Übersichtsarbeiten - OUP 12/2017

Das Wesen der Osteomyelitis – die „duale Entität“*
Vorschlag für eine alternative Klassifikation der OsteomyelitisProposal for an alternative classification of osteomyelitis

Bereits im Jahr 2004 wiesen Lazzarini und Mitarbeiter darauf hin, dass diese Dualität und speziell die Nekrosebildung neben der oben bereits angesprochenen Fähigkeit zur Biofilmbildung eine weitere Ursache für die Limitierung antimikrobieller Therapien in der Behandlung muskuloskelettaler Infektionen darstellt [7].

Die Kenntnis um das oben dargestellte Wesen muskuloskelettaler Infektionen (duale Entität) und die Problematik der Biofilmbildung könnte zu einem innovativen Ansatz in der Planung und Durchführung der antimikrobiellen Therapie führen. Dazu notwendig wäre die Beantwortung folgender Fragen:

Unter welchen Voraussetzungen ist die ausschließlich antimikrobielle Therapie muskuloskelettaler Infektionen mit Blick auf die duale Entität einerseits und die Biofilmbildung andererseits möglich?

Welche Rolle spielt dabei das Ausmaß der Knochen- und Weichteilnekrosen?

Ist das Ausmaß der Knochen- und Weichteilnekrosen mit Blick auf die antimikrobielle Therapie quantifizierbar?

Unter welchen Voraussetzungen ist die ausschließliche antimikrobielle Therapie muskuloskelettaler Infektionen mit Blick auf die duale Entität einerseits und die Biofilmbildung andererseits unmöglich?

Ist eine Beurteilung anhand des Ausmaßes der Knochen- und Weichteilnekrosen möglich?

Ist das Ausmaß der Knochen- und Weichteilnekrosen auch in diesem Fall quantifizierbar?

Aus histopathologischer Sicht wären auf Basis der HOES-Klassifikation folgende therapeutische Konsequenzen zu fordern: Der histopathologische Nachweis von Nekrosen erfordert eine chirurgische Therapie; der histopathologische Nachweis von nicht-nekrotischen, reparativen Gewebeveränderungen eine antibiotische und somit nicht chirurgische Therapie. Zur Untermauerung und Sicherung dieser Entscheidung wird in der HOES-Klassifikation der relative Flächenanteil der Nekrosen angegeben.

Die Beantwortung dieser Fragen würde einen entscheidenden weiteren Schritt auf dem Weg zur erfolgreichen Behandlung muskuloskelettalen Infektionen darstellen. Die Behandlungsqualität, die Patientensicherheit und ebenso die Lebensqualität der Betroffenen könnten weiter verbessert werden. Die Charakterisierung der Erkrankung könnte anhand dieser Kriterien möglicherweise präziser und Therapie-fokussierter vorgenommen werden

Einteilung des MSI

Die oben dargestellten Umstände machen eine differenzierte, aktualisierte Betrachtung der MSI notwendig, basierend auf objektivierbaren Parametern. Bisher wird der MSI anhand folgender Kriterien charakterisiert [15]:

Laufzeit: Unterschieden wird der Früh- vom Spätinfekt. Die Grenze zwischen diesen Infekt-Typen wird in der Literatur unterschiedlich gezogen. Für den Frühinfekt werden Zeiträume von 2–8 Wochen genannt. Diese Angaben sind arbiträr. Untersuchungen zur der Frage, ab wann aus einem Früh- ein Spätinfekt wird und anhand welcher Kriterien sich dies erklärt, fehlen.

Akuität: Einteilung anhand objektiver histopathologischer Kriterien in

akute

chronische und

Low-grade-Infektionen.

Eintrittspforte: Einteilung anhand des Verbreitungsmusters in

endogene (hämatogene)

exogene Infektionen.

Biofilm: Einteilung anhand des Reifegrades des Biofilms in

Infektionen mit unreifen

Infektionen mit reifen Biofilmen.

In der Literatur wird die Grenze zwischen unreifen und reifen Biofilmen heute nach einem Zeitraum von etwa 4 Wochen gezogen. Dieses ist mit Blick auf die Behandelbarkeit der MSI insofern von Belang, als dass unreife Biofilme durch Antibiotika leichter zu durchdringen sind als die reifen.

Mit Blick auf die Behandelbarkeit MSI könnte, basierend auf den oben dargestellten Erkenntnissen und der Beantwortung der beschriebenen Fragen, zukünftig die Einteilung anhand der Biofilmbildung und der nachweisbaren Nekroserate sinnvoll sein. Diese Einteilung würde sich dadurch auszeichnen, dass aus ihr, besser als anhand der aktuellen Systeme, direkt Konsequenzen für die Therapie abzuleiten sind.

Eine alternative Definition der Osteomyelitis (OM) könnte, basierend auf

dem Keimtyp

der anzunehmenden Infektdauer

der Biofilmbildung

der Nekroserate

vorgenommen werden wie in Tabelle 1 dargestellt.

Zusammenfassung

Es kann festgehalten werden, dass durch die HOES-Klassifikation die Dualität der Osteomyelitis berücksichtigt wird: Der histopathologische Nachweis von Nekrosen erfordert eine chirurgische Therapie, der histopathologische Nachweis von nicht-nekrotischen, reparativen Gewebsveränderungen eine antibiotische und somit nicht chirurgische Therapie. Die HOES-Klassifikation beinhaltet auch die Bewertung des Flächenanteils der Nekrosen. Korrelative Studien von klinischen und vor allem mikrobiologischen Daten könnten die Grundlage geben, ob die Bewertung der dualen Natur der Osteomyelitis zu einer optimierten Therapie führt. Die hier dargestellte Klassifikation der Osteomyelitis könnte einen entscheidenden Schritt zur Steigerung der Behandlungsqualität der Osteomyelitis beitragen.

Interessenkonflikt: Keine angegeben

Korrespondenzadresse

Professor Dr. med.
Andreas Heinrich Hugo Tiemann

Muskuloskelettales Zentrum
am SRH Klinikum Suhl

Albert Schweitzer Straße 2

98527 Suhl

andreas.tiemann@srh.de

Literatur

1. Arciola CR, Montanaro L, Costerton JW: New trends in diagnosis and control strategies for implant infections. Int J Artif Organs 2011; 34: 727–36

2. Bühler M, Engelhardt M, Schmidt HGK: Septische postoperative Komplikationen, Atlas für Unfallchirurgen und Orthopäden. Berlin: Springer Verlag 2003

3. Costerton JW et al.: Bacterial biofilms in nature and disease. Annual review of microbiology. 1987; 41: 435–64

4. Costerton JW, Stewart PS, Greenberg EP: Bacterial biofilms: a common cause of persistent infections. Science 1999 284: 1318–22

5. Hendrich C, Frommelt L, Eulert J: Septische Knochen- und Gelenkchirurgie. Berlin: Srpnger, 2004

6. Illgner U, Krenn V, Osada N, Bause L: Histopathology and microbiology of joint infections: extension of diagnostic safety in patients with chronic polyarthritis]. Z Rheumatol. 2013; 72: 709–13

7. Lazzarini L, Mader JT, Calhoun JH: Osteomyelitis in long bones. J Bone Joint Surg. Am. 2004; 86-A: 2305–18

8. Lew DP, Waldvogel FA: Osteomyelitis. Lancet. 2004; 364: 369–79

SEITE: 1 | 2 | 3 | 4