Übersichtsarbeiten - OUP 05/2021

Das lumbale Wurzelreizsyndrom aus neurologischer Sicht
Klinischer Ansatz und diagnostische Methoden

Anbei stellen wir 2 Patienten mit führender Symptomatik im Sinne einer Fußheberparese vor.

Bei dem ersten Patienten, einem 45-jährigen Fliesenleger, bestand eine schmerzlose Schwäche der Fußhebung sowie der Pronation seit 2 Tagen. In den durchgeführten Neurographien des N. peroneus zeigte sich eine Abnahme der Amplitude nach Stimulation proximal des Fibulaköpfchens, vereinbar mit einem Leitungsblock des N. peroneus (Abb. 1). Bei klinisch sowie elektrophysiologisch eindeutigem Befund sowie zum Nachweis einer axonalen Schädigung zu frühem Untersuchungszeitpunkt wurde in diesem Fall auf eine EMG-Untersuchung verzichtet. In der geplanten Verlaufskontrolle nach 4 Wochen war die Symptomatik vollständig regredient.

Bei dem zweiten Patienten, 50 Jahre, mit chronischen Rückenschmerzen bestand die Schwäche der Fußhebung seit ca. 6 Wochen. In seinem Fall erbrachten die Neurographien (sensible und motorische Neurographien des N. peroneus) keinen Hinweis auf eine Schädigung des N. peroneus. Die zur weiteren ätiologischen Einordung durchgeführte elektromyographische Untersuchung des M. gluteus medius sowie des M. tibialis anterior wies pathologische Spontanaktivitäten in beiden untersuchten Muskeln auf (Abb. 2), sodass in der Gesamtkonstellation die Fußheberparese im Rahmen einer L5-Radikulopathie mit florider Schädigung einzuordnen war.

Schwäche der Hüftbeugung bei Schmerzen der Innen- und Vorderseite des Oberschenkels

Die Vorstellung der 63-jährigen Patientin erfolgte nach Sturzereignis bei einer schmerzhaften Parese der Hüftbeugung sowie der Kniestreckung. Ferner berichtete sie über Dysästhesien der Innen- und Vorderseite des Oberschenkels. Klinisch-neurologisch auffällig zeigte sich zudem ein ausgefallener Patellasehnenreflex. Das EMG hatte (bei frühem Untersuchungszeitpunkt < 10 Tage) keine Spontanaktivität ergeben. Neben einer L3/4-Radikulopathie wurde insbesondere bei unauffälliger MRT-Untersuchung der Lendenwirbelsäule differenzialdiagnostisch eine mögliche Läsion des N. femoralis erwogen und in den Neurographien (Abb. 3) auch bestätigt. Bei auch im Verlauf weiterhin fehlendem Nachweis von Spontanaktivität wäre von einer lediglich funktionellen Schädigung ohne relevante Affektion des Axons auszugehen und ein zuwartendes Procedere mit Krankengymnastik anzustreben. Wir würden wiederum bei Nachweis von Spontanaktivität in jedem Fall eine Kompression des N. femoralis (z.B. durch ein Hämatom) ausschließen wollen, da in diesem Fall ggf. die Konsequenz einer Hämatomentlastung folgen würde.

Rückenschmerzen mit
Ausstrahlung in die Beine

Der 73-jährige Patient stellte sich bei bereits seit einigen Jahren bestehenden Lumboischalgien mit mittlerweile in beiden Unterschenkelrückseiten ausstrahlenden Schmerzen vor. Eine subjektive Schwäche der unteren Extremitäten wurde verneint, klinisch konnten ebenfalls keine Paresen festgestellt werden, auffällig zeigte sich allerdings ein ausgefallener Achillessehnenreflex. Neurographisch ergab sich keine Befunderweiterung. Bei einer bildmorphologisch nachgewiesenen lumbalen Spinalkanalstenose erfolgte einerseits zur Höhenlokalisation, andererseits zum Ausschluss bzw. Nachweis einer floriden axonalen Schädigung die Elektromyographie. Bei Fehlen pathologischer Spontanaktivität aber gleichzeitigem Nachweis von erhöhten Amplituden der Muskelsummenaktionspotenzialen im M. tibialis anterior und M. gastrocnemius sowie der paravertebralen Muskulatur beidseits (Abb. 4) konnte eine wohl seit Längerem bestehende und offenbar langsam progrediente chronisch neurogene Schädigung im Sinne einer multisegmentalen Radikulopathie (L5-S1) festgestellt werden.

Fazit für die Klinik

Beim Wurzelreizsyndrom geht es für den Neurologen zuallererst um einen klinischen Eindruck und um anamnestische Angaben zur Dynamik der Beschwerden. Eine elektrophysiologische Zusatzdiagnostik kann helfen, das klinische Bild einzuordnen und einen bestimmten Verdacht zu bestätigen oder auch zu widerlegen. So kann insbesondere bei nicht eindeutigem klinischen Bild mit z. B. Überlagerung durch Schmerzen oder auch anderen Nebenbefunden, welche die Diagnosestellung erschweren, eine Festlegung erleichtert und ein bestimmtes Vorgehen unterstützt werden. Gerade wenn es um invasive Maßnahmen geht, sollte daher bei Unklarheiten neben einer adäquaten Bildgebung auch an eine suffiziente neurologische Diagnostik inklusive elektrophysiologischer Maßnahmen gedacht werden. Das EMG dient hierbei zum Nachweis und zur Lokalisation einer floriden Schädigung, die Neurographien und evozierten Potenziale können die Differenzialdiagnostik erweitern. Hierbei sollte in jedem Fall die klinische Präsentation führen und den Limitationen von Messwerten durch eine pragmatische Herangehensweise begegnet werden.

Interessenkonflikte:

Keine angegeben.

Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Nicole König

Klinik und Poliklinik für Neurologie

der Universität Regensburg

am Bezirksklinikum Regensburg

Universitätsstraße 84

93053 Regensburg

nicole.koenig@medbo.de

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