgenommen. Als Operationsmethoden stehen sowohl offene Arthrodesetechniken wie auch minimalinvasive Operationstechniken zur Verfügung. Bei den minimalinvasiven Techniken werden die verschiedensten Implantate angeboten [1, 7, 8, 11, 18, 30, 31, 32, 34]. Seit der Möglichkeit zur minimalinvasiven Operation haben sich neue Optionen ergeben, deren Effektivität beim ISG-Syndrom belegt werden konnte [7, 32]. Moderne minimalinvasive operative Eingriffe sollen dazu dienen, die Rotations-Translations-Stabilität im Iliosakralgelenk wiederherzustellen, indem man die beiden Gelenkflächen überbrückt. Die ideale Patientin/der ideale Patient für die minimalinvasive ISG-Fusion hat chronische ISG-Beschwerden (> 6 Monate), ist konservativ ausbehandelt und hat mindestens 2–3 positive Testinfiltrationen hinter sich, um eine ausreichend hohe Sicherheit zur Beschwerdeprojektion auf das betroffene Gelenk haben zu können. Der ideale Operationszeitpunkt hängt dabei einzig von der bereits ausgereizten konservativen Therapie und dem subjektiven Leidensdruck der Patientin/des Patienten ab. Die patientenspezifische Aufklärung muss neben dem Ablauf des Verfahrens und der zu erwartenden postoperativen klinischen Situation auch die häufigsten Komplikationen beinhalten. Die zur Verfügung stehende Literatur nennt hier im Wesentlichen postoperative Hämatome, Implantatinfekte und Fehlpositionierungen, teilweise auch Irritation von sakralen Nervenwurzeln [7, 30, 32–34].

Den längsten Beobachtungszeitraum nach Arthrodese mit einem triangulären Implantat (5 Jahre), bieten die Daten einer monozentrischen Registerstudie [7, 8, 32]. Hier wurden 17 Patienten nachverfolgt. VAS-Werte (0–10 cm) verringerten sich von 8,3 auf 2,4 cm bei der Kontrolle nach 5 Jahren. Für 88 % der Patienten wurde ein substanzieller klinischer Gewinn registriert. 82 % der Patienten waren mit dem Ergebnis nach 5 Jahren völlig zufrieden. Eine qualitative Beurteilung von Röntgen- und CT-Aufnahmen zeigten eine verstärkte Knochendichte an den Implantaten und eine intraartikuläre knöcherne Brückenbildung bei 87 % der Patienten. Auch nach 5 Jahren ergaben sich keine Hinweise auf Implantatlockerung und/oder Migration [7, 34].

Die minimalinvasive ISG-Fusion ist geeignet für Patientinnen und Patienten mit positivem Ergebnis in 3 von 5 Provokationstests, konsistenter Schmerzangabe über dem ISG (positiver Fortin-Fingertest) und positivem Ansprechen auf eine diagnostische Infiltration. Aussagekräftige Langzeitdaten zu diesem Therapieverfahren finden sich in der Literatur derzeit noch nicht [14, 34].

Fazit für die Praxis

  • 1. In bis zu 27 % der Fälle von Kreuzschmerzen ist die Ursache im ISG zu suchen.
  • 2. Beim ISG handelt es sich um eine sog. Amphiarthrose.
  • 3. Bildgebend besteht bei der Diagnostik des ISG-Schmerzes das Problem der sehr geringen Sensitivität radiologischer Methoden.
  • 4. Manuelle Therapie und Infiltrationen haben einen hohen Stellenwert in der Behandlung des ISG-Syndroms.
  • 5. Minimalinvasive Arthrodesen können nach Ausschöpfen des konservativen Therapiespektrums im Einzelfall mit guten Ergebnissen indiziert sein.

Interessenkonflikte:

Keine angegeben.

Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. habil. Alexander Schuh

Leiter Sektion für Muskuloskelettale Forschung

Klinik für Orthopädie &

Unfallchirurgie

Klinikum Fichtelgebirge

Schillerhain 1–8

95615 Marktredwitz

a.schuh@klinikum-fichtelgebirge.de

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